Vertreter der Volkspartei und des Fürstenhauses treffen in den "Schlossabmachungen" eine Einigung über die Grundsätze der Verfassungsrevision und über die Bestellung von Josef Peer zum Regierungschef


Handschriftliches Protokoll über die Verhandlungen vom 10.-15.9.1920 im fürstlichen Absteigequartier bei Schloss Vaduz, verfasst von Gustav Schädler, mit Ergänzungen von Wilhelm Beck [1]

16.9.1920

Protokoll

über die Verhandlungen zwischen

  1. fürstl. Kabinettsrat J. [Josef] Martin und Hofrat Dr. [Josef] Peer einerseits und
  2. dem Obmann der Volkspartei [Anton] Walser-Kirchthaler, dem Abg. Dr. Wilhelm Beck und dem Abg. Gustav Schädler.

Zwecks Erledigung der Verfassung- und anderen Fragen wurde Dr. Beck durch ein Schreiben vom 5. Sept. von Kabinettsrat Martin zu einer langen Aussprache eingeladen (Beilage A). [2] Dr. Beck fand sich zu diesem Zwecke am 6. September zu einem 3stündigen Meinungsaustausche beim Genannten ein. [3] Dr. Beck stellte fest, dass er nur als Privatmann spreche und von der Volkspartei keinerlei Auftrag noch Ermächtigung zu Verhandlungen habe. [4]

Am 7. September wurde der Vorschlag Dr. Becks, wie eine Proklamation des Fürsten [Johann II.] lauten sollte, dem Kabinettsrat überreicht. (Siehe Beilage und Brief). [5]

1. Verhandlung:

Am Freitag, den 10. Sept., begab sich dann Dr. Beck mit seinem Zeugen Abgeordneten Schädler in das fürstl. Absteigequartier und sprach sich dort mit Peer vom 11¼ vormittags bis 9¼ Uhr abends grundsätzlich aus. In einer sehr langen Einleitung referierte Peer zunächst darüber, wann und wie seine Berufung erfolgte. Prinz Eduard habe wohl an eine definitive Anstellung Peer's gedacht, allerdings hätte Peer zunächst nur als Sekretär des Prinzen Karl oder sonst unter einem Titel nach Liechtenstein gebracht werden sollen. Peer will von Anfang an nur ein Provisorium in Aussicht genommen haben und war auch nicht für die Rolle eines Sekretärs zu gewinnen; [6] er verlangte vielmehr als Chef der Regierung antreten zu können. Bereits hatten Dr. Peer und Frau [Margareta, geb. Leone] in Aussicht genommen, in Vaduz die silberne Hochzeit im Mai zu feiern, wie Peer sich selber äusserte. [7] Zum 1. mal sei er, Peer, am 16. März zum Fürsten berufen worden und er habe diesem gegenüber kein Hehl daraus gemacht, dass in Liechtenstein von den fürstl. Land.-Verwes. oft unklug amtiert worden sei. Namentlich habe Kabinettsrat [Karl] v. In der Maur in zu selbstherrlicher Weise und ohne das Volk regiert. Der Fürst hätte dann nach der definitiven Inaussichtnahme Peer's geglaubt, in Liechtenstein seien die Wege hiefür schon geebnet. Prinz Eduard musste zugeben, dass dem nicht so sei, bemerkte aber, dass er nun schnell [8] nach Liechtenstein fahre, wo er die Angelegenheit im Sinn der in Wien im Geheimen schon fertigen Anstellung im Handumdrehen [9] erledigen werde. Peer wies nach, dass sich der Fürst über ihn nicht nur beim Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes [Karl Grabmayr von Angerheim], sondern auch in Innsbruck und Vorarlberg habe erkundigen lassen [10] und bei dieser Erforschung auf "Herz und Nieren" habe Prinz Eduard besonders mitgewirkt. Die Unterhändler gewannen den bestimmten Eindruck, dass Dr. Peer sehr schlecht auf Prinz Eduard zu sprechen ist. [11] Dr. Peer bezeichnete den seinerzeitigen Landesverweser [Leopold von] Imhof als total unfähig für die Regierung. Den In der Maur lernte Dr. Peer im Jahre 1907 anlässlich der Ausarbeitung eines Entwurfes für die Justizreform kennen. Dr. Peer hatte einen solchen Entwurf im Auftrage Dr. A. [Albert] Schädlers gemacht, musste sich aber auf eine Skizze beschränken, da er nur 2 Tage Zeit hatte. [12] In der Maur bezeichnete die Leistung Peers als Schleuder-Arbeit. "In der Maur war eigensinnig wie ein Maultier", bemerkte Peer. Dr. Beck und Reallehrer Schädler waren peinlich berührt, als Dr. Peer im Verlauf der Verhandlungen jenen Entwurf Dr. Becks für eine Proklamation an das Volk aus seinen Akten hervorzog, den Dr. Beck als strenge Vertrauenssache am 7. Sept. dem Kabinettsrat Martin übergeben hatte. Nach einer Missbilligung dieses als Vertrauensbruch aussehenden Vorgehens, das Reallehrer Schädler als eine Lumperei bezeichnete, [13] vonseite Martins wurden dann die Vorschläge Dr. Becks eingehend besprochen und namentlich auch mit dem Verfassungsentwurf des Prinzen Karl [14] verglichen. Dr. Peer sieht in der Arbeit des Prinzen Karl einen unbrauchbaren Entwurf für eine Verfassung, die nach Ansicht Peer's denn doch Dauerndes [15] sein müsse. Der Entwurf Prinz Karls wird eingehend von Dr. Peer und Dr. Beck durchbesprochen und waren sich beide einig, dass dieser Entwurf mit seinen Widersprüchen & veralteten Bestimmungen unbrauchbar sei. Besonders die Glaubens- & Gewissensfreiheit, der Verfassungssatz, wonach das kirchliche Eherecht des a.b.G.B. [Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch] verfassungsrechtlich geschützt sei, fand u.a. die Missbilligung Peers, der stets seine liberale Auffassung hervorstrich. Unter hohen & freundlichen Beteuerungen gab er den Ansichten von Schädler & Beck stets recht. [16] Dr. Peer ist für Abschaffung der fürstl. Abgeordneten, ist auch dafür, dass der Volkspartei Satisfaktion erteilt werde, weil sie in der Peerfrage in "ungehörigerweise umgangen" wurde, [17] ist auch bereit, in den Verfassungsentwurf den Passus aufzunehmen, dass ein Beamter, der nicht vertrauenswürdig sei, gehen müsse, hält es für gerecht, dass auf 1 Abgeordneten im Unterland und Oberland gleichviele Einwohner entfallen, nennt die Bürgerpartei eine "rückwärtsstrebende Fortschrittspartei", ist mit Dr. Beck der Ansicht, dass über der gesamten Verwaltung eine "Geschäftsprüfungskommission" stehen solle, sagt, dass "die evangelische Sicherheit" des Prinzen Eduard dem Lande da und dort geschadet habe, spricht sich für das Recht des Referendums und der Initiative aus, führt aus, dass er auf der Alpe Rautz [18] von einem Alpknechte (Triesenberger) manche Unstimmigkeiten im Lande speziell hinsichtlich der Jagd (Prinz Eduard) erfahren und diese Mitteilungen sofort in die Kabinettskanzlei nach Wien berichtet habe, beteuert, dass er dem Fürsten gegenüber ein freimütiger Verteidiger der Volkspartei gewesen sei und betonte speziell, dass er nicht die Absicht hätte, unseren Zollanschluss an die Schweiz zu hintertreiben, denn er sei für den Anschluss Vorarlbergs an die Schweiz eingetreten. [19] Bei diesem Punkte wurde Dr. Peer vorgehalten, dass seine Verteidiger namentlich in der Versammlung in Eschen [20] die Peerfreundlichkeit damit begründeten, weil ihnen dieser das "Loch" gegen Feldkirch öffnen würde. Dr. Peer musste auch zugeben, dass manche Geschäftsleute in Feldkirch ihn ersucht hatten, Liechtenstein wieder an Feldkirch zu binden, weil sonst manche Geschäfte arg geschädigt seien. Es wurde dann Dr. Peer auch die Rolle des Gesandtschafts-Attachés Dr. [Josef] Hoop vorgehalten. Es wurde dann zum Schlusse bestimmt, dass am Samstag, d.h. am folgenden Tage, den 11. Sept. eine weitere Besprechung stattfinden solle. Dann sollte etwas Bestimmtes ausgemacht werden, bis dahin aber werde er, Peer, mit den Vertretern der Bürgerpartei nicht in Verhandlungen treten. Schluss 9½ abends.

Die Besprechung vom Sonntag, den 11. Sept., sollte am Nachmittag beim "Kirchthaler" [21] in Vaduz stattfinden. Entgegen der Abmachung musste sie jedoch erst abends beginnen, weil ebenfalls entgegen der Verabredung am Samstag abends um 6 Uhr die Herren Bürgerpartei-Vertreter: Fritz Walser, [Johann] Wanger, [Franz Josef] Marxer und Peter Büchel von Dr. Peer und Kabinettsrat Martin zu einer Aussprache in das Absteigequartier eingeladen und empfangen worden waren.

2. Verhandlung

Diesmal nahm an den Verhandlungen auch der Volkspartei-Obmann Walser-Kirchthaler teil. Etwas nach 9 Uhr erschienen Kabinettsrat Martin und Dr. Peer. Walser-Kirchthaler leitet die Verhandlungen ein. [22] Hierauf trägt Martin die beiliegende fürstliche Entschliessung vom 11. September vor. [23] Dabei fiel die kalte Reserve Martins und Dr. Peers auf. Vor Verlesung des Aktes überreichte Martin dem Obmann der Volkspartei ein überraschendes Schreiben des Fürsten, worin zum nicht geringen Erstaunen [24] dargelegt war, dass Dr. Peer dem Kabinettsrat Martin zu den Verhandlungen beigegeben worden sei. Es hat dieses Schreiben in dem Sinne überrascht, weil stets beiderseits betont wurde, man habe eine private Aussprache mit Dr. Peer, in diesem Sinn ist ja Dr. Beck verständigt worden. Es war nun um so auffälliger, dass Kabinettsrat Martin dieses offizielle Schriftstück in überraschender Weise dem Obmann Walser überreichte. Mit dem Fürsten hatten bisher nur Dr. Peer & Martin über die Ergebnisse der Aussprache gesprochen. Des [!] Walser, Schädler & Beck empfanden es demnach als einen unkorrekten Vorgang, dass man [!] Dr. Peer plötzlich als offizieller Beistand des Kabinettsrats Martin auftrat. [25]

Diese fürstliche Entschliessung war nun in manchen Punkten konservativer gehalten als in der Besprechung mit Dr. Peer allein (10. Sept.) festgelegt worden war. Namentlich waren Walser, Schädler & Beck [26] überrascht, dass am Schlusse des fürstlichen Schreibens Dr. Peer auf die Dauer eines Jahres als Regierungschef in Aussicht genommen war; die drei gewannen den Eindruck, dass Dr. Peer selbst zu seiner Verhandlung kam, ja unter allen Umständen an die Regierung kommen wollte. Überrascht waren sie, [27] dass der Proporz vorgesehen war, dass der Landammann nicht unter allen Umständen ein gebürtiger Liechtensteiner sein müsse, sondern dass nur "in erster Linie hiefür geeignete gebürtige Liechtensteiner in Betracht kommen", dass der Landtag bei Bestellung des Landammanns zu wenig berücksichtigt wurde und dass Dr. Peer auch die Abschliessung der Zoll- und Handelsverträge zu bewerkstelligen habe.

Dr. Peer musste daher den Vorwurf einstecken, er habe seit der letzten Besprechung den Rückzug angetreten, er sei ein alter Fuchs, er verkaufe jedoch die 3 jungen Volksparteiler nicht. Die Verhandlungen wurden einige Minuten sehr temperamentvoll, sodass momentan wenig Aussicht war, eine Verständigung erzielen zu können. Dr. Peer wurde besonders auch vorgehalten, dass er entgegen den Abmachungen nun doch mit den Gegnern (Fritz Walser, Marxer, Wanger und P. Büchel) verhandelt habe, bevor etwas Definitives ausgemacht war. [28]

Das energische und rücksichtslose Auftreten der 3 Liechtensteiner [29] veranlasste namentlich den Kabinettsrat Martin auf einmal ein sichtliches Entgegenkommen zu zeigen und so wurde dann die fürstliche Entschliessung einer Revision unterzogen. Dabei hielten die drei Volksparteiler um jeden Preis daran fest, dass nur gebürtige Liechtensteiner Landammann werden können, dass Dr. Peer mit dem Abschluss des Zollvertrages nichts zu tun haben dürfe, dass der Landammann und seine Stellvertreter zwar im Einvernehmen zwischen dem Landtag und dem Fürsten, aber auf Vorschlag des Landtages ernannt werde, dass die Grundsätze des Proportionalwahlrechtes auch dann zu gelten haben, wenn der Landtag im Wege der Wahl Kommissionen oder Behörden zu beschicken hat und dass alle kollegialen Behörden mehrheitlich mit Liechtensteinern zu besetzen sind.

Hinsichtlich der Bestellung des Landammannes wurden mehrere Varianten besprochen:

  1. vom Landtag gewählt und vom Fürsten bestätigt,
  2. mit Zustimmung des Landtages vom Fürsten ernannt
  3. vom Fürsten ernannt auf Vorschlag des Landtages

Zur Prestige-Frage wurde wiederum gesagt, dass ein Gegenstück zur bekannten Kundmachung vom 30. April 1920 [30] notwendig werde, damit die Volkspartei rehabilitiert sei. Im Verlaufe der Besprechungen sagte Kabinettsrat Martin auch, dass wahrscheinlich die Wiener Gesandtschaft aufgehoben und die Berner Gesandtschaft mit der hauptsächlichen Vertretung im Auslande betraut werde, bezw. dass unsere Vertretung in Österreich vom schweizerischen Gesandten in Wien übernommen würde.

Die Verhandlungen wurden um ¼ vor 6 Uhr früh am 12. Sept. (Sonntag) geschlossen mit der Verabredung, dass die nächste Besprechung am Montag den 13. September im Absteigequartier stattfinden werde und dass Dr. Peer und Kabinettsrat Martin bis dahin beim Fürsten die Sanktion für die aufgestellten Punkte erwirken werden.

Am 13. Sept. nachmittags 2½ Uhr begannen im Absteigequartier die festgesetzten Verhandlungen. Es waren wieder anwesend Obmann Walser, Dr. Beck und Reallehrer Schädler einerseits und Dr. Peer und Kabinettsrat Martin andererseits.

3. Verhandlung

Es wurde den 3 Volksparteilern zunächst mitgeteilt, dass der Fürst sämtlichen in der Nachtsitzung vom 11. auf den 12. Sept. aufgestellten Forderungen die Sanktion erteilt habe. [31] Die 3 Volksparteien sind jedoch mit den zwei Entschliessungen noch nicht vollständig zufrieden, sie verlangen nach einer Deckung dem Hofrat Peer gegenüber; namentlich muss derselbe unterschriftlich erklären, dass er nur 6 Monate an seinem Posten als Leiter der Regierung verbleibe, da ihm immer wieder das Misstrauen des Volkes gerade in dieser Hinsicht vor Augen geführt wird. Dr. Peer verspricht dann, wenn die Entschliessungen des Fürsten im Landtag nicht angenommen würde, den Regierungsposten zu verlassen.

Dr. Peer soll sich verpflichten, den Weihnachtswunsch zu erfüllen, noch in diesem Jahre die Verfassung durchzubringen. Er tut das nicht, übernimmt aber die Garantie, die Verfassung so zeitig zur Verabschiedung zu bringen, dass im Februar die Neuwahlen stattfinden können. Nachher sind alle Behörden und Kommissionen, die der Landtag überhaupt zu bestellen hat, neu zu wählen. Die Hofkanzlei als Zwischenglied zwischen Fürst und Volk hat zu verschwinden. Weiter soll der Fürst in seinem Dienste mehr Liechtensteiner anstellen. Sodann soll die Arbeit im Lande fürderhin ohne Rücksicht auf eine Partei vergeben werden. Der Schweizer Fachmann muss von Peer in ausgiebigster Weise beigezogen werden, also nicht nur zur Verfassungsrevision, sondern auch zur Ausarbeitung anderer Gesetze. Die Volksparteivertreter betonen mehrmals, dass sie nur dem Frieden zuliebe zu dieser Lösung sich einverstanden erklären. Dr. Emil Beck in Bern soll zum Gesandten befördert werden. Besonders erwarten die Volksparteivertreter eine der Zeit entsprechende und loyale Auslegung aller Abmachungen. Die Beamten-Anstellung soll künftighin im Einvernehmen mit dem Landtag geschehen.

Die 3 Vertreter der Volkspartei äussern den Wunsch, dass der Fürst zur Hebung des Verdienstes im Lande u.s.w. durch Privatmittel helfe. Die Verfassungskommission soll neu bestellt werden. Das Sparsamkeitsprinzip soll im Staat gelten.

Es wird sodann der Übelstand hinsichtlich Jagdverpachtung eingehend beleuchtet und von den 3 Vertretern vorgeschlagen, die Jagd vom Forstamt zu trennen. [32] Der Fürst sei, sagt Dr. Martin, über die Jagdverhältnisse unrichtig orientiert gewesen; denn er habe geglaubt, es gebe im Lande wenig Interessenten. Insbesondere sei er bereit, soviel Pacht zu bezahlen wie jeder andere Bewerber. Kabinettschef Martin verspricht Abhilfe, Forstinspektor Pittmann [Otto Bittmann] wird nach Liechtenstein kommen, um die Sache zu untersuchen und Vorschläge auszuarbeiten.

Weiter wird ausgemacht, dass Obmann Walser, Dr. Beck & G. Schädler am folgenden Tage um 10h vom Fürsten in feierlicher Audienz empfangen werden sollen, wobei der Fürst eine Ansprache herunterlesen werde. Diese Ansprache wird nun beraten und abgefasst. Sie ist enthalten in der Beilage (O.N. Nr. 75 vom 18. Sept.) [33]

Im Verlauf der Verhandlungen wird eingehend von der Gefahr gesprochen, dass sich eine republikanische Partei mit zirka 400 Mitgliedern bilden möchte, falls nicht ganze Arbeit gemacht und dem Volke nicht die bisher vorenthalten Rechte gegeben werden. Die 2 Vertreter des Fürsten erkennen die Gefahr, indem ihnen u.a. auch gesagt wird, dass anlässlich des Sängerfestes am 12. Sept. auf Schloss Gutenberg von einer starken Gruppe beabsichtigt gewesen sei, auf der Bühne eine republikanische Rede zu halten, ein Ereignis also, das im Lande ungeheures Aufsehen erregt haben würde. [34] Die 2 Unterhändler des Fürsten sehen ein, dass die Regierungs-Clique der Dynastie durch das allgemeine Zurückhalten geschadet habe.

Kabinettsdirektor Martin führt u.a. auch aus, dass [er?] die im April und Mai anlässlich der Peer-Vorträgen an den Fürsten gerichteten Schreiben und Telegramme nur auszugsweise bekommen habe und dass Prinz Eduard jene Kundmachung (O.N. Nr. 35, 1. Mai, siehe Beilage) [35] geschrieben habe, nicht der Fürst selber, ja dass Eduard dem Fürsten anfänglich eine so scharfe Antwort an die Volkspartei vorlegte, dass sie der Fürst in dieser Fassung gar nicht annahm und selbst abschwächte.

Es wird sodann zwischen den 3 Volksparteilern und Dr. Peer beiliegendes Geheimprotokoll abgefasst. [36] Am Dienstag (den 14. Sept.) abends werden die Volkspartei-Delegierten aus dem ganzen Lande zusammenberufen und Obmann Walser, Dr. Beck & Abg. Schädler werden die Annahme der 2 Entschliessungen des Fürsten befürworten. Um 9.20 abends, den 13. Sept., ist auf Grund der beiliegenden Abmachung eine Einigung erzielt – natürlich vorbehaltlich der Genehmigung durch die Deleg.-Versammlung der Volkspartei – und Kabinettsrat Martin macht hievon dem Fürsten sofort Mitteilung. Dieser soll sich sehr gefreut haben über die Einigung.

Hieran schloss sich eine ungezwungene Unterhaltung mit Kabinettsrat Martin, Dr. Peer, dem Leibarzte des Fürsten [37] und dem Leibdiener [Johann] Muster bis Nachts 12½ Uhr.

Am Dienstag, dem 14. Sept. fand dann die

Audienz beim Fürsten und die 4. Verhandlung

statt. Die Audienz dauerte bloss 7–8 Minuten. Was gesprochen wurde, war belanglos; es ging jedoch hochoffiziell her, indem Kabinettsrat Martin die 3 Volksparteiler begleitete und sie dem Fürsten vorstellte. [38]

Zu der sich daran anschliessenden 4. Unterhandlung wird vonseite Martins mitgeteilt, dass Prinz Karl, der bisherige Landesverweser, schon am Donnerstag den 16. Sept. abreisen würde und dass Peer gleichzeitig als Nachfolger ernannt würde, falls die Volkspartei einwillige.

Deleg.-Versammlung im Adler

Dieselbe war von zirka 60 Delegierten besucht und dauerte von abends 8 bis morgens 2h.

Nachdem der Obmann Walser eine Übersicht über die Situation und die gepflogenen Unterhandlungen geboten hatte, erläutert Dr. Beck an der Hand der vorgeschlagenen Abmachungen die Vorteile, die sich aus der Annahme der fürstlichen Entschliessungen für die Partei ergeben würden. Er betonte namentlich, dass dieses Entgegenkommen des Fürsten nicht ein freiwilliges sei, man (die 3 Vertreter) habe manche Punkte förmlich abringen müssen. Er äussert, dass die heutige Versammlung wohl nicht kompetent sei, zu entscheiden. Der Fürst sollte seine Entschliessung aufrecht erhalten, auch wenn ein anderer statt Peer nun zur Regierung komme.

Der weitaus grösste Teil der Delegierten ist den Versprechungen des Fürsten und jenen Peer's gegenüber äusserst misstrauisch. Namentlich wird bezweifelt, ob Peer in 6 Monaten gehen werde. Reallehrer Schädler empfiehlt die Vorschläge zur Annahme, verlangt aber, dass den bisherigen Unterhändlern noch 2–3 Zeugen mitgegeben werden, damit keinerlei Misstrauen aufkommen könne. Mehrere, darunter Rudolf Real, sehen in der Unterhandlung der Parteiführer mit den 2 fürstl. Vertretern eine Kompetenz-Überschreitung, da sie hiezu eine Ermächtigung des Ausschusses gebraucht hätten.

Andreas Vogt & Real sprechen gegen die Verhältniswahl, worauf die 3 Vertreter Beck, Schädler und Walser mitteilen, dass sie ebenfalls gegen dieselbe waren, sie aber letzten Endes in den Kauf genommen hätten; es sei nicht zu vergessen, dass die Partei von nun an in allen Behörden und Kommissionen gemäss der Stärke vertreten sein würde. Max Beck stellt den Antrag, es solle weiter unterhandelt werden, jedoch müsse 1. der Proporz weg, 2. Reg.-Rat Wanger zurücktreten und Dr. Beck in die Regierung gewählt werden. Obmann Walser führt aus, dass dann, wenn nicht rasch gehandelt werde, die Gegner eingreifen würden, um die Errungenschaften wieder zunichte zu machen; denn die Abmachungen seien gegen die Interessen der Bürgerpartei. Albert Vogt teilt mit, dass Balzers ganz gegen Dr. Peer sei. Endlich wird

  1. den Unterhändlern Dr. Beck, Walser & Schädler das einstimmige Vertrauen ausgesprochen,
  2. sollen sie mit Andreas Vogt, Alois Frick & Felix Hasler morgen (15. Sept.) fertig verhandeln & zwar
    a) versuchen, den Proporz aus den Abmachungen auszuscheiden.
    b) den Reg.-Rat Wanger zum Rücktritt zu veranlassen und Dr. Beck an dessen Stelle in der Regierung zu setzen.
  3. bekommen diese 6 Unterhändler Generalvollmacht.

Nach der sog. Geburtstagshuldigung ob dem Absteigequartier am 15. Sept. 11 Uhr [39] fand die

5. Verhandlung

statt. Dabei ist vorerst zu erwähnen, dass sämtliche Abgeordneten der Bürgerpartei zur gleichen Zeit eine Audienz bezw. Unterhandlung bei Dr. Peer & Kabinettsrat Martin wollten. Die Vertreter der Volkspartei verhandelten nun bis 1 Uhr, während welcher Zeit die genannten Abgeordneten mit Ungeduld erst spazieren gingen und dann im Vorzimmer warteten.

Der Auftrag der Sechser-Delegation wurde erläutert. Namentlich wurde Dr. Peer in überaus deutlicher Weise das Misstrauen geschildert, das in der Partei gegen die "6 Monate" gehegt werde. Ebenso wurde der Rücktritt Wangers aus der Regierung und die Wahl Dr. Becks in dieselbe als unbedingte Forderung aufgestellt. Auch der Wegfall des Proporzes wird in der abgemachten Weise verlangt. Die Debatte wird heftig, als die Wahl Dr. Becks direkt als ein Ultimatum aufgestellt wird. Andreas Vogt entwickelt seine republikanischen Ideen, legt dar, dass er in der Schweiz seit seiner Kindheit an das Brot verdienen musste und nun überzeugter Anhänger der Republik sei. Dr. Peer & Martin geben zu erkennen, dass sie seine Ideen respektieren. Es wird den 2 fürstlichen Vertretern direkt gesagt: "Wenn Sie, Herr Dr. Peer, einen Tag länger als 6 Monate an der Regierung bleiben wollen, so jagen wir Sie zum Lande hinaus und wenn die fürstlichen Versprechungen nicht gehalten werden, so hat die Dynastie der Liechtenstein aufgehört bei uns zu regieren." Dr. Peer gibt ein Ehrenwort, dass er nach 6 Monaten gehe und Martin verpfändet das Offiziersehrenwort, dass die fürstlichen Versprechen eingehalten werden. Hierauf meldet der Kammerdiener Muster, dass die Herren Vertreter der Gegenpartei endlich vorsprechen möchten. Sollten sie jetzt nicht vorgelassen werden, so würden sie gehen und nicht mehr kommen. Dr. Beck bespricht sich nun mit den Gegnern, diese sind einverstanden mit dem Rücktritt Wangers und dem Eintritt Becks in die Regierung. [40] Dies erklärt Fritz Walser nachher auch vor allen 6 Vertretern der Volkspartei und Dr. Peer mit dem Beifügen, dass auch er einem anderen Stellvertreter, natürlich aus der Volkspartei, Platz machen wolle. Endlich wird dann das Geheimprotokoll [41] in Eile unterschrieben, damit es die im nächsten Moment eintretenden Gegner nicht beobachten. Dr. Peer geht noch auf 8 Tg. nach Wien, Prinz Karl reist mit diesem & dem Fürsten ebenfalls nach Wien und am Donnerstag, den 23. Sept., tritt Dr. Peer die Regierung an. Da das Volk über diese Ereignisse geteilter Meinung ist und in der Partei manche höchst unzufrieden sind, sprechen aufklärend: Dr. Beck in Triesen, Reallehrer Schädler in Balzers, Walser & Schädler in Bendern, alle drei in Triesenberg. Damit hat die Peer-Anstellung vorläufig ihren Abschluss gefunden.

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[1] LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 5. Ediert in: Die Schlossabmachungen vom September 1920. Studien und Quellen zur politischen Geschichte des Fürstentums Liechtenstein im frühen 20. Jahrhundert, hrsg. von der Vaterländischen Union, Vaduz 1996, S. 170–182. Das Dokument stammt aus dem Nachlass von Gustav Schädler und wurde von dessen Söhnen dem Parteiarchiv der Vaterländischen Union übergeben. Zum Protokoll liegen stenographische Ergänzungen vor (LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 6).
[2] "(Beilage A)" ergänzt von Wilhelm Beck. Die Beilage fehlt.
[3] Folgt gestrichen: "und bekam den Eindruck, dass die Situation zur Verständigung in den wichtigsten Landesfragen nicht ungünstig sei." Hier ist Punkt 1 der stenographischen Ergänzungen einzusetzen (LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 6).
[4] Folgt gestrichen: "Er schlug dem fürstl. Kabinettsrate vor, die Angelegenheit so einzuleiten, dass der Fürst durch eine Proklamation an das Volk die Wünsche und Forderungen der Volkspartei [übernehme], die schliesslich dann als seinen Willen der Öffentlichkeit kund tue. Weiter verlangte Dr. Beck einen schweiz. Fachmann für die Regierung, während Martin zu verstehen gab, dass der Fürst immer noch an eine Berufung Peer's denke. Dr. Beck erklärte sich damit einverstanden, mit Peer einmal in unverbindlicherweise zu sprechen. Überdies anerbot er sich, die Wünsche und Forderungen der Volkspartei zusammenzustellen und dem fürstlichen Kabinettsrate zu übermitteln." Hier ist Punkt 2 der stenographischen Ergänzungen einzusetzen (LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 6).
[5] "(Siehe Beilage und Brief)": ergänzt von Wilhelm Beck. Die Dokumente fehlen.
[6] Hier ist Punkt 3 der stenographischen Ergänzungen einzusetzen (LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 6).
[7] "wie Peer sich selber äusserte": ergänzt von Wilhelm Beck.
[8] "schnell": ergänzt von Wilhelm Beck.
[9] "im Handumdrehen": ergänzt von Wilhelm Beck.
[10] Vgl. LI LA SF 01/1920/214, Auskunft über Josef Peer, o.D. (eingegangen 9.3.1920).
[11] "Die Unterhändler […] ist": ergänzt von Wilhelm Beck.
[12] LI LA RE 1908/ad 570, Peer an Landtagspräsident Albert Schädler, 7.2.1908; LI LA RE 1908/ad 570, Codifikationen, o.D.
[13] "das Reallehrer […] bezeichnete": ergänzt von Wilhelm Beck.
[14] LI LA V 003/0890, Verfassungsentwurf Prinz Karl, o.D.
[15] Von Wilhelm Beck korrigiert aus "etwas Starres, Festes".
[16] "Der Entwurf […] recht": ergänzt von Wilhelm Beck.
[17] Angesprochen ist die Reaktion des Fürsten auf die Protestresolution der Volksparteiversammlung vom 18.4.1920 in Triesen, die "feierlichen Protest" gegen die "neuerliche Berufung eines Ausländers als Landesverweser" erhob (LI LA SF 01/1920/072; veröffentlicht in O.N., Nr. 32, 21.4.1920, S. 1 ("Zur Landesverwesermache")). Der Fürst liess, einem Vorschlag von Josef Peer folgend, antworten, er könne die Protestresolution nicht zur Kenntnis nehmen, da diese "befremdend" und ein Eingriff in die fürstlichen Rechte sei (LI LA SF 01/1920/074, Gesandtschaft Wien an Prinz Karl, 27.4.1920; LI LA V 003/1189, Entwurf Peer, 26.4.1920). Prinz Karl teilte dies im Auftrag des Fürsten dem Volksparteiobmann Anton Walser sowie dem Landtagspräsidenten Friedrich Walser mit und liess eine entsprechende amtliche Kundmachung in den Landeszeitungen publizieren (L.Vo., Nr. 35, 1.5.1920, S. 4; O.N., Nr. 35, 1.5.1920, S. 4).
[18] Rauz: Alp am Arlberg, seit 1914 im Besitz der Gemeinde Gamprin.
[19] Hier ist Punkt 4 der stenographischen Ergänzungen einzusetzen (LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 6).
[20] Am 25.4.1920 organisierte die Bürgerpartei eine Kundgebung in Eschen, deren Teilnehmer die Ernennung von Peer zum Landesverweser nachdrücklich befürworteten. Vgl. L.Vo., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1 ("Die grosse Volkskundgebung im Unterland"); O.N., Nr. 34, 28.4.1920, S. 1f. ("Unterländer Versammlung").
[21] Gasthaus in Vaduz.
[22] Hier ist Punkt 5 der stenographischen Ergänzungen einzusetzen (LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 6).
[23] LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 7, Entschliessung von Johann II., 11.9.1920.
[24] "überraschendes" und "nicht geringen Erstaunen": ergänzt von Wilhelm Beck.
[25] "Es hat dieses Schreiben […] auftrat": ergänzt von Wilhelm Beck.
[26] "Walser, Schädler und Beck": von Wilhelm Beck korrigiert aus "die 3 Vertreter der Volkspartei".
[27] "die drei […] waren sie": ergänzt von Wilhelm Beck.
[28] Folgt eine gestrichene Ergänzung von Wilhelm Beck: "Dr. Peer bemerkt, dass man deswegen ausgemacht hatte, mit Bürgerparteilern nicht zu unterhandeln, weil [er] vorerst etwas Bestimmtes mit der einen Seite ausmachen & der andern dann vorlegen solle, da sonst eine Einigung von vornherein wenig Aussicht habe." Hier ist Punkt 6 der stenographischen Ergänzungen einzusetzen (LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 6).
[29] Von Wilhelm Beck korrigiert aus "Volksparteiler".
[30] Datum nachgetragen von anderer Hand.
[31] LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 8, Modifikationen der Entschliessung von Johann II., 13.9.1920.
[32] Die Hochjagd wurde an den Fürsten verpachtet, der einige Reviere in Unterpacht weitergab, die Niederjagden des Ober- und Unterlandes wurden an interessierte Bürger verpachtet.
[33] O.N., Nr. 75, 18.9.1920, S. 1 ("Mitteilung der Regierung"). Die Beilage fehlt.
[34] Am 12.9.1920 feierte der Kirchenchor Balzers auf Schloss Gutenberg Fahnenweihe. Die Feier wurde auch durch den Fürsten besucht (O.N., Nr. 74, 15.9.1920, S. 1f. ("Zur Fahnenweihe in Balzers")).
[35] O.N., Nr. 35, 1.5.1920, S. 4. Vgl. dazu oben Anm. 14. Die Beilage fehlt.
[36] Wohl LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 9, Protokoll, verm. 15.9.1920.
[37] Wohl Franz Lauschmann oder Robert Poisl.
[38] Vgl. L.Vo., Nr. 75, 18.09.1920, S. 1 ("Zur neuen Landespolitik").
[39] Zur Huldigung vgl. L.Vo., Nr. 74, 15.9.1920, S. 1 ("Fürstenhuldigung"); L.Vo., Nr. 75, 18.9.1920, S. 1 ("Fürstenhuldigung"); L.Vo., Nr. 76, 22.9.1920, S. 1 ("Die Fürstenhuldigung am 15. September"); O.N., Nr. 75, 18.9.1920, S. 2.
[40] Zum Eintritt von Beck in die Regierung kam es nicht. Die Bürgerpartei vertrat die Ansicht, man habe den Rücktritt von Wanger unter der Voraussetzung versprochen, dass Peer für ein Jahr berufen werde. Nachdem die Volkspartei eine Berufung auf sechs Monate durchgesetzt hatte, fühlte sich die Bürgerpartei nicht mehr gebunden durch diese Vereinbarung (LI LA LTA 1920/S04, Protokoll der Landtagssitzung vom 29.12.1920). Wanger trat erst Ende 1920 als Regierungsrat zurück (LI LA LTA 1920/S04, Protokoll der Landtagssitzung vom 30.12.1920) und wurde im März 1921 durch Oskar Bargetze ersetzt (LI LA LTA 1921/S04/2, Protokoll der Landtagssitzung vom 12.3.1921).   
[41] Höchstwahrscheinlich LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 9, Protokoll, verm. 15.9.1920.