Die Rotter-Attentäter Rudolf Schädler, Peter Rheinberger, Eugen Frommelt und Franz Roeckle werden zu Kerkerstrafen zwischen 4 und 12 Monaten verurteilt


Urteil des Landgerichts als Kriminalgericht, gez. Landgerichtspräsident Johann Joseph Schmid [1]

8.6.1933

Urteil

Im Namen Seiner Durchlaucht des Landesfürsten!

Das fürstlich liechtenstein. Landgericht als Kriminalgericht Vaduz hat unter dem Vorsitze seines Präsidenten Dr. Josef Schmid, im Beisein des fürstlichen Landrichters Dr. Julius Thurnher als Berichterstatter, der Kriminalrichter Wilhelm Bürzle, Josef Hilti und Johann Matt, des Schriftführers Dr. Alois Vogt über die Anklage der fürstlich liechtenstein. Staatsanwaltschaft gegen Peter Rheinberger und Genossen [2] wegen Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit durch versuchten Menschenraub im Sinne der §§ 90, 8, 5 St.G. [3] auf Grund der am 7. und 8. Juni 1933 in Anwesenheit des a.o. Staatsanwaltes Dr. [Josef] Lenzlinger als öffentlichen Ankläger, der Privatbeteiligtenvertreter Dr. Ludwig Marxer, Rechtsanwalt in Vaduz, für Julie Wolff, und W. [Wladimir] Rosenbaum-Ducommun, Rechtsanwalt in Zürich, für Fritz und Luzie Schaie, der Angeklagten Peter Rheinberger, Rudolf Schädler, Eugen Frommelt und Franz Röckle, sowie der Verteidiger Dr. J. G. [Joseph Georg] Oktabeetz, Rechtsanwalt in Feldkirch, für Rheinberger, Dr. J. [Johann Jakob] Schwendener, Rechtsanwalt in Buchs, für Schädler, Dr. Alois Ritter, Rechtsanwalt in Vaduz, für Frommelt, Walter Koch, Rechtsanwalt in Frankfurt a.M., für Röckle, durchgeführten Schlussverhandlung

zu Recht erkannt:

  1. Rheinberger Peter, des Egon und der Maria geb. Schädler, geb. am 18.I.1913 in Vaduz, dort zust., Student, kath., ledig, unbescholten,
  2. Schädler Rudolf, des Dr. Rudolf und der Maria geb. Marxer, geb. am 31.III.1903 in Vaduz, dort zust., Hotelbesitzer in Vaduz, kath., ledig, unbescholten,
  3. Frommelt Eugen, des Johann und der Luise geb. Allgäuer, geb. 18.IX.1907 in Rankweil, zust. nach Ruggell, Chauffeur in Vaduz, kath., ledig, unbescholten,
  4. Röckle Franz, des Baptist und der Isabella geb. Seger, geb. am 15.XII.1879 in Vaduz, zust. nach Vaduz und Frankfurt a.M.., Architekt in Frankfurt a.M., kath. verheiratet, unbescholten,

sind schuldig.

Es haben

  1. Peter Rheinberger, Rudolf Schädler und Eugen Frommelt ohne Vorwissen und Einwilligung der rechtmässigen fürstlichen liechten. Obrigkeit am 5.IV.1933 auf Gaflei in Triesenberg sich der Brüder Alfred [Schaie] und Fritz Schaie, genannt Rotter, der Ehefrau des ersteren, Gertrud Schaie, geb. Lehrs, und der Witwe Julie Wolff durch List und Gewalt zu bemächtigen versucht, um die drei erstgenannten Personen wider ihren Willen der deutschen Strafbehörde, sohin einer auswärtigen Gewalt zu überliefern, wobei die Vollbringung der Übeltat nur wegen Unvermögenheit, Dazwischenkunft eines fremden Hindernisses und durch Zufall unterblieben ist,
  2. Franz Röckle habe zu der unter 1.) geschilderten Übeltat durch Rat, Lob und Unterricht Vorschub gegeben, Hilfe geleistet und zur sicheren Vollstreckung beigetragen.

Es haben hiedurch Rudolf Schädler, Peter Rheinberger und Eugen Frommelt das Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit durch versuchten Menschenraub i.S. der §§ 8, 90, St.G. als Mittäter und Franz Röckle das genannte Verbrechen als Mitschuldiger i.S. der §§ 5, 8, 90 St.G. begangen.

Sie werden hiefür nach § 91 St.G. erster Strafsatz unter Anwendung des Art. 31 des Gesetzes vom 1.VI.1922 L.G.Bl. Nr. 22 [4] und des § 54 St.G. verurteilt zum Kerker und zwar:

Rudolf Schädler in der Dauer von 12 Monaten,

Peter Rheinberger in der Dauer von 9 Monaten,

Eugen Frommelt in der Dauer von 5 Monaten,

Franz Röckle in der Dauer von 4 Monaten,

ferner gemäss § 238 St.P.O. [5] zur ungeteilten Hand zum Ersatze von Schw. Frs. 744.20 und Belg. Frs. 3077.20 an Frau Julie Wolff, derzeit in Brüssel, 82 rue d’Oulkemont, z.H. des Rechtsanwaltes Dr. Ludwig Marxer in Vaduz, sowie gemäss § 285 St.P.O. zum Ersatze der Kosten des Strafverfahrens zur ungeteilten Hand und jener des Strafvollzuges jeder für seinen Teil und gemäss Art. 3 des Gesetzes vom 1. Juni 1922 L.G.Bl. No. 22 jeder Angeklagte zur Tragung einer Urteilsgebühr von Frs. 50.-.

Auf die Strafe wird gem. § 232 St.P.O. die Untersuchungshaft bei Rudolf Schädler vom 5.IV.33, 17 Uhr, bei Peter Rheinberger vom 5.IV.33, 18 Uhr, bei Eugen Frommelt und Franz Röckle von 5.IV.33, 23 Uhr, bei sämtlichen bis 8.VI.1933, 23 Uhr, eingerechnet.

Die Privatbeteiligten Fritz Schaie und Luzie Schaie werden mit ihren Ansprüchen zur Gänze, die Privatbeteiligte Julie Wolff mit den geltend gemachten Mehransprüchen gem. § 238 St.P.O. auf den Zivilrechtsweg verwiesen. [6]

Gründe:

Auf Grund der tatsächlichen Angaben der Angeklagten, der Aussagen der Zeugen Fritz Schaie, Julie Wolff, Max und Rudolf Beck, Rochus Lampert, Gottlieb Eberle, Johann Sele, Alois Beck, Edmund, Klothilde [geb. Ospelt] und Karl Sele, sowie auf Grund der übrigen Erhebungen ist folgender Sachverhalt erwiesen: [7]

Im Oktober 1931 waren die Brüder Alfred und Fritz Schaie genannt Rotter, sowie die Ehefrau des Ersteren, Gertrud Schaie geb. Leers über ihr Ansuchen in den liechtensteinischen Staatsverband und in das Bürgerrecht der Gemeinde Mauren aufgenommen worden. [8] Die Brüder Schaie waren damals Grossunternehmer auf dem Gebiete des Theaterwesens in Berlin; ihre Vermögens- und Erwerbsverhältnisse galten nach den vorliegenden Ausweisen als sehr günstig, ihr Ruf als einwandfrei.

Im Jänner 1933 nahmen die Genannten in Vaduz Aufenthalt, nachdem sie sich aus Berlin unter Hinterlassung einer grossen Schuldenlast geflüchtet hatten. Unter dem 27.I. und 1.III.1933 ergingen gegen sie im Deutschen Kriminalpolizeiblatt Ausschreibungen zur Verhaftung wegen Konkursverbrechens, bezw. gegen Frau Schaie wegen Beihilfe hiezu. Ein am 8.III.1933 vom Amtsgericht Berlin-Mitte erlassener Haftbefehl erklärte die Brüder Schaie dringend des Verbrechens der fortgesetzten gemeinschaftlichen Untreue, der Beiseiteschaffung von Vermögensstücken, des übermässigen Aufwandes, der Anstiftung zur verspäteten Konkursanmeldung, zur Bilanzverschleierung und der unordentlichen Buchführung, Gertrud Schaie der Beihilfe zum Verbrechen der Beiseiteschaffung von Vermögensstücken, verdächtigt. Der Steckbrief gegen die Flüchtigen war auch in Österreich und in der Schweiz veröffentlicht worden. Obwohl den Deutschen Behörden, wie aus den Steckbriefen ergeht, der Aufenthalt der Brüder Schaie in Liechtenstein bekannt war, wurde an die Liechtenstein. Behörde weder ein Ersuchen um Auslieferung der Verfolgten gestellt, welches Ersuchen allerdings im Hinblick auf § 36 St.G. hätte erfolglos bleiben müssen, noch aber um Übernahme der Strafverfolgung der Schaie in Liechtenstein ersucht. So kam es, dass die Schaie vorerst sich in Freiheit in Liechtenstein bewegten.

Nun waren seit längerem sowohl in Liechtenstein als insbesonders im Ausland und vornehmlich im deutschen Ausland Stimmen gegen die Einbürgerungsvorgänge in Liechtenstein laut geworden. Solche Stimmen verstärkten sich seit Jänner 1933, als bekannt wurde, dass die von Deutschland verfolgten Brüder Schaie in Liechtenstein, wo sie wie gesagt, schon seit Oktober 1931 eingebürgert waren, Zuflucht gesucht hatten.

Es ist dem Gerichte bekannt, dass ein grosser Teil der Presse, besonders der deutschen Presse sich der Sache bemächtigte. [9] Auf der einen Seite wurde in leidenschaftlichen Angriffen und oft in einer geradezu masslosen Kritik gegen die erfolgten Einbürgerungen überhaupt, besonders aber gegen jene der Rotter und gegen die Tatsache, dass sie ungeachtet der ergangenen Haftbefehle in Liechtenstein in Freiheit waren, Stellung genommen. Man sprach und schrieb von drohenden Absperrmassnahmen Deutschlands gegen ein Land, das den Rotter Asyl gewähre; man fürchtete wirtschaftliche Schädigungen durch Lahmlegung des Fremdenzustroms. Auf der andern Seite fehlte es nicht an Bemühungen einsichtiger Kreise und massgebender liechtenstein. Stellen, in der Presse die Dinge über die Einbürgerungen und besonders jene der Schaie in das richtige Licht zu rücken, durch Verweisung auf den Inhalt der bestehenden Einbürgerungsgesetze, durch Mitteilung von Zahl und Stand der Eingebürgerten und besonders durch öffentliche Bekanntgabe der Voraussetzungen, unter welchen eine Verfolgung der Schaie in Liechtenstein in Betracht käme.

Immer höher schwollen die Pressewogen, die Land und Leute in Unruhe hielten. Bereits wurden Erwägungen laut, man sollte die Rotter aus den Lande schaffen. So standen die Dinge, als die Angeklagten in Tätigkeiten traten.

Rudolf Schädler, Besitzer des Kurhauses Gaflei, Peter Rheinberger, Student und Sohn von Schloss Gutenberg, Franz Röckle, ein Sohn Liechtenstein’s und angesehener Architekt, und Eugen Frommelt, Mitinhaber eines heimischen Verkehrsunternehmens, hatten sich zusammen getan, um die Brüder Schaie und Frau Gertrud Schaie mit List oder Gewalt aus dem Lande zu schaffen und sie der deutschen Strafbehörde zu überantworten.

Wie das Beweisverfahren ergab, ging der Plan nicht etwa von dem einen oder andern der Angeklagten allein aus. Es waren vielmehr in den drei Personen Schädler, Rheinberger und Röckle nebeneinander gleichartige Ideengänge entstanden, die schliesslich zu einer gemeinsamen Aussprache führten. Schädler, der im Lande wohnte, hatte Stimmen des Landes gehört und Stimmen aus dem Ausland vernommen, insbesonders auch aus Zuschriften ehemaliger Kurgäste; Röckle, der als Architekt in Frankfurt a.M. seinen Sitz hatte, aber auch in Vaduz seine Tätigkeit ausübte, trug Meinungen von draussen herein und griff Meinungen im Inland auf; Rheinberger, der 20 jährige, studierte in Konstanz und lebte mitten im Werden und Wogen der nationalen Bewegung Deutschlands.

Schädler hatte, als Röckle Ende März 1933 wieder von Frankfurt in Vaduz eintraf, sich bereits zu einem Entschlusse aufgerafft, in Sache Schaie etwas zu unternehmen. Er plante damals eine Versammlung der Kurhausbesitzer und Geschäftsleute Liechtensteins unter Beiziehung des Reg.-Chefs [Josef Hoop] einzuberufen, zum Zwecke einer gemeinsamen Beratung der notwendigen Abwehrmassnahmen. Er rief Röckle zu sich und teilte ihm sein Vorhaben mit. Doch Röckle fand diesen Weg nicht geeignet, er erachtete das Unterfangen als zwecklos. Ihm schwebte vor, es sollten die Schaie, sei es, dass sie freiwillig oder mit List nach der Schweiz kämen, dort der Behörde gemeldet und sohin auf Grund der Steckbriefe verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert werden. Noch zweckmässiger erschien ihm eine unmittelbare Ausschaffung der Schaie über Österreich nach Deutschland. Schädler folgte solchen Erwägungen und liess den ursprünglichen Plan einer gemeinsamen Beratung in der Öffentlichkeit fallen.

Inzwischen hatte Schädler auch Fühlung mit seinem Neffen Peter Rheinberger genommen, ohne dass aber vorerst ein strafwidriger Plan gefasst oder auch nur besprochen worden war.

Am Sonntag, 2. April 1933, kam es zu einer Zusammenkunft des Schädler, Röckle und Rheinberger in Gutenberg, auf dem väterlichen Schlosse des Letzteren, die zwar, wie den Angeklagten zu glauben ist, anfangs nicht dem Zwecke diente, Massnahmen gegen die Schaie zu beraten, letzten Endes aber zu ernsthaften Unterredungen in dieser Richtung führte.

Es zeigte sich, dass Rheinberger zuvor schon in Konstanz mit einer deutschen Gruppe in Verbindung gestanden hatte, die ihrerseits mit dem Plane umging, die Rotter aus Liechtenstein zu holen und nach Deutschland vor die Strafbehörde zu stellen. Man war sich in Gutenberg einig, dass die Rotter mit List oder Gewalt aus dem Lande zu schaffen seien. Ein fester Plan wird aber noch nicht entworfen. Röckle ist dafür, sich dabei der Fachleute zu bedienen und zwar sollten es die Deutschen machen und die Liechtensteiner nur mithelfen, wenn erfahrene und verantwortungsbewusste Leute die Sache durchführen. Einmütig bestand der Wille, dass die Schaie bei solchem Unternehmen keinerlei körperliche Schäden erleiden dürfen.

Schädler und Rheinberger galt es zunächst, die näheren Verhältnisse über die Schaie und ihre Lebensweise im Waldhotel in Vaduz in Erfahrung zu bringen. Sie begaben sich am Montag, 3. April, ins Waldhotel und kamen dort mit den Brüdern Schaie in persönliche Verbindung. Der Angeklagte Rheinberger hatte in der Voruntersuchung zugegeben, sie hätten die Schaie im Waldhotel aufgesucht, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Schädler bestritt solches und Rheinberger hielt seine Darstellung in der Schlussverhandlung nur in dem eingangs erwähnten Sinne aufrecht. Das Gericht vermochte den Angeklagten zu glauben, dass Schädler nicht gerade darauf ausging, das Vertrauen der Schaie zu erschleichen. Tatsache ist aber, dass Schädler und Rheinberger in der Gesellschaft der Schaie sich so zu geben wussten, dass sie nicht nur ihr Vertrauen gewannen, sondern sogar, wie Fritz Schaie bezeugt, einen geradezu grossartigen Eindruck auf sie machten. Man sprach von Gaflei; die Schaie waren geneigt, im Sommer dort Aufenthalt zu nehmen, und Schädler war bereit, ihnen das Kurhaus zu zeigen, wobei sie dann auch die Zimmer für sich aussuchen könnten. So wurde schliesslich vereinbart, dass Schädler die Schaie am nächstschönen Tag mit seinem Wagen nach Gaflei zur Besichtigung des Kurhauses führe.

Damit war der im Grunde beschlossene Entführungsplan mit dem Mittelpunkt Gaflei in greifbare Nähe gerückt. Bereits hatte Schädler auch den weiteren Angeklagten Eugen Frommelt ins Vertrauen gezogen, der leicht zur Beihilfe insbesonders als Hilfschauffeur zu gewinnen war.

Rheinberger war am Dienstag, 4.IV. nach Konstanz zurückgereist. Er besprach sich dort zunächst mit seinem Verbindungsbruder Theo Grötz [Grätz], ferner mit Max Witt, Adolf Wieser und Adolf [Fritz] Lehmann. Nach der glaubwürdigen Darstellung Rheinbergers hatten von diesen Deutschen wenigstens Witt und Wieser schon zuvor Entführungspläne hinsichtlich der Schaie gehegt. Mit Eifer waren sie jetzt für die Verwirklichung der Tat. Sie drängten zur sofortigen Durchführung schon mit dem nächsten Tage, da gute Witterung und damit die geplante Fahrt der Schaie nach Gaflei zu erwarten war. Es wurde von Grötz noch ein Mietautoführer Gotthilf Trommeter aufgenommen unter der Vorgabe, es handle sich um einen Jagdausflug, und schon um 11 Uhr nachts fuhr die deutsche Gruppe mit Rheinberger in Konstanz ab.

Inzwischen hatte auch Schädler im Verein mit Frommelt an diesem Tage, 4.IV., erforderliche Vorbereitungen getroffen. Sie fuhren zunächst nach Gaflei, um die Schneeverhältnisse und Fahrtmöglichkeiten zu prüfen. Auf dem Rückwege sprachen sie bei Franz Röckle in Masescha vor, wo er seit Sonntag weilte. Schädler und Röckle sprachen über die nationale Bewegung im Allgemeinen, dann zur geplanten Fortschaffung der Schaie. Schädler und Frommelt brachten Röckle gegenüber zum Ausdruck, dass sich Gaflei ihrer Ansicht nach zur Tatverübung nicht eigne. Sie hatten wahrgenommen, dass man in der Nähe mit dem Baue einer Berghütte beschäftigt war und Leute auf der Strasse arbeiteten, dass sohin Menschen in der Nähe des sonst einsam gelegenen Kurhauses weilen und Überraschungen zu befürchten wären. Röckle wiederholte seine Ansicht, dass nur tüchtige Leute, Fachleute verwendet werden sollten, und meinte insbesonders, sie sollten sich gut vorsehen, dass die Leute, die Zubringer und die Täter, dort, wo sie es machen, mit den Verhältnissen auch wohl vertraut sind.

Am gleichen Tage fuhren Schädler und Frommelt noch zum österr. Zollamt Tisis, um sich wegen der freien Durchfahrt mit den Rotter nach Deutschland zu erkundigen. Sie hätten am liebsten die Schaie unmittelbar in Deutschland ausgeliefert. Beim Zollamt Tisis wurde ihnen aber bedeutet, dass auf Grund des in Österreich veröffentlichten Steckbriefes die Schaie sofort nach Erreichung des österreichischen Gebietes in Haft genommen werden müssten. Weitere Erkundigungen bei der Grenzpolizeistelle in Lindau hatten ein ähnliches Ergebnis.

Die um 11 Uhr abends in Konstanz abgefahrene deutsche Gruppe mit Rheinberger war über die Schweiz gegen ½ 4 Uhr früh nach Vaduz gekommen. Rheinberger liess sich von Schädler, der in Vaduz wohnte, die Schlüssel zum Kurhaus Gaflei geben, welches damals, weil ausserhalb der Saison, nicht bewohnt war. Er fuhr sodann mit seinen deutschen Begleitern sofort nach Gaflei und nahm dort Unterkunft.

Der nächste Tag, Mittwoch der 5.IV., brachte schönes Wetter. Ein tragischer Zufall kommt den Absichten der Täter entgegen. Die Brüder Schaie selbst sind es, die vormittags den Schädler, als sie ihn in Vaduz vor dem Postgebäude trafen, ersuchten, sie heute nach Gaflei zu führen. Schädler willigt ein und verabredet, sie um 2 Uhr beim Waldhotel abzuholen. Nun galt es rasch, die letzten Vorkehrungen zu treffen. Schädler holt Frommelt und fährt mit ihm nach Gaflei. Unterwegs unterrichtet er Frommelt von der Ankunft der deutschen Mittäter und der für Nachmittag vereinbarten Fahrt nach Gaflei.

In Gaflei werden die letzten Einzelheiten über die Planausführung besprochen. Die Deutschen hatten Gaspistolen und Handschellen mitgebracht. Rheinberger hatte auch selbst eine Handschelle und eine Gaspistole in Konstanz gekauft. Stricke und Tücher wurden bereitgelegt. Schädler hatte von Hause auch eine Injektionsspritze und Morphiumampullen mitgebracht. Schädler sollte sofort nach Ankunft mit dem Auto vor dem Hotel abspringen und sich entfernen. Die übrigen Wageninsassen werden mit Gas beschossen, betäubt, gefesselt und geknebelt und sohin nötigenfalls nach Einschläferung durch Morphium im ersten Wagen direkt über Österreich nach Deutschland geführt, während Frommelt im zweiten Wagen mit einzelnen Mittätern folgen soll. So der Überfallsplan. Frommelt, der auch die Rolle eines Wachtpostens übernommen hatte, blieb in Gaflei zurück, indessen Schädler wieder abfuhr. Auf der Rückfahrt sprach er noch bei Röckle in Masescha vor und verständigte ihn von den Vorfällen. Röckle meinte, ob ja alles in Ordnung sei und ob auch die Deutschen zuverlässig genug seien.

Etwa um ½ 3 Uhr holte Schädler die Gesellschaft im Waldhotel ab: die Brüder Alfred und Fritz Schaie, Frau Gertrud Schaie und ausserdem eine Frau Julie Wolff aus der Gesellschaft Schaie. Frau Schaie sass vorne neben Schädler und unterhielt sich auf der Fahrt in freundschaftlicher Weise mit ihm. Sie gab wiederholt ihrer Freude über das herrliche Wetter und die herrliche Gegend Ausdruck.

Schädler nahm den kürzeren Weg über Frommenhaus, fuhr entgegen dem Wunsche der Insassen rasch und kam etwa um ½ 4 Uhr nach Gaflei. Kaum dass das Auto hielt, sprang er ab und verschwand hinter dem Hause. Zugleich waren die Angreifer vorgestürzt. Sie schrien: "Hände hoch" und schossen. Doch nur zwei oder drei Schüsse gingen ab, da nur die von Wieser betätigte Gaspistole funktionierte, während jene des Grötz versagte. Die erwartete Betäubung der Angegriffenen trat nicht ein. Sie konnten aus dem Wagen springen und wehrten sich auf das Heftigste mit Fäusten und Spazierstöcken. Fritz Schaie wurde abgedrängt und kam in den Vorraum der Veranda, wo es Peter Rheinberger gelang, ihm eine Handschelle anzulegen, während er ihm die zweite wegen der heftigen Gegenwehr nicht mehr anzustreifen vermochte. Frau Wolff war auf der dem Gebäude abgelegenen Seite des Autos ausgestiegen und rasch davon gelaufen, den Weg zurück in der Richtung gegen Masescha. Sie wurde von einem Angreifer mit der Gaspistole verfolgt. Die Zeugin Wolff weiss nicht, ob auf sie geschossen wurde, sie vermutet es aber, da ihre Augen in der Folge schmerzten und sie auch Verletzungen im Gesichte hatte. Als sie dann zu Falle kam, liess der Verfolger von ihr ab und wandte sich wieder zum Hotel zurück. Indessen war es auch Alfred Schaie und seiner Frau gelungen, frei zu kommen. Sie liefen hilferufend gleichfalls über den Weg vom Hotel weg gegen das sogenannte Eck, wo sie mit Frau Wolff zusammen trafen. Dort hatte oberhalb des Weges der deutsche Mittäter Max Witt als Wachposten Aufstellung genommen. Er näherte sich den Hilfesuchenden, sprach die Wolff anscheinend begütigend an, doch als er nach ihrer Jacke griff, liess sie diese fahren und floh, gleich den Eheleuten Schaie über die Wiese unterhalb des Weges vorbei am Gafleistall den Steilhängen zu.

Die in der Nähe des Hotels arbeitenden Brüder Max und Rudolf Beck hatten den Lärm und die Schreie der Frauen, nicht aber das Schiessen gehört. Sie meinten, es sei vielleicht das Auto abgerutscht. Als sie weiter vorgingen bis zur Stelle, wo die Sicht zum Hotel offen war, sahen sie wohl einen Mann und zwei Frauen vom Hotel hilferufend davon laufen. Verfolger sahen sie nicht hinter ihnen. Ehe sie noch Hilfe bieten konnten, hatten die drei Personen schon die Strasse verlassen und die Flucht talwärts gegen die Steilhänge genommen.

Der Überfall war missglückt. Die Eheleute Schaie und Frau Wolff waren entflohen. Einzig Fritz Schaie war noch bedrängt, doch schon fürchteten die Deutschen, dass ob der Hilferufe der Fliehenden Leute kämen; sie stiegen daher rasch in das Auto, Rheinberger liess von Fritz Schaie ab und stieg gleichfalls ein und eilends fuhren sie ab.

Eugen Frommelt hatte während des Überfalls hinter dem Hotel Wache gestanden, während der Deutsche Trommetter in seiner Nähe mit dem Auto fahrbereit stand. Als Frommelt aus dem Lärm vor dem Hotel gewahrte, dass der Überfall offenbar nicht planmässig verlaufen sei, war er zum Hotel vorgeeilt, wo gerade Rheinberger noch mit Fritz Schaie beschäftigt war. Als Schaie den Frommelt gewahrte, rief er ihm zu, was er denn von ihm wolle. Frommelt aber raffte seinen Mantel auf und lief, ohne sich über die weiteren Vorgänge zu kümmern, in grösster Hast die Steilhänge abwärts zu Tal, wo er etwa ½ 5 Uhr in furchtbarer Aufregung und völlig abgehetzt in Vaduz eintraf.

Schädler war, nachdem das deutsche Auto abgefahren war, hinter dem Hotel hervorgekommen. Er gab sich Fritz Schaie gegenüber immer noch den Anschein, als sei er am Überfall unbeteiligt gewesen. Er will jetzt allerdings auch Mitleid mit den Opfern empfunden haben. Er versicherte dem Fritz Schaie, dass der Bruder und die beiden Frauen in Sicherheit seien und dass er bereits telefoniert habe. Gleichzeitig machte er sich erbötig, Schaie in seinem Wagen nach Vaduz zu führen. Fritz Schaie vertraute ihm, zumal noch der Mantel seiner Schwägerin im Auto lag, wünschte aber nur, bis Masescha zu fahren, wo Hilfe zu erhalten wäre. Schädler sicherte ihm dies zu, fuhr aber in rascher Fahrt in Masescha vorbei und trotz gegenteiliger Aufforderung vorbei an dem etwas tiefer gelegenen Waldi. Als Fritz Schaie hier Männer auf der Strasse arbeiten sah, sprang er aus dem fahrenden Auto, kam zum Sturz und zog sich eine schwere Verletzung der linken Schulter zu. Nun hielt Schädler an, fuhr zurück und suchte Schaie, der inzwischen im Waldi Aufnahme gefunden hatte, zu beruhigen. Er erklärte ihm nach Gaflei zu fahren, um die anderen Geflohenen abzuholen. In Masescha aber traf Schädler mit Röckle zusammen, dem schon Rheinberger bei der Vorbeifahrt mit den Deutschen kurz vom Missglücken der Sache berichtet hatte, und erzählte ihm die Vorfälle. Röckle legte ihm nahe, nach Vaduz zu fahren, um wie er sagt, bei einem Rechtsanwalt Rat zu holen, und schloss sich ihm an. In rascher Fahrt fuhren sie beim Waldi vorbei, ohne sich um Fritz Schaie zu kümmern. Nun erst war diesem klar, dass auch Schädler an der Tat beteiligt war.

Die Eheleute Schaie und Julie Wolff aber hatten, gehetzt von Todesangst, ihre Flucht fortgesetzt. Das Hotel Gaflei liegt über 1500 Meter hoch auf einem schmalen Plateau. Talwärts folgt zuerst ein steiler, teilweise mit Bäumen durchsetzter Wiesenhang, der weiter abwärts in ein nahezu senkrechtes, brüchiges und felsiges Rüfegelände übergeht. Diese Steilabrisse bilden allerdings keinen geschlossenen Querriegel im Hang. Es ziehen sich vielmehr einzelne, wenn auch steile, aber immerhin noch gangbare bewaldete Längsstreifen hindurch. In dieses Steilgebiet hatten Furcht und Panik die Drei getrieben. Frau Wolff hielt sich, von Baum zu Baum tastend, mehr rechts. Sie bezeugt, dass keine Verfolger hinter ihnen waren. Dann sah sie, wie etwas weiter links Alfred Schaie ins Rollen kam und den Steilhang hinabstürzte. Sie glaubt dann auch noch Frau Schaie schreien gehört zu haben. Dann stürzte sie auch selbst, doch glücklicherweise so, dass sie schliesslich nach überwundener Ohnmacht trotz mehrfachen Verletzungen noch einem das Gelände durchschneidenden Weg folgen konnte, wo sie alsbald auf Leute traf, die sich ihrer annahmen und sie in das Kurhaus Samina brachten. Die Eheleute Rotter aber waren über die Steilwände und Felshänge in die sogenannte Erblerüfe abgestürzt, wo sie noch am gleichen Abend nahe bei einander liegend, als Leichen gefunden wurden. Eine Reihe von Gegenständen, welche die Fliehenden verloren hatten, wie Handtasche, Notizbuch, Geldnoten, Schuhe zeichneten den Fluchtweg, den die Verunglückten nahmen. Selbst die Hose hatte Alfred Schaie auf der Flucht in den Felshängen verloren.

Die Leichenbeschau ergab bei Frau Gertrud Schaie neben verschiedenen mehr oder weniger grossen Quetschwunden schwere Kopfverletzungen, welche Gehirnerschütterung und Gehirnblutung und damit den Tod zur Folge hatte. Bei Alfred Schaie wurden eine Einsenkung der linken Toraxhälfte, Rippenbrüche und ausgedehnte Schürf- und Quetschwunden festgestellt, wobei die Toraxverletzung die Schädigung der Lunge und des Herzens bedingt und den sofortigen Tod herbeigeführt hatte. Schussverletzungen wurden bei den Verunglückten nicht gefunden. Der Tod war erfolgt durch den Absturz über die Felsen. Frau Wolff hatte durch den Sturz Quetschwunden am Kopf und ausgedehnte Schürfwunden, Kratzeffekte und Blutunterlaufungen nahezu am ganzen Körper davongetragen. Die an sich leichten Verletzungen waren nach dem ärztlichen Gutachten am 20.IV. zwar verheilt, doch eine Störung des Allgemeinbefindens damals noch vorhanden. Fritz Schaie hatte durch den Sprung aus dem Auto und den Sturz eine Fraktur am anatomischen Halse des linken Oberarmendes mit Abriss des grossen Höckers erlitten. Die Verletzung ist an sich schwer gewesen, nach dem ärztlichen Gutachten erfordert sie mehrere Wochen zur Ausheilung und ist eine völlig ideale Wiederherstellung des Armes nicht zu erwarten, wohl aber mit guter Gebrauchsfähigkeit bei Verkürzung des Oberarmes zu rechnen.

Nach der Tat waren die Deutschen mit Rheinberger in eiliger Fahrt nach Österreich geflohen, wo sie aber über telefonische Verfolgung in Götzis verhaftet und dem Landesgerichte Feldkirch eingeliefert wurden. Schädler und Röckle waren auf der Fahrt nach Vaduz vor Eintreffen im Orte angehalten und zu Gericht gebracht worden, woselbst Schädler und später dann auch Röckle und Frommelt in Haft genommen worden waren. Auf Grund des gestellten Auslieferungsbegehrens wurden Rheinberger von Österreich nach Liechtenstein, die deutschen Mittäter jedoch nach Deutschland ausgeliefert, wo Letztere ihrer strafgerichtlichen Behandlung entgegen sehen.

Die Angeklagten sind übereinstimmend geständig, sie hätten die Brüder Schaie und Frau Schaie mit List und Gewalt bemächtigen wollen, um sie der deutschen Strafbehörde zu überstellen.

Diese Handlungsweise begründet ojektiv den Tatbestand des Verbrechens des versuchen Menschenraubes i.S. der §§ 8, 90 St.G. Ohne Wissen und Einwilligung der rechtmässigen Obrigkeit, das sind diesfalls die fürstlich liechtenstein’schen Behörden, sollten die Schaie durch Überlieferung nach Deutschland in eine auswärtige Gewalt gebracht werden. Um dies zu erreichen, bedienten sich die Täter der List und Gewalt. Unter der Vortäuschung, es handle sich um einen Besuch im Hotel Gaflei zum Zwecke der Besichtigung des Kurhauses, und unter Vorspiegelung freundschaftlicher Gesinnung wurde listigerweise das Vertrauen der Rotter gewonnen und unter Missbrauch dieses Vertrauens die Opfer von Schädler zum Überfallsort geführt. Dort übten die deutschen Mithelfer im Verein mit Rheinberger unmittelbar Gewalt aus: sie schossen mit Gaspistolen gegen sie, führten ein Handgemenge, um sie zu fesseln und zu knebeln, und legten dem Fritz Schaie eine Handschelle an. Es sind damit die objektiven Merkmale des Tatbestandes nach § 90 St.G. erfüllt. Allein die Tat wurde nicht vollendet, sondern sie blieb im Versuche stecken.

Zur Vollendung des Verbrechens des Menschenraubes ist zwar nicht erforderlich, dass die Überlieferung an die auswärtige Gewalt auch tatsächlich erfolgt ist, letzteres ist wie sich aus der Gesetzesfassung "um zu überliefern" ergibt, subjektives Tatbestandsmerkmal, wohl aber muss wenigstens die Bemächtigung gelungen sein. Dies traf hier nicht zu. Alfred und Gertrud Schaie und Frau Wolff konnten fliehen, ehe die Angreifer sie noch in ihre Gewalt gebracht hatten. Auch Fritz Schaie, dem zwar schon eine Handschelle angelegt war, befand sich immer noch in Abwehrtätigkeit, als Rheinberger, sein letzter Bedränger, schliesslich von ihm abliess, um sich selbst in Sicherheit zu bringen. Die volle Bemächtigung misslang somit und zwar aus Umständen, die ausserhalb der Willenssphäre der Angeklagten lagen. Die Gaspistolen versagten, obwohl sie vormittags noch ausprobiert worden waren, die erhoffte Wirkung, Betäubung der Autoinsassen, blieb aus – es kam zu einem unerwarteten und heftigen Widerstand der Gegner. Die Schreie der Angegriffenen waren von den in der Nähe beschäftigten Leute gehört worden. Sie mussten Entdeckung befürchten. Unvermögenheit, Zufall und Dazwischenkunft fremder Hindernisse vereitelten somit die Vollendung ihres Vorhabens.

Obwohl die Angeklagten diese Tatsachen zugeben, erachten sie sich gleichwohl strafrechtlich nicht schuldig.

Sie hätten die Tat nur aus reinen, vaterländischen Motiven begangen. Es sollten die Brüder Rotter, die sie nach den ergangenen Steckbriefen und den vielen Zeitungsberichten als deutsche Volksverbrecher erkannten, der verdienten Strafe in Deutschland zugeführt werden. Durch ihre Flucht nach Liechtenstein, wo sie das Bürgerrecht erkauft hätten, hätten die Schaie über das Heimatland der Angeklagten Schande und Schaden gebracht. Die Ehre des Vaterlandes sollte wieder gerettet werden. Mit ihrer Tat hofften sie sowohl dem Lande Liechtenstein als auch Deutschland einen Dienst zu erweisen. Keine persönlichen und insbesondere keine materiellen Beweggründe hätten sie zur Tat bestimmt, sondern einzig ideale Vaterlandsliebe. Daher hätten sie in ihrer Handlungsweise nichts Strafwürdiges erkennen können und dies umso weniger, als die Schaie ja nach wie vor auch deutsche Staatsangehörige waren und daher durch Ausschaffung aus Liechtenstein nicht in eine auswärtige Gewalt, sondern nur in die Gewalt ihres Heimatstaates gebracht worden wären.

Mit dieser Rechtfertigung behaupten die Angeklagten Schuld- und Strafausschliessungsgründe. Es ist nach § 2 e St.G. ein Schuldausschliessungsgrund, wenn ein solcher Irrtum unterlief, der ein Verbrechen in der Handlung nicht erkennen liess, wenn also ein Tatirrtum vorliegt. Wenn aber die Angeklagten tatsächlich von der Meinung ausgegangen wären, es seien die Schaie deutsche Staatsangehörige und ihre Überlieferung nach Deutschland daher nicht Überlieferung in eine auswärtige Gewalt, welche Verantwortung sie übrigens nicht in der Voruntersuchung, sondern erstmals in der Schlussverhandlung brachten, so handelte es sich hiebei nicht um einen Irrtum über Tatsachen, sondern über einen Rechtsirrtum, nämlich über die Beurteilung, was als auswärtige Gewalt anzusehen sei. Der Rechtsirrtum entschuldigt aber nicht.

Es ist den Angeklagten zuzubilligen, dass sie die Tat nicht aus unlauteren, sondern aus achtbaren, aus vaterländischen Motiven begingen. Doch auch das Motiv allein entschuldigt nicht eine strafwidrige Handlung. Nun wollen die Angeklagten allerdings die Strafwürdigkeit ihrer Handlung nicht gekannt haben. Allein dieser Verantwortung vermag das Gericht nicht zu folgen. Es handelt sich bei den Angeklagten um Personen von besserer Bildungsstufe, mit mehr oder weniger praktischer Lebenserfahrung, insbesonders bei den gereifteren Röckle und Schädler, um Personen, die alle zwischen Recht und Unrecht sehr wohl zu unterscheiden vermögen. Durch ihr Verhalten vor und nach der Tat bekunden sie zur Genüge das Bewusstsein, sich auf strafwürdigem Pfade zu befinden. In aller Heimlichkeit treffen sie Vorbereitungen zur Tat; weder eine Behörde noch eine Amtsperson oder wenigstens eine rechtskundige Person in Liechtenstein wird eingeweiht. Sie können dies nicht tun, weil sie wissen, das andernfalls die Tat, weil verboten, nicht durchgeführt werden könnte. Nach missglücktem Überfall flieht Rheinberger mit den Deutschen so schnell als möglich über die Grenze ins Ausland und Frommelt jagt in überstürzter Flucht den Berg hinab in seine Wohnung nach Vaduz, etwa hoffend, dass man ihm so eine aktive Teilnahme am Überfall nicht werde nachweisen können. Schädler fährt mit Röckle zurück gegen Vaduz, um, wie er sagt, sich zu stellen. Und Röckle sagt, es war ihm klar, dass man mit dem Plan irgendwie einmal in Unannehmlichkeiten geraten könne und geraten werde, und sie hätten allerdings daran gedacht, dass man sich stellen müsse, oder sie seien entschlossen gewesen, die Rotter mit mehr oder weniger Gesetzlichkeit ausser Land zu bringen. Es mag ja sein, dass sich die Angeklagten nicht gerade darüber im Klaren waren, dass ihr Vorhaben das Verbrechen des Menschenraubes begründe oder in welchem Umfange es etwa strafbar sei, aber kein Zweifel besteht darüber, dass sie die Strafbarkeit ihrer Handlungsweise einzusehen vermochten und auch tatsächlich einsahen. Abgesehen davon, würde sie die blosse Unkenntnis des Gesetzes nicht entschuldigen (§ 3 St.G.).

Noch ein Moment für ihre Schuldlosigkeit, richtig Straffreiheit führen die Angeklagten an. Nur reine und leidenschaftliche Vaterlandsgefühle hätten sie zur Tat getrieben. Sie verweisen auf zahlreiche Stimmen, die über ihr Vaterland wegen der Einbürgerung und des Aufenthaltes der Rotter in Liechtenstein schwere Vorwürfe erhoben. In Gesprächen, in Briefen, in Zeitungen wurde die Ehre des Heimatlandes in den Kot gezogen und ihre Heimatgefühle auf das Tiefste verletzt. Schande war über Liechtenstein gebracht und schämen mussten sie sich als Liechtensteiner, dass die Rotter im Lande weilten. Es musste etwas geschehen, sollten Ruhe und Frieden wieder einkehren, sollte die Ehre ihres geliebten Heimatlandes wieder rein erstehen. Und so hätten sie nicht anders gekonnt, als die Schaie selbst mit List und Gewalt fortzubringen, und niemals hätten sie geglaubt, durch einen solchen Dienst am Vaterland strafbar zu werden. Wenn die Angeklagten in dieser Weise sich rechtfertigen, so bringen sie damit zum Ausdruck, dass sie und ihr Heimatland geradezu in einem Notstand waren, der gerechte Abwehr erforderte, ja gebieterisch verlangte. Sie hätten, von Vaterlandsliebe getrieben, handeln müssen. Sie machen damit den Strafausschliessungsgrund des § 2 g St.G. geltend: ihre Tat sei durch unwiderstehlichen Zwang und in Ausübung gerechter Notwehr erfolgt.

Diese Verantwortung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn die Angeklagten von sich sagen könnten, dass sie in ihrem Bestreben, Schande und Schaden vom Vaterlande abzuwehren, zuvor jedes gesetzliche Mittel vergeblich versucht hätten, ehe sie sozusagen zu einer Verzweiflungstat schritten. Nun können die Angeklagten nicht einmal behaupten, dass sie auch nur einmal ernstlich den Versuch unternahmen, auf gesetzlichem Wege Abwehrmassnahmen zu erreichen. Schädler trug sich wohl anfangs mit dem Gedanken, in einer öffentlichen Versammlung der interessierten Kreise unter Beizug des Reg.-Chefs über die zu ergreifenden Massnahmen zu beraten. Unglücklicherweise liess er sich durch Röckle von diesem Vorhaben abbringen. Und Röckle will im brieflichen Verkehr mit einer angesehenen Persönlichkeit Liechtenstein's Vorschläge zur Bekämpfung der Pressefehde gemacht haben, ohne dass seine Anregungen weiter verfolgt worden wären. Das ist alles. Niemals wandten sie, denen die Belange des Vaterlandes so sehr am Herzen lagen, sich selbst unmittelbar etwa an die Regierung, an die öffentlichen Vertretungskörper, an das Gericht oder an rechtskundige Personen um Rat, um Auskunft, mit Anregungen, was doch das naheliegendste gewesen wäre. Der Einwand, sie hätten doch nicht auf Erfolg rechnen können, ist nicht stichhältig, solange nicht einmal ein Versuch unternommen wurde. Sie hätten so vor allem die Tatsachen über die Vorgänge bei der Einbürgerung Schaie erfahren, sofern sie ihnen noch nicht bekannt waren, die Tatsache, dass weder ein Auslieferungsbegehren noch ein Antrag auf Übernahme der Strafverfolgung seitens der deutschen Behörde an Liechtenstein gestellt, ja nicht einmal ein Haftbefehl übermittelt worden war. Sie hätten allenfalls Entscheidungen der Vertretungskörper herbeiführen und insbesondere im Wege über ihre Deutschen Bekannten, dies vor allem Röckle, bei den deutschen Behörden unter Hinweis auf die dem Lande Liechtenstein erwachsenden Schwierigkeiten anstreben können, dass Liechtenstein um die Übernahme der Strafverfolgung der Schaie ersucht werde, welchem Ersuchen nach den bestehenden Gesetzen zweifellos Folge gegeben wäre. Von all dem haben die Angeklagten nichts getan, nichts versucht. Daher können sie unmöglich für sich das Recht in Anspruch nehmen, sie hätten in privater Eigenmacht einfach die Rotter selbst aus dem Lande schaffen müssen. Es gab da weder einen unwiderstehlichen Zwang, noch einen Notstand, zu dessen Abwehr nur die Rechtsverletzung als einziges Mittel zur Verfügung stand.

Es vermag die Angeklagten endlich auch nicht zu entschuldigen, dass sie die Objekte ihrer Angriffe, die Brüder und Frau Schaie als verbrecherische Menschen, nach den Zeitungsberichten sogar als verachtungswürdige Deutsche Volksschädlinge ansahen. Es mag dahingestellt bleiben, in welchem Umfange die gegen die Schaie in der Öffentlichkeit erhobenen Anwürfe begründet sind. Fest steht jedenfalls, dass gegen die Rotter im Jänner und März 33 seitens des Amtsgerichtes Berlin-Mitte Haftbefehle ergangen waren, laut welchen sie dringend verdächtig sind, in ihrer Tätigkeit als Theaterunternehmer in Berlin in vermögensrechtlicher Hinsicht verbrecherisch gehandelt zu haben, was auch nach dem Schlussberichte der Generalstaatsanwaltschaft Berlin beim Landgericht I vom 29.V.1933 bestätigt erscheint. Sei dem aber wie ihm wolle, für die Beurteilung des Handelns der Angeklagten bleibt massgebend, dass in der Zeit vom Jänner bis April 33 in der Presse und in mündlichen Berichten eine Reihe von schweren Straftaten der Rotter behauptet wurden. Die Angeklagten konnten sich der Einflussnahme solcher Berichte angesichts der Tatsache der laufenden Steckbriefe kaum entziehen und es ist ihnen zu glauben, dass sie die Schaie ernstlich als Verbrecher, als deutsche Volksschädlinge ansahen. Dessen ungeachtet waren sie zu der von ihnen begangenen Tat nicht berechtigt. Denn auch der Verbrecher geniesst den Gesetzesschutz soweit, dass er nur durch die Obrigkeit zur Rechenschaft gezogen wird. Am allerwenigsten war ihre Tat gegenüber der Frau Wolff gerechtfertigt, die ja in keiner Weise verfolgt oder beschuldigt war und gegen welche sich doch auch ihre Gewalttätigkeit wenigstens in der Richtung einer Freiheitseinschränkung gerichtet hätte.

Das Strafgesetz bestimmt in § 4, dass das Verbrechen nicht aus der Beschaffenheit desjenigen entsteht, an dem es verübt wird, dass Verbrechen also auch an Übeltätern begangen werden. Nun ist das durch § 90 St.G. geschützte Rechtsgut überdies nicht nur die Person des Angegriffenen allein, sondern in weiterer Hinsicht auch die Rechts- und Staatshoheit des Landes, aus welchem ein Mensch ohne Wissen und Einwilligung der Obrigkeit weggeschafft werden soll. Nur die rechtmässige Obrigkeit soll verfügen dürfen, dass jemand einer auswärtigen Gewalt überantwortet wird, wobei als auswärtige Gewalt jede ausserhalb der eigenen Staatsgrenzen liegende Gewalt anzusehen ist, diesfalls also auch Deutschland, mögen die Schaie zur Zeit der Tat noch deutsche Staatsbürger gewesen sein oder nicht. Wer also Handlungen i.S. des § 90 St.G. setzt, begeht damit auch insbesonders einen Eingriff in die Verfügungsgewalt der rechtmässigen Obrigkeit. Mochten daher die Angeklagten die Schaie noch so sehr als Volksschädlinge ansehen und mit ihrer Abschaffung Dienst am Vaterland üben wollen, grösser und mächtiger war für sie die Pflicht, die Gesetze ihres Vaterlandes zu achten und zu halten. Diese Gesetze aber verboten ihnen die Tat. Wenn sie dessen ungeachtet dagegen handelten, so wurden sie zu Rechtsbrechern trotz ihrer reinen, vaterländischen Beweggründe.

Aus diesen Erwägungen musste das Gericht zu einem Schuldspruch gegen die Angeklagten gelangen.

Was nun die Beteiligung der einzelnen Angeklagten an der Straftat betrifft, so ist hier das Gericht nicht in allem der Anklage gefolgt. Nach Ansicht des Gerichtes handelt es sich beim Verbrechen des Menschenraubes unter den gegebenen Umständen um ein Gemeinschaftsdelikt. Die unter Strafe gestellte Handlung konnte nur unter bewusstem, notwendigen Zusammenwirken mehrer Personen am Tatort erfüllt werden. Nun ist aber jeder als Mittäter anzusehen, der unmittelbar am Tatort von gleicher Absicht beseelt, so mitwirkt, dass die Bemächtigung ermöglicht wird, das ist derjenige, der selbst Hand an die Opfer anlegt, wie Rheinberger und die deutschen Mithelfer Grötz, Wieser und Lehmann, aber auch derjenige, der, wie Schädler, die Opfer mit List zum Tatort führt und dort unmittelbar den tätlichen Angreifern in die Hände spielt, endlich auch jene, die am Tatort während des tätlichen Angriffes Wache stehen, wie Frommelt und die Deutschen Trommetter und Witt, und dadurch die Bemächtigung und die Gewalthandlung unmittelbar sichern. Im Gegensatz zur Anklage, die lediglich den Rheinberger als Täter, dagegen Schädler als Anstifter und Gehilfen und Frommelt als Gehilfen ansieht, fand daher das Gericht die drei Genannten als Mittäter schuldig. Zu dieser Abweichung vom Anklageantrag war das Gericht berechtigt, weil es nach § 207 St.P.O. an die Anträge des Anklägers nur insoweit gebunden ist, dass es den Angeklagten nicht einer Tat für schuldig erklären kann, auf welche die Anklage überhaupt nicht gerichtet war. Dagegen ist es gemäss § 203 St.P.O. an die in der Anklage enthaltene Bezeichnung der Tat nicht gebunden. Wenn die Angeklagten Schädler und Frommelt wegen der in der Anklage bezeichneten Tat nicht als Gehilfen bezw. Anstifter, sondern als Mittäter beurteilt wurden, so handelt es sich hiebei nicht um die Verurteilung wegen einer Tat, die gar nicht unter Anklage stand, sondern lediglich um die rechtliche Unterstellung der angeklagten Tat unter eine andere Gesetzesbestimmung. Durch die Beurteilung als Mittäter fallen die Angeklagten übrigens nicht etwa unter ein strengeres Strafgesetz, da die Mitschuldigen i.S. des § 5 St.G. gleich den Haupttätern zu bestrafen sind.

Die gegen Peter Rheinberger gleichzeitig erhobene Anklage wegen Anstiftung der deutschen Gruppe ist hinfällig, wenn Rheinberger selbst Mittäter war. Der Anstifter ist nach dem Strafgesetz ein Mitschuldiger; nun kann aber der Täter einer strafbaren Handlung nicht gleichzeitig Mitschuldiger an dieser sein. Wäre erwiesen, dass Peter Rheinberger die deutsche Gruppe zur Tat anstiftete, dann wäre er diesfalls nicht als Anstifter zu behandeln, sondern es würde dieser Umstand lediglich bei der Strafbemessung als erschwerend in die Wagschale fallen. Nun hat das Gericht eine derartige Verleitung der deutschen Gruppe durch Rheinberger überhaupt nicht als erwiesen angenommen. Rheinberger sagt, es wären in Konstanz Wieser, Witt und Lehmann schon früher zu einer Entführungshandlung entschlossen gewesen und sie hätten sich seiner Mithilfe als eines Ortskundigen bedienen wollen. Die Deutschen dagegen haben in ihrem Beschuldigtenprotokollen darauf verwiesen, dass der Plan von den Liechtensteinern ausgegangen sei. Sicher ist, dass Rheinberger am 4.IV. in Konstanz zuerst den Grötz, auf die in Liechtenstein gefassten Pläne aufmerksam machte, worauf dann auch die übrigen Deutschen Mithelfer verständigt wurden. Bei den widersprechenden Angaben zwischen Rheinberger und den deutschen Mittätern, deren Aussagen als Beschuldigte keine hinreichende Beweisquellen bieten, konnte das Gericht nicht mit Sicherheit eine Verleitung der deutschen Gruppe durch Rheinberger als erwiesen annehmen, weshalb im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten Rheinberger eine solche nicht angenommen wurde. Das Gleiche gilt hinsichtlich des Schädler, soweit ihm in der Anklage zur Last gelegt wird, er habe die deutsche Angriffsgruppe vorsätzlich zur Ausführung und Mitwirkung veranlasst. Wie ausgeführt, war die deutsche Gruppe schon zur Tat entschlossen, ehe noch Schädler mit ihr in Verbindung trat. Anders verhält es sich bei der Verleitung des Eugen Frommelt. In dieser Hinsicht stimmen die Angaben des Schädler und Frommelt überein, dass Schädler den Frommelt zur Mithilfe bei der Tat geworben hatte. Diese Handlung ist ihm aber nicht als Mitschuld durch Anstiftung i.S. des § 5 St.G., sondern als Erschwerungsumstand nach § 44 d St.G. anzurechnen.

Die Anklage legt endlich dem Angeklagten Franz Röckle zur Last, dass er Schädler und Rheinberger zur Tat angestiftet habe. Sie stützt sich hiebei hauptsächlich auf die Belastung durch Schädler. Röckle habe den ursprünglichen Plan Schädlers zur Einberufung einer öffentlichen Versammlung verworfen, dagegen auf den bereits in Deutschland bestandenen Plan zur gewaltsamen Entführung der Rotter verwiesen und gemeint, es müsse jetzt von Liechtenstein aus gemacht werden; er habe bei der Zusammenkunft in Gutenberg mit Schädler beschlossen, etwas zu unternehmen, um die Rotter hinauszuschaffen, und habe auch auf Rheinberger in diesem Sinne eingewirkt. Röckle sei informiert gewesen über die Einzelheiten des Planes, sei von allen Vorbereitungshandlungen unterrichtet worden und habe dabei zur Vorsicht gemahnt, Bedenken des Schädler' hinsichtlich des Vertrauensmissbrauches durch Äusserungen, wie, der Zweck heilige die Mittel, zerstreut. Schädler sagt, dass das Bestimmende zur Tatausführung schliesslich die Einflussnahme des Röckle gewesen sei. Auch Rheinberger, der allerdings nur wenig mit Röckle vor der Tat gesprochen hatte, belastet ihn in der Richtung, dass Röckle den Plan befürwortet und die Ausführung empfohlen habe. So habe Röckle beispielsweise gesagt, sie sollten geschulte Leute zur Tat nehmen und alle Vorsicht anwenden, dass keiner der Angegriffenen verletzt werde.

Röckle dagegen will eine Schuld in der Richtung der Anstiftung nicht anerkennen, obwohl er in der Voruntersuchung zugab, den Schädler aufgemuntert zu haben, die Rotter mit List oder Gewalt aus dem Lande zu schaffen, um sie den deutschen Gerichten auszuliefern, und zugibt, gesagt zu haben, bei den verschiedenen Plänen müsse man etwas riskieren und, wie schon oben ausgeführt, dass er auch von den zu erwartenden Unannehmlichkeiten sprach. Röckle hielt diese Angaben im Wesentlichen bei der Schlussverhandlung aufrecht. Seine Abschwächungsversuche in der Richtung, als hätte er nur an eine Tatverübung durch befugte deutsche Kriminalbeamte gedacht, sind doch wohl nicht ernst zu nehmen.

Immerhin konnte das Gericht nach den Beweisergebnissen nicht zur Überzeugung gelangen, dass Röckle die Tat der Angeklagten Schädler und Rheinberger vorsätzlich veranlasst hat. Anstifter ist derjenige, welcher durch sein Einwirken auf den Willen des Angestifteten in diesem den verbrecherischen Entschluss erst weckt und hervorruft. Nun haben sowohl Schädler als auch Rheinberger schliesslich zu erkennen gegeben, dass sie aus eigenem Antrieb zu einem Tatentschluss in der Richtung einer Wegschaffung der Rotter gekommen waren, sodass nicht erst die Einwirkung Röckles sie dazu veranlasste. Wohl aber hat Röckle durch Rat, Lob und Unterricht den Schädler und Rheinberger in ihrem Vorhaben gestärkt und auf diese Weise sogenannte intellektuelle Beihilfe geleistet. Er ist daher an der Tat mitschuldig, aber nicht als Anstifter, sondern als Gehilfe.

Was die Strafe betrifft, so war sie nach § 91 St.G. erster Strafsatz unter Bedachtnahme auf Art. 31 des Gesetzes vom 1.VI.1922 Nr. 22 zu bemessen. Der gesetzliche Strafrahmen bewegt sich zwischen 1 ¼ Jahren bis 10 Jahren schweren Kerker.

Bei der Strafbemessung kam bei allen Angeklagten als erschwerend in Betracht, dass der Angriff gegen 4 Personen gerichtet war, darunter gegen zwei Frauen und hievon gegen eine Frau, Julie Wolff, als eine Person, die mit den Straftaten der Schaie nichts zu tun hatte. Erschwerend war ferner der aus Tat entstandene Schaden, da zwei Personen ums Leben kamen und die andern zwei verletzt wurden. Wenn auch die Anklage, ausgehend vom Standpunkt, dass die Tötungs- und Verletzungsfolgen nicht in der Absicht der Täter gelegen waren, von einem Strafantrag in der Richtung des zweiten Strafsatzes des § 91 St.G. absah, so musste doch der Umstand, dass Tod und Verletzung eintraten, bei der Strafbemessung wesentlich ins Gewicht fallen. Durch die Straftat der Angeklagten wurde die panikartige Flucht der Angegriffenen ausgelöst, in deren Verlaufe die Eheleute Schaie und Frau Wolff abstürzten. Auch die Verletzungen, welche Fritz Schaie durch den Sprung aus dem Auto davontrug, sind wenigstens durch das Verhalten Schädlers mitbedingt.

Ausserdem war dem Angeklagten Schädler allein als erschwerend anzurechnen der Vertrauensmissbrauch, der zwar nicht darin liegt, dass er das Vertrauen der Schaie ausnützte – dies bildet vielmehr als List ein Tatbestandsmerkmal – wohl aber, dass er in seiner Stellung als Kurhausbesitzer, der auch die Gäste mit seinem Auto selbst befördert, die Tat beging. Es bedeutet eine schwere Erschütterung des Vertrauens in die Gastfreundschaft des Landes, wenn ein so bedeutender Vertreter der Fremdenbeherbergung, wie Schädler, Leute, die sich ihm als künftige Gäste anvertraut hatten, in solcher Weise der Gewalt überlieferte. Schädler hätte zu bedenken gehabt, dass er durch seine Tat, mochte er dabei auch das Land von den Schaie befreien, doch umgekehrt auch den Ruf des Landes hinsichtlich der Rechtssicherheit und der unbedingten Verlässlichkeit der Gaststätten, arg gefährde. Als erschwerend fällt dem Schädler endlich zur Last die Verführung des Frommelt.

Demgegenüber kommen als Milderungsumstände allen Angeklagten zugute ihre bisherige Straflosigkeit und der gute Leumund, das Geständnis des Tatsächlichen und dass die Tat beim Versuche geblieben ist. Letzterer Umstand kann allerdings weniger ins Gewicht fallen angesichts der Tatsache, dass in letzter Linie als Auswirkung der Tat Tod und Verletzung der Angegriffenen eintraten und damit die Tat in ihrem Endergebnisse in gewissem Sinne noch die Wirkung der vollendeten Tat übertraf. Dagegen war als besonders mildernd zu berücksichtigen, dass die Tat nicht etwa aus unlauteren, sondern aus reinen, vaterländischen Motiven entsprang, dies bei allen Angeklagten. Es ist insbesonders festgestellt, dass auch nicht etwa die Aussicht auf eine Prämie für die Ergreifung der Schaie den einen oder den andern der Angeklagten zur Tat bewog – eine solche Prämie wurde niemals ausgesetzt. – Es wurden insbesonders auch bei Schädler nicht etwa materielle Tatinteressen als erwiesen angenommen. Schädler hat glaubwürdig erklärt, dass er die Kurhausbesitzer einberufen wollte und auf die wirtschaftlichen Schäden verwies, um mit Hilfe dieser Kreise mit umso grösserem Nachdrucke seine vaterländischen Ziele erstreben zu können. Als mildernd war endlich zu berücksichtigen, dass die Tat der Angeklagten unter der Einwirkung der grossen gegenwärtigen Zeitströmungen und Ideengängen besonders in Deutschland begangen wurde, dies vor allem bei Rheinberger, der als Student in Konstanz in nationalsozialistischer Umwelt lebte. Er war auch zur Zeit der Tat erst knapp über 20 Jahre alt, daher nahezu noch als Jugendlicher anzusehen. Bei Frommelt war im besonderen mildernd die Verleitung durch Schädler und der geringere Grad seiner Mitwirkung.

Bei Abwägung dieser Strafbemessungsumstände, wobei die Milderungsumstände überwiegen und Besserung der Angeklagten zweifellos zu erwarten ist, fand das Gericht bei allen Angeklagten die Voraussetzung für die Anwendung des ausserordentlichen Milderungsrechtes i.S. des § 54 St.G. gegeben. Hiebei wurden die im Urteilsspruche angeführten Strafen dem Verschulden der einzelnen Angeklagten als angemessen befunden.

Dagegen hielt das Gericht die Voraussetzungen für einen bedingten Strafnachlass nicht gegeben. Es fehlt vor allem die Schadensgutmachung oder auch nur die ernstliche Bemühung über die Schadensdeckung. Wenn die Angeklagten sich auch grundsätzlich zur Schadensgutmachung bereit erklärten, so haben sie doch schliesslich die von den Privatbeteiligten angesprochenen Beträge samt und sonders nicht anerkannt, obwohl, wenigstens einzelne von ihnen und insbesonders jene der Julie Wolff schon aus der zivilrechtlichen Haftung in gewissem Ausmasse zu decken gewesen wären. Es fehlt auch auf der Seite der Angeklagten an einem vollen Schuldgeständnis, das ersehen liesse, dass sie das Unrecht ihrer Handlungsweise einsehen, wenn sie auch schliesslich ihr Bedauern über den tragischen Ausgang ihres Unternehmens aussprachen. Das Gericht ist überdies der Ansicht, dass die an sich schwere Tat, die eine grobe Erschütterung der Rechtsordnung [darstellt], eine entsprechende Sühne durch Verhängung einer unbedingten Strafe erheischt.

Die Untersuchungshaft wurde gemäss § 232 St.P.O. bei allen Angeklagten als unverschuldet in die Strafe eingerechnet, insbesonders auch bei Rheinberger die Auslieferungshaft beim Landesgericht Feldkirch, da ja die Haft in gleicher Weise auch bei Verbleiben in Liechtenstein über ihn sowie über die andern Angeklagten verhängt worden wäre.

Hinsichtlich der privatrechtlichen Ansprüche kam das Gericht grundsätzlich zum Schlusse, dass die Angeklagten zur ungeteilten Hand für die aus dem Absturze der Eheleute Schaie und der Frau Wolff entstandenen Schäden haftbar sind. Wenn auch nach der Anklage und dem Urteile die Todes- und Verletzungsfolgen nicht als von den Angeklagten beabsichtigt angenommen werden, so ist doch der Kausalzusammenhang zwischen der Tat der Angeklagten und dem Tode bezw. der Verletzung zweifellos gegeben. Die Angeklagten haben durch ihr schuldhaftes Handeln die Flucht der Verunglückten bedingt, deren Furcht und Bangen ausgelöst. Als schliessliche Folge der panikartigen Flucht kam es zum Sturz, für dessen Folgen die Angeklagten somit haften.

Was nun aber die Ansprüche des Fritz und der Luzie Schaie in dieser Richtung betreffen, so konnte ein Zuspruch an die Privatbeteiligten deshalb nicht erfolgen, weil die Ergebnisse des Strafverfahrens nicht ausreichen, um über die geltend gemachten Ersatzansprüche verlässlich urteilen zu können. Es ist festgestellt, dass auf der Fluchtbahn der Verunglückten Eheleute Schaie ein grösserer Geldbetrag gefunden worden war, der seinerzeit dem Fritz Schaie ausgefolgt wurde. Andererseits steht nicht fest, wem von den Schaie dieses Geld gehört hatte, und auch der Privatbeteiligtenvertreter konnte hierüber keinen Aufschluss geben. Bei dieser Sachlage war die Frage ungeklärt, ob und in welchem Masse die Todfallskosten, deren Ersatz nunmehr Luzie bezw. Fritz Schaie ansprechen, aus dem gefundenen Gelde, das ist aus dem Vermögen der Verunglückten, zu decken gewesen wären. Die Privatbeteiligten Schaie haben auch zum Nachlasse der Verunglückten kein Erbserklären abgegeben. Wollten sie also Ersatzansprüche stellen, so mussten sie zuvor die übernommenen Gelder dem Gerichte zum Zwecke der Abhandlung wieder zur Verfügung stellen, was sie aber unterliessen. Unter diesen Umständen konnte im Strafverfahren der Bestand der geltend gemachten Forderungen nicht ohne weiteres erwiesen werden, weshalb die Privatbeteiligten gemäss § 238 St.P.O. auf den Zivilrechtsweg zu verweisen waren.

Dasselbe gilt hinsichtlich der privatrechtlichen Ansprüche des Fritz Schaie, aus den durch den Sprung aus dem Auto erlittenen Verletzungen. Da die Anklage und das Urteil dem Schädler nicht zur Last legen, noch in sträflichem Vorsatze gehandelt zu haben, als er bei der Rückfahrt von Gaflei mit Fritz Schaie in Masescha und Waldi vorbeifuhr, so konnte in dem wegen Menschenraub geführten Strafverfahren eine Entscheidung über die Schadenersatzansprüche aus dem Sturze des Fritz Schaie nicht gefällt werden. Wenn auch die Umstände für eine zivilrechtliche Haftung wenigsten des Schädler sprechen, so ist doch auch der Umfang der Haftung immerhin zweifelhaft angesichts der Behauptung Schädlers, dass ihm Schaie während der Fahrt in das Steuerrad gefahren und ihm mit Erwürgen gedroht habe. Diese Umstände konnten ohne neuerliche Einvernahme des Fritz Schaie nicht geklärt werden, sodass auch aus diesem Grunde über die privatrechtlichen Ansprüche nicht erkannt werden konnte, abgesehen davon, dass einzelne Forderungen sowohl dem Bestande als auch der Höhe nach nicht hinreichend nachgewiesen sind. Infolgedessen musste die Verweisung auf den Zivilrechtsweg erfolgen.

Was die Ansprüche der Privatbeteiligten Julie Wolff betrifft, so fand das Gericht den Betrag von schw. Frs. 4.20 für Auslagen im Kurhaus Samina, von Fr. 240.- für ärztliche Behandlung durch Dr. [Felix] Batliner, ferner von belg. Frs. 1577.20 als Ersatz für die beschädigten Kleider und von belg. Frs. 1500.- für Nachbehandlung der Wolff durch Dr. Lestarquis in Brüssel dem Grunde und der Höhe nach durch die vorliegenden Rechnungen bewiesen. Als Schmerzensgeld erschien dem Gerichte ein Betrag von Frs. 500.- angemessen. Es wurden daher der Privatbeteiligten Wolff insgesamt schw. 744.20 und belg. Frs. 3077.20 zugesprochen.

Dagegen konnten die weiteren Beträge für Aufenthalt im Waldhotel, Reisespesen, Kurkosten in Belgien, dann Entschädigung für bleibende Verunstaltung und Genugtuung im Strafverfahren nicht zuerkannt werden, da es an hinreichenden Grundlagen zur Beurteilung fehlte, ob und inwieweit die Kosten auf die Verletzungen zurückzuführen sind bezw. in welchem Umfange sie notwendig und angemessen sind. Infolgedessen musste diesbezüglich die Verweisung auf den Zivilrechtsweg erfolgen.

Zum Schlusse sei der Vollständigkeit halber noch erwähnt, dass die deutschen Mittäter nach dem vorliegenden Strafbefehl beim Amtsgericht Konstanz wegen Verbrechens der vorsätzlichen und widerrechtlichen Freiheitsberaubung verfolgt werden. [10] Ein Vergleich ihrer Strafverfolgung mit der gegenständlichen lässt sich nicht ziehen, weil sich für die in Konstanz verfolgten Täter die Handlung nicht als Menschenraub, sondern als Freiheitsbeschränkung darstellt; sie hatten versucht, Menschen aus einem fremden Lande mit Gewalt in ihr altes Heimatland zu bringen. Würde den hiesigen Angeklagten eine solche Tat zur Last zu legen sein, so wäre sie als das Verbrechen der Einschränkung der persönlichen Freiheit anzusehen und würde damit einem bedeutend milderen Strafgesetz unterliegen. So aber musste die Tat trotz gleichartiger Mitwirkung für beide Gruppen eine verschiedenen rechtliche Beurteilung und demgemäss auch eine verschiedene Bestrafung zur Folge haben.

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[1] LI LA J 007/S 066/043 (a).
[2] Anklageschrift vom 4.5.1933 (LI LA J 007/S 066/043/098).
[3] Österreichisches Strafgesetz vom 27.5.1852 über Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, eingeführt im Fürstentum Liechtenstein mit Fürstlicher Verordnung vom 7.11.1859.
[4] Die Nummer des Landesgesetzblattes ist verschrieben, gemeint ist das Gesetz vom 1.6.1922 betreffend Abänderung des Strafrechtes, der Strafprozessordnung und ihrer Nachtrags- und Nebengesetze, LGBl. 1922 Nr. 21.
[5] LGBl. 1914 Nr. 3.
[6] Zur Klage von Fritz und Luzie Schaie vgl. LI LA J 005/J 352/194. Wolff klagte offenbar nicht.
[7] Vgl. LI LA J 007/S 066/043/002 (Einvernahme von Rudolf Schädler vom 5.4.1933), LI LA J 007/S 066/043/013 (Einvernahme von Eugen Frommelt vom 6.4.1933), LI LA J 007/S 066/043/017  (Einvernahme von Rudolf Schädler vom 6.4.1933), LI LA J 007/S 066/043/025 (Einvernahme von Fritz Schaie vom 7.4.1933) sowie die übrigen Akten in LI LA J 007/S 066/043.
[8] Vgl. LI LA V 004/1531/21.
[9] Beispielsweise ein Artikel in der "Vossischen Zeitung", Nr. 165, 7.4.1933, Morgen-Ausgabe, Erste Beilage, S. 1 ("Europa und das Ländchen").
[10] In Konstanz wurden im Sommer 1933 die fünf dortigen Mitbeteiligten angeklagt. Vier von ihnen wurden zu Haftstrafen von 3 Monaten verurteilt. Der Chauffeur wurde freigesprochen (L.Vo., Nr. 88, 29.7.1933, S. 7 ("Die deutschen Rotterentführer verurteilt")).