Die politischen Kreise um das „Liechtensteiner Volksblatt" geben eine Wahlempfehlung für die Landtagswahl vom März 1918 aus und veröffentlichen ein Wahlprogramm


Artikel im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]  

22.2.1918 

Unsere Oberländer Abgeordneten für den kommenden Landtag

Für ernste Zeiten ernste Männer! Dieser Grundsatz waltete ob, als in ernsten Beratungen einer Reihe von Männern aus allen Schichten unseres Volkes die Liste unserer oberländischen Volksvertreter beraten wurde. Einstimmig herrschte die Ansicht, dass in den kommenden Landtag Männer gehören, von denen wir hoffen können, dass sie alles vermeiden, was die liechtensteinische Selbständigkeit in der jetzigen und kommenden ernsten Zeiten gefährden könnte. Wir leben gewissermassen in einem Übergangsstadium mancher Verhältnisse, und dies erfordert Ruhe, Erfahrung, Überlegung. Daher müssen wir Männer als Volksvertreter haben mit Erfahrung in Gemeindeämtern oder sonstigen Vertrauensstellungen sammeln konnten.

Und so erlaubt sich denn die erwähnte Versammlung, den Oberländern [2] folgende Männer zur Wahl in den kommenden Landtag wärmstens zu empfehlen:

A. Abgeordnete:

Emil Wolfinger, Ortsvorsteher in Balzers,

Andreas Banzer, Altvorsteher in Triesen,

Josef Gassner, Ortsvorsteher in Triesenberg,

oder: Dr. Wilhelm Beck, Rechtsanwalt in Vaduz,

Gustav Ospelt, Ortsvorsteher in Vaduz,

Gustav Schädler, Reallehrer in Vaduz,

Dr. Albert Schädler, f. l. Sanitätsrat, Vaduz,

Friedrich Walser, Ortsvorsteher in Schaan.

B. Ersatzmänner:

Heinrich Brunhart, Altvorsteher in Balzers,

Emanuel Frommelt, Vermittler in Triesen,

Ludwig Beck, Gemeindekassier in Schaan.

Wir massen uns nun nicht an, diese Männer unserem Volke aufzwingen zu wollen – denn frei sei das Urteil und die Wahl des freien Liechtensteiners – aber als reiflich überlegter Vorschlag darf diese Liste wohl ernstlich erwogen werden.

Und wie die erwähnte Versammlung auch den genannten Kandidaten keine Vorschriften machen will, so dürfte doch jeder von ihnen folgendes Programm als für unser Ländchen erspriesslich auch zum seinigen machen:

Selbständigkeit und monarchische Verfassung Liechtensteins.

Keine Parteiungen, sondern Freiheit des einzelnen Abgeordneten.

Entwicklung unseres Verkehrs- u. Wirtschaftslebens. Zustandekommen des Lawenawerkes. [3] 

Reform des Steuerwesens. [4] 

Abänderung der Jagdverhältnisse im Sinne der letzten Landtagsbesprechungen. [5]

Schaffung eines modernen Pressgesetzes. [6]

Errichtung eines Krankenhauses. [7]

Beibehaltung des Zollvertrages mit Österreich. [8]

Damit ist auch nicht gesagt, dass dies das allumfassende Programm wäre und nichts anderes geschaffen werden dürfte, nicht gesagt, dass der oder jener Punkt unter jeder Bedingung, gegen alle sich etwa ergebenden Verhältnisse erledigt werden muss. Aber wenigstens jene brennenden Fragen, die in aller Munde schweben, und die sich im Laufe der nächsten Jahre als besonders aktuell erweisen, müssen mit aller Energie der Lösung zugeführt werden. 

Allfälligen sachlichen Äusserungen zu unserer Liste und unserem Programme öffnen wir sehr gerne die Spalten unseres Blattes. Seid nicht kleinlich, sondern sachlich, Liechtensteiner!

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[1] L.Vo., Nr. 8, 22.2.1918, S. 1. Vgl. die Entgegnung dazu in: O.N., Nr. 9, 2.3.1918, S. 1 („Zum Programm der neuen Partei“). Im März 1918 wurden erstmals die Landtagsabgeordneten nicht mehr über Wahlmänner, sondern direkt vom Volk gewählt. 3 der 15 Abgeordneten wurden weiterhin von Fürsten Johann II. ernannt. Die Hauptwahlen fanden am 11.3. und die Stichwahlen am 18.3.1918 statt. Erstmals traten zwei Parteien, die Christlich-soziale Volkspartei, deren Gründungsdatum nicht mehr zu eruieren ist, sowie der Vorläufer der Fortschrittlichen Bürgerpartei, deren formelle Gründung auf den 22.12.1918 fällt, mit eigenen Wahlvorschlägen an.
[2] Für das Unterland erging ebenfalls eine Wahlempfehlung seitens der Kreise um das „Liechtensteiner Volksblatt“, nämlich für Emil Batliner, Ortsvorsteher und Altabgeordneter in Mauren, Josef Marxer, Ortsvorsteher und Altabgeordneter in Eschen, Johann Hasler, Altvorsteher und Altabgeordneter in Gamprin, Johann Wohlwend, Altabgeordneter in Schellenberg und Josef Büchel, Fergger in Ruggell  (L.Vo., Nr. 10, 8.3.1918, S. 1 („Unsere Unterländer Abgeordneten für den kommenden Landtag“)).     
[3] Vgl. das Gesetz vom 11.1.1923 betreffend das Landesunternehmen „Landeswerk Lawena“, LGBl. 1923 Nr. 1.
[4] Vgl. das Gesetz vom 24.1.1919 betreffend die teilweise Abänderung der Steuergesetze, LGBl. 1919 Nr. 3, und vor allem das Steuergesetz vom 11.1.1923, LGBl. 1923 Nr. 2.
[5] Vgl. in diesem Zusammenhang das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 7.1.1918 betreffend den Übergang des landschaftlichen Jagdregals auf die Gemeinden (LI LA LTA 1918/S04/2).
[6] Vgl. dazu etwa das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 20.12.1913 (LI LA LTA 1913/S04/2; LI LA RE 1913/4054).
[7] Vgl. hiezu z.B. die Protokolle der öffentlichen Landtagssitzungen vom 28.1. und 6.3. 1919 (LI LA LTA 1919/S04).
[8] Vgl. den Vertrag zwischen Seiner Majestät dem Kaiser von Österreich und apostolischen König von Ungarn und Seiner Durchlaucht dem souveränen Fürsten von Liechtenstein vom 2.12.1876 über die Fortsetzung des durch den Vertrag vom 5.6.1852 gegründeten Österreichisch-Liechtensteinischen Zoll- und Steuervereines, LGBl. 1876 Nr. 3 bzw. öst. RGBl. 1876 Nr. 143.