Emil Beck und Victor Kaplan erstatten Vorschläge für die Errichtung einer liechtensteinischen Gesandtschaft in Prag


Maschinenschriftliche Abschrift einer Denkschrift, verfasst und gezeichnet vom liechtensteinischen Geschäftsträger in Bern, Emil Beck, und vom liechtensteinischen Justizrat Victor Kaplan [1]

3.8.1921, Vaduz

Memorandum

Laut Mitteilung Seiner Durchlaucht des Herrn Prinzen Franz sen. denkt Schweiz nicht daran, in Prag eine Gesandtschaft zu errichten oder auch nur das bisherige Honorar-Generalkonsulat in ein Carriére-Consulat umzubilden; Herr Bundesrat [Giuseppe] Motta als auch der Chef des politischen Departements [2] in Bern meinten daher offen, dass diese Art der Vertretung nicht geeignet sei, die hochwichtigen Interessen des durchlauchtigsten Hauses und somit auch des Landes wahren zu können. [3] Obgleich Seine Durchlaucht Herrn Prinz Franz sen. bis dahin den Standpunkt vertrat, dass es sonst am zweckmässigsten wäre, wenn die hochfürstlichen Interessen in Prag durch die Schweiz vertreten werden könnten, gelangte er nunmehr infolge der vorgeschilderten Haltung der Schweiz zur Überzeugung, dass nichts anderes übrig bleibt, als in Prag eine selbständige fürstlich Liechtensteinische Gesandtschaft schleunigst zu errichten, [4] schleunigst deshalb, weil es nur auf diesem Wege ermöglicht wird, die bedeutenden und eminenteste Tragweite umfassenden Erfolge der Pariser Interventionen [5] in Prag in die Tat umzusetzen, solange der tschechische Aussenminister Dr. [Edvard] Beneš unter dem frischen Eindrucke der französischen Anschauungen stehen wird. Die Errichtung einer selbständigen f.L. Gesandtschaft in Prag verträgt auch aus dem Grunde keinen Aufschub, weil die Durchführung der tschechischen sog. „Bodenreform" bereits in Angriff genommen wurde und ihr zunächst die Meierhöfe Morein, Nemotitz und Nemochowitz bereits in heurigen Herbste zum Opfer fallen sollen, wogegen über den ganzen Herrschaften Lundenburg-Landshut, Hohenstadt, Aussee, Sternberg und Jägerndorf das Damokles-Schwert der Confiscation schwebt. Die Abwendung oder wenigstens die Linderung dieses Schicksals müsste die vornehmlichste Aufgabe der Tätigkeit der Prager f.L. Legation bilden. Diese Aktion verträgt aber keine längere Suspension. Um Seiner Durchlaucht dem regierenden Herrn [Johann II.] concrete Vorschläge unterbreiten zu können, berief Seine Durchlaucht Herr Botschafter Prinz Franz sen. Herrn Legationsrat Dr. Emil Beck und den Justizrat Dr. Viktor Kaplan zu einer gemeinsamen Aussprache nach Vaduz und geruhte sie zu beauftragen, gemeinschaftlich technische Vorschläge auszuarbeiten, in welcher Form eine f. L. Gesandtschaft in Prag errichtet werden könnte. Diese Vorschläge fassten die in tiefster Ehrfurcht gefertigten in nachstehenden Punkten zusammen:

1. Zur Errichtung einer neuen Gesandtschaft bedarf es eines Beschlusses des L. Landtages, [6] analog wie es anlässlich der Creirung der f. L. Gesandtschaft in Bern der Fall war. [7] An der Zustimmung ist nicht zu zweifeln, da das Land sich sehr gut dessen bewusst ist, in welch' hohem Masse Seine Durchlaucht der regierende Herr zur Bestreitung der Landesauslagen aus höchsteigenen Mitteln geruhen und dass dies nur jenenfalls möglich wäre, solange Seine Durchlaucht in tunlichst ungeschmälertem Besitze seiner Güter und somit auch ihrer Erträgnisse in der Tschechoslowakei verbliebe.

2. Andererseits dürfte es dem Landtage klar sein, dass die Errichtung einer f.L. Gesandtschaft in Prag erst in entfernter Linie im Interesse des Landes erfolgt, sondern dass sie primär der Wahrung der Interessen des durchlauchtigsten Fürstenhauses zu dienen hätte. Infolge dessen könnte im Landtage die Frage aufgeworfen werden, ob das Land zur Deckung der damit verbundenen Kosten beizutragen habe. Um der Opposition keine Angriffspunkte zu bieten, wagen die in tiefster Ehrfurcht Gefertigten den unmassgeblichen Vorschlag zu unterbreiten, dass die gesamten Kosten von Seiner Durchlaucht zu übernehmen wären, zumal dann zu erwarten steht, dass in diesem Falle die Errichtung der Gesandtschaft überhaupt auf keinen Widerstand stosst.

3. Um das Mass dieser Kosten approximativ bestimmen zu können, ist es vor allem erforderlich ein Bild zu entwerfen, wie die zu errichtende Gesandtschaft organisiert werden sollte:

Der Chef der Gesandtschaft mit dem üblichen Titel eines f.L. Legationsrates müsste ein hiezu qualifizierter Liechtensteiner Staatsbürger sein. Dieser braucht aber nicht in Prag zu residieren, sondern kann – in Übereinstimmung von zahlreichen Präcedensfällen – in gleicher Eigenschaft auch bei einer anderen Regierung accreditiert sein und dort seinen ordentlichen Wohnsitz haben; er brauchte dann nur im Bedarfsfalle nach Prag persönlich zu kommen: solche Reisen dürfte es laufs eines Jahres höchstens 2-3 geben. [8] In die Competenz des f.L. Gesandten müssten alle Fragen allgemeiner diplomatischen Natur fallen, mit Ausnahme jener Angelegenheiten, die die vermögensrechtliche Seite der Liechtensteinischen Staatsangehörigen in Bezug auf ihr in der Tschechoslowakei gelegenes Vermögen betreffen. Die Besorgung dieser Agende wäre an den f.L. Justizrat in Prag [Victor Kaplan] zu übertragen, welcher hiefür die volle und alleinige Verantwortung zu übernehmen hätte. Natürlich hätte er nach allen sonstigen Belangen den Chef der Gesandtschaft in Prag als sein Substitut zu vertreten, allein diesbezüglich wäre er an seine Weisungen und Aufträge gebunden. In dieser diplomatischen Eigenschaft würde er ebenfalls den Titel eines f.L. Legationsrates führen und müsste im Sinne der völkerrechtlichen Gepflogenheiten ein Accreditiv- Schreiben erhalten, dass er im Falle der Abwesenheit oder Verhinderung des f.L. Gesandten berechtigt ist, diesen bei der tschechischen Regierung als Chargé d'affaires zu vertreten.

Die englische, französische, rumänische, holländische etz. Regierung unterhalten in Prag neben der Gesandtschaft keine eigenen oder selbstständigen Consulate, sondern der in Prag residierende diplomatische Vertreter versieht in der Čechoslowakischen Republik auch die Consularagenden. Dieser Vorgang dürfte sich auch in Bezug auf die Prager Gesandtschaft empfehlen, da es keinem Zweifel unterliegen dürfte, dass sich ein gewisser, wenn auch nicht bedeutender Handelsverkehr herausbildet, wie es bisher bezüglich des Viehes, Hafers, Zuckers etz. bereits der Fall war. Mit der Besorgung dieser Consular-Agenden wäre der Prager Legationsrat zu betrauen. 

4. Aus dem vorgeschilderten Sachverhalte ergibt sich, dass als Gesandter Herr Docent und f L. Legationsrat Dr. Emil Beck in Bern und als sein Vertreter Herr Justizrat Dr. Viktor Kaplan in Kolodej in Betracht kommen dürften; auf dieser Basis sind die Kosten der neuen Legation zu errechnen:  

 

 Die Reise II. Klasse von Buchs nach Wien                                                                                  Kö   1500                    
 von Wien nach Lundenburg Kö     204
 Verpflegung und Diäten durch 5 Tage Kö   5000
 Rückreise Kö   1704
 Sa. Kö   8408
 Von Lundenburg nach Prag  Kč      130
 retour Kč      130
 Aufenthalt in Prag und Reise 5 Tage Kč    2500 
 Sa. Kč    2760 
 Von Bern nach Buchs und retour Fr.       64
 diverse Auslagen Fr.       50
 Sa. Fr.     114
 umgerechnet auf ergibt es ca.     5082
 nimmt man 3 Reisen im Jahre an, ergibt es ca. Kč 16'000

 

Da Herr Legationsrat Dr. Beck für seine diplomatische Tätigkeit bereits mit schw. Frcs. 10'000 jährlich entlohnt wird, so würde nur eine Entlohnung für die von ihm zu leistende Mehrarbeit in Betracht kommen; er würde sich dafür mit einem Honorar von Frcs. 5000 jährlich zufrieden geben; dies ergibt in ca. 65'0000, sodass sich die gesamten Kosten jährlich auf ca. einschliesslich der Porti, Telegramme, Kanzlei-Erfordernissen reichlich gerechnet Kč 85'000 belaufen würden, da die Betrauung des Justizrates Dr. Kaplan mit den vorgeschilderten Agenden keine Mehrbelastung der hochfürstlichen Renten hervorrufen würde.

Mit Rücksicht auf den enormen Wert der zu vertretenden hochfürstlichen Interessen kann diese Summe keine Rolle spielen, zumal sie sehr reichlich gerechnet ist. Die Reiseauslagen würden sich wesentlich niedriger stellen, weil Herrn Legationsrat nur die tatsächlich ausgelegten und von ihm zu verrechnenden Spesen zu vergüten wären.  

Die gesamten Auslagen wären intern ausschliesslich zu Lasten der Erträgnisse der in der ČSR. gelegenen hochfürstlichen Güter zu verrechnen, da es sich um ihren Schutz handelt und zwar zwischen der Forst- und Landwirtschaft nach der Hektar-Fläche. [9]

 

______________

[1] LI LA SF 01/1921/138. Kein Verteiler angegeben. Als Prinz Franz am 1. und 2.8.1919 für Verfassungsgespräche in Vaduz weilte, traf er sich mit Victor Kaplan und Emil Beck, denen er den Auftrag erteilte, hinsichtlich der Errichtung einer liechtensteinischen Gesandtschaft in Prag Vorschläge auszuarbeiten.
[2] Angesprochen ist Paul Dinichert, der von 1920 bis 1932 die Abteilung für Auswärtiges im Schweizerischen Politischen Departement leitete.
[3] Prinz Franz hatte am 19.7.1919 in Bern den Schweizer Bundesrat Giuseppe Motta sowie Paul Dinichert aufgesucht (vgl. das Schreiben von Prinz Franz an die fürstliche Kabinettskanzlei vom 19.7.1919 (LI LA SFR 01/1921/153)). Das Schweizerische Politische Departement hatte jedoch sich wegen der ablehnenden Haltung der tschechoslowakischen Regierung neuerlich gegen die Übernahme der liechtensteinischen Interessenvertretung in Prag durch die Schweiz ausgesprochen (vgl. das Schreiben des liechtensteinischen Geschäftsträgers Emil Beck an die liechtensteinische Regierung vom 28.7.1919 (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern: 998/21)).
[4] Der tschechoslowakische Aussenminister Edvard Beneš hatte inoffiziell die diplomatische Vertretung Liechtensteins durch die Schweiz abgelehnt. Diesse könne erst nach der Durchführung der tschechoslowakischen Bodenreform erfolgen. Beneš hatte weiter ausgeführt, dass Prag die Souveränität des liechtensteinischen Fürsten und die daraus abgeleiteten Rechte nicht anerkennen könne (vgl. das Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern an die fürstliche Kabinettskanzlei in Wien vom 19.5.1921 (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 649/21))). Im Gegensatz dazu soll Beneš gegenüber liechtensteinischen Justizrat Victor Kaplan die zusätzliche Akkreditierung des liechtensteinischen Geschäftsträgers in Bern, Emil Beck, in Prag angeregt haben. Dabei könne vor Ort Justizrat Kaplan in Vertretung Becks als eine Art Honorar-Legationsrat fungieren (vgl. das Schreiben des fürstlichen Kabinettsdirektors Josef Martin an Emil Beck vom 2.5.1921 (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Kabinettskanzlei: Ad Präs. Nr. 104))).
[5] Prinz Franz hatte vom 4. bis zum 14.7.1921 bei verschiedenen französischen Regierungsstellen bzw. Regierungsmitgliedern, u.a. bei Ministerpräsident Aristide Briand, vorgesprochen, um die Unterstützung Frankreichs für die Verhandlungen mit der Tschechoslowakei zu gewinnen. Es ging vor allem darum, von der französischen Regierung die ausdrückliche Anerkennung der fürstlichen Souveränität, Neutralität und Unabhängigkeit zu erlangen. Frankreich sollte in diesem Sinne auf die tschechoslowakische Regierung einwirken.
[6] Nach § 23 Abs. 1 der liechtensteinischen Verfassung vom 26.9.1862 vertrat der Landesfürst den Staat in allen seinen Verhältnissen gegen auswärtige Staaten. Gemäss § 23 Abs. 2 der Verfassung konnte jedoch ohne „Verwilligung" des Landtags u.a. keine neue Last auf das Fürstentum oder dessen Angehörige übernommen werden.
[7] In den Landtagsprotokollen von 1919 findet sich kein Hinweis auf die Genehmigung der Gesandtschaftserrichtung in Bern. Der Landtag hatte sich allerdings in der öffentlichen Sitzung vom 28.8.1919 mit einer Resolution einstimmig hinter die aussenpolitischen Ziele des Fürstentums, wie sie vom liechtensteinischen Gesandten in Wien, Prinz Eduard, in der Debatte um die Staatsbürgerschaft der fürstlichen Agnaten ausgeführt worden waren, gestellt. Dies hatte allerdings vorderhand die Bemühungen um die Anerkennung der liechtensteinischen Neutralität auf der Pariser Friedenskonferenz sowie um den Beitritt zum Völkerbund betroffen (vgl. LI LA LTA 1919/S04).
[
8] Vgl. in diesem Zusammenhang das bereits genannte Schreiben von Kabinettsdirektor Martin an Beck vom 2.5.1921 über die Anregungen des tschechoslowakischen Aussenministers Beneš zu den Modalitäten einer liechtensteinischen Gesandtschaft in Prag (ebd.).
[9] Die fürstliche Kabinettskanzlei bzw. Kabinettsdirektor Josef Martin in Bad Gastein erklärte mit Schreiben vom 19.8.1921 an die liechtensteinische Regierung bzw. Regierungschef Josef Ospelt, dass unter den obwaltenden Umständen nichts anderes übrig bleibe, als eine liechtensteinische Vertretung in Prag – so wie
im Memorandum angeführt – zu errichten. Er könne jedoch nicht beurteilen, ob die Zustimmung des Landtags zur beabsichtigten Errichtung der Vertretung in Prag notwendig sei. Ospelt wurde deshalb ersucht, diese Frage selbst zu entscheiden und nach Rücksprache mit den massgebenden Persönlichkeiten, eventuell nach Befragen des Landtages, ehestens nach Bad Gastein depeschieren zu wollen, ob die ins Auge gefasste Interessenvertretung in Prag eingerichtet werden könne. Mit Rücksicht auf die bevorstehende Bodenreform in der Tschechoslowakei vertrage die Erledigung dieser Sache keinerlei Aufschub. Nach Erhalt des genannten Telegrammes werde sogleich Justizrat Kaplan beauftragt werden, beim tschechoslowakischen Aussenminister Beneš zu sondieren und werde sodann Prinz Franz oder Prinz Alois mit Beneš offiziell im Gegenstande sprechen (LI LA SF 01/1921/138 (Aktenzeichen der fürstlichen Kabinettskanzlei: Nro 177)). Regierungschef Ospelt telegrafierte am 23.8.1921 an Kabinettsdirektor Martin im Hotel Kaiserhof in Bad Gastein, dass er mit den Vorschlägen betreffend die Prager Vertretung grundsätzlich einverstanden sei. Im nachfolgenden Brief vom selben Tag führt Ospelt aus, dass im Sinne der §§ 23 und 29 der Verfassung von 1862 die Regelung der Vertretung Liechtensteins im Auslande eigentlich Sache des Fürsten bzw. der Regierung sei. Um allfälliger Kritik vorzubeugen, habe er jedoch hiezu die Meinung von Landtagspräsident Friedrich Walser und Vizepräsident Wilhelm Beck gehört. Von Wilhelm Beck sei ziemlich energisch gewünscht worden, dass Kaplan nicht definitiv zum Stellvertreter des Geschäftsträgers bestellt werden solle (LI LA SF 01/1921/138). In der Regierungssitzung vom 29.8.1921 wurde die Angelegenheit zur genehmigenden Kenntnis genommen (ebd. revers). Der Plan einer eigenen liechtensteinischen Vertretung in Prag stiess aber ohnedies auf starke innenpolitische Widerstände in der Tschechoslowakei. Vgl. auch ein weiteres Memorandum betreffend die Errichtung einer diplomatischen Vertretung des Fürstentums in Prag vom 30.12.1921 (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern: 43/22)).