Der tschechoslowakische Aussenminister Edvard Beneš lehnt gegenwärtig die liechtensteinische Interessenvertretung in Prag durch die Schweiz ab


Maschinenschriftliches Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern bzw. des Geschäftsträgers Emil Beck an die fürstliche Kabinettskanzlei in Wien [1]

19.5.1921, Bern

Vertretung in Prag

Hochgeschätzter Herr Kabinettsdirektor [Josef Martin],

Im Nachgang zu meinem Schreiben Zl. 627/21, [2] welches durch eine Abänderung im Kurrierfahrplan leider eine Verspätung erlitten hat, telegrafierte ich Ihnen unterm 18. dieses Monats: "Anfrage vorläufig abgelehnt, Vorschlag [Victor] Kaplan durchführbar." [3]

Inzwischen habe ich nämlich vom [Schweizerischen] Politischen Departement inoffiziell die Mitteilung erhalten, dass die Übernahme unserer Interessenvertretung in Prag durch die Schweiz gegenwärtig infolge der Widerstände bei der Pragerregierung nicht wohl möglich ist. Herr Benesch [Edvard Beneš] erklärte dem Schweizerischen Vertreter, Herrn [Gerold F.] Déteindre [4], wie ich vertraulich erfahren habe, auf seine inoffizielle Anfrage, dass die Pragerregierung grundsätzlich sehr gerne bereit sei, der Interessenvertretung in der Tschechoslowakei durch den Schweizerischen Vertreter zuzustimmen. Immerhin könnte dies erst nach der Durchführung der dortigen Bodenreform geschehen. Zur nähern Begründung dieses Standpunktes führte Herr Benesch an, dass die Pragerregierung die Ansprüche Seiner Durchlaucht des Fürsten [Johann II.] bei der Bodenreform nicht berücksichtigen könne, da sie den Fürsten als österreichischen Staatsangehörigen betrachte und seine Souveränität und die daraus abgeleiteten Rechte nicht anerkenne könne. Auch der Völkerbund habe die Souveränität des Fürsten nicht anerkannt. [5] Nach Bereinigung dieser Angelegenheit aber sei die Schweiz. Vertretung sehr erwünscht.

Also eine ziemlich glatte Absage. Das Politische Departement glaubt, unter diesen Umständen vorläufig eine Vertretung nicht übernehmen zu können, wodurch allerdings zu den von der Pragerregierung angerufenen Rechtsfragen nicht Stellung genommen ist.

Damit ist nun der Weg wieder frei für die Durchführung des Vorschlags des Herrn Justizrat Dr. Kaplan, wonach Seine Durchlaucht der Fürst eine eigene Vertretung in der Weise errichten würde, dass meine Akkreditierung in Prag nachgesucht würde. Wie ich Ihnen bereits mitteilte, bin ich zur Übernahme einer solchen Vertretung grundsätzlich gern bereit, in der Meinung, dass mich dieselbe nicht zu sehr in Anspruch nimmt.

Bezüglich der Bodenreform, welche in ein akutes Studium getreten zu sein scheint, dürfte der Nachweis, dass Seine Durchlaucht der Fürst nicht österreichischer Staatsangehöriger ist, von der grössten Bedeutung sein.

Ich warte nun in dieser Frage Ihre weitern Berichte ab. [6]

Der fürstliche Geschäftsträger:

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[1] LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern: 649/21). Stempel der Gesandtschaft vom 21.5.1921. Vgl. die Note der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern an das Schweizerische Politische Departement vom 20.4.1921, in welcher die Schweiz um die generelle Übernahme der liechtensteinischen Interessenvertretung in Prag ersucht wurde (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern: 463/21)), nachdem das genannte Departement grosse Bedenken gegen die Vertretung Liechtensteins lediglich in den Angelegenheiten der tschechoslowakischen Bodenreform geäussert hatte (vgl. das Schreiben der Gesandtschaft in Bern an die fürstliche Kabinettskanzlei vom 4.4.1921, LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Gesandtschaft in Bern: 371/21)).
[2] Vgl. das Schreiben des liechtensteinischen Geschäftsträgers in Bern, Emil Beck, an Kabinettsdirektor Josef Martin vom 14.4.1921 (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern: 627/21)) sowie das Schreiben von Kabinettsdirektor Martin an Beck vom 2.5.1921 (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Kabinettskanzlei: Ad Präs. Nr. 104)): Demzufolge habe der tschechoslowakische Aussenminister Edvard Beneš gegenüber dem fürstlichen Justizrat Victor Kaplan die zusätzliche Akkreditierung von Emil Beck in der Tschechoslowakei angeregt. Die bezüglichen Agenden könnten durch die fürstliche Zentraldirektion in Prag im übertragenen Wirkungskreis geführt werden. Es sei lediglich erforderlich, dass sich Beck bei der Prager Regierung einmal wegen Ausfertigung des Akkreditivs vorstelle und später innerhalb von einem bis zwei Jahren wieder vorspreche. Justizrat Kaplan könne zur Führung der Agenden in Vertretung als eine Art Honorar-Legationsrat fungieren. Emil Beck gab dagegen zu bedenken, dass eine "Redressierung" der Anfrage in Prag betreffend die Übernahme der liechtensteinischen Interessenvertretung seitens der Schweiz nicht möglich sei (Aktennotiz vom 12.5.1921 über eine Besprechung mit Peter Anton Feldscher vom Schweizerischen Politischen Departement (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Gesandtschaft in Bern: 614/21). In diesem Sinne erging gleichentags folgendes Telegramm der Gesandtschaft an Kabinettsdirektor Martin: "Bitte mit neuer Anregung Kaplan zuwarten, da Anfrage bereits erfolgt" (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Gesandtschaft in Bern: 615/21)).
[3] Kopie des Telegramms der Gesandtschaft in Bern an Kabinettsdirektor Martin vom 18.5.1921 (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Gesandtschaft in Bern: 645/21)).
[4] 1921-1927 Schweizer Honorar-Generalkonsul in Prag.
[5] Das Aufnahmegesuch Liechtensteins als reguläres Mitglied wurde von der Völkerbundversammlung am 17.12.1920 abgelehnt (vgl. das Schreiben Emil Becks an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien vom 20.12.1919 (LI LA RE 1920/5629 ad 0141).
[6] Vgl. weiter das Schreiben von Geschäftsträger Beck an die liechtensteinische Regierung vom 6.6.1921 (LI LA V 002/0048 (Aktenzeichen der Gesandtschaft in Bern 727/21)). Darin wiederholte Beck seinen Standpunkt, dass schweizerischerseits der Errichtung einer eigenen Vertretung in Prag nichts mehr entgegenstehe und er auch bereit sei, diese Vertretung zu übernehmen, unter der Bedingung, dass ihm daraus keine wesentliche Belastung und Verantwortung erwachse. Er ersuchte ferner um Auskunft über die Person von Justizrat Kaplan.