Alois Rheinberger an Emma Rheinberger über die erkrankte Hermine Rheinberger, den in New York verheirateten Sohn Franz Rheinberger, seine Jugend in Liechtenstein und in der Klosterschule Disentis, den Tod von Heinrich Rheinberger in Missouri sowie sein arbeitsreiches und einsames Leben in Nauvoo


Handschriftliches Originalschreiben des Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois), an Emma Rheinberger, Vaduz [1]

Februar 1904, Nauvoo (Illinois)

Fräulein Emma Rhbrgr. [2]

Liebe Emma! wen ich so sagen darf,
/: sonst machen Sie einen rothen Strich dadurch :/

Ich habe Brief und Buch am gleichen
Tag erhalten; etwas verstossen [3], doch nicht
weiter beschädiget. Etwas willkommeneres
als dieses Buch, konten Sie mir nicht senden.
Ich werde es gut binden lassen, und es
aufbewahren als liebes und werth-
volles Andenken an meine unglück-
liche Base. Der Hans [Rheinberger] brachte es von
der Post [4], und öffnete es sogleich, und
Sie hätten sechen sollen, mit welcher
Freude er mir sagte: von der Hermina [Hermine Rheinberger] [5]
geschrieben! Er nimmt immer regen
Antheil an Allem, was er von der
Familie [6] dorten hört. Das Buch ist
schön geschrieben; die Gebräuche [7]
damaliger Zeit lebhaft und anziehend
geschildert, die heiteren Vorkommnisse mit
Humor, die ernsten, in’s Leben ein-
greifenden Begebenheiten mit tiefem Gefühl
dargestellt.

Wie leid thut es mir um dieses Mädchen!
Könten wir uns doch stets erheben über
Lob und Tadel der Menschen; zufrieden sein
mit dem Bewusstsein, nur das Rechte und
Beste gewollt zu haben, wie viel glücklicher
würden wir sein! Und wenn diejenigen,
die sich anmassen, das Thun anderer zu
beurtheilen, immer die kristliche Liebe zum
Massstab nähmen, würden sie nicht ein
junges Talent in seinen Anfängen kränken,
sondern freundlichst ermuthigen, und wenn
etwas zu besseren wäre, auf die schonendste
Weise berühren. Schweres Kreuz habet Ihr
Kinder ertragen, doch ehren wir den Willen
Gottes! vielleicht hat er Euch von anderem
Unglück bewahrt. Mir thut es im Herzen
wohl, die Kranke in liebevoller Pflege [8]
und stiller Umgebung zu wissen.
Sie haben Recht, und es freut mich diess
von Ihnen zu hören: Unsere Kreuzes-
Stunden, wenn mit Liebe und Dankbarkeit
gegen unseren Herrn Jesu [9], getragen,
erfüllen die Seele mit süssem Trost und
frocher Hoffnung – während die Vergnügen
dieser Welt sie leer und unruchig zurück-
lassen. Trauer erfüllt ernsthafte Menschen
wenn sie sechen wie viele, oft in ihrer
ausgelassensten Freude, plötzlich in der
Ewigkeit erscheinen müssen. Wird es
ihnen nicht ergehen, wie den thörichten
Jungfrauen, in der Parabel [10], die ihr Öhl
vergassen?

Jetzt komme ich auf Ihr werthes Schreiben
und da höre ich von einem Vorfall, der
mir eben so neu, als unangenehm ist.
Es war unschicklich und dumm, und ich
schäme mich selbst. Aber wahr ist,
und nicht gerade lobenswerth, dass die
amerk. [11] Jugend gar ungeniert mit [12]
mit ein ander verkehrt. Wenig wird
bedacht, dass ein geschriebenes Wort
unter verschiedenen Augen, verschieden
gedeutet werden kann. Das Unglück
war, dass eine dritte Person dazwischen
kam. Wäre es nicht möglich, dass ein
wenig Missverständniss, oder etwas Bosheit
bei Übersetzen oder Überbringen mitspielten
den: was dem Einen Verdruss
Dem Andern oft, ist’s ein Genuss. –

Es wird der Franz [Rheinberger] gewesen sein.
Er ist mein Liebling. Ein guter Sohn
ein sorgsamer Familie Vater, und gesuchter
Geschäftsmann. Verheurathet mit einem
Mädchen von hier, hat 2 Kinder, ein
Mädchen von 3 ½ Jahren und ein Bübchen
seit Weihnachten. Wohnhaft in New-Jork [13].
Getraut wurde er in der Kloster-Kapelle
hier, was sonst niemand gewährt wird.
Die Mutter Ottille [14] hat ihn gerne.
Einmal wird er dorten Besuch machen;
er möchte die Heimath seiner Eltern sechen.

Wenn diess einmal geschieht, dan bitte [14]
ich nach Christenart, Böses mit
Gutem zu vergelten, und ihn
freundlich zu empfangen.

Mit Ihrem geehrten Herrn Vater [Peter Rheinberger] und
seinem Bruder David [Rheinberger] [15] war ich in der
Klosterschule Disentis zur Zeit wo Herr
Prof. [Peter] Kaiser Recktor [16] war. Ihre, mir
immer werthe Frau Mutter [Theresia Rheinberger [-Rheinberger]], war ein lieblich
Mädchen von etwa 17 Jahren, als ich nach
Amerika [17] ging, und die Anna [18], mit der ich
von hier aus einige Briefe wechselte,
noch ein kleines, überaus schwarz hariges
Mädchen. Ihr Herr Onkel Rhbrgr [Josef Gabriel Rheinberger] [19], war
ein Bübchen, und spielte uns zum Abschied
ein Stück auf dem Clavier [20]. Ich habe eine
Photographie [21] von ihm, durch die Oberin, Mutter
Ottielie [22] erhalten. Der Heinrich Rhbrgr. [Heinrich Rheinberger] [23]
Sohn dess Alois Rhbrgr. [Alois Rheinberger] [24] dem der Löwen mit
Allem gehört hätte, starb in Lorenz County
Staat Missoury
[25], fremd, arm und [26] verlassen.
Er wollte nicht in Amerika [27] bleiben, aber, ein
wenig abenteuerlich gesint, sich ein weilchen unter [28]
unter den Indianern [29] in Kanses [30] herumtreiben,
dan wieder zurückkehren und Besitz von
seiner Heimath nehmen. Ich wusste nichts
von seinem Aufenthalt und Krankheit; da
kam ein Brief aus dem Löwen, mit der Nachricht
dass aus dem besagten County [31] im Staat [32] Missouri
der Tod Heinrichs [33] gemeldet und Bezahlung
der Auslagen verlangt würde. Sie glaubten
es nicht, ich möchte mich erkundigen.
Ich schrieb dahin, und bekam vom Vorsteher
des Armenhauses die Bestätigung, mit
der Weigerung einen Todtenschein auszustellen
ehe die Forderung bezalt wäre.
Mit einigem Wiederstreben musste bezalt
werden, denn ohne einen glaubwürdigen, gericht-
lichen Todtenschein, hätten die Kinder Antons [Josef Anton Rheinberger] [34]
nicht in Heinrichs [35] Erbe gelangen können.
Er war ein schöner und unternehmder Mann.
Die Söhne dess Herrn Anton Rhbrgr. [36] waren eben
noch Buben von 10-12 Jahren, als ich Abschied nahm.
Alle jünger als ich, anscheinend alle stärker
sind längst in der Ewigkeit, und ich, der [37]
Schwächste und Ärmste von Allen
bin noch hier. Berge von Arbeit habe
ich verrichtet und bis jetzt giebt es kaum
Ein Tag im Jahr, an dem ich nicht im
Feld oder Keller wäre. Dabei trinke
ich nicht Wein, Bier [38], Brantwein oder Most,
und mein jetziger Tisch möchte Ihnen
wunderlich einfach vorkommen.

Sie fragen: ob ich den so ganz allein wäre? Ja
ausser mir gibt es in Haus und Stall nichts
Lebendes, als etwa Mäuse. Die belästigen
mich nicht; zu fressen finden sie nicht viel,
und wenn ich komme, laufen sie davon.

Ich halte aber mein Haus schön sauber, den ich
will nicht, dass sich die Frauen [39] erzählen: man
sieht, dass er keine Frau mehr hat, jetzt hat er
alles im Dreck. Zuweilen begegnet mir
Eine und äussert ihr Mitleid über meine
Vereinsamung, und will wissen, wie es mir
geht? O ganz gut, sage ich ihr, ich bin
ganz zufrieden und möchte so 100 Jahre alt werden.
Ach, ist das möglich! sagt sie und geht [40]
enttäuscht weiter. Sie hat ein Jammerlied
erwartet.

Sie können so herzlich bitten,
und alles, was möglich, möchte ich Ihnen
gewähren, wenn es nur nicht mich selbst
beträfe. Ein Bild von mir – es wäre
nicht mehr schön, und ich mag mich selbst
wahrhaftig zu wenig, als dass ich meine
Form über meinen Tod hinaus zur Schau geben
möchte. Im Himmel, da wollen wir uns
finden, in voller Erkenntniss, ohne Misstrauen
und Rückhalt, im Glanze himmlischen Lichtes.

Wenn ich so ein dreckiges Stäubchen im
Sonnenlicht dahin schweben seche, denke ich:
Wie schön müssen die Menschen im Glanze
himmlischen Lichtes sein!

Es ist ein Glück für das rothe Haus, dass
es in Ihres Herrn Vaters Besitz kam, ich hätte
ihm so viel Ehre nicht anthun können.

Ihren Herrn Bruder [Egon Rheinberger] habe ich mir
immer noch als einen jungen Menschen
vorgestellt. Jetzt aber seche ich, dass er in allen
Stücken ein fertiger Mann ist. [41]
Melden Sie ihm Achtung und Gruss.

Wenn eben:
Mancher Mann wüsste
Wer mancher Mann wär,
Gäb mancher Mann manchem
Viel grössere Ehr.

Der Bertha [Schauer] [42] sandte ich Ansichten
der Stadt New-Jork [43]. Ich dachte, es möchte
Euch allen intressant sein.

Grüssen Sie mir Ihre liebe Schwester
Olga [Rheinberger] [44] und Bruder Ego [45]. Und Sie bitte
ich ganz besonders um Entschuldigung
und Vergessen der Beunruchigungen
die Sie erfuhren.

Herzlichen Gruss für Sie auch die
Bertha [46] und Schwestern grüsse freundlichst

A. Rheinberger [47]

Bis zum 20 t milde, so zusagen Schnee lose
Witterung. Seitdem Schnee und grosse Kälte.
Heute am 26 Jannar 20 Grad Reaumur [Réaumur]
unter 0.

______________

[1] LI LA AFRh Ha 17/01. Brief in Kurrentschrift. Vgl. das Schreiben von Emma Rheinberger an Alois Rheinberger von Weihnachten 1903 unter LI LA AFRh Ha 18.  
[2] In lateinischer Schrift.
[3] Ursprüngliche Fassung: „verstoẞen“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[4] In lateinischer Schrift.
[5] In lateinischer Schrift.
[6] In lateinischer Schrift.
[7] Seitenwechsel.
[8] Seitenwechsel.
[9] In lateinischer Schrift.
[10] In lateinischer Schrift.
[11] In lateinischer Schrift.
[12] Seitenwechsel.
[13] In lateinischer Schrift.
[14] In lateinischer Schrift.
[14] Seitenwechsel.
[15] In lateinischer Schrift.
[16] In lateinischer Schrift.
[17] In lateinischer Schrift.
[18] In lateinischer Schrift.
[19] In lateinischer Schrift.
[20] In lateinischer Schrift.
[21] In lateinischer Schrift.
[22] In lateinischer Schrift.
[23] In lateinischer Schrift.
[24] In lateinischer Schrift.
[25] In lateinischer Schrift.
[26] Durchstreichung.
[27] In lateinischer Schrift.
[28] Seitenwechsel.
[29] In lateinischer Schrift.
[30] In lateinischer Schrift.
[31] In lateinischer Schrift.
[32] In lateinischer Schrift.
[33] In lateinischer Schrift.
[34] In lateinischer Schrift.
[35] In lateinischer Schrift.
[36] In lateinischer Schrift.
[37] Seitenwechsel.
[38] In lateinischer Schrift.
[39] In lateinischer Schrift.
[40] Seitenwechsel.
[41] Seitenwechsel.
[42] In lateinischer Schrift.
[43] In lateinischer Schrift.
[44] In lateinischer Schrift.
[45] In lateinischer Schrift.
[46] In lateinischer Schrift.
[47] In lateinischer Schrift.