Emma Rheinberger an Alois Rheinberger über die Hochzeit des Bruders Egon Rheinberger, ihre Farbenvergiftung beim Ausmalen des Roten Hauses, das Leid im Leben, die finanzielle Situation der Geschwister Schauer, die Ordensschwester Maxentia Rheinberger, den Rheinberger-Stammbaum, den regenreichen Sommer wegen des Erscheinens des Halleyschen Kometen sowie die Reise der Schwester Olga Rheinberger nach Jerusalem


Handschriftliches Originalschreiben der Emma Rheinberger, Vaduz, an Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois) [1]

19.08.1910, Vaduz

Lieber Herr Vetter!

Sie werden sich
wohl fragen, ob denn die Vaduzer
alle mit nander am Ende ausgestorben,
dass sie so mäuschenstill sich ver-
halten? – Einer davon war nahe
daran, 4 Wochen lag ich krank
u. fieberig im Bett. – Es gab näm-
lich [2] vor u. nach der Hochzeit
unsrers Bruders [Egon Rheinberger] [3] so grosse Veränderung-
en u. Arbeit im roten Haus, dass
ich mich dabei vielleicht ein wenig
überanstrengt u. mir dazu noch eine
kl. Farbenvergiftung zugezogen hatte. [4]
Wir wollten nämlich mit den Bau-
ereien u. Räumereien fertig werden,
bis zur Rückkehr unsrer Hochzeits-
leutchen von der Hochzeitsreise u.
gewaltig gaben wir uns an’s Werk.
Bei der Gelegenheit stiess ich an
einen Malertopf u. 1, 2, 3 war
ich auch schon am malen u. pinseln,
damit es schneller ginge, dachte ich,
kannst du das Anstreichen so gut als
der Maler u. emsig pinselte ich d’rauf
los. – Nach dem ich mit meiner Ar-
beit aber fertig, stellten sich Ver-
giftungserscheinungen ein, welche
das Fieber geschwind über 39 ° stei-
gerten. – Es war eine furchtbar giftige Beize, welche
Einatmung Vergiftungserscheinung zeigten. [5] Doch der liebe Gott hat mich
noch einmal gnädig gerettet, ihm [6] 
sei Lob u. Dank! – Ich war sonst dies-
mal viel mehr einverstanden, dem Wil-
len – Gottes zu folgen, wenn er mich zu
sich in den Himmel nehmen wollte, –
man lernt so immer besser, immer tiefer
[7] die Armseligkeit dieser elenden
Erde erkennen, u. das viele, schmerzliche
Leid, das manh [8] einem Menschenkind
auferlegt, überzeugt es immer mehr, dass
es kein wahres Glück giebt auf
der Welt, – vergebens ringt u. strebt
das Menschenherz darnach oft Jahr
u. Tag u. vergebens, – die kurze Er-
denherrlichkeit birgt mehr Schein
als Wahrheit. – Vielleicht hat dann
der liebe Gott auch noch manches seiner
Geschöpfe dazu bestimmt, Weheres u. [9]
u. Bittereres zu tragen als viele andere,
das Kreuzlein weiter zu schleppen bis
zum Tod. – Ist es dann zu wundern, wenn
dies arme Menschenherz oft unter dem
Kreuzlein zu Boden liegt. – Thränen-
überströmt – u. fast nicht mehr weiter
kann? – Nicht körperliche Schmerzen
finde ich unerträglich, – nein viel, viel
mehr ander Erdenleid, welches viele,
o vielleicht der grösste Teil andrer Men-
schen nicht zu kosten haben. –

Doch wie geht es Ihnen, lieber Herr Vetter,
Ihren lb. Kinder u. Enkel, wie ist es
Ihnen ergangen in der langen Zeit,
dass wir schriftl. nicht bei Ihnen
waren? – Möge Sie Gott in der Zeit
gesegnet u. beschützt haben mit Ge- [10]
sundheit u. vielen Himmelsgnaden!
Wie unaussprechlich glücklich sind
doch Ihre Kinder, die Sie so lange
besitzen dürfen u. gewiss eilen sie
zu ihrem Väterchen, wann immer es
möglich, – unser Väterchen [Peter Rheinberger] ist so balde,
ach so balde [11] von uns gegangen, – oft
kommt es mir fast vor, als ob er plötz-
lich von uns verschwunden.

Bei den „roten Hauser-Rheinberger“
hat es nun ziemliche Veränderungen
gegeben, es ist d. rote Haus nun
in 2 Wohnungen u. 2 Famalien
eingeteilt, unser Bruder mit seinem
Frauchen im Obern, Olga [Rheinberger] [12] u. ich im
untern Stock. – Egon’s Frauchen ist
aber ein liebes, frommes Geschöpfchen, [13]
wir müssen dem lb. Gott dankbar dafür
sein. Sie haben es wohl selbst immer wie-
der erfahren, dass eine Gott erfüllte Frau
ein Schatz in einem Hause ist. – Es ist
eine Doctors-Tochter [14] mit edlen Lebens-
grundsätzen. – Oft denke ich, das ist
der Segen unsrer lieben Mutter [Theresia Rheinberger [-Rheinberger]], welche
unser Bruder so sehr hochgeachtet hat
stets. – Was vermag wohl der Mutter-
Segen im Himmel!

Frl. Schauer (Marie Schauer, Bertha Schauer, Ida Schauer] auf Masescha taten einen
diesen Sommer so sehr, sehr leid. Die Ältes-
te von Ihnen, Marie ist auf einmal
erkrankt an Magengeschwür u. Mag-
enblutung. Dabei hatten die Armen den
Sommer über das Haus fast voll fremde
Kurgäste. – Die Armen! – so lange [15]
sie jung u. gesund waren ging es ja
mit ihrem kl. Verdienstchen, welches
sie zu erwerben nun schon Jahr u. Tag so
eifrig bestrebt waren. Was den Armen die
Eltern [Alois Josef Schauer, Elisabeth Schauer [-Wolfinger]] zurückzulassen vermochten war
halt nicht viel. In ältern, od. gar kran-
ken Tagen, – haben wir uns mit ihnen
schon recht gesorgt, – ob [16] trotz ihrer
rührenden Entzagung der Bedürfnisse
anderer, trotz der schlichtesten Ernährungs-
weise ein Auskommen in kranken Zeiten
möglich sein wird? – Weil ihr Vater
fürstl. Beamter [17] war, schenkte er ihnen
auf Befürwortung uns. Landesverwesers [Karl von In der Maur] vor 1-2 Jahren
eine Pension von ½ fl. [Gulden] (einer Krone)
für eine jede pro Tag, also [18] 1 ½ fl.
pro Tag für alle drei. – Wir suchen jedoch über d. fürstl. Spende nicht
zu sprechen, um die Armen 3 nicht zu verletzten. [19] Sie haben ge-
weint vor Freude über diese Nachricht [20]
u. glaubten sich geborgen nun für alle
Zeit, – wir aber befürchten sehr dass
es eben in ältern u. kranken Tagen be-
zweifelt werden [21] müsse u. immer hege ich
noch die stille Hoffnung auf eine edle,
Schauers bekannte Dame in Ragaz,
welche uns einmal darauf hingedeutet,
dass sie den armen Schauerlein testa-
mentarisch etwas vermache für den
Fall ihres Todes, wenn der Dame nicht
viel möglich ist, werden die armen 3 Mäd-
chen über Weniges unsäglich froh sein,
es sind so ausserorndlich edelsinnige,
gute 3 Menschen, den Armen u. Kranken
Triesenberg’s würden sie glaube ich
mit ihrem letzten Kreuzerlein schier helfen.
Die Lebensanschauungen sind so ver-
schieden, jedoch, ob reich, od. arm [22]
muss man es immer wieder hochschätzen,
wenn man in jeder Lebenslage treu
bleibt der Bestimmung, welche uns Gott
gegeben, als er uns erschuf: „ihn zu
lieben, ihm zu dienen“, u. diese Be-
stimmung erfüllen Schauers besonders in
der Kranken- u. Armenliebe so tief.
Einen Einblick in grosse, mächti-
ge [23] Gottesliebe tat ich diesen Sommer
besonders beim Besuche einer hohen,
bewunderungswürdigen Seele, beim Be-
suche unserer Tante, der Ordensschwester
Maxentia Rheinberger (Schwester
uns. Vaters). Sie ist bald 60 Jahre im
Kloster der barmherzigen Schwestern
in Tirol u. wie ein heiliger Strahl liegt
auf ihrem Gesichtchen, – 60 Jahre lang
nur Gott [24] gedient, nur Gott [25] geliebt [26]
Das ist ein grosses Wort, – ein
reiches Leben. –

Sie erwähnten in Ihrem letzten lb.
freundl. Briefe, für den wir mit
warmen Herzen danken, gerne ein-
mal Näheres über das Herkommen
der Rheinberger zu ermitteln. Ich habe
mich, diesem Wunsche zu entsprechen
bemüht, aber leider nicht viel erreicht.
Dabei entdeckte ich 2 Stammbäume,
welcher unsrer Grossvater Rentmeister
[Johann Peter] Rheinberger zusammengestellt. Er reicht
bis 1626 [27] u. beweist, dass die
Rheinberger von unsrer Mutter Seite
mit den Rheinberger uns. Vaters (es waren
bei uns ja beide Eltern gebürtg. Rhein-
berger) nicht verwandt waren bis 1626
zurück. – So viel zu ermitteln ist, stammen [28]
die Rheinberger aus Österreich (Rank-
weil). Am letzterem Orte sind auch wirk-
lich heute noch Rheinberger. – Leider
hat der Grossvater bei der Zusammenstellung
d. Stammbaumes meistens den Geburtsort [29]
nicht angegeben, wesshalb [30] Sie
vielleicht die Zusendung nicht interessiert,
wenn den noch, schreibe ich Ihnen d. Stamm-
bäume später ab. – Zurückgehen könnte
er mit d. Rheinberger bis 1626 [31] also. –
Wir haben den Stammbaum von uns. Bru-
der als Wand-Decoration im Haus-
gang gemalt. Darunter steht das Sprüch-
lein:
„Die Alten ehre stets,
Du bleibst nicht ewig Kind,
Sie waren was Du bist.
Und Du wirst, was sie sind.“

Mit unsern Weinreblein haben wir [32]
es dies Jahr nicht recht, es wurden ihrer
in Folge des, seit etwa Mitte Juni fast
unausgesetzten Regenwetters immer weniger
u. so hat es geregnet u. geregnet,
bis man voraussichtl. im Herbst nur
mehr wenige heimholen kann. – Unge-
fähr dasselbe mag es durch das fürchter-
liche Regnen mit den andern Früchten
werden, – vielleicht ein armes Jahr.
Eine solche [33] Regnerei Tag u. Nacht weiss
ich noch nie. – Wir haben in d. Kirche
zu Vaduz das ganze Volk zusammen schon
um besser Wetter gebetet. – Die armen
Bergleute in Triesenberg, welche meist von ihrem Gras
u. Heu, also von d. Milchwirtschaft
leben, waren schliesslich gezwungen,
in der Nach bis 12 Uhr u. bis mor-
gens um 3 Uhr mit Laternen [34] zu [35]
heuen! – Ist das nicht bedauernswert?
Bei uns erlaubte es die Pfarrei schon
an vielen Sonntagen nun, wenn d. lb.
Sonne ein wenig herunter lugte, zu
heuen! – War’s denn bei Ihnen auch
so? – Ich schiebe die Schuld des ewigen
Regnens dem bösen „Halleischen
Cometen“ zu. Cometenjahre sollen
keine guten sein.

Ich hoffe nun bald mit d. Reisebeschrei-
bung nach Jerusalem m. Schwester
Olga fertig zu werden. – Ich schicke es Ihnen dann, es sind
bei uns Notizen. [36] Das Schwes-
terchen wird reiselustig, sie rüstet
sich bereits wieder nach dem Ober-
ammergauer-Passionsspiel, welches
rührend schön das Leiden – Christi
darstellen muss u. auch viele [37]
amerikanische Gäste bringt.
Mag niemand von den lb. Ameri-
ka-Rheinberger dazu kommen? –

Nun behüte u. beschütze Sie der
liebe Gott u. sei jeden Tag in
grosser Liebe bei Ihnen u. Ihren
lieben Angehörigen.

Wir Rotenhauser grüssen Sie
alle, alle in Treuen. /

Herzlich ergeben
Emma Rheinberger.

______________

[1] LI LA AFRh Ha 18. Brief in lateinischer Schrift.
[2] Durchstreichung.
[3] Heirat mit Aloisa Maria geb. Schädler am 23.5.1910. Vgl. Vaduzer Familienchronik, Bd. IV, S. 169.  
[4] Seitenwechsel.
[5] Satz nachträglich eingefügt.
[6] Seitenwechsel.
[7] Durchstreichung.
[8] Durchstreichung.
[9] Seitenwechsel.
[10] Seitenwechsel.
[11] Doppelt unterstrichen.
[12] Unterstrichen.
[13] Seitenwechsel.
[14] Tochter von Dr. Rudolf Schädler.
[15] Seitenwechsel.
[16] Durchstreichung.
[17] Fürstlicher Förster bzw. Forstinspektor.
[18] Durchstreichung.
[19] Satz nachträglich hinzugefügt.
[20] Seitenwechsel.
[21] Durchstreichung.
[22] Seitenwechsel.
[23] Durchstreichung.  
[24] Doppelt unterstrichen.
[25] Doppelt unterstrichen.
[26] Seitenwechsel.
[27] Doppelt unterstrichen.
[28] Seitenwechsel.
[29] Doppelt unterstrichen.
[30] Durchstreichung.
[31] Doppelt unterstrichen.
[32] Seitenwechsel.
[33] Doppelt unterstrichen.
[34] Doppelt unterstrichen.
[35] Seitenwechsel.  
[36] Satz nachträglich eingefügt.
[37] Seitenwechsel.