Das „Liechtensteiner Volksblatt“ kritisiert die landwirtschaftlichen Verwertungsstellen in Österreich, die sich angeblich in „Juden-Händen“ befinden, als „morgenländische Plünderungsgesellschaften“
Artikel im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1] 23.8.1918 (i) Unsere Viehverwertungsstelle In diesem Blatte und auch in den „O.N." sind in der letzten Zeit Stimmen laut geworden, [2] die sich mit unserer Viehverwertung beschäftigten. Unter anderem erboten sich auch drei Herren aus dem Oberland, die Ausfuhr unseres Viehes zu übernehmen und dem Lande dafür für jedes Stück nach dem Gewichte bestimmte Abgaben zu leisten. [3] In der letzten Nummer dieses Blattes sprach ein Einsender dem freien Handel das Wort. [4] Jeder von uns weiss im Grossen und Ganzen, aus welchen Grundsätzen unsere Zentrale [Liechtensteinische Viehverwertungsstelle] aufgebaut, jeder weiss auch, dass derselben ein amtlicher Charakter zukommt, dass es sich um eine von unserer Regierung ins Leben gerufene Anstalt handelt, die der strengen Kontrolle unserer Behörden untersteht. [5] Obwohl bisher leider noch keine Rechnungsauszüge veröffentlicht wurden, [6] ist es nicht unbekannt geblieben, da unsere Zentrale mit Erfolg arbeitet. Mancher allerdings befehdet die Viehverwertungsstelle und wieder mancher von diesen Kritikern hat sich gar nicht erst in das Wesen der Anstalt hineingedacht, bevor er zu schimpfen anfing. Zuweilen bloss aus dem Grunde, weil es sich um Neuschöpfung handelt, oder auch gar nur deshalb, weil im benachbarten Österreich die Zentralen verhasst sind, wird darauf los geschimpft. Nun ist aber gerade unsere Viehverwertungsstelle von ihren österreichischen Schwestern grundverschieden. Während unsere Stelle mit finanziellem Erfolg arbeitet, steckte der österreichische Staat z.B. der Kriegsgetreide-Verkehrsanstalt bisher viele Millionen zur Deckung der Abgänge zu. Andere österreichische Zentralen hingegen arbeiten wieder mit Profit. Das sind aber gerade jene Stellen, die dem Zentralsystem seinen schlechten Ruf verschafften. Die erwähnten Stellen befinden sich aber fast durchwegs in Juden-Händen und es ist bezeichnend, dass die Anstalten oft „morgenländische Plünderungsgesellschaften" genannt werden. - Unsere Zentrale hat mit solchen Gesellschaften aber nichts gemein als den Namen. – Wir können ruhig behaupten, dass das Bestehen unserer Zentrale eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist. Notwendig ist sie mit Rücksicht auf unsere Fleischversorgung, notwendig ist sie ferner, damit unsere Regierung für die Kompensationsverhandlungen verlässliche Behelfe besitzt und endlich deshalb, um die Abgänge unserer Landeskasse decken zu helfen. Wir halten dafür, dass unsere Viehzentrale unbedingt amtlichen Charakter auch ferner besitzen muss. Die Mitglieder der Zentrale haben sich bisher für unser Land sehr verdienstlich betätigt und es ist unerfindlich, wie man in letzter Zeit an deren Taggeldern herumnörgelt. Gibt es heute doch auch Bauhandwerker, die in der benachbarten Schweiz Löhne bis zu 15 Franken (also viel mehr als 25 Kr.) ausbezahlt erhielten. Jeder rechne zuerst aus, was es heisst, heutzutage sich in einem Gasthause zu verköstigen und er wird, wenn er ehrlich ist, zugeben müssen, dass ihm von 25 Kr. nicht mehr viel erübrigen. Es zeugt auch von einem kleinen Gesichtskreise und spiessbürgerlichen Denken, mit solchen Angriffen zu kommen. –So sehr wir bisher die Zentrale schützten, in einem gehen unsere Gedanken auseinander. Wir wünschten sehr, unsere Zentrale besorgte den Verkauf an die österreichischen Abnehmer direkt und würde so jeden Zwischenhandel ausschalten. Wir sind uns der vermehrten Arbeitslast einer derartigen Handelsweise vollbewusst, glauben aber bestimmt, dass bei einem solchen Gebahren die Früchte für den Geldsack ganz bedeutend grössere sein müssten. Aus dem Mehrerlös könnte ein Teil den Viehverkäufern, ein anderer Teil unserer Landeskasse zu Gute gebracht werden. Fassen wir unsere Ausführungen kurz zusammen, so lautet der langen Rede kurzer Sinn: Wir halten an der zentralen Bewirtschaftung unserer Viehbestände wie bisher fest, wünschen aber zum Nutzen des Landes die Ausschaltung jedes Zwischenhandels im Ausfuhrgeschäft.
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[1] L.Vo., Nr. 34, 23.8.1918, S. 2. Vgl. auch die antisemitischen Äusserungen in: O.N., Nr. 1, 4.1.1919, S. 1 („Die Geldjuden – als Sozialisten-Führer“). [2] Vgl. z.B. L.Vo., Nr. 30, 26.7.1918, S. 1 („Zum Kapitel Viehzentrale“). [3] Vgl. L.Vo., Nr. 32, 9.8.1918, S. 2 („Balzers“): Einsendung des Viehhändlers Fidel Büchel, des Triesner Schäfle-Wirten (Franz) Xaver Beck und des Albert Vogt (Balzers, Haus Nr. 6). Diese erboten sich, der Landeskassa für den Export von Schlachtvieh anstelle der 20 bis 40 Heller, welche die Viehzentrale abführte, 40 bis 80 Heller pro Kilogramm zu bezahlen, dies bei gleichen Pflichten für die Fleischversorgung und den Höchstpreis sowie ohne Bezug eines Taglohnes vom Land. Vgl. O.N., Nr. 33, 10.8.1918, S. 2 („Erklärung“); O.N., Nr. 34, 17.8.1918, S. 2 („Viehausfuhr“). [4] Vgl. L.Vo., Nr. 33, 16.8.1918, S. 2 („Oberland“): „Wäre es nicht am Platze, wenn anstatt unserer Viehzentrale der freie Handel gestattet wäre. Eine Abgabe, um der Landesnot zu steuern, könnte bei jedem Vorsteher je nach dem betreffenden Stück oder auch in Schaan bei der Brückenwage per Kg. gemacht werden. Hoffen wir, es werde in dieser Sache Wandel geschaffen.“ [5] Vgl. Art. IV der Verordnung vom 10.9.1917 betreffend weitere Notstandsmassnahmen, LGBl. 1917 Nr. 9. [6] Art. IV Abs. 5 letzter Satz der genannten Verordnung sah vor, dass die Liechtensteinische Viehverwertungsstelle über ihre Geschäftsführung in angemessenen Zeiträumen Rechnung zu legen hatte.
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