Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung, gez. Landtagssekretäre Johann Wohlwend und Wilhelm Beck sowie Landtagspräsident Friedrich Walser [1]
28.8.1919
Erstens: Regierungsvorlage: Gesetz, mit welchem in Bezug auf die Agnaten der regierenden Linie das im Fürstentum Liechtenstein herrschenden Fürstenhauses einzelne Bestimmungen des Gemeindegesetzes vom 24. Mai 1864, L.Gbl. N 4, [2] authentisch erklärt und ergänzt werden [3]
Zur Begründung dieses Gesetzentwurfes hält der als landesfürstlicher Kommissär anwesende Dr. Eduard Prinz Liechtenstein [4] folgende Rede:
„Hoher Landtag!
In einer feierlichen Stunde habe ich zum ersten Male die Ehre als Regierungsvertreter in diesem hohen Landtage das Wort zu ergreifen. Ich sage:
„In einer feierlichen Stunde“, weil Sie, meine Herren, im Begriffe stehen, ein Gesetz zu beraten, welches zwar etwas Selbstverständliches ausspricht, um dessen einstimmige ausdrückliche Anerkennung ich Sie jedoch bitte, um dadurch die Souveränität des Fürstentums und seines Fürstenhauses sowie die Zusammengehörigkeit zwischen dem Lande und diesem Hause vor aller Welt, insbesonders dem Auslande, feierlichst zu dokumentieren.
Wenn ich namens der Regierung dieses Gesetz vor Ihnen vertrete, so bitte ich Sie, in mir nicht einen Agnaten des Fürstenhauses zu sehen, sondern den Beamten des Landes, dem die Aufgabe obliegt, in diesem politisch so schwerwiegenden Augenblick die aussenpolitischen Ziele des Fürstentums nach den Befehlen des verfassungsmässig zur Vertretung des Staates in allen seinen Verhältnissen gegenüber auswärtigen Staaten berufenen Landesfürsten [Johann II.] als Oberhaupt des Staates und gemäss den von der fürstlichen Regierung ihm zukommenden Weisungen zu wahren.
Auf Grund vertraglicher Vereinbarungen mit der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie haben die k.u.k. Vertretungsbehörden die Interessen des Landes und seiner Bürger im Auslande noch müssen vertreten, [5] wodurch die staatliche Selbständigkeit des Fürstentums bis zu einem gewissen Grade ausser sichtbare Erscheinung gelangt sein mag, durch den Zusammenbruch der Monarchie und das allmähliche Aufhören dieser k.u.k. Vertretungen im Auslande musste das Fürstentum – und vielleicht ist dies für seine weitere Selbständigkeit von grossem Werte – zur Schaffung eigener Vertretungen schreiten, als welche bekanntlich die Gesandtschaften in Wien und Bern derzeit errichtet sind, während mir als Wiener Gesandten auch die Vertretung der liechtensteinischen Interessen im Deutschen Reiche provisorisch übertragen erscheint. [6] Als rangältester dieser Ihrer diplomatischen Beamten, der seinen Amtssitz in jenem Lande und an jenen Orte hat, in dem der verfassungsmässige Repräsentant des Fürstentums nach aussen, der Landesfürst, zumeist sich aufhält und wo aus den alten Vertragsverhältnissen heraus derzeit noch der Schwerpunkt unserer Wirtschaftsinteressen liegt, fällt mir vorläufig die Aufgabe zu, den Verkehr zwischen der fürstlichen Regierung und dem Fürsten zu vermitteln und jene aussenpolitischen Agenden zu besorgen, welche der Herr Landesverweser [Prinz Karl] als Chef der Regierung, der durch die sonstigen, durch die jetzige Lage gebotenen vielfachen Verwaltungsgeschäfte ohnehin mehr als genug in Anspruch genommen erscheint, rein technisch nicht allein zu besorgen vermag. [7]
Als Grundgedanke für meine diplomatische Tätigkeit schwebt mir die Absicht vor, den mir aus allen Willensäusserungen des Liechtensteiner Volkes, nicht zum wenigsten aus dem so überaus herzlichen Empfange des Landesfürsten an allen Orten anlässlich seines letzten Besuches [8] zu Tage tretenden festen Willen zum Ausdrucke zu bringen, die Souveränität, d. i. die volle staatliche Selbständigkeit des Landes trotz aller sich auftürmenden Schwierigkeiten und Anfeindungen in seiner monarchischen Regierungsreform aufrechtzuerhalten. Ich strebe hiebei weiter an, das Land aus seinen mannigfachen Vertragsverhältnissen mit der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie bei möglichster Wahrung seiner finanziellen und wirtschaftlichen Interessen derart herauszuführen, [9] dass es die volle Freiheit der Orientierung nach Ost und West erlangt, wobei ich alles vermieden sehen möchte, was unsre guten Beziehungen zu Deutschösterreich, mit welchem Staate uns langjährige Verbindungen verknüpfen und dessen Freundschaft wir auch noch weiter brauchen werden, zu stören vermöchte, wie ich hoffe, dass es meinem Berner Kollegen gelingen wird, unsere Beziehungen mit der freundnachbarlichen Schweiz, mit deren Bevölkerung uns Bande der Stammesgleichheit, der Kultur und der Wirtschaft verbinden, zu entwickeln.
Ich erachte es aber auch weiter als die Aufgabe Ihres diplomatischen Aussendienstes, der anderen Mächten Europas, insbesondere der Entente die Überzeugung beizubringen, dass unser kleines Land, das während des Krieges strikte Neutralität zu wahren sich bemüht hat [10] und welches für die Westmächte Bedeutung besitzt, weil durch dasselbe die direkte Verbindung Westeuropas nach Österreich, Böhmen, Ungarn und dem Balkan geht, [11] ein Hort der Ordnung und bei seiner monarchischen Regierungsform auch echter Demokratie ist und sein will und dass der Wunsch des Landes, welches über keine physischen Machtmittel verfügt, dahin geht, in den in Bildung begriffenen Völkerbund, in dem es einen Schirm für seine gerechten staatlichen Ansprüche erblickt, aufgenommen zu werden. [12] Bei diesen Zielen bedarf aber Ihre Aussenvertretung der einheitlichen Unterstützung von Landtag und Volk und sie legt besonderen Wert darauf, auch der parallelen Mitarbeit der Landespresse versichert zu sein, die bisher nicht immer gleiche Richtlinien verfolgt hat.
Der stärkste Ausdruck für die Souveränität eines Landes ist aber, meine Herren, zweifellos die in den Landesgesetzen zum Ausdruck kommende Souveränität seines Fürstenhauses und aus diesem Grunde habe ich die Ehre, Ihnen das vorliegende Gesetz zu befürworten.
Nach § 24 der Verfassung [13] darf ohne Zustimmung des Landtages kein Gesetz aufgehoben, abgeändert oder authentisch erklärt werden. Durch den in Frage stehenden Entwurf wird kein Gesetz aufgehoben oder abgeändert, sondern es wird lediglich authentisch erklärt, dass die Staatsangehörigkeit der Mitglieder des Fürstenhauses im Fürstentume gegeben ist, auch ohne dass dieselben das Bürgerrecht in irgend einer Gemeinde des Landes ausdrücklich erwarten.
Gestatten Sie mir, Ihnen für diese Erklärung aus der Verfassung und dem Gesetz über die Erwerbung und den Verlust des liechtensteinischen Staatsbürgerrechtes vom 28. März 1864 [14] den vollen Beweis zu erbringen. Nach § 3 der Verfassung ist die Regierung erblich im Fürstenhause Liechtenstein nach Massgabe der Hausgesetze. [15] Es kann daher jeder Agnat jederzeit berufen sein, die Regierung anzutreten, wenn dieselbe ihm nach den Hausgesetzen zufällt. Sie werden mir wohl zugeben müssen, dass die Voraussetzung für den Antritt der Regierung eines Staatsoberhauptes aus der regierenden Familie die ist, dass er das Staatsbürgerrecht im Lande besitze. Es entspricht auch der allgemeinen Auffassung und Praxis in allen deutschen Bundesstaaten und der übereinstimmenden Lehre aller wissenschaftlichen Autoren auf diesem Gebiete, dass die Agnaten eines regierenden Hauses überall als Staatsbürger des Landes angesehen werden.
Im Fürstentum Liechtenstein leitet sich diese Staatsbürgerschaft der Agnaten – wie die Ihnen, meine Herren, als Beilage zur Regierungsvorlage zugekommene Stammtafel [16] aller derzeit lebenden grossjährigen Agnaten beweist – von den gemeinsamen Stammvater, dem Gross- oder Urgrossvater derselben, dem Fürsten Johann I. ab, welcher als erster voll souveräner Landesfürst – wie wohl ausser Frage ist – das Staatsbürgerrecht im Fürstentum besessen und auf seine Deszendenz weitergeleitet hat. Offen und aktenmässig momentan nicht beweisbar ist die Frage, ob Fürst Johann I. die österreichische Staatsbürgerschaft verloren hat oder ob er sie als sogenannter „Sujet mixte“ beibehielt und ebenfalls auf seine Nachkommen vererbte. Daher spricht sich der Gesetzentwurf darüber nur insoweit aus, als er die selbstverständliche Bemerkung macht, dass das liechtensteinische Staatsbürgerrecht der Agnaten bestehe und zwar unbeschadet ihrer unverjährbaren und durch die liechtensteinische Gesetzgebung gewährleisteten Rechtes auf den allfälligen Besitz einer auswärtigen Staatsbürgerschaft. Dass dieses Recht für jeden liechtensteinischen Staatsbürger besteht, beweist § 13 des vorerwähnten Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Staatsbürgerschaft, welches von einem Verluste derselben durch Verjährung spricht, „wenn ein Staatsbürger, welcher in einem auswärtigem Staate nach den dort geltenden Gesetzen die Staatsbürgerschaft erworben hat, 30 Jahre verstreichen lässt, ohne seinen Heimatschein erneuern zu lassen“. Weil die Agnaten des Fürstenhauses nach der Verfassung jederzeit zur Regierung berufen sein können, müssen sie die Staatsbürgerschaft im Lande haben und weil sie diese Staatsbürgerschaft haben müssen, ist es eine selbstverständliche Folge, dass § 13 des Gesetzes über den Verlust der Staatsbürgerschaft auf sie keine Anwendung finden kann.
Weil nun aber die Agnaten des Hauses Staatsbürger sind, ohne das Bürgerrecht im Sinn des Gemeindegesetzes in einer bestimmten Gemeinde zu besitzen, so entfallen für sie alle an die Gemeindezugehörigkeit eines Staatsbürgers vom Gemeindegesetze geknüpften Rechtsfolgen, also der Mitbesitz an dem Gemeindevermögen und die im Gemeindegesetze enthaltene Verpflichtung, der Gemeindeversammlung beizuwohnen und eine auf ihn gefallene Wahl zu einer Gemeindefunktion anzunehmen. Nachdem es aber vorkommen kann, dass Agnaten des Fürstenhauses ihren Wohnsitz im Fürstentum haben und sie sich daher als „Niedergelassene“ in einer Gemeinde aufhalten können, so enthält das Gesetz – und in dieser Beziehung schafft es eine neue Bestimmung – den weiteren Zusatz, dass sie auch als „Niedergelassene“ von den gleichen Verpflichtungen wie als Bürger enthoben sind, ohne ihnen das Recht, sich an den Gemeindeversammlungen zu beteiligen und ihr aktives und passives Wahlrecht auszuüben, zu nehmen.
Nach den neuen Gesetzen über den Landtag ist die Verpflichtung jedes Staatsbürgers, sich an den Landtagswahlen zu beteiligen, ebenfalls an eine Strafsanktion geknüpft. [17] In dieser Hinsicht räumt das Gesetz den Agnaten keine besondere Stellung ein, weil die Regierung vermeiden wollte, Ihnen einen sich als Verfassungsänderung qualifizierenden Entwurf vorzulegen und die Angelegenheit derzeit nicht aktuell erscheint, weil ohnehin mit Ausnahme des Herrn Landesverwesers kein Agnat seinen Wohnsitz im Lande hat. Es bleibt Ihnen, meine Herren, überlassen, bei der im Zuge befindlichen und – wie ich hoffe – zu einer baldigen, im vollen Einvernehmen zwischen dem Fürsten, dem Landtage und dem Volke erfolgenden Verfassungsänderung in dieser Einsicht jene Norm zu schaffen, die Ihnen als die zweckentsprechendste erscheint. Ich will nicht in Abrede stellen, dass der vorliegende Gesetzentwurf in seiner Fassung etwas kompliziert ist, gewichtige Gründe sprechen aber dafür, ihn zu fassen, wie er gefasst ist und beschränke ich mich in dieser Hinsicht auf die Aufklärungen, die ich in der gestrigen Kommissionssitzung im Gegenstande zu geben mir erlaubt habe und die ich, wenn die weitere Debatte es erfordern würde, hier noch wiederholen kann.
Auf ein Argument möchte ich aber noch kurz reflektieren, das ist der Einwand, der gemacht werden könnte, dass bisher schon Fälle vorgekommen sind, in denen Mitglieder der fürstlichen Familie durch ausdrückliche Bewerbung um die Aufnahme in das Bürgerrecht einer liechtensteinischen Gemeinde ihre liechtensteinische Staatsbürgerschaft erlangt haben. Es liegen in dieser Einsicht zwei Fälle vor; das eine betrifft den verstorbenen Prinzen Alfred und vier seiner Kinder, [18] der andere mich, es lagen aber in diesen Fällen ganz konkrete Gründe vor. Ich habe in der letzten Zeit Einsicht in die einschlägigen Akten des österreichischen Ministerratspräsidiums und des Ministeriums des Innern genommen. Aus einer Korrespondenz zwischen dem k.u.k. Minister des Äussern und dem k. k. Ministerium des Innern Ende der achtziger Jahre über die Stellung des Fürstenhauses Liechtenstein in Österreich tritt bereits die Auffassung zu Tage, dass die Agnaten der regierenden Linie – infolge Aussterbens der anderen Linie sind sämtliche derzeit lebende Mitglieder der Familie zur regierenden Linie gehörig – die liechtensteinische Staatsbürgerschaft als Nachkommen des Fürsten Johann I. zweifellos besitzen und eine österreichische Staatsbürgerschaft nur insoweit haben, als sie durch sogenannte konkludente Handlungen den Wunsch ausgedrückt haben, diese auch zu besitzen. Es wird da als Beispiel Prinz Alois [Aloys] Liechtenstein angeführt, welcher damals einen Sitz im österreichischen Parlamente hatte und der daher wohl als österreichischer Staatsbürger anzusehen sei.
Das Gleiche gilt für den Prinzen Alfred, welcher durch viele Jahre im österreichischen Parlamente und im steirischen Landtage eine führende Rolle spielte und als dieser, gerade aus Rücksichten der Stellung der fürstlichen Familie in Österreich mit seinen beiden ältesten Söhnen und zwei unverheirateten Töchtern aus dem österreichischen Staatsverbande scheiden wollte, erwarb er ausdrücklich die liechtensteinische Staatsbürgerschaft. Ähnlich lagen die Verhältnisse bei mir, der ich österreichischer Staatsbeamter war und als solcher anders wie andere Prinzen des Hauses, die in der Armee gedient haben – wodurch ein Staatsbürgerrecht und eine Heimatzuständigkeit nicht begründet wird – die österreichische Staatsbürgerschaft zweifellos erworben hatte. Als ich für den Posten eines Wiener Gesandten in Frage kam, wollte ich zur Betonung der vollen Selbständigkeit des Fürstentums zweifellos bloss liechtensteinischer Staatsbürger sein und deswegen habe ich für mich und meine Kinder [19] – die mit gerne in diese Staatsbürgerschaft folgten – um die Aufnahme als Staatsbürger der Gemeinde Vaduz angesucht und ich benütze gerne die Gelegenheit um hier an dieser Stelle der schönen Stadt und ihren lieben Bewohnern meinen Dank auszusprechen, dass sie mir das Bürgerrecht verliehen haben, welches zu besitzen mich mit Stolz erfüllt.
Nach diesen Rechtsausführungen darf ich Sie, meine verehrten Herren, wohl bitten, dem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung nicht zu versagen. Sie werden damit eine Tat setzen, welche die Souveränität Ihres Landes nach aussen dokumentiert und werden zeigen, dass Sie sich einig fühlen mit Ihrem Fürstenhause und dass wir alle zusammen Liechtensteiner sind und Liechtensteiner bleiben wollen.“
Präsident Walser bemerkt hierauf, dass der Gesetzentwurf in der Kommission einstimmig angenommen worden sei, der landesfürstliche Kommissär Durchlaucht Prinz Eduard habe ihn soeben gründlich erklärt. Der Präsident empfiehlt dem Landtage die Annahme der Regierungsvorlage.
Der Gesetzentwurf wird hierauf einstimmig angenommen.
Regierungskommissär Landesverweser Prinz Karl dankt dann im Namen des Landesfürsten und der ganzen fürstlichen Familie herzlich für die Annahme des Gesetzes. Er sagt weiter, es wäre für die Mitglieder des Fürstenhauses höchst peinlich gewesen, die österreichische Staatsbürgerschaft jetzt abzulehnen. [20]