Maschinenschriftliches Protokoll der Zeugeneinvernahme des Landtagsabgeordneten Peter Büchel vor dem Landgericht, gez. ders. sowie Landrichter Julius Thurnher und Amtsschreiber Alois Ospelt [1]
7.6.1919
Vor dem fürstlichen Landrichter Dr. Julius Thurnher und dem Amtsschreiber Alois Ospelt.
Über Vorladung erscheint Peter Büchel, 47 Jahre alt, kath., verehl., Bauer in Mauren und gibt nach Wahrheitserinnerung als Zeuge vernommen an:
Am 5. November kam ich nach Schaan. Vor der Post hielt mich Dr. [Martin] Ritter auf und nahm mich mit in die Postkanzlei, weil er mit mir etwas zu besprechen habe. Nun führte er ungefähr dem Sinne nach folgendes aus: Wir hätten veraltete Verhältnisse, die bisherige Regierungsart passe nicht in unsere heutige Zeit, es müsse da Wandel geschaffen werden. Die Oberländer Abgeordneten seien alle einverstanden. Ihn unterbrechend fragte ich, ob es denn wirklich alle seien, ob auch Dr. [Albert] Schädler und Kanonikus [Johann Baptist] Büchel etwas davon wüssten. Dr. Ritter antwortete, diese beiden wüssten nichts. Ich fragte auch, ob Abgeordneter [Albert] Wolfinger von der Sache wisse, worauf Ritter erklärte, der tue sicher mit. Ich erwiderte, das seien doch nicht alle Abgeordneten, ich sei ein Bauer von langsamer Fassungskraft, ich müsste, um mit der Sache klar zu werden, mir alles überlegen. Dr. Ritter sprach weiter auf mich, schilderte die alten Verhältnisse und die Unfähigkeit des Baron [Leopold] von Imhof. Ich erklärte ihm aber, ich mache nicht mit, ich helfe nicht zu einem Putsch gegen den Landesfürsten [Johann II.]. Das Gespräch ging im gleichen Sinne weiter. Er redete mir immer eindringlicher zu, ich widersprach heftiger. Als Dr. Ritter dann einen Augenblick hinaus gegangen war, sprach ich mit Fritz Walser über die Sache und sagte ihm, ich könne mir die Sache nicht zu recht legen, worauf Walser meinte, alle Achtung wenn einer seine Ansicht zu vertreten sich getraue. Die beiden Doktoren (Dr. Ritter und Dr. [Wilhelm] Beck) hätten auf ihn eingeredet und er habe ihnen am Abend vorher mehr versprochen, als ihm lieb sei.
Als Dr. Ritter wieder eintrat, suchte er mich neuerdings zu bewegen, mitzumachen, war gegen mich sehr liebenswürdig, erinnerte mich an die Zeit, da ich auf meiner Hochzeitsreise ihn besucht hatte, und früher schon hatte er mir das Du angetragen. Überhaupt gewann ich den Eindruck, dass er mich durch persönliche Liebenswürdigkeit für seine Ansicht zu gewinnen trachte.
Ich liess mich aber dadurch nicht bewegen und nicht überzeugen. Da Ritter dies bemerkte, bat er mich am Schlusse der Unterredung, ich sollte wenigstens niemandem etwas von der Sache sagen. Bevor wir auseinander gingen, sagte ich ihm noch, zu einem Putsch gegen den Landesfürsten sei ich keinesfalls zu haben. Er entgegnete darauf, ich sollte am Abend noch einmal mit ihm zusammen kommen; wenn die Abgeordneten nicht mitmachen wollten, werde man sie in der Landtagssitzung am Donnerstag (7. November) einfach vor eine vollendete Tatsache stellen.
Dr. Ritter wusste also damals bereits, dass auf diesen Tag eine Sitzung des Landtages, dem er gar nicht angehört, anberaumt werde, obwohl eine amtliche Einladung hiezu gar noch nicht ergangen war.
Am Abend sagte dann Ritter zu Walser in meinem Beisein, jetzt liege die Sache anders, Imhof habe gesagt, er trete zurück. Wie ich aus dem Gespräche entnahm, hatte Dr. Beck eine Unterredung mit Imhof gehabt, bei der es sich darum handelte, den Baron Imhof zu überzeugen, es sei das beste, er trete zurück. Walser sagte, er und Ritter seien am Nachmittag beim Abgeordneten [Franz Josef] Marxer gewesen. Auf meine Frage, was der dazu sage, gab Walser zur Antwort, der sage ungefähr das gleiche wie ich.
Erst am Abend um 6 Uhr erfuhr ich amtlich durch Phonogramm, dass auf 7. Nov. eine Landtagssitzung anberaumt sei, auch die übrigen Abgeordneten wurden mit Phonogramm eingeladen. Die Tagesordnung war nicht angegeben, sondern hiess es nur, es handle sich um wichtige Angelegenheiten. Man konnte denken, es werde die Frage zur Grenzsicherung zur Sprache kommen, da damals sich der Umsturz und Zusammenbruch in Österreich bereits vollzogen hatte und wilde Gerüchte, die demobilisierten Soldaten könnten Liechtenstein überschwemmen, durch das Land gingen. Ich allerdings konnte ahnen, worum es sich handle. Der Abgeordnete Marxer dürfte nicht soviel als ich erfahren haben, da Ritter ihm gegenüber, durch meine Ablehnung stutzig geworden, vorsichtiger war. Der Abgeordnete [Karl] Kaiser erfuhr erst auf dem Wege zur Sitzung nach Vaduz, worum es sich handle. Die Abgeordneten [Johann] Wohlwend, [Johann] Hasler und [Franz Josef] Hoop erfuhren dies erst in Vaduz.
Zu anderen Landtagssitzungen erhielten wir ungefähr acht Tage vorher die gedruckte Tagesordnung zugestellt.
In der Landtagssitzung am 7. November führte Baron Imhof in längerer Rede aus, [2] dass er die Vertrauensfrage stellen müsse. Es wurde ihm dann auch das persönliche Vertrauen ausgesprochen, aber auch nur das persönliche. Er sollte nicht mehr Regierungschef bleiben. Daraufhin wurde der Vollzugsausschuss mit den Herrn Dr. Ritter als Vorsitzender, Dr. Beck und Emil Batliner [3] als Beisitzer gewählt.
In der folgenden Zeit bis zum 30. November war ich krank. Zum Teil wohl auch infolge der Aufregung dieser Tage.
Ich erfuhr dann aus den Oberrheinischen Nachrichten, bevor ich als Abgeordneter eine amtliche Nachricht erhielt, dass an 2. Dezember eine Landtagssitzung stattfinde. Bei der Ankündigung in der Zeitung stand der Satz: „Wähler erscheint in Massen“. [4]
In letzter Stunde erhielt ich eine Einladung zur Sitzung mit der Tagesordnung: Stellungnahme zu Baron Imhof. Dieser war nämlich in der Zwischenzeit vom Landesfürsten beauftragt worden, provisorisch den Posten des Landesverwesers und die Regierungsgeschäfte unter Mitwirkung der Herren des Vollzugsausschusses weiter zu versehen. [5]
Trotz meines leidenden Zustandes begab ich mich zur Sitzung nach Vaduz. Es war alles in ein gewisses Dunkel gehüllt. Eine eigentliche Landtagssitzung fand nicht statt, sondern nur eine Vorbesprechung, [6] bei der eine Resolution zur Annahme vorgelegt wurde. Dr. Ritter verlas einen Entwurf, hielt eine Rede und forderte uns auf, wir sollten wieder so einig vorgehen wie am 7. November. Ich machte dann die Ausführungen, [7] die in der Zeitung ziemlich getreu Aufnahme fand. [8] Dr. Ritter hatte vorher schon zu mir gesagt, ich solle bei dieser Besprechung nur alles sagen, was mein Herz bedrücke, in der Sitzung selbst aber sollte ich stille sein. Diese Zumutung wies ich entrüstet zurück, dass man einem Abgeordneten sich zu sagen getraue, er solle in der Sitzung stille sein, während sie im Lande herum reisten, [9] das Volk aufpeitschten und es schon jahreweis in der Presse aufgepeitscht hätten. Dr. Ritter sagte dann zu mir: Peter, ich bitte Dich, doch ja nicht an den Instinkten des Volkes zu rütteln, darauf erwiderte ich, was Instinkt, unser Volk hat Verstand und nicht Instinkt, so etwas lassen wir uns nicht bieten.
Ergänzend zu meiner Entgegnung auf die Zumutung Dr. Ritters, ich solle in der Landtagssitzung schweigen, hatte ich noch beigefügt, ich würde in der öffentlichen Landtagssitzung noch viel mehr sagen, doch wollte ich sie nicht meuchlings überfallen, wie sie uns am 7. November.
Fritz Walser leitete die Versammlung und machte dem Dr. Beck Vorwürfe, dass er durch seine Aufforderung in der Zeitung so viel Leute herbei gerufen habe. Er halte dafür, dass man keine Landtagssitzung mehr halten könne. Dr. Beck solle schauen, wie er die Leute wieder vom Platze wegbringe. Als dann die Unterländer aufmarschierten, sagte ich, die Reihen gehen gar nicht mehr aus, und zu Dr. Beck, das sind die Geister, die sie gerufen, worauf er erwiderte, die habe er nicht gerufen.
Gefertigt.