Maschinenschriftlicher Bericht des liechtensteinischen Gesandten in Wien, Prinz Eduard von Liechtenstein, gez. ders., an Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein [1]
10.10.1919, Prag
Euer Durchlaucht!
Nachdem ich vor meiner Ankunft in Prag das Telegramm [2] der Wiener Gesandtschaft vorgefunden, dass mich Minister [Edvard] Beneš sofort, wenn ich mich bei ihm melden würde, empfangen wird, wurde ich heute mittag von ihm empfangen.
Er war über die Angelegenheit des Fürstentums vollkommen orientiert, kannte die nach Paris im Mai abgegangene Note über die Neutralität [3] und wusste von den bisherigen Verhandlungen [4] über die Errichtung einer Liechtenstein'schen Gesandtschaft in Prag. Ich betonte ihm den lebhaften Wunsch des Landes, eine solche Gesandtschaft jetzt auch nach Friedensschluss ins Leben zu rufen, insbesondere aus dem Grunde, weil die wirtschaftliche Situation des Landes, welches früher auf den engen Verkehr mit der ehemaligen österreichischen Monarchie angewiesen war, unbedingt die Versorgung mit Lebensmitteln, insbesondere mit Mehl und Kohle, aus der čechoslovakischen Republik erfordere, wobei die Möglichkeit von Kompensation in Zuchtvieh gegeben sei, die wieder dem Ackerbauministerium sehr wünschenswert erscheine. Die Tatsache, dass der regierende Fürst [Johann II.] doch vielfach in der Tschechoslovakei, Feldsberg und anderen Besitzungen wohne, mache die Errichtung der Gesandtschaft doppelt wünschenswert. Die Verwaltung der bedateten [sic] fürstlichen Güter im Lande sei nunmehr in die Hände des vom Ackerbauministerium empfohlenen Zentraldirektors Krešl gelegt und die Zentralkanzlei für die fürstlichen Güter in der Tschechoslovakei sei seit dem 1. Oktober l.J. tatsächlich errichtet. Die Aufgabe der Gesandtschaft sei daher nicht die Einflussnahme auf die eng mit der Verwaltung zusammenhängenden Fragen, sondern die Pflege der wirtschaftlichen und politischen Verbindungen des Fürstentums mit der Republik und in zweiter Linie die Vertretung des Fürsten in seiner Eigenschaft als im Lande vielfach wohnenden Souveräns. -
Der Minister, der sehr aufmerksam meinen Ausführungen folgte, erkundigte sich nach der Stellung des Lande zur Republik Österreich, in welcher Hinsicht ich ihn auf die Tatsache verwies, dass der Zollvertrag momentan aufgelöst sei, [5] was eine leichte Verstimmung der österreichischen Republik zur Folge gehabt habe, da Österreich auf die Beibehaltung der Rheingrenze als Zollgrenze einen gewissen Wert lege, dass aber die Beziehungen freundschaftliche seien und an dem Abschlusse von Vereinbarungen über Grenzverkehr und Warenaustausch [6] gearbeitet wird.
Die Stellung des Fürsten als Souverän sei in Österreich vollkommen anerkannt und selbst Dr. [Otto] Bauer hat als Leiter des Staatsamtes des Äussern in allen den Fürsten betreffenden Fragen eine durchaus zufriedenstellende Haltung eingenommen. Weiters erkundigte er sich nach der Stellung des Landes gegenüber der Schweiz und nahm die Tatsache der Errichtung der Gesandtschaft in Bern [7] zur Kenntnis, sowie weiters die Mitteilung, dass das Land voraussichtlich zunächst die volle Zollfreiheit aufrecht erhalten will, um seine Bedürfnisse nach Massgabe der Möglichkeit in der Schweiz oder in den auf österreichischem Gebiete entstandenen Staaten zu decken. - Endlich erkundigte er sich eingehend nach dem Verhalten Frankreichs gegenüber dem Fürstentume, worauf ich ihm mitteilte, dass die französische Gesandtschaft in Wien eine äusserst liebenswürdige und wohlwollende Stellung einnehme, von dieser Seite sogar die Anregung gegeben wurde, den Liechtenstein’schen Gesandten in Bern eventuell auch in Paris formell zu accreditieren und dass der Gesandte Alizé [Henri Allizé] mir empfohlen habe, jetzt wo der Friede abgeschlossen sei, mich beim Minister einzufinden und die schon seit längerer Zeit schwebende Angelegenheit zu betreiben. -
Der Minister erklärte hierauf, er werde sich über die rechtliche Seite der Frage nunmehr genau informieren und insbesondere in Paris anfragen, welche Stellung dort eingenommen wird, er denke jedoch, dass der Errichtung der Gesandtschaft kein Hindernis entgegenstehe und er hoffe, mir in einiger Zeit wieder Mitteilung zukommen lassen zu können. Er nehme mit Befriedigung zur Kenntnis, dass ich jederzeit bereit sei, wenn er es wünsche, nach Prag zu kommen, wobei ich ihm vorschlug, mir durch den čechischen Vertreter in Wien Dr. [Robert] Flieder eventuell diesen seinen Wunsch mitteilen zu lassen. Insbesondere befriedigte ihn meine Mitteilung, dass ich mit Dr. Flieder in den besten persönlichen Beziehungen stünde, er sagte mir auch, dass der Präsident [Thomas] Masaryk ihn über die ganze Angelegenheit bereits informiert habe.
Ich teile dies Alles auf zuverlässigem Wege gleichzeitig Herrn Dr. [Alfred von] Baldass in Wien mit und beauftrage ihn sofort beim Gesandten Alizé anzufragen, wann er ihn empfangen könne. Er habe demselben ein nicht mit der Unterschrift des Herrn Landesverwesers unterfertigtes Exemplar des Entwurfes der nach Paris beabsichtigten Note [8] von anfangs September vertraulich zu überreichen, ihn zu informieren, dass Minister Beneš nunmehr wahrscheinlich in den nächsten Tagen in Paris sich über die Stellungnahme Frankreichs gegenüber dem Fürstentume erkundigen wird und dass ich den Gesandten Alizé bitten lasse, eventuell unter Anschluss des Entwurfes der Note, die französische Regierung zu ersuchen, eine unseren Intentionen Rechnung tragende Antwort nach Prag gelangen zu lassen. Hiebei hat Baldass ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Note nicht abgegangen sei, sondern eben nur einen Entwurf bildet, den ich der französischen Regierung vertraulich zur Verfügung stelle, weil in derselben eine Reihe von rechtlichen und historischen Argumenten enthalten sind, die die Souveränität des Landes und des Fürsten beweisen und gegen jene Ansichten sprechen, die in der Presse der čechoslovakischen Republik im Gegenstande zum Ausdrucke gelangt sind. Ich erachte diesen Vorgang für zweckentsprechend, weil ich selbst fürchte, dass die französische Regierung gewisse Schwierigkeiten haben könnte, die Prager Anfrage in dem von uns gewünschten Sinne raschestens zu beantworten.
Ich habe des Weiteren mit Minister Beneš auch die Personalfrage erörtert und zwar deswegen, weil sein Sekretär Herr Strümpl, der gewisse gute Freund vom Grafen [Hans von] Kolowrat, vor einigen Tagen mit Grafen Kolowrat hierüber eingehend gesprochen hat, ich daher annehmen musste, dass Beneš über die diesbezüglichen Projekte informiert sei. Ich sagte Beneš, dass allerdings ein Projekt bestanden habe, mich auch mit der Vertretung in Prag zu betrauen, dass ich ihn aber bitte, mir in dieser Hinsicht ganz offen zu sagen, falls die Regierung meine, dass meine Person als Mitglied der Familie nicht die gewünschte Persönlichkeit sei. Er meinte, dass ihm scheine, dass diese Wahl eine zweckentsprechende sei. Ich führte dann noch aus, dass der Fürst mit der Errichtung der Gesandtschaft einen Akt der Höflichkeit gegenüber der Republik erfüllen will und dass das Land bei seiner Kleinheit nicht allzu reich an passenden Elementen sei, ein Argument, das hier umsomehr Verständnis findet, als, wie Sekretär Stümpl mitteilt, selbst die hiesige Regierung die grössten Schwierigkeiten habe, geeignete Vertreter für auswärtige Posten zu finden. Ich sagte Beneš, dass das Land wenig akademisch Gebildete produziere, dass ich es für durchaus notwendig halte, dass der Chef der Gesandtschaft Liechtenstein’scher Staatsbürger sei und dass ich glaube, dass die Regierung doch gerne jemanden sehen würde, der im Verwaltungsgetriebe einigermassen bewandert sei und der auch eine gewisse Repräsentationsfähigkeit besitze, aus welchem Grunde eben an meine Person gedacht worden sei, als Stellvertreter hätte ich die Ernennung eventuell auch eines čechoslovakischen Staatsbürgers im Auge. Der Minister billigte dieses Projekt vollinhaltlich. -
Ich habe ihm die Person des Grafen Kolowrat nicht genannt, weil nach Mitteilungen Strümpl's die Ernennung von Kolowrat, Lobkowitz und Kinsky auf Gesandtenposten schon nahezu perfekt war und nur infolge der letzten Ereignisse anlässlich der Verhaftung mehrerer Mitglieder der Familie Lobkowitz wieder zurückgestellt wurde. - Strümpl hat Kolowrat aber sehr nahe gelegt, nicht in den diplomatischen Dienst Liechtenstein’s zu treten, weil er dann doch schwer von der čechoslovakischen Republik in Dienst genommen werden könne. Es wird also bei der Beibehaltung des gesamten Projektes doch die Namhaftmachung einer anderen Person ins Auge gefasst werden müssen.
Jedenfalls bitte ich Euer Durchlaucht, die Angelegenheit nunmehr ernstlich in Erwägung zu ziehen, sie ungesäumt Seiner Durchlaucht dem Fürsten vorzutragen und Höchstdessen Entschliessungen in der Personenfrage zu betreiben, denn wenn eine positive Antwort bezüglich der Errichtung der Gesandtschaft einläuft, so wird die Ernennung des betreffenden Leiters der Gesandtschaft nicht mehr auf lange hinausgeschoben werden können, sondern rasch erfolgen müssen.
Ich erlaube mir noch beizufügen, dass Dr. [Rudolf] Siebenschein, welchen ich heute noch in Prag sehe, nach seinen Besprechungen mit Hopser an seinem Projekt festhält, das Seiner Durchlaucht dem Fürsten übergebene Elaborat [9] in der Frage der Vermögensabgabe bei den hiesigen Überreichungsstellen so rasch als möglich zu überreichen, obwohl Prinz Franz sen. [von Liechtenstein] und Prinz Louis [Alois von Liechtenstein] gegen die scharfe Betonung der Eigenschaft des fürstlichen Besitzes als Krongutes die gleichen Bedenken haben wie ich, Bedenken, welche Graf Kolowrat, mit dem Siebenschein vor meiner Ankunft in Prag bereits hierüber konferierte, auch teilt. Ich möchte unmassgeblich meinen, dass jetzt, wo Minister Beneš eine Stellungnahme von Paris zu provozieren scheint, mit der Überreichung dieser Siebenschein’schen Eingabe durch den auch von Siebenschein noch nicht fix ins Auge gefassten Zustellungsbevollmächtigten, dem auch er einen gewissen diplomatischen Charakter geben möchte, doch zugewartet werden soll, bis die Gesandtschaft zugelassen ist und dadurch dieser Zustellungsbevollmächtigte von selbst gegeben erscheint.
Vielleicht wird bis zur Rückkehr Seiner Durchlaucht nach Wien die erste Frage geklärter sein und wird es dann noch immer Zeit sein, das Siebenschein'sche Projekt weiter zu verfolgen, wenn die Antwort der čechoslovakischen Regierung noch nicht erfolgt wäre oder Anzeichen vorliegen, dass sie negativ ausfällt.
Eine Abschrift dieses Berichtes geht auch an die fürstliche Gesandtschaft nach Wien (Dr. Baldass), Prinzen Louis nach Ullersdorf und Grafen Kolowrat. [10]