Maschinenschriftliches Schreiben des liechtensteinischen Gesandten in Wien, Prinz Eduard, gez. ders., an die liechtensteinische Regierung, mit zwei Nachträgen [1]
30./31.10.1919, Wien
Gegenstand:
Accreditierung des Geschäftsträgers bei der Schweizer Regierung [Emil Beck] [bei der französischen Regierung] in Paris.
Ich erhalte soeben nachstehendes Telegramm vom 30. ds. Mts. der Berner Gesandtschaft:
„Ist Accreditierung in Paris schon anhängig oder kann Schweiz Interessenvertretung für einige Monate übernehmen? Schweiz hat auf diesbezügliche inoffizielle Anfrage in Paris inoffizielle Zustimmung erhalten. Drahtantwort." [2]
Ich habe Berner Geschäftsträger keine Antwort gegeben, da ich in einer so schwerwiegenden Angelegenheit den Entschlüssen der fürstlichen Regierung nicht vorgreifen will und möchte mir nur erlauben nach eingeholter Zustimmung Sr. Durchlaucht des Fürsten [Johann II.] die Gesichtspunkte, denen zu folge ich seinerzeit die Accreditierung eines eigenen liechtensteinischen Vertreters in Paris in der Person des liechtensteinischen Geschäftsträgers in Bern angeregt habe, nochmals auseinanderzusetzen.
Wenn meinen Anregungen dortseits entsprochen würde, sollte Dr. Beck den Auftrag erhalten bei der Schweizer Regierung die Entscheidung zu urgieren, ob dieselbe geneigt sei, die Vertretung des Fürstentumes in allen jenen Staaten, wo dasselbe nicht selbst Gesandtschaften errichtet, zu übernehmen. [3] Diese Übernahme durch die Schweiz wäre, abgesehen von der Wahrung der Interessen unserer im Auslande lebenden Staatsangehörigen deshalb von der grössten Bedeutung für das Fürstentum, weil die staatliche Selbständigkeit desselben [4] durch Loslösung seiner Vertretung von den österreichisch-ungarischen Missionen sichtbar zum Ausdruck käme und so allen gegnerischen Behauptungen, welche es als Annex Österreichs hinstellen wollen, die Spitze genommen würde. Gleichzeitig regte ich bei der fürstlichen Regierung an, Dr. Beck zu fragen, ob er geneigt wäre sich auch bei der französischen Regierung accreditieren zu lassen, eine Anfrage, die mit Telegramm der fürstlichen Regierung vom 16. ds. Mts. [5] prinzipiell bejaht wurde.
Bezüglich Schaffung einer selbständigen liechtensteinischen Mission in Paris ging ich von folgenden Gesichtspunkten aus:
Das Fürstentum ist für seine wirtschaftliche Existenz auf die Produkte der cechoslovakischen Republik nicht nur für heuer, sondern wohl noch für lange Zeit angewiesen; die Schwierigkeiten dieselben im Kompensationswege zu erlangen, sind aber wie die laufenden Verhandlungen beweisen, so grosse, dass deren Überwindung nur dann möglich erscheint, wenn ein ständiger liechtensteinischer Vertreter in Prag [6] ununterbrochen die in Betracht kommenden cechoslovakischen Ämter beeinflusst und wenn gleichzeitig von Seiten der Entente in einer dem Fürstentume günstigen Richtung auf die cechoslovakische Regierung in der Richtung eingewirkt wird, dass die Versorgung der Ernährung der Bevölkerung Liechtensteins ein Gebot der Menschlichkeit ist. Beides scheint mir aber nur dann möglich, wenn ein selbständiger liechtensteinischer Vertreter in Paris accreditiert wird. Dessen Aufgabe wird es sein, in den massgebenden Regierungskreisen Frankreichs eine Stimmung zu schaffen, welche den Wünschen des Fürstentumes günstig ist und jene Antwort auf die Anfragen der cechoslovakischen Regierung zeitigt, welche den vitalen Bedürfnissen des Landes entspricht bezw. die Bemühungen des liechtensteinischen Vertreters in Prag entsprechend fördert. Ohne eine derartige Beeinflussung der Pariser Regierung und durch diese der Prager Regierung dürfte jedoch die Schaffung einer fürstlichen Gesandtschaft in Prag kaum durchzuführen sein, da - wie ich bei meinem letzten Aufenthalt in Böhmen auf Grund von Mitteilungen über vertrauliche Weisungen der sozialdemokratischen Partei an ihre Mitglieder feststellen konnte - in der cechoslovakischen Sozialdemokratie eine ausserordentlich starke Strömung besteht, welche erklärt, man dürfe dem Fürsten Liechtenstein keinesfalls den Gefallen tun, ihm die Errichtung einer Gesandtschaft in Prag zu gestatten. Selbst wenn es aber gelingt, dieselbe ins Leben zu rufen, wird deren Tätigkeit den grössten Schwierigkeiten begegnen, wenn nicht von Seiten der Entente auf die cechoslovakische Regierung dahin Einfluss genommen wird, dem Kompensationsverkehr mit dem Fürstentume nichts in den Weg zu legen, sondern ihm mit dem nötigen Wohlwollen zu begegnen. Eine derartige Einflussnahme der Entente ist aber wieder nur dann möglich, wenn die Stimmung derselben gegenüber Liechtenstein ununterbrochen wach erhalten und gefestigt wird und dies kann wiederum nur durch einen eigenen liechtensteinischen Vertreter in Paris geschehen.
Es ist richtig, dass die Vertretung Liechtensteins bei der französischen Regierung auch [durch] die Schweizer Gesandtschaft erfolgen kann. Fraglich ist aber, ob der Schweizer Gesandte, der durch die Geschäfte seines Landes, namentlich in der nächsten Zeit, sehr intensiv in Anspruch genommen werden dürfte, über die genügende Zeit, das Interesse und die notwendige Kenntnis der Verhältnisse verfügen wird, um sich für das Fürstentum mit jener Energie einzusetzen, welche in Anbetracht der schwierigen Situation des Landes nötig ist, und wie ich sie bei einem eigenen liechtensteinischen Vertreter als selbstverständlich voraussetze. Dies ist die Ursache, warum ich für Frankreich als den massgebendsten Staat der Entente nicht an die Vertretung durch die Schweizer Mission, sondern an die Accreditierung des fürstlichen Geschäftsträgers in Bern gedacht habe.
Ein besonderer liechtensteinischer Vertreter in Paris scheint mir noch aus einer anderen Ursache derzeit notwendig, und zwar wegen der Aufnahme des Fürstentumes in den Völkerbund. Ich habe das ausgezeichnete Gutachten, in dem der schweizerische Bundesrat seine Stellungnahme für den Anschluss an den Völkerbund präzisiert und dessen Ankauf in mehreren Exemplaren ich dringend empfehle. („Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung", Bern, Druck von Stämpfli & Cie 1919) [7], eingehend studiert und bin zu dem Resultate gelangt, dass die Vor- und Nachteile, die er im Beitritt zum Völkerbunde erblickt, für Liechtenstein ebenso gelten wie für die Schweiz. Die Vorteile liegen darin, dass durch den Beitritt zum Völkerbunde die staatliche Souveränität und Integrität des Fürstentumes garantiert würde, und dass die wirtschaftliche Lage eines Kleinstaates, insbesonders bei einem Kriege des Bundes gegen einen sogenannten Friedensbrecher [8] ungleich besser wäre, als wenn es dem Bunde ferne bliebe. Die eventuellen Nachteile liegen darin, dass das Fürstentum gezwungen sein könnte, ein Kontingent zur exekutiven bewaffneten Macht des Völkerbundes zu stellen. Die Schweiz will dies vermeiden, indem sie die Anerkennung ihrer, durch den Wiener Kongress begründeten immerwährenden Neutralität [9] durch den Völkerbund anstrebt. Die Politik des Fürstentumes müsste in dieser Beziehung vollkommen parallel mit der der Schweiz gehen; wenn seine Neutralität einer ähnlichen völkerrechtlichen Begründung auch entbehrt, wird sie infolge der Kleinheit des Landes und des Fehlens jeder Armee hoffentlich zur Anerkennung zu bringen sein, wenn es auch nicht abgeleugnet werden darf, dass der Völkerbund eine exceptionelle Behandlung eines seiner Mitgliedstaaten grundsätzlich ablehnen dürfte. Die Gefahr, dass Liechtenstein ebenso wie die Schweiz bei einem Kriege Frankreichs bezw. des Bundes mit Österreich Kriegsschauplatz wird, ist aber so gross, dass wohl zu erhoffen ist, dass man auch Liechtenstein immerwährende Neutralität zubilligt. Ausserdem habe ich aber den Ausführungen des Gutachtens entnommen, dass die Ursachen, warum das Fürstentum nicht ursprünglich zum Beitritt aufgefordert wurde, die selben sein dürften wie bei Monacco, nämlich des Fehlen einer selbständigen ausländischen Vertretung. Monacco, das durch Frankreich im Auslande vertreten wird, wurde seither durch dieses zum Völkerbunde bereits angemeldet; Liechtenstein wurde bisher durch Österreich-Ungarn vertreten und könnte daher, so lange nicht seine Vertretung durch eine andere Macht übernommen wird, nur durch dieses, das selbst erst nach Ratifizierung des Friedens auf Grund 2/3 Majorität der ursprünglichen Mitglieder des Völkerbundes in denselben aufgenommen werden kann, angemeldet werden. Die Frage der Anmeldung wäre allerdings gelöst, sobald die Schweiz die Vertretung Liechtensteins im Auslande übernimmt; die Verhandlungen bezüglich der Aufnahme werden aber so viele Arbeit beanspruchen, dass, wenn der Schweizer Gesandte in Paris ausser seinen Schweizerischen Geschäften noch die Verhandlungen des Fürstentumes wegen dessen Aufnahme in den Völkerbund sowie die Beeinflussung der französischen Regierung wegen der schwebenden cechoslovakischen Fragen durchführen soll, dies nicht nur eine ganz ausserordentliche Mehrbelastung desselben darstellt, sondern auch die Gefahr besteht, dass, ohne dem guten Willen des Schweizer Gesandten nahetreten zu wollen, die Interessen des Fürstentumes nur cursorisch behandelt und damit in eventuell verhängnisvoller Weise geschädigt werden, zumal die Schweiz in Vertretung ihres Standpunktes der immerwährenden Neutralität nur behindert wird, wenn es dieselbe Begünstigung für einen zweiten, wenn auch kleinen Staat zu vertreten gezwungen ist.
Ich weiss nicht, ob die inoffizielle Anfrage Dr. Beck's, ob die Schweiz geneigt sei, die Vertretung Liechtensteins in Paris zu übernehmen und ob dies der Pariser Reg. genehm wäre, über Auftrag der Regierung oder aus eigener Initiative erfolgte. Ich glaube jedoch, dass, wenn die fürstliche Regierung zu dem Schlusse kommt, dass es opportun sei, in Paris eine eigene fürstliche Vertretung zu schaffen, sich diese Anfrage ohne Froissierung der Schweizer Regierung wird redressieren lassen, da bei einigermassen geschicktem Vorgehen die Anfrage wegen Paris ohne Schwierigkeit in die Anfrage wegen Übernahme der Vertretung in allen jenen Ländern, wo eigene fürstliche Missionen nicht errichtet werden, übergeleitet werden kann. Die Verhandlungen, wegen Accreditierung in Paris dürften am Besten von mir geführt werden, da ich schon seinerzeit mit [Henri] Allizé inoffiziell diesbezüglich in Fühlung getreten bin. Ich habe von Seiner Durchlaucht den Auftrag bekommen, sobald die unmittelbar bevorstehenden Verhandlungen mit Österreich wegen Warenaustauschverkehres [10] zur ersten Sitzung geführt haben, zur mündlichen Erörterung dieser Angelegenheiten und behufs Besprechung weiterer Fragen nach Vaduz zu fahren und soll dann von dort aus als Spezialgesandter des Fürsten nach Paris fahren, um dort eventuell die Accreditierung Dr. Becks's bei der französischen Regierung mündlich zu betreiben, die Verhandlungen wegen Aufnahme des Fürstentumes in den Völkerbund in die Wege zu leiten und die französische Regierung bezüglich der Verhältnisse in der cechoslovakischen Republik im liechtensteinischen Sinne zu beeinflussen.
Ich beantrage in diesem Sinne Dr. Beck zu orientieren, welchem ich eine Abschrift dieses Berichtes und nachstehendes Telegramm heute zugehen lasse:
„Schriftliche Beantwortung Telegrammes erfolgt durch heutigen Kurier. Weisungen kommen von Vaduz."
Der fürstliche Gesandte:
Nachtrag vom 31. Oktober 1919
Ich habe heute die Angelegenheit noch eingehend mit Prinz Franz sen. erörtert, der mit Recht besonderen Wert darauf legt, eine Froissierung der Schweizer Regierung zu vermeiden. Dieselbe kann aber wohl vermieden werden, wenn darauf hingewiesen wird, dass ich als fürstlicher Spezialgesandter nach Paris gesendet werde, um die völkerrechtliche Stellung des Fürstentumes und seine Aufnahme in den Völkerbund zu erörtern. Ebenso wird die Schweizerische Regierung gewiss Verständnis dafür haben, wenn betont wird, dass das Fürstentum glaubt bei einem der Ententestaaten eine eigene Vertretung errichten zu sollen, dass dafür - schon mit Rücksicht auf die Nähe von Bern und das Verhältnis von Frankreich und Prag - Paris am Meisten in Betracht kommt, und dass Liechtenstein der Bundesregierung dankbar wäre, wenn sie die Vertretung des Fürstentumes in den anderen Staaten übernimmt, nach Aufnahme Liechtensteins in den Völkerbund und Regelung der jetzt schwebenden Fragen eventuell auch in Paris. Überdies glaube ich, dass, falls Dr. Beck über die ihm von der fürstlichen Regierung erteilten Aufträge in dieser Frage hinausgegangen sein sollte, dies der Schweizer Regierung ganz gut zu erkennen gegeben werden kann.
Der fürstliche Gesandte:
Zweiter Nachtrag vom 31. Oktober 1919
Prinz Franz sen. hatte heute im Gegenstande eine Unterredung mit dem Botschafter Grafen Mensdorff [Albert von Mensdorff-Pouilly-Dietrichstein]. Dieser meint, die Vertretung Liechtensteins durch die Schweiz in Paris sei günstig. Es liegen auch Anzeichen vor, dass in Prag in erster Linie England einen Einfluss ausübe und wir in England vorgehen müssen. Nach Rücksprache mit Seiner Durchlaucht dem Fürsten bitte ich, den vorstehenden Bericht, den ich wegen Kurierabganges nicht mehr weiter ergänzen kann, zur Kenntnis zu nehmen und weitere Mitteilungen abzuwarten. Dr. Beck in Bern wäre einstweilen lediglich anzuweisen, falls er überhaupt der schweizerischen Regierung gegenüber eine Erklärung abgeben muss, sich dahin zu äussern, dass ihm eine Information noch nicht zugekommen sei, was bei den Verkehrsverhältnissen mit Wien und der Unmöglichkeit, mangels Chiffre alles telegrafisch zu erledigen, leicht erklärlich sei. [11]
Der Fürstliche Gesandte: