Artikel in den „Oberrheinischen Nachrichten" [1]
12.5.1920
Die grosse Volks-Demonstration vom 9. Mai 1920 in Vaduz, ein historischer Tag
In der, „Au"-Bündt in Vaduz fand sich gestern das „kleine Häuflein" zusammen, das eine aus Landesbürgern bestehende Regierung verlangt. Es waren über 1000 Mann [2] dort versammelt. -
Am Morgen, machte der Himmel noch ein griesgrämiges Gesicht und sandte befruchtenden Regen nieder. Fast schien es, als ob der Tag zu einer Landsgemeinde aller Freunde einer einheimischen Regierung nicht gut ausgewählt sei. Es sollte anders kommen. Die Triesenberger, gegen 150 Mann, ungerechnet jene, die allein nach Vaduz gingen, sammelten sich bei der Kirche in Triesenberg und auf dem Wege nach Triesen. Mit klingendem Spiele zogen die freien Walser vom Berge zu ihren Mitbürgern im Tale. Ob Triesen sandten sie ihren Mitbürgern und politischen Freunden Musikgrüsse ins Tal. Auf der Landstrasse in Triesen vereinigten sich die Triesner, Balzner und Berger.
Die Balzner hatte die Musik von Triesen abgeholt und sie zogen um ½ 2 Uhr in Triesen ein. Ergreifend war es zu sehen, wie 70-80-jährige Männer in Silberhaaren sich mit Fuhrwerken dem Balzner Zuge angeschlossen hatten. Mit sichtlicher Freude nahmen sie an allem Anteil. Uns ergriff es völlig, als wir sahen, wie alte Männer sich zu den von der Partei verfochtenen Forderungen bekannten. [3] Wohlan, unsere Bestrebungen sind nicht nur auf ein Häuflein oder ein paar Hitzköpfe begründet.
Von Triesen aus marschierten die vereinigten Bürger der drei grossen oberländischen Gemeinden unter den Klängen der beiden Musiken hinab gegen Vaduz. Es war ein gewaltiger Zug und man sah es jedem auf dem Gesichte an, dass heute der Tag für „Liechtenstein den Liechtensteinern" ist, wie es auf einem Täfelchen hiess. Bei der „Au" schlossen sich noch viele Mitbürger aus andern Gemeinden des Landes dem Demonstrationszuge durch Vaduz an. Immer mehr schwoll der Zug durch Vaduz an.
Schon vorher waren die braven Unterländer gegen 200 Mann stark in Vaduz eingezogen. Sie marschierten dann durch Vaduz und schlossen sich grösstenteils auf dem Spanibüchel dem Zuge hinter der Berger Musik an. Flott marschierten sie im Zuge mit und zeigten, dass viele Unterländer mit dem Vorgehen einiger Herren bei ihnen unten und im Oberland nicht mehr einverstanden sind. Es hat, um es hier schon zu sagen, einen vorzüglichen Eindruck gemacht, dass sich Oberländer und Unterländer so gemeinsam zu einer ihr Heimatland berührenden Frage zusammen gefunden haben. Das Unterland und Oberland - vereint sollen sie sich ein eigenes Heim aufbauen, in dem ein Fremder kein Hausrecht haben soll und darf.
Manche Gruppen schlossen sich auch noch gegen den „Löwen" hin an den Zug oder ordneten sich ein. Der flotte Demonstrationszug schwenkte beim „Löwen" durch die Egertenstrasse dem Alten Bach zu und von dort wieder zum „Kirchthaler" und auf die Landstrasse hinaus ging es mit klingendem Spiele zur „Au"-Bündt. So mancher Gegner schaute verstohlen, verärgert und doch erstaunt auf das angeblich kleine „Häuflein" Leute, das sich nicht mehr vogten lassen will. Bei der „Au" warteten wieder Hunderte auf den Zug. Mehrmals und auch von Gegnern - sogar holde Damen besorgten es - wurde der Zug abgezählt. Die höchste Zahl der Teilnehmer am Zuge bei der „Au" betrug über 900 Mann aus allen Landesgauen. In der „Au"-Bündt hingegen waren weit über 1000 Mann versammelt.
Auf dem Platze sprachen nun mehrere Redner. Parteiobmann [Anton] Walser[-Kirchthaler] begrüsste die zahlreich Erschienenen und legte ihnen Zweck und Bedeutung der heutigen Volksversammlung auseinander. Er begrüsste vor allein jene die mit uns in d. Landesverweserfrage einig gehen, auf das Herzlichste, er begrüsste auch die Gegner, die unsere Aufklärung hören wollen. Er wies darauf hin, dass der heutige Tag ein geradezu historischer sei. Jahrzehnte, ja ein Jahrhundert sei es nicht mehr vorgekommen. Man fand es draussen nicht mehr für zeitgemäss, dass wir uns selbst regieren, sondern man sandte uns Fremdlinge her. Ein altes Sprichwort sage: Die Geschichte ist die beste Lehrmeisterin und die Geschichte unseres Landes ist für uns heute die beste Lehrmeisterin. So habe sich denn in unserem Volk der feste Wille gebildet, eine Regierung aus eigenen Bürgern - und nicht mehr aus Fremdlingen. Eigenregierung, nicht Fremdlingsregierung! Redner wies auf die ungeheure Tragweite der Lösung der Landesverweserfrage für unser Verfassungs- und Wirtschaftsleben hin, die leider oft vom Einzelnen nicht genügend eingeschätzt werden könne. Auf die Unkenntnis, ja die Einfalt unserer guten Leute spekulieren die Gegner. Der Obmann lud jeden zu freier Aussprache im Rahmen von Ruhe, Friede und Ordnung ein, und kein Redner soll den Gegnern Anlass geben, dass sie wieder ausschlachten können, wir hätten über Fürst [Johann II.] und Religion abfällig gesprochen. Reicher Beifall lohnte die schönen Ausführungen, die wir leider nur in Kürze wiedergeben.
Hierauf führte Herr Reallehrer [Gustav] Schädler u.a. aus:
Geehrte Landsleute, freie Bürger!
Wenn heute ein Fremder in Liechtenstein ist und vielleicht jetzt von einer Höhe zu uns herabschaut, so wird er sich wohl fragen:
Wer sind all die Männer, die da unten trotz des zweifelhaften Wetters, trotz der schwarzen Wolken zusammenströmen?
Was bedeutet das klingende Spiel, was der Ruf der Trompeten?
Und was will das versammelte Volk aus allen Teilen des Landes?
Sind diese Männer Aufrührer?
Bläst die Trompete zum Kampf?
Vergisst das Volk die Ordnung?
Wir würden dem Fremden antworten:
Nein, all das nicht!
Diese Männer sind ruhige Leute, aber es sind freie Bürger.
Der Hörnerklang verkündet Ruhe und Frieden im Lande, aber einen festen Willen.
Das versammelte Volk will das, was es andernorts auch hat: es will sich selbst regieren.
Was ist das Volk eigentlich - alles!
Was war es bisher - nichts!
Was will es sein - etwas! [4]
Liebe Mitbürger!
Die Art und Weise, wie die Landesverweserfrage von einer Seite gelöst werden möchte, muss einen patriotischen Liechtensteiner beleidigen.
Ein Regierungsvorsitzender muss nicht nur Kenntnisse besitzen, er muss vor allem das Vertrauen jener besitzen, die er regieren soll. [5]
Erschütterung des Vertrauens der Bürger.
Versprechen, die Verfassung in 6 Wochen. [6] Dieses Gelöbnis ein lauttönendes Nichts. Ein Abgeordneter, der, gestützt auf die beschworene Pflicht, ganz im Rahmen der Gesetze und vollkommen in parlamentarischen Formen, sich eines gegebenen Versprechens zu erinnern wagte, wurde nach dem berüchtigten Rezepte der vier letzten Mittel einfach als fürstenfeindlich besudelt. Man tat ihm schwer Unrecht.
Heute kursiert nun das Märchen von einer provisorischen Anstellung des Hofrates Dr. [Josef] Peer. Wer an dieses Provisorium glaubt, ist ein politisches Kind. Wir haben kein Vertrauen.
Allein schon das Vorgehen bei der Inspiration der Kandidatur ist alles weniger als Vertrauen erweckend. Das ganze Land, der ganze Landtag, das ganze Volk durfte nichts wissen von den Vorbesprechungen. [7] Der Plebs wird es dann schon erfahren. Dergleichen Begriffe vom Frieden im Lande wirken im Volke deprimierend. Wenn ich einem Gegner wirklich die Hand zum Frieden biete, so werde ich ihn doch nicht mit Ohrfeigen gewinnen und das Vertrauen erschüttern.
Sie alle haben seinerzeit den Fall jener hohen Mauer zur Kenntnis genommen, die gar lange Fürst und Volk trennte: die Hofkanzlei, und grosse Freude herrschte, als letztes Jahr der greise Monarch nach langer Abwesenheit zu uns kam. [8] Viele durften dem Landesfürsten Wünsche vortragen, ihr Herz ausschütten, aber wieder wirkte es deprimierend, dass neue Mauern sich auftürmen möchten zwischen dem Staatsoberhaupte und uns Bürgern. Und diesen Mauern: ihnen gilt unser Misstrauen.
Und ich frage: Ist etwa unsere seinerzeitige Wirtschaftsehe mit der nun seligen Donaumonarchie, der Umstand, dass unsere ganze Mitgift, über 20 Millionen auf Nimmerwiedersehen im Osten, weilt, geeignet, uns Vertrauen zu einer neuerlichen Verlobung einzuflössen? Gewiss nicht!!
Viele ältere Leute stehen vor der Türe des Armenhauses. Wären nur einige Millionen drüben - Einlösung zu 30-40. [9]
Märchen, dass der Fürst die Kronen mit Franken einlöse. - Prinz Eduard hat in Schaan erklärt, der Fürst könne es nicht. Die Forderung der Einwilligung zu Peer ist hinfällig.
Abermals wirkt es deprimierend, dass mit solcher Bauernfängerei gearbeitet wird. Unser Vertrauen gewinnt man so nicht.
Man spricht vom Lawenawerk und verhehlt sich nicht mehr, dass es 50, 60, 70 Millionen Kronen koste. Das Volk wollte es anno 1913. [10] Wer wollte es denn nicht? Ein Ausländer an der Spitze der Regierung! [11] 800’000 Kronen damals, und heute? Und wer trägt die Hauptschuld an der berühmten Lebensmittelschuld in Zürich? [12] Es ist wieder ein Ausländer an der Spitze der Regierung! Zusammen also heute mehr als 100 Millionen!
Diese Riesensumme verschusterte 100 Millionen - erweckt das Vertrauen?
Weiter: Unsere lieben Nachbarn, im Norden wollen sich dem wirtschaftlichen gesunden Staatswesen im Westen zuwenden. Uns aber will man wieder fest an Österreich ketten, trotzdem die einzelnen Glieder Österreichs durch ihr Handeln warnend abraten. Ist etwa dieses Moment Vertrauen erweckend?
Aber noch mehr: Die Inkonsequenz mancher Stellen ist direkt auffällig.
Gemäss fürstlicher Anordnung vom 14. Mai 1915 kann ja der Sekretär die Regierung besorgen: [13] er kann sogar, ohne Jurist sein, Staatsanwaltschaft besorgen. Heute heisst es nun: wir haben keine Regierungsfähigen.
Bringt Ihnen eine solche Logik Vertrauen bei?
Und wenn wir Aufnahme in den Völkerbund erhoffen, glauben Sie, es sei förderlich, wenn man in Paris erfährt, nicht nur
- das Landgericht in Vaduz,
- das Appellationsgericht in Wien,
- die politische Rekursinstanz in Wien,
- das Oberlandesgericht in Innsbruck sei in den Händen von Ausländern, [14] sondern auch die Regierung sei eine fremde?
Ist da Vertrauen zu erhoffen?
Mitbürger, und Ihr besonders, alte, graue Liechtensteiner, sagen wir alle: Zum alten System haben wir kein Vertrauen mehr!
Pause!
Vertrauen haben wir nur zu einer aus Landesbürgern bestellten, parlamentarischen Regierung!
Ein Liechtensteiner als Vorsitzender ist mit Land und Leuten verbunden; er hat hier Familie, Verwandte und Vermögen. Nach drei Jahren kann er wiedergewählt oder aber ein anderer gewählt werden. Darin finden wir eine Respektierung des Volkswillens. Die Regierungsgewalt soll nicht auf einen Mann allein gestellt sein wie bisher, sondern auf ein Dreierkollegium. Der Regierungschef soll ähnlich wie der Vorsteher in den Gemeinden nur ausführendes Organ sein. Die Regierungsmitglieder können sich gegenseitig kontrollieren und der Vorsitzende kann nicht mehr einen so übermächtigen persönlichen Einfluss gewinnen. Die Verwandtensippe sei überhaupt nicht zu fürchten. Es gebe aber viel gefährlichere Sippen zu bekämpfen!
Bezüglich ihres Vertrauens solle die Regierung das Volk anfragen und sie habe überhaupt mehr mit dem ganzen Volke Fühlung zu nehmen. Andere Regierungen, so z.B. Schweizer Bundesräte scheuen sich nicht, dem Volke in den Dörfern draussen Aufschluss zu geben. In Deutschland und Österreich sei dies heute auch der Fall, warum aber bei uns nicht? Fort mit diesem Kastenstandpunkt!
Wenn alles auf einen Kopf gestellt sei, wie bei dem heutigen verfehlten und von uns bekämpften System, so sei das zugleich für einen Mann eine zu grosse Verantwortung. Auf der ganzen Welt habe man Arbeitsteilung, nur in Liechtenstein wolle man nichts wissen. Wir verlangen Arbeitsteilung bei der Regierung, nur dann kann richtig regiert werden. Im Auslande habe man zu diesem Zwecke Ministerien für verschiedene Abteilungen (und in Liechtenstein bietet man Hand zu einem Verwaltungsdespotismus! D.R. [Die Redaktion]) Das gesamte Volk und der Landtag, nicht nur einige Auserwählte, sollen einen entsprechenden Einfluss auf die Regierung haben. Die Haltung des Auslandes solle denn doch mindestens ein Fingerzeig hier sein. Ein Ausländer kann nicht begreifen, dass wir noch ausländische Vögte haben sollen. Wozu auch?
Hinsichtlich Dr. Peer führte Redner noch aus: Wenn der Mann ein so geeigneter Mann zur Durchführung der Währungsreform sei, dann solle er diese Arbeit in Österreich besorgen, dann sei auch unsern minderwertigen Kronen geholfen! Es sei schade, dass der Mann nicht da sei: sonst könnte er angesichts der Masse Gegner, die von ihm absolut nichts wissen wollen, nicht mehr ins Land hereinkommen. Zudem seien noch weit mehr als 100 Bürger heute abwesend, die mit uns in dieser Sache völlig einig gehen. Es muss gar kein Jurist an die Regierung kommen. Auch ein Nichtjurist kann diese Geschäfte mit den andern Regierungsräten besorgen. So amtiere als Landeshauptmann in Tirol ein früherer Bäckermeister [15] und als Landesammann von Glarus ein Industrieller. [16] Das Volk sei zufrieden. Wir verlangen nur einen richtigen weitsichtigen und intelligenten Mann - nicht mehr.
Ein Ausländer wie Dr. Peer ist stimm- und wahlunfähig und der soll über uns stimm- und wahlfähigen Bürgern stehen? Nie und nimmer. Zudem, wozu brauchen wir demokratische Monarchisten einen Republikaner über uns? Soll er uns etwa Fürstentreue lehren? Dr. Peer ist und bleibt im Herzen doch Österreicher und will sich als österreichischer Beamter den Weg zur Rückkehr nach Österreich sichern. Diese Absicht muss ihm im Amte hinderlich sein und kann uns nichts taugen. Wenn man schon einen Ausländer will - wir wollen aber keinen mehr - berufe man einen aus der benachbarten Schweiz, wo Ordnung, Wohlstand und Ruhe herrschen. Warum verfährt man denn so einseitig? Wir wollen aber überhaupt einen Ausländer nicht mehr und protestieren dagegen.
Wir sind Patrioten, echte Liechtensteiner. Soviel wird bei uns über Patriotismus gesprochen. Aber mit Recht sagte vor kurzem ein Politiker des Auslandes: „Die Liechtensteiner müssen wenig Patriotismus fühlen, denn sonst würden sie sich selbst regieren, eine ausländische Regierung verschandelt das ganze Ländchen!
In der Volkshymne heisst es: „Dies liebe Heimatland in deutschem Vaterland hat Gottes weise Hand für uns ersehn", nicht für die Ausländer.
Auf unserem Programm steht ausführlich: treu dem Fürsten, treu der Monarchie.
Wir haben aber die Überzeugung, dass sich mit diesem Standpunkt wohl vereinen lässt der weitere Grundsatz: eine Regierung aus wirklichen Liechtensteinern!
Leben und Bewegung brachte diese mit grossem Beifall aufgenommene Rede. Hierauf betrat Dr. [Wilhelm] Beck die Rednertribüne und führte u.a. kurz aus warum wir heute zusammen gekommen sind. Die Berechtigung unserer Forderung halte vor Gott und der Welt stand. Alle Welt könne nicht begreifen, dass nur wir jenes Volk auf dem Erdenrund sein sollen, das eine Ausländerregierung noch dulde. Wir sind kein unmündiges Volk, mögen es die Gegner durch ihr Tun noch so oft äussern, man redet über eine Volksabstimmung zu dieser Frage. Aber wenn wir Mündel sind, braucht es keine. Das Landgericht bestellt den Mündeln meist ohne ihren Beschluss Vögte. Als freie Bürger wollen wir eine Regierung aus Bürgern, einvernehmlich mit dem Fürsten bestellt. Nur einige Herren wollen die Regierung bestellen, das ganze Volk soll wie bisher nichts zu sagen haben. Wir kämpfen gegen diese Kamarilla. Wir anerkennen den Landesfürsten und das Volk, aber keine schädigenden fremden Zwischeninstanzen. Redner verweist im übrigen auf die schon in der Zeitung gemachten begründeten Ausführungen. Einen stichhaltigen vernünftigen Grund vermögen die Gegner gar nicht vorzubringen. Wenn sie sagen, wir haben keine Regierungsmänner, wir seien regierungsunfähig, so mögen sie mit dem Gerede doch aufhören von der Sache, von der sie nichts verstehen. Wir halten aber sogar die Gegner für regierungsunfähig. Soll denn unser Volk ewig in Sklavenketten schmachten? Sollen wir nie ein ehrenhaftes Volk sein? Sollen wir im Kranze der angrenzenden Staaten einzig und allein eine Ausländerregierung haben? Wir brauchen keine fremden Hofräte und Barone in unserer Regierung, sondern eine einfache Regierung, wie wir auch ein einfaches Volk sind. Wenn wir einmal eine einheimische Regierung besitzen, wollen wir unsererseits für Ruhe und Autorität sorgen. Geloben wir uns aber, nicht zu ruhen und nicht zu rasten, bis das Ziel erreicht ist. Wenn nötig stellen wir uns in Vaduz nochmals energisch vor. Eine ausländische Regierung anerkennen wir unter keinen Umständen, weder als provisorisch, noch als definitiv. Einlullen will man uns, wie die Bewegung von 1848, aus der dann unsere heutige Verfassung entstand. In dieser steht allerdings nirgends, dass der Regierungschef ein Ausländer sein müsse - tatsächlich handhabt man die Verfassung in diesem Sinne. Dagegen protestieren wir nachdrücklich und wiederholt. Wir brauchen keinen Ausländer und keinen Dr. Peer, der doch angesichts des Misstrauens, das man ihm entgegen bringt, gar nicht segensreich wirken kann. Protestieren müssen wir auch gegen die unerhörte Behandlung unserer Partei im Vergleich mit der andern. Man vergleiche nur den Stil und Ton der Antwort und die Kundmachung. Auf diese Art lassen wir uns von Wiener Unterstellen nicht mehr unterwerfen. Redner gibt seiner Freude Ausdruck, dass sich heute die Leute so zahlreich eingefunden haben. Das ist nicht mehr ein kleines Häuflein, sondern die Mehrheit der Stimmberechtigten des Landes.
Schliesslich schlug Redner folgende
Entschliessung
vor:
„Nach erhaltener Aufklärung und gewaltiger Diskussion beschliesst die am 9. Mai 1920 in der „Au"-Bündt versammelte, mehr als 1000 Mann starke Bürgerschaft:
- Den vom Obmann der Volkspartei an den Fürsten gesandten Entschliessungen [17] der Versammlungen von Triesen, Triesenberg, Vaduz und Balzers wird vollinhaltlich zugestimmt und es wird gegen die Berufung irgend eines Ausländers an die Regierung protestiert. Die Versammlung erklärt nachdrücklich, das sie einen Ausländer als Regierungschef, Stellvertreter oder in sonstwelcher Eigenschaft nicht anerkennt und die Verantwortung für die Folgen ablehnt.
- Die Versammlung protestiert ferner gegen die dem Obmann der Volkspartei von Wien gegebene Antwort [18] und gegen die ungleiche Behandlung der Parteien. [19] Eine solche Antwort ist politisch zu verurteilen.
- Ruhe und Frieden können nur einkehren, wenn eine Regierung aus Landesbürgern eingeführt wird.
Nochmals und wiederholt wird die Gegnerschaft eingeladen, Hand zum Frieden zu bieten und gemeinsam mit der Volkspartei und dem Fürsten eine Regierung aus Landesbürgern zu bestellen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg."
Nachdem sich niemand über die Entschliessung zum Worte gemeldet hatte, wurde diese fast einstimmig angenommen.
Hierauf sprach u. a. Herr Joh. Beck aus Triesenberg, der den Anwesenden wärmsten empfahl, für eine einheimische Regierung einzutreten. - Luzius Gassner, Triesen, befürwortete, dass die Mannen fest hinter der Parteileitung stehen sollen. Ihr gebühre für ihre feste und folgerichtige Stellung der Dank. Oberländische Abgeordnete, die das Volk verlassen und sich für eine ausländische Regierung einsetzen, verdienen nicht mehr das Volksvertrauen. - H. Büchel aus Ruggell sprach ebenfalls einer einheimischen Regierung das Wort und fragte, wozu denn die Gegner einen tüchtigen Anwalt brauchen. Er verurteilte die Stellungsnahme und Schreibweise des V. Bl. ["Liechtensteiner Volksblatt"].
Auch Parteiobmann Walser ergriff nochmals das Wort und bemerkte u. a., dass die heute anwesenden Unterländer den besten Beweis erbringen, dass man einen Keil nicht zwischen beide Landesteile hinein zu treiben vermöge. Unterländer und Oberländer müssen sich in diesem wie in anderm die Hand zu gemeinsamer Arbeit reichen. Gerade das Unterland habe ein Interesse daran, wenn wir uns wirtschaftlich anders orientieren. - Dr. Beck ersuchte die Versammelten, getreulich im Kampfe zusammenzustehen, dann werde die Forderung trotz allen Widerständen durchdringen.
Andr. [Andreas] Vogt, Balzers, sprach sich ebenfalls für ein festes Zusammenhalten aus und protestierte gegen die verschiedensten Unterschiebungen.
Auf den Fürsten wurde ein Hoch ausgebracht und die Triesenberger Musik spielte die Volkshymne.
Die versammelten Volksparteianhänger wurden nun aufgefordert, die Unterländer und Schaaner bis zum „Kirchthaler" zu begleiten und nachher sollen die Oberländer gemeinsam nach Triesen abmarschieren. Die Unterländer ordneten sich an die Spitze, voraus die Bergmusik und hintennach die übrigen Anwesenden. Der imposante Zug bewegte sich zum „Kirchthaler". Die Musik spielte. Nachher dankte der Obmann nochmals und verabschiedetet die Unterländer. - Abgeordneter [Emil] Risch dankte allen Erschienenen und speziell den Unterländern.
Die Triesner, Berger und Balzner zogen unter den Klängen der Triesner und Berger Musik nach Triesen ab.
Es war eine imposante Tagung. Und wenn wir von gut 1000 Mann reden, so meinten wir die Männer über 24 Jahre. Denn mit den Nichtvolljährigen wäre die Zahl weit höher, gut 1200 Mann gewesen, wie Nachzählungen ergaben. Das muss festgestellt werden, um jenen Gegnern zu begegnen, die behaupten wollen, es seien die Hälfte Minderjährige gewesen. Die Schulpflichtigen selbst waren schon von Hrn. Reallehrer Schädler vom Platze gewiesen worden. Was doch der Neid wieder ausrechnen möchte!
Wenn Gegner sagen, es sei eine Komödie gewesen, nun, so verhehlen sie ihren Groll nicht. Das Volk - nicht ein Häuflein - hat sich gestern gezeigt und man gebe sich keiner Täuschung hin: weder Hofrat Peer noch sonst ein Ausländer wird an der Regierung mehr anerkannt. Die gestrige Versammlung hat ein vernichtendes Urteil über das Treiben einiger Herren gefällt und sie hat den Volksparteiabgeordneten gezeigt, dass sie sich wirklich auf das Volk berufen können.
Ja, fort mit den Vögten, wir sind mündig! [20]