Maschinenschriftliche Erklärung der Christlich-sozialen Volkspartei zuhanden des Fürsten Johann II. und der Regierung, nicht gez. [1]
18.4.1920, Triesen
Protestresolution.
Nach angehörter Aufklärung und gewalteter Diskussion über die Landesverweserfrage [2] beschliesst die am 18. April 1920 im Schulhaus in Triesen tagende, zu 130 Bürger umfassende Versammlung in Erwägung, dass Liechtenstein mehr als 200 Jahre in Abwesenheit des Landesfürsten von ins Land geschickten, ausländischen Beamten regiert wurde.
Dass diese fremden Landesverweser mit Land & Volk nicht verwachsen sind, daher erfahrungsgemäss doch mehr oder minder wieder auf bessere oder schlechtere Ratgeber angewiesen sind, dass kein selbstständig sein wollender Staat in Europa es mit seiner Ehre & Selbstständigkeit vereinbar hält, von landsfremden Männern regiert zu werden und solche Einrichtungen nur in den Kolonien vorkommen – dass Liechtenstein sich durch eigene geborene Bürger selbst regieren kann und hiezu nicht unfähig ist und dass auch diesem Lande im 20. Jahrhundert eine aus lauter eigenen Bürgern bestehende Regierung gehört und dass endlich die volle Unabhängigkeit gewahrt bleibe unter Bezugnahme auf die schon längst gemachten Versprechen einen feierlichen Protest gegen die neuerliche Berufung eines Ausländers als Landesverweser zu Handen des Landesfürsten und der Regierung. Wir versammelte Liechtensteiner können die Schande, zum Teil von Ausländern regiert zu sein, vor der Aussenwelt nicht mehr ertragen und ersuchen demnach Se. Durchlaucht den Landesfürsten endlich Liechtenstein durch Liechtensteiner regieren zu lassen. Wir protestieren feierlich gegen das einseitige Vorgehen der Herren Dr. [Eugen] Nipp und des Präsidenten [Fritz] Walser [3] gegen die Untergrabung des politischen Selbstvertrauens im Volke. [4]
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[1] LI LA SF 01/1920/072. Die Christlich-soziale Volkspartei veranstaltete weitere Versammlungen am 23.4.1920 in Vaduz und am 25.4.1920 in Triesenberg und in Balzers. Die gegenständliche Protestresolution sowie eine Entschliessung vom 25.4.1920 wurden der Regierung mit Schreiben von Parteiobmann Anton Walser-Kirchthaler vom 26.4.1920 mitgeteilt. Der Parteiobmann betonte, dass die Versammlungen stetes einen ruhigen Verlauf genommen hätten. Der Volkswille habe aber auf das Bestimmteste kund getan, dass nur mehr einer Regierung, die aus Liechtensteinern zusammengesetzt sei, das Vertrauen entgegen gebracht werden könne (LI LA SF 01/1920/072). Der Text der Protestresolution wurde am 21.4.1920 in den „Oberrheinischen Nachrichten" veröffentlicht (O.N., Nr. 32, 21.4.1920, S. 1 („Zur Landesverwesermache")).
[2] Das Fürstenhaus sowie die Fortschrittliche Bürgerpartei hatten die Bestellung des österreichischen Juristen Josef Peer ins Auge gefasst. Zu den diesbezüglichen Sondierungsgesprächen von Prinz Eduard in Vaduz siehe dessen Schreiben vom 6.4.1920 an Landesverweser Prinz Karl (LI LA SF 01/1920/062). Die Fortschrittliche Bürgerpartei sprach Peer als etwaigen zukünftigen Landesverweser am 11.4.1920 das Vertrauen aus (LI LA SF 01/1920/068).
[3] Zu den Gesprächen mit Eugen Nipp und Fritz Walser am 1.4.1920 in Vaduz siehe Fussnote 2. Vgl. ferner O.N., Nr. 19, 6.3.1920, S. 1-2 („Wiener Verhandlungen"); O.N., Nr. 30, 14.4.1920, S. 1 („Zur Landesverweser-Frage") und L.Vo., Nr. 31, 17.4.1920, S. 1-2 („Liechtenstein – den Demagogen?").
[4] Zur Antwort des Fürsten auf die Protestresolution der Volkspartei siehe die Kundmachung der Regierung vom 30.4.1920 (LI LA SF 01/1920/074).