Fürst Johann II. lehnt die Eingaben der Christlich-sozialen Volkspartei in der Peer- bzw. Landesverweserfrage als verfassungswidrig ab
Maschinenschriftliches Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien, gez. Prinz Eduard von Liechtenstein, an Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein [1]
27.4.1920, Wien Seine Durchlaucht der Regierende Fürst [Johann II.] haben ein von dem Obmann der Volkspartei Herrn [Anton] Walser-Kirchthaler unterfertigtes Telegramm [2] sowie ein Schreiben [3] erhalten, in welchem übereinstimmend mit dem diesbezüglichen Bericht der Oberrheinischen Nachrichten Nr. 32 [4] die in der Versammlung von Triesen am 18. April 1920 beschlossene Protestresolution [5] seiner Durchlaucht dem Fürsten zur Kenntnis gebracht worden ist. Seine Durchlaucht hat mich durch Kabinettssekretär [Josef] Martin telephonisch von Feldsberg zu beauftragen geruht, Euere Durchlaucht mit heutigem Kurier zu ersuchen, dem Unterzeichner des Telegrammes sofort Nachstehendes zu eröffnen: [6] Seine Durchlaucht der Regierende Fürst ist nicht in der Lage, die ihm durch ein von Herrn Walser-Kirchthaler, Obmann der Volkspartei, unterzeichnetes Telegramm und im Anschluss daran schriftlich übermittelte, am 18. April 1920 in einer öffentlichen Versammlung in Triesen beschlossene Protestresolution zur Kenntnis zu nehmen, da sich dieselbe in der mitgeteilten Form mehrfach als befremdend und inhaltlich als Versuch eines Eingriffes in das dem Landesfürsten nach § 27 der derzeit geltenden Verfassung zustehende Recht der Ernennung der Staatsdiener erweist. Hiebei wäre Herr Walser-Kirchthaler auf das durch §§ 20 und 42 der Verfassung gewährleistete Petitionsrecht an den Landtag zu verweisen. Euere Durchlaucht werden weiter beauftragt, von dieser Herrn Walser-Kirchthaler übermittelnden Antwort dem Herrn Landtagspräsidenten Fritz Walser im Hinblick auf die §§ 20 und 42 Mitteilung zu machen [7] und die Antwort selbst im Wege amtlicher Verlautbarung [8] zur allgemeinen Kenntnis zu bringen. Zur persönlichen Information Euerer Durchlaucht füge ich bei, dass Hofrat [Josef] Peer sein Gesuch um Krankenurlaub nicht früher einzubringen sich geneigt zeigte, als bis mit den Parteien im Lande Fühlung genommen worden sei. Aus diesem Grunde hatte ich den Auftrag von Seiner Durchlaucht dem Fürsten anlässlich meines letzten Vaduzer Aufenthaltes mit den Herren Walser, [Wilhelm] Beck und [Eugen] Nipp im Gegenstande zu sprechen. [9] Eine Beurlaubung Peer’s vor 1. Juni ist kaum durchführbar [10] und es ist daher beabsichtigt, etwa nächste Woche den Regierungssekretär [Josef] Ospelt zum Domänenverwalter oder Rentmeister zu ernennen und von der Stelle eines Regierungssekretärs zu entheben, [11] gleichzeitig Hofrat Peer mit einem Handschreiben an Euere Durchlaucht zur Landesregierung zu berufen und ihn unter Abänderung der Verordnung vom 14. Mai 1915 [12] zum Stellvertreter Euerer Durchlaucht zu bestellen. [13] Die Resolution der Bürgerpartei vom 13.IV.1920 [14] sowie der glänzende Verlauf der Sonntagsversammlung [15] bilden die Grundlage dieser Absichten. Die diesbezüglichen Anträge, welche mit Hofrat Peer eingehend verhandelt werden, werden Seiner Durchlaucht nächster Tage unterbreitet. Euere Durchlaucht werden nun ersucht, die eigene Meinung zu diesem Vorhaben ehestens bekannt zu geben und insbesonders meinen letzten Bericht Zl. 296/2 vom 19. April 20 [16] meritorisch zu erledigen. Die Mitteilung Euerer Durchlaucht vom 23. April kann wohl als eine meritorische Antwort nicht angesehen werden. [17] Der fürstliche Gesandte: Nachtrag: Soeben hat Seine Durchlaucht den Wortlaut des ihm heute vom Obmann der Bürgerpartei zugekommenen Telegrammes über die Eschner Versammlung [18] telephonisch mir zur Kenntnis gebracht und bezügliche Weisungen erteilt. Die Antwort [19] auf das Telegramm geht mit Freitagkurier, vielleicht auch Donnerstag Abend telegraphisch ab. Der vorstehende Auftrag soll aber unbedingt vorher Walser-Kirchthaler, Präsident Walser und den Redaktionen der Zeitungen [20] gegenüber zur Durchführung gelangen. Einlangen des heutigen Kurier wolle telegraphisch gemeldet werden.
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[1] LI LA SF 01/1920/074. Aktenzeichen 296/4. Betreff: Hofrat Peer. Ferner stenographische Bemerkungen. [2] Telegramm von Anton Walser-Kirchthaler an Fürst Johann II. in Feldsberg vom 26.4.1920, welches von Kabinettssekretär Josef Martin telefonisch an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien übermittelt wurde (LI LA V 003/1190, Aktenzeichen 353/2). Darin protestierten die "gut 400" versammelten Bürger aus Vaduz, Triesen und Balzers gegen die Besetzung der Regierung durch Ausländer und verwiesen auf eine nachfolgende Protestresolution. [3] Vermutlich das Begleitschreiben von Walser-Kirchthaler an die Regierung vom 26.4.1920 betreffend die Triesner Protestresolution vom 18.4.1920 und die Entschliessung vom 25.4.1920 zuhanden von Fürst Johann II. (LI LA SF 01/1920/072). [4] O.N., Nr. 32, 21.4.1920, S. 1 ("Zur Landesverwesermache"). [5] LI LA SF 01/1920/072. [6] Die Regierung kam diesem Auftrag mit Schreiben vom 30.4.1920 an Walser-Kirchthaler nach (LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 2; ediert in: Die Schlossabmachungen vom September 1920. Studien und Quellen zur politischen Geschichte des Fürstentums Liechtenstein im frühen 20. Jahrhundert, hrsg. von der Vaterländischen Union, Vaduz 1996, S. 164). Nach dessen Zustellung erschienen gemäss Amtsvermerk von Regierungssekretär Josef Ospelt noch gleichentags Wilhelm Beck, Anton Walser-Kirchthaler und Gustav Schädler. Sie protestierten feierlich gegen die zum Ausdruck gebrachte "Herausforderung" und lehnten jede Verantwortung für die Folgen ab. Den Genannten wurde von Ospelt vorgehalten, dass die Triesner Protestresolution doch unzweifelhaft einen Eingriff in die verfassungsmässigen Rechte des Fürsten darstelle, "welchem Vorhalte die Genannten kein Nein entgegenzusetzen vermochten." (LI LA SF 01/1920/074). [7] Schreiben an Fritz Walser vom 30.4.1920 (LI LA SF 01/1920/074). [8] Kundmachung der Regierung vom 30.4.1920 (LI LA SF 01/1920/074); erschienen in L.Vo., Nr. 35, 1.5.1920, S. 4 und O.N., Nr. 35, 1.5.1920, S. 4. [9] Vgl. hiezu das Schreiben von Prinz Eduard an Prinz Karl vom 6.4.1920 über die Gespräche mit den Genannten in Vaduz am 1.4.1920 (LI LA SF 01/1920/062). [10] Josef Peer fungierte seit Oktober 1917 als Richter am österreichischen Verwaltungsgerichtshof. [11] Durch die Trennung der Domänenverwaltung von den Regierungsagenden und den dadurch ins Auge gefassten Weggang von Regierungssekretär Josef Ospelt wurde eine Neuordnung der Dienstverhältnisse nötig (Bericht von Landesverweser Prinz Karl vom 16.2.1920 betreffend die Regelung der Dienstverhältnisse bei der fürstlichen Regierung (LI LA SF 01/1920/032)). Im Auftrag des Fürsten teilte Prinz Eduard der Regierung am 19.3.1920 mit, dass Ospelt mit der Führung der Domänenverwaltung zu betrauen sei, ohne ihn jedoch von seinem Posten als Regierungssekretär zu entheben (LI LA SF 01/1920/046). Kurz darauf wurde Josef Ospelt vom Landesverweser zur Durchführung der dringlichsten Domänengeschäfte in seiner Eigenschaft als Regierungssekretär für zwei Monate beurlaubt (Dekret vom 24.3.1920 (LI LA SF 01/1920/046)). Regierungssekretär Ospelt sollte jedoch im Falle einer Verhinderung des Landesverwesers zur "Dienstleistung bei der fürstl. Regierung wieder einrücken." (Schreiben von Prinz Karl an die Gesandtschaft in Wien vom 6.4.1920 (LI LA SF 01/1920/058)). [12] Gemäss der Fürstlichen Verordnung vom 14.4.1915 betreffend die Abänderung des § 15 und die Ergänzung des § 18 der Amtsinstruktion für die Landesbehörden des Fürstentums Liechtenstein, LGBl. 1915 Nr. 7, hatte in Abwesenheit oder Erkrankung des Landesverwesers der Sekretär die Leitung der Regierungsgeschäfte zu besorgen. Nach dem von Landesverweser Prinz Karl ausgearbeiteten Verordnungsentwurf sollte dagegen im Vertretungsfall ein von der fürstlichen Regierung beauftragter Beamter die Regierungsgeschäfte besorgen. Dieser mit Schreiben vom 9.3.1920 nach Wien übermittelte Entwurf wurde von Fürst Johann II. jedoch nicht sanktioniert, da die Änderung der genannten Verordnung als "nicht opportun" erschien (LI LA SF 01/1920/040; Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien an die Regierung vom 19.3.1920 (LI LA SF 01/1920/046). [13] Tatsächlich wurde Landesverweser Prinz Karl ab dem 15.7.1920 "aus Gesundheitsrücksichten" beurlaubt. Während dieser Beurlaubung hatte Regierungssekretär Josef Ospelt im Sinne des § 15 der obgenannten Amtsinstruktion die Regierungsgeschäfte zu besorgen (Schreiben der Kabinettskanzlei an Landesverweser Prinz Karl vom 10.6.1920 (LI LA SF 01/1920/093)). Bereits am 8.6.1920 wurde Ospelt zum Regierungskommissär im Landtag bevollmächtigt (Schreiben der Kabinettskanzlei an Landesverweser Prinz Karl (LI LA SF 01/1920/092)). [14] Schreiben von Franz Verling, Obmann der Fortschrittlichen Bürgerpartei, an die Regierung vom 13.4.1920, wonach die Parteiversammlung vom 11.4.1920 Josef Peer als etwaigem zukünftigen Landesverweser das volle Vertrauen aussprochen habe und ihn als Landesverweser wärmstens begrüssen würde (LI LA SF 01/1920/068). [15] Resolution vom 25.4.1920 (LI LA V 003/1190, Aktenzeichen 353/1): Als Gegenaktion zu den Versammlungen der Volkspartei organisierte die Bürgerpartei über 500 stimmberechtigte Bürger in Eschen. Diese begrüssten die zur Diskussion stehende Ernennung von Peer zum Landesverweser und verharrten auf dem Standpunkt, dass das Recht des Fürsten, einen Landesverweser zu ernennen, der das Vertrauen der Volksmehrheit habe, nicht geschmälert werden solle. Abschliessend gelobten sie dem Fürsten als freie Bürger unentwegte Treue. [16] Schreiben von Prinz Eduard an Landesverweser Prinz Karl vom 19.4.1920 betreffend die Beurlaubung von Josef Peer vom Verwaltungsgerichtshof, eine mögliche Besprechung des Landesverwesers mit Peer in Wien, die Beurlaubung und Entlohnung von Regierungssekretär Josef Ospelt, die Frage des Gehaltes von Josef Peer einschliesslich der Frankenzahlung und der Haushaltskosten (LI LA V 003/1189, Aktenzeichen 296/2). [17] Schreiben von Landesverweser Prinz Karl an Prinz Eduard vom 23.4.1920 (LI LA V 003/1189, Aktenzeichen 296/5). [18] Resolution vom 25.4.1920 (LI LA V 003/1190, Aktenzeichen 353/1). [19] Mit Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien vom 30.4.1920 wurde Parteiobmann Franz Verling mitgeteilt, dass Fürst Johann II. die anlässlich der Eschner Versammlung verabschiedete Resolution "mit lebhaftester Befriedigung" zur Kenntnis genommen habe. Die darin zum Ausdruck kommende Gesinnung sei die beste Gewähr dafür, dass Liechtenstein in treuer Zusammenarbeit zwischen Fürst und Volk einer aussichtsreichen Zukunft entgegengehen werde (LI LA V 003/1190, Aktenzeichen 353/1). [20] Vgl. O.N., Nr, 35, 1.5.1920, S. 4 ("Kundmachung") und L.Vo., Nr. 35, 1.5.1920, S. 4 ("Kundmachung").
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