Prinz Eduard führt in Vaduz Sondierungsgespräche hinsichtlich der Bestellung von Josef Peer zum Landesverweser


Maschinenschriftliches Schreiben des liechtensteinischen Gesandten in Wien, Prinz Eduard von Liechtenstein, gez. ders., an Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein [1]

6.4.1920, Wien

Lieber Karl!

Im Nachhange zu meinem Schreiben vom 22/III. [1920] Zl. 211/2 [2] in der Angelegenheit [Josef] Peer und mit Beziehung auf unsere kurze Unterredung im Gegenstande möchte ich Dir folgendes mitteilen:

Ich habe auftragsgemäss mit Präsident [Fritz] Walser, Dr. [Wilhelm] Beck und Dr. [Eugen] Nipp im Gegenstande Rücksprache genommen. [3] Walser habe ich mitgeteilt, dass der Fürst [Johann II.] seine Anregung weiter verfolgt und ihm meine Bedenken bezüglich des Verhaltens Beck’s und seiner Partei [4] vorgestellt. Er erklärte, man dürfe sich um die üblichen Proteste von dieser Seite nicht kümmern, man müsse vorwärts gehen. Ich ersuchte ihn, die Regierung in dieser Frage zu unterstützen; ich würde mich Beck gegenüber darauf berufen, dass er der Anreger des Gedankens sei, weil es gar nicht gut wäre, wenn ich als solcher erschiene; und er sich im Hintergrund hielte. Er erklärte, hiezu vollkommen bereit zu sein. Die Art des weiteren Vorgehens konnte ich mit Walser nicht mehr erörtern, da wir zur Sitzung mussten.

Beck bat mich, ihn [am] Nachmittag zu empfangen, bedankte sich zunächst wegen der Angelegenheit [Andreas] Vogt [5] und kam dann auf die Ernennung [Josef] Ospelts zum Domainenverwalter und auf [Ludwig] Hasler zu sprechen. [6] Er lenkte meine Aufmerksamkeit auf Dr. [Josef] Gassner, den Sohn des Schulinspektors, der Jurist sei, jeden Moment in Triesenberg ohne Zahlung einer Taxe wieder zuständig werden könne und jetzt bei der Landesregierung in Bregenz in Verwendung stehe und demnächst definitiv dort angestellt werden solle; er werde von Landeshauptmann Enders [Otto Ender] sehr gelobt. Beck wolle noch durchaus nicht ein Begehren stellen, aber doch meine Aufmerksamkeit auf den jungen Mann lenken. Es ergab sich so leicht die Gelegenheit, auf Peer zu sprechen zu kommen. Beck betonte seiner und seiner Partei Standpunkt, dass der Landesverweser ein Liechtensteiner sein müsse, während er für den Regierungssekretär, den er grundsätzlich Landschreiber [7] nennt, nur einen Juristen, der auch Ausländer sein könne, verlangt; er gab aber zu, dass gegenwärtig im Lande ein geeigneter Landesverweser nicht vorhanden sei und dass er selbst für den Posten nicht in Betracht kommen könne. Nachdem er erklärte namens der Partei sich nicht binden und keine Erklärungen abgeben zu können, schlug ich ihm schliesslich vor, er möge dahin wirken, dass sich die Partei mit einem milden formellen Protest zur Wahrung ihres grundsätzlichen Standpunktes begnüge, mich aber die Angelegenheit im Einvernehmen mit Dir, Präsident Walser und der Bürgerpartei in ein für das Land glückliches Geleise schieben lasse. Er lachte sehr herzlich zu diesem Vorschlag und erklärte, darüber könne man reden, wenn ich ihm verspräche, dass die Wahl des Betreffenden für das Land eine gute sei. Ich empfahl ihm, darüber mit Präsident Walser zu sprechen.

Unmittelbar nach Beck kam Nipp mit verschiedenen Wünschen. In der Peer Frage teilte ich ihm den Stand der Verhandlungen mit diesem und die Erklärungen Walsers und Becks mit. Ich verhehlte ihm nicht die Bedenken [Alfons] Fegers, die Du mir mitgeteilt hast. Er teilte mir mit, er habe bereits mit Kanonikus [Johann Baptist] Büchel gesprochen, der keine Einwendungen gegen Peer erhebe. Im übrigen sei [Karl von] In der Mauer [Maur] auch liberal gewesen, habe aber zu gar keinen Beschwerden in dieser Hinsicht Anlass gegeben. Man könne nicht zu viel auf diesem Gebiet verlangen. Ich bat Nipp, diesen Standpunkt Büchel gegenüber zu betonen, den ich aus Zeitmangel leider nicht mehr besuchen könne, und durch ihn auf den Bischof [Georg Schmid von Grüneck] einzuwirken. Er versprach mir dies zu tun, und erklärte der Zustimmung Büchels gewiss zu sein. Ich erörterte auch mit ihm die formale Seite der Erledigung im Sinne meiner drei Vorschläge [8] an Dich. Nipp fand die Idee ausgezeichnet, Peer mit Deiner Stellvertretung unter besonderer Betonung der Währungs-, Verfassungs- und insbesondere Steuerreform zu betrauen, welch letztere durchzuführen für Dich fast unmöglich wäre. Ich bat ihn, sich mit Walser über das weitere Vorgehen zu besprechen und mir Mitteilung darüber zu machen.

Beck hat unter anderen auch bemerkt, dass die Verfassungsrevision jetzt unbedingt zurückgestellt werden muss, um die Parteien nicht zu zerreissen; die wirtschaftlichen Arbeiten seien wohl die wichtigeren. Er frug mich, ob ich den von Dir gearbeiteten Verfassungsentwurf [9] schon gesehen habe, scheint also gut unterrichtet zu sein. Über Deinen Verfassungsentwurf, den ich mit grossem Interesse durchgesehen habe, schreibe ich Dir gesondert unter Zl. 269/1. [10]

Hier möchte ich Dich nur noch bitten, den zweiten Teil meines seinerzeitigen Briefes [11] in Angelegenheit Peer umgehend zu beantworten. Ich muss die finanzielle Seite der Abmachungen mit ihm vorwärts bringen. Von Ospelt bekam ich über mein Ersuchen die zuliegenden [12] Daten über die Emolumente [13] des Landesverwesers. [14] Sie sind etwas mager. Ich möchte doch gern wissen, was der Garten und die "Bündt" produziert hat, quantitatif oder dem Wert nach. Anzahl der Wohnbestandteile wäre auch nützlich. In der Equipage Frage liess ich Dir durch Nipp die hohe Resolution [15] zukommen und erbitte Deine Stellungnahme. Ich kann nicht anders als unbedingt den Standpunkt vertreten, dass der Wagen, Fuhrwerk des Landesverwesers bezw. seines Stellvertreters für amtliche Fahrten in erster Linie sein muss, dass hindert nicht, dass die Domaine für die Instandhaltung, Kost des Kutschers und Fütterung der Pferde zu sorgen hat und die Pferde in der Wirtschaft benützen kann, wenn der Landesverweser sie eben nicht braucht. Die Zur-Verfügungstellung für Mitglieder des Fürstenhauses ist etwas Selbstverständliches und eine Frage des Taktes. Wenn der Landesverweser den Wagen für eine Amtsfahrt braucht, wird das Mitglied des Fürstenhauses seine Cupido nach seiner Spazierfahrt selbstverständlich zurückstellen. Will der Landesverweser spazieren fahren, so wird er bei einigem Takt, dem Mitglied des Fürstenhauses den Wagen geben, wenn dieses spazieren fahren will. Die Bedürfnisse der Wirtschaft werden in beiden Fällen zurücktreten, ausser wenn sie in einzelnen Fällen, z.B. dringende Heueinfuhr vor Regenwetter, besonders dringend sind. Bei einer Konkurrenz von Dienstfahrten eines Mitgliedes des Hauses und des Landesverwesers, die nicht häufig vorkommen dürfte, wird eben der Landesverweser fallweise sich ein Fuhrwerk mieten und der Regierung in Rechnung stellen. Ich möchte es aber unbedingt vermeiden, dass grundsätzlich der Landesverweser zu amtlichen Kommissionen in gemietetem Fuhrwerk komme und Kommissionskosten aufrechne oder das Land mit erheblichen Auslagen belastet werde. Ich kenne die Nachteile der Kommissionskostenwirtschaft aus der österreichischen Verwaltung zur Genüge.

Ich sehe also Deinen weiteren Mitteilungen in der Peer Angelegenheit entgegen. Onkel Johannes [Johann II.] erhält einen eingehenden Bericht über meine Besprechungen in Vaduz. Leider konnten wir beide fast gar nicht allein miteinander sprechen, aber ich denke ja mit [Alfred] Treichl zu den Schlussverhandlungen über die Bank [16] wieder ins Land zu kommen und dann mit mehr Musse zu bleiben; diesmal sass mir der Ostersonntag im Nacken.

Herzlichen Gruss und Dank für Deine Gastfreundschaft.

Dein

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[1] LI LA SF 01/1920/062 (Aktenzeichen: 211/4). Weiteres Exemplar unter LI LA V 003/1188 (Aktenzeichen: 211/4). Abschrift unter LI LA V 003/1239. Vgl. auch den ausführlichen Bericht von Prinz Eduard vom 4.4.1920 "über meine Besprechungen in Vaduz in Angelegenheiten der Berufung des Hofrates Peer" (LI LA V 003/1188).
[2] Handschriftlich ergänzt: "vom 22/III Zl. 211/2". Schreiben von Prinz Eduard an Landesverweser Prinz Karl vom 22.3.1920 (LI LA V 003/1188 (Aktenzeichen: 211/2).
[3] Die Gespräche mit Walser, Beck und Nipp fanden am 1.4.1920 in Vaduz statt.
[4] Christlich-soziale Volkspartei.
[5] Gegen Andreas Vogt aus Balzers, welcher in der Landtagssitzung vom 25.11.1919 "Nieder mit der Regierung, hoch die Republik" ausgerufen hatte, war wegen des Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe nach § 65 Bst. a St.G. 1852/1859 ein Strafverfahren beim Landgericht in Vaduz anhängig gemacht worden. Nach dieser Strafbestimmung machte sich u.a. schuldig, wer öffentlich oder vor mehreren Leuten zur Verachtung oder zum Hass wider die Regierungsform oder die Staatsverwaltung aufzureizen suchte. Das Strafverfahren gegen Vogt wurde gemäss fürstlicher Resolution vom 8.3.1920 niedergeschlagen (Schreiben von Prinz Eduard an Landesverweser Prinz Karl vom 8.3.1920, LI LA SF 01/1920/041; vgl. auch den Abolitionsantrag des Landesverwesers an den Fürsten vom 5.3.1920, LI LA SF 01/1920/035).
[6] Josef Ospelt wurde mit der Führung der nunmehr von der Regierung getrennten Domänenverwaltung betraut. Von seinem Posten als Regierungssekretär wurde er nicht - wie ursprünglich vorgesehen - enthoben. Die fallweise Vertretung des Landesverwesers fiel ihm daher weiterhin zu. Ospelt erhielt den Praktikanten Ludwig Hasler zugeteilt, der zum Adjunkten befördert wurde (Schreiben von Prinz Eduard an die Regierung vom 19.3.1920 (LI LA SF 01/1920/055)). Vgl. des weiteren die Kundmachung der Regierung betreffend die Enthebung von Ospelt von seinem Posten als Regierungssekretär und Staatsanwaltstellvertreter vom 23.9.1920 (LI LA SF 01/1920/136).
[7] Vgl. Art. 60 Abs. 1 des Verfassungsentwurfes von Wilhelm Beck (O.N., Nr. 50, 23.6.1920, S. 1-2 ("Verfassungsentwurf des Fürstentums Liechtenstein")).
[8] Schreiben von Prinz Eduard an Landesverweser Prinz Karl vom 22.3.1920 (LI LA V 003/1188 (Aktenzeichen: 211/2): 1. Demission von Prinz Karl als Regierungschef und provisorische Betrauung von Peer mit den Regierungsgeschäften. 2. Ernennung von Peer zum Stellvertreter von Landesverweser Prinz Karl in der Führung der Regierungsgeschäfte. 3. Peer quasi als „Coadiutor cum iure successionis" von Landesverweser Prinz Karl.
[9] Der spätestens Mitte März 1920 erstellte Verfassungsentwurf von Prinz Karl findet sich unter LI LA V 003/0890 (Aktenzeichen: 269/1).
[10] Handschriftlich ergänzt: "269/1". Schreiben von Prinz Eduard an Landesverweser Prinz Karl vom 6.4.1920 zu dessen Verfassungsentwurf (LI LA V 003/0890 (Aktenzeichen: 269/1); LI LA SF 01/1920/064).
[11] Wohl das schon genannte Schreiben vom 22.3.1920 (LI LA V 003/1188 (Aktenzeichen: 211/2).
[12] Handschriftlich beigefügt: "zuliegenden".
[13] Emolumente: Einkünfte, Nutzungen, Vergütungen.
[14] Vgl. das Dokument "Bisherige Naturalbezüge des f. Landesverwesers", o.D., unter der Signatur LI LA SF 01/1920/062. Vgl. das diesbezügliche Antwortschreiben an die Gesandtschaft in Wien vom 13.4.1920 (LI LA V 003/1189 (Aktenzeichen: 296/2)).
[15] Vgl. die Verfügung der fürstlichen Hofkanzlei vom 15.3.1920, Nr. 2427, betreffend die Pferdehaltung und –nutzung durch die in Vaduz wohnhaften Mitglieder des fürstlichen Hauses sowie das Schreiben des Gesandten Prinz Eduard vom 27.3.1920 (LI LA V 003/844 (Aktenzeichen: 172/5).
[16] 1920 erfolgte die Gründung der Bank in Liechtenstein (BiL) durch ein Konsortium um die Anglo-Österreichische Bank in Wien.