Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck (4)


Beitrag in den „Oberrheinischen Nachrichten", verfasst von Wilhelm Beck [1]

23.6.1920

Verfassungs-Entwurf des Fürstentums Liechtenstein

(Fortsetzung)

Vom Landesausschusse.

Art. 53. Solange der Landtag nicht versammelt ist, besteht als sein Stellvertreter ein Ausschuss für diejenigen Geschäfte, die der Mitwirkung bedürfen. [2]

Durch den Bestand des Landesausschusses dürfen die Bestimmungen betreffend die Einberufung des Landtages nicht umgangen werden (Art. 39).

Art. 54. Der Landesausschuss besteht aus dem Präsidenten und zwei mit relativem Mehr gewählten Landtagsmitgliedern, von denen das eine der obern Landschaft und das andere dem Unterlande anzugehören hat.

In Verhinderung des Präsidenten tritt der Vizepräsident in dessen Verrichtungen ein und die beiden Ausschussmitglieder werden in einem solchen Falle ebenfalls durch Stellvertreter ersetzt. [3]

Die Ausschussmitglieder und deren Stellvertreter werden von sämtlichen Abgeordneten aus ihrer Mitte gewählt. [4] Die Wahlen finden am Schlusse der ersten Tagung eines jeden Jahres für die Dauer des laufenden Jahres statt. Wiederwahl ist zulässig.

Art. 55. Bei Auflösung eines jeden Landtages muss, soferne der Ausschuss nicht schon gewählt ist, ein solcher gewählt werden.

Zu dieser Wahl muss die Versammlung jedesmal sofort auch nach der Auflösung schreiten.

Sollten ausserordentliche Umstände es ihm unmöglich machen, diese Wahlsitzung noch zu halten, so haben die bisherigen Mitglieder oder deren Stellvertreter die Geschäfte zu führen.

Art. 56. Der Ausschuss ist berechtigt und verpflichtet: 

  1. darauf zu achten, dass die Verfassung aufrecht erhalten, die Landtagserledigungen vollzogen und der Landtag bei vorausgegangener Auflösung oder Vertagung rechtzeitig wieder einberufen werde; 
  2. die Landeskassenrechnung zu prüfen und die gedruckte Rechnung nebst Bericht zur Behandlung und Beschlussfassung an den Landtag zu leiten;  
  3. die auf die Landeskasse unter Bezug auf einen vorausgegangenen Landtagsbeschluss auszustellenden Schuld- und Hypothekenverschreibungen mit zu unterzeichnen;  
  4. die vom Landtag erhaltenen speziellen Aufträge zur Vorbereitung künftiger Landtagsverhandlungen in die Hände zu nehmen;  
  5. in dringenden Fällen Anzeige an den Landesfürsten zu erstatten und bei Bedrohung und Verletzung verfassungsmässiger Rechte, Vorstellungen, Verwahrungen u. Beschwerden zu erheben. [5]

Der Ausschuss kann keine bleibende Verbindlichkeit für das Land eingehen und ist dem Landtage für seine Geschäftsführung verantwortlich.  

Art. 57. Der Ausschuss hat sich zur Besorgung der ihm obliegenden Geschäfte alljährlich nach Ermessen des Präsidenten am Sitze der Regierung zu versammeln. [6]  

Zur Giltigkeit der Beschlüsse ist dessen Vollzähligkeit und das absolute Mehr erforderlich. [7]  

Art. 58. Die Verrichtungen des Ausschusses hören mit der Eröffnung des nächsten Landtages auf und werden nach einer blossen Vertagung derselben wieder fortgesetzt. [8]  

Die Mitglieder des Ausschusses beziehen für ihre Sitzungen die nämlichen Taggelder wie die Landtagsabgeordneten. [9]  

VI. Hauptstück.

Von den Behörden

a) Die Regierung.

Art. 59. Die Staatsgewalt wird gemäss den Bestimmungen dieser Verfassung durch die Regierung ausgeübt, die dem Landesfürsten und dem Landtage verantwortlich ist.

Art. 60. Die Regierung besteht aus dem Landammann [10] als Vorsitzenden, zwei Regierungsräten und dem Landschreiber. 

Einer der beiden Regierungsräte wird vom Regierungskollegium als Stellvertreter des Landammanns bestimmt, für die beiden Regierungsräte sind Stellvertreter zu wählen. 

Der Landammann wird auf Vorschlag des Landtages vom Landesfürsten ernannt, die beiden Regierungsräte und ihre Stellvertreter werden vom Landtage aus der wahlfähigen Bevölkerung des Fürstentums gewählt. 

Alle Regierungsmitglieder sind aus Landesbürgern zu bestellen; je ein Regierungsrat und sein Stellvertreter ist zudem von [11] der wahlfähigen Bevölkerung des Oberlandes bezw. des Unterlandes mit absolutem Mehr in geheimer Abstimmung zu wählen.  

Art. 61. Die regelmässige Amtsdauer der Regierung läuft mit der des Landtages und beträgt vier Jahre. 

Der neugewählte Landtag hat jedesmal in seiner ersten Sitzung dem Landesfürsten den Vorschlag auf Bestätigung, bezw. Wiederbestätigung des Landammanns unterbreiten zu lassen und die Wahl, bezw. Wiederwahl der Regierungsräte vorzunehmen.

Art. 62. Es wird parlamentarisch regiert und es hat daher ein Regierungsmitglied von seiner Stelle zurückzutreten, wenn es das Vertrauen der Volksvertretung nicht mehr besitzt.

Bei einem solchen Rücktritt hat die abtretende Regierung solange weiter zu amtieren, bis die neue Regierung bestellt ist.

Art. 63. Alle wichtigeren Regierungsgeschäfte, insbesonders auch die Verwaltungsstreitsachen sind kollegial zu beraten und zu beschliessen.

Die Regierung hat nach Bedarf des Landammanns, mindestens aber wöchentlich einmal Sitzung zu halten und sie hat überhaupt auf möglichste Beschleunigung der Geschäftserledigung zu dringen.

Zu giltiger Verhandlung ist die Anwesenheit von drei Mitgliedern und zu giltigen Beschlüssen die Mehrheit erforderlich.

Der Landschreiber führt in den Regierungssitzungen das Protokoll.

Art. 64. Im Fall der Verhinderung des Landammanns, seiner Abwesenheit oder wenn er wegen Verwandtschaft und anderer durch das Gesetz bestimmter Gründe in Ausstand treten muss, hat sein Stellvertreter zu amtieren.

Die gleiche Bestimmung findet auf die Regierungsräte entsprechende Anwendung.

Ist auch der Landammann-Stellvertreter verhindert, so hat ein anderes Regierungsmitglied die Geschäfte zu leiten.

Art. 65. Der Landammann bezw. der Stellvertreter führt den Vorsitz in der Regierung.

Er unterzeichnet die von der Regierung ausgehenden Aktenstücke, verteilt allenfalls Regierungsgeschäfte zur Vorbereitung unter die Regierungsräte, und besorgt die laufenden Angelegenheiten, welche an sich minderwichtig sind oder bloss vorbereitender Natur sind, wie Abverlangung von Beweisen, Einholung von Berichten u. a. unter Vorbehalt der endgiltigen Anordnungen durch das Regierungskollegium.

Der Landammann, bezw. sein Stellvertreter hat über jene Gegenstände, welche der landesherrlichen Verfügung zu unterstellen sind, ferner in wichtigen Angelegenheiten dem Landesfürsten direkt und unmittelbar Vortrag zu halten und zu berichten.

Art. 66. Die Regierung hat alle Gesetze und rechtlich zulässigen Aufträge des Landesfürsten oder Landtages zu vollziehen.

Verordnungen jeder Art dürfen im Rahmen der Gesetze nur vom Regierungskollegium erlassen werden und nie dürfen Massregeln zum Vollzuge eines Gesetzes andere oder neue Bestimmungen zur Hauptsache enthalten.

Die gesamte Landesverwaltung überhaupt wie das freie Ermessen aller Verwaltungsbehörden hat sich innert den Schranken der Verfassung und Gesetze zu bewegen und es dürfen die Verwaltungsbehörden insbesondere niemals einer gesetzlichen Bestimmung zuwider handeln und in die Freiheit der Bürger und deren Eigentum nur insoweit eingreifen, als die Gesetze dieses zulassen.

Art. 67. Die Regierung besorgt die gesamte Landesverwaltung direkt oder durch untergeordnete Behörden.

Sie ist die oberste Verwaltungs- und Vollzugsbehörde und in ihren Wirkungskreis fällt insbesondere:  

  1. Die Aufsicht und Leitung über alle untergeordneten Behörden, Beamten und Angestellten nach Vorschrift der Gesetze mit Ausnahme der Beschwerde- und Gerichtsinstanzen;  
  2. sie lässt durch ein Mitglied die neu ernannten Beamten und Angestellten beeiden, erteilt Urlaub und übt das Disziplinarrecht über die ihr unterstellten Beamten und Angestellten aus;
  3. ihr untersteht die Zuweisung des für das Regierungsamt und die übrigen Behörden nötigen Dienerpersonals;  
  4. sie überwacht die Gefängnisse und sorgt für die richtige Verpflegung u. Beaufsichtigung der Sträflinge;  
  5. sie besorgt die Verwaltung der landschäftlichen Gebäude;  
  6. sie überwacht den gesetzmässigen und ununterbrochenen Geschäftsgang des Landgerichtes und ist verpflichtet, wahrgenommene Vorschriftswidrigkeiten oder einlangende Beschwerden der Parteien unverzüglich dem Berufungsgerichte zur Anzeige zu bringen;  
  7. sie hat alljährlich über ihre Amtstätigkeit einen Amtsbericht zu erstatten.

Die Regierung kann einzelne Geschäfte (z.B. Landwirtschaft) unter Vorbehalt ihrer Verantwortlichkeit zur Behandlung an ein Regierungsmitglied übertragen; Entscheide gehen aber immer vom Regierungskollegium aus.

Art. 68. Die Regierung entwirft Vorschläge zu Gesetzen und begutachtet jene, die ihr vom Landtage überwiesen werden.

Sie gibt dem Landtage im Frühling genauen Nachweis über Einnahmen und Ausgaben des Landes im abgelaufenen Verwaltungsjahre und legt ihm jeweils im Herbste einen Voranschlag über Einnahmen und Ausgaben im nächsten Verwaltungsjahre vor.

Die Regierung darf über unvorhergesehene, im Voranschlage nicht aufgenommene dringende Ausgaben verfügen, unter Vorbehalt der Verantwortung; sie hat über die Notwendigkeit dieser Ausgaben in der nächsten Landtagssitzung und deren entsprechende Verwendung zu berichten und Genehmigung einzuholen.

Ersparnisse in einzelnen Staatspositionen dürfen nie zur Deckung des Mehraufwandes in anderen Positionen verwendet werden.

Art. 69. Die Gesetzgebung regelt im übrigen auf Grund der Verfassung die Kompetenzen der Regierung, des Landammanns und seines Stellvertreters, der einzelnen Regierungsräte und ihrer Stellvertreter, trifft die näheren Bestimmungen über Ausstand, die Geschäftsbehandlung und das Verfahren und über das Gehalt, bezw. die Entschädigungen. 

b) Die Verwaltungsbeschwerdeinstanz.

Art. 70. Die Verwaltungsbeschwerdeinstanz hat ihren Sitz in Vaduz.

Sie besteht aus einem von der Regierung bestimmten rechtskundigen Vorsitzenden und zwei vom Landtage aus der wahlfähigen Bevölkerung gewählten Rekursrichtern nebst zwei Stellvertretern.

Die Amtsdauer ist die gleiche wie die Legislaturperiode des Landtages. Wiederernennung bezw. Wiederwahl ist zulässig.

Die Beschwerdeinstanz entscheidet über alle gegen die Entscheide der Regierung ergriffenen Beschwerden entgiltig.

Das Gesetz trifft die näheren Bestimmungen über die Garantien richterlicher Unabhängigkeit, das Verfahren, den Ausstand der Mitglieder, die Organisation, über die Gebühren der Parteien u. die Entschädigungen der Rekursrichter.

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[1] O.N., Nr. 50, 23.6.1920, S. 1-2 ("Verfassungs-Entwurf des Fürstentums Liechtenstein"). Die Teile 1-3 des Entwurfes wurden abgedruckt in: O.N., Nr. 47, 12.6.1920, S. 1O.N., Nr. 48, 16.6.1920, S. 1; O.N., Nr. 49, 19.6.1920, S. 1. Die Teile 5 und 6 des Entwurfes folgten in: O.N., Nr. 51, 26.6.1920, S. 1; O.N., Nr. 52, 30.6.1920, S. 2.
[2] Vgl. § 110 der liechtensteinischen Verfassung vom 26.9.1862.
[3] Vgl. § 111 Verfassung 1862.
[4] Vgl. § 112 Verfassung 1862.
[5] Vgl. § 113 Verfassung 1862.
[6] Vgl. § 114 Verfassung 1862.
[7] Vgl. § 116 Verfassung 1862.
[8] Vgl. § 117 Verfassung 1862.
[9] Vgl. § 118 Verfassung 1862.
[10] Zum Titel "Landammann" vgl. Art. 86 der Verfassung des Kantons St. Gallen vom 16.11.1890.
[11] Gemeint ist wohl "aus", da die beiden Regierungsräte vom Landtag gewählt werden sollten.