Prinz Eduard teilt Prinz Karl seine Meinung zu dessen Verfassungsentwurf mit


Maschinenschriftliches Schreiben der Gesandtschaft in Wien, gez. Prinz Eduard, an Landesverweser Prinz Karl [1]

6.4.1920, Wien

Lieber Karl!

Deinen interessanten Verfassungsentwurf [2] habe ich bereits am Bahnhof in Feldkirch durchstudiert, allerdings ohne ihn mit der alten Verfassung [3] vergleichen zu können. Ich bewundere Dich, dass Du bei all Deiner Arbeit zu diesem mühevollen Werke Zeit gefunden hast und finde, dass eine Reihe von Dingen darin ganz famos aufgezäumt ist. Heute auf der Rückfahrt von Seebenstein [4] habe ich den alten Entwurf mit dem neuen punktweise verglichen und will ihn jetzt so bald wie möglich mit den mir seinerzeit von Dr. [Wilhelm] Beck übergebenen Entwurf vergleichen. [5] Für manche Änderungen fehlt mir die innere Motivierung, über die man sich wohl nur in schriftlichem oder mündlichen Gedankenaustausch auseinandersetzen kann.

Ich hätte die Absicht, zunächst, um Onkel Johannes [Johann II.] das Studium zu erleichtern und auch für die weiteren Verhandlungen ein geeignetes Substrat zu bilden, Deinen Entwurf parallel mit der alten Verfassung in einem Elaborat derart darzustellen, und dazu meine Bemerkungen, bezw. Anträge zu stellen, und bitte ich Dich mir zu diesem Zwecke, wenn möglich noch 2 Exemplare Deines Entwurfes und 6 Exemplare der gedruckten Sonderausgabe der Gesetze und Verordnungen, erster Teil, [6] zu übermitteln. Ich möchte durch entsprechendes Einkleben der unverändert geblieben Paragraphe, bezw. Deines Entwurfes klar darstellen, was geblieben ist und was verändert wurde, dazu meine Randbemerkungen machen, dann je ein Exemplar Dir und Dr. Emil Beck zukommen lassen, ein Exemplar für die hiesige Arbeit, Studium von Onkel Johannes, [Josef] Peer, [Julius] Pfeiffer und [Franz Josef] Nagy verwenden. Wenn wir unsere Gedanken gegenseitig schriftlich ausgetauscht haben, glaube ich, dass angezeigt wäre, eine Sitzung einzuberufen, in der man den Wortlaut des Regierungsentwurfes festlegt, und ihn dann der Vorsanktion unterbreitet. Die Sache hat keine allzu grosse Eile, da ja auch Dr. Wilh. Beck mir neulich selbst erklärte, man solle jetzt, so lange die Währungs- und Steuer-Reform dringlich ist, nicht durch die Verfassungsreform den Kampf der Parteien entfesseln. Jedenfalls aber möchte ich Dich dringendst bitten, Deinen Entwurf, der mir in manchen Punkten sehr fortschrittlich erscheint, und vielleicht nicht in allen seinen Konzessionen gewährt werden soll, den Parteien nicht schon jetzt zur Verfügung zu stellen, denn es ist dann schwer, in der Regierungsvorlage etwas abzubauen, was in einem vom Regierungschef selbst gearbeiteten Elaborat schon enthalten ist; [7] insbesonders das 4. Hauptstück Deines Entwurfes ist doch recht weitgehend und wären Deine Gründe dafür sehr interessant.

Ich betone ausdrücklich, dass meine Gedanken in der Sache absolut noch nicht geklärt sind, und ich vielleicht beim Studium des Beck'schen Entwurfes schon vielfach finden werde, warum Du dies oder jenes in Deinen Entwurf aufgenommen hast. Ich wollte Dir dies nur heute gleich sagen um eine Hinausgabe des Entwurfes wenn noch möglich zu verhindern und Dich zu fragen, ob Du damit einverstanden bist, dass ich die beabsichtigte Arbeit im vorskizzierten Sinne unternehme; für die Übersendung der gewünschten Behelfe mit nächsten Kurier wäre ich sehr dankbar. [8]

In der Bank- und Banknotenfrage [9] telefoniere ich heute an Spitzmüller [Alexander Spitzmüller-Hamersbach], [Alfred] Treichl, die in Frage kommenden Druckereien, etc. und hoffe mit dem Freitag-Kurier schon etwas Positiveres melden zu können. Momentan – 9 Uhr früh, ich bin um 8 Uhr von Seebenstein zurückgekommen – ist noch niemand telefonisch zu erreichen.

Onkel Johannes hat Samstag, wo ich zwischen ½ 2 und ½ 3 Uhr in Wien war, schon angerufen und sich einen langen telefonischen Bericht über die Vaduzer Besprechung [10] nach Feldsberg geben lassen; wie ich eben höre, kommt er heute abends herein.

Bitte auch um ein Exemplar der schweizerischen Verfassung, die dir wahrscheinlich als Muster für manches galt. [11]

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[1] LI LA V 003/0890. Aktenzeichen der Gesandtschaft: 269/1. Das abgesendete Exemplar unter LI LA SF 01/1920/064. Das vorliegende Schreiben wurde zur Einsicht an Josef Martin, Vorsteher der Kabinettskanzlei, übermittelt, der es Fürst Johann II. vorlegte. Am 8.4.1920 retournierte Martin das Schreiben mit dem Vermerk: "Der geplante Vorgang entspricht den Intentionen Seiner Durchlaucht, - auf die unterstrichenen Stellen machen Höchstdieselben besonders aufmerksam."
[2] LI LA V 003/0890, Verfassungsentwurf Prinz Karl, o.D.
[3] Konstitutionelle Verfassung vom 26.9.1862 (LI LA SgRV).
[4] Burganlage in Niederösterreich, damals im Besitz des Fürstenhauses.
[5] Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck von Mitte Januar 1919 wurde im Juni 1920 in den "Oberrheinischen Nachrichten" veröffentlicht (O.N., Nr. 47, 12.6.1920, S. 1; Nr. 48, 16.6.1920, S. 1; Nr. 49, 19.9.1920, S. 1; Nr. 50, 23.6.1920, S. 1f.; Nr. 51, 26.6.1920, S. 1; Nr. 52, 30.6.1920, S. 2 ("Verfassungs-Entwurf des Fürstentums Liechtenstein")).
[6] Sonderausgabe der wichtigeren Gesetze und Verordnungen des Fürstentums Liechtenstein, 2 Bde., Vaduz 1915-1916
[7] Passagen "dringendst bitten", "Entwurf", "den Parteien nicht", "jetzt zur Verfügung zu stellen, denn es ist dann schwer" unterstrichen von bzw. im Auftrag von Johann II.
[8] Prinz Karl übermittelte der Gesandtschaft mit Schreiben vom 12.4.1920 die gewünschten Dokumente und erklärte sich "mit den gemachten Vorschlägen über den Vorgang bei Schaffung der neuen Verfassung vollkommen einverstanden" (LI LA V 003/0890; LI LA SF 01/1920/064). Prinz Eduard kam bis Anfang Juli infolge "sonstiger Überlastung und vor allem Überlastung der Kanzlei" nicht dazu, die versprochene Zusammenstellung auszuarbeiten (LI LA V 003/0890, Prinz Eduard an Regierung, 8.7.1920; LI LA RE 1920/3111 ad 1897).
[9] Angesprochen ist die Gründung der Bank in Liechtenstein und die Frage, ob liechtensteinische Frankennoten gedruckt werden sollten.
[10] Wohl die Sitzung der Währungskommission vom 1.4.1920 (LI LA LTA 1920/L31).
[11] Ganzer Satz handschriftlicher Zusatz von Prinz Eduard. Auf dem abgesendeten Exemplar (LI LA SF 01/1920/064) ein weiterer handschriftlicher Zusatz von Prinz Eduard über den Stand der Vorbereitungen zum Druck von liechtensteinischen Frankennoten.