Das „Liechtensteiner Volksblatt“ beklagt das Ergebnis der Landtagswahlen vom März 1918


Einsendung im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]

22.3.1918

Nachklänge zu den Wahlen

(Eingesandt)

Motto: Reinigend wie Gewitter sind zu Zeiten gold'ne Rücksichtslosigkeiten

Die letzten Landtagswahlen [2] beziehungsweise die Nichtwahl unseres allverehrten und im In- und Auslande gleich hochgeschätzten Herrn Landtagspräsidenten Dr. Albert Schädler [3] haben mit einem grellen Lichtschein die Lage und den Stand der Dinge in unserem Ländli gekennzeichnet. Es zeigte sich, dass eine Abart von zersetzendem Liberalismus in die Stube der Gemeinde- und Landesbehörden eingedrungen; ein Liberalismus, der es allen recht machen will, um am Ruder zu bleiben oder ans Ruder zu kommen; ein Liberalismus, der die Autorität der weltlichen und geistlichen Behörden langsam, aber um so sicherer untergräbt. Es zeigte sich, dass selbst vom Lande bezahlte Personen, wenn man den Werbern von Unterschriften glauben will oder darf, nicht ihrer Stellung gemäss vorgingen. Es zeigte sich, dass „geachtete“ Landwirte ihrem Stande nicht gerecht wurden und vielleicht unbewusst eine ihrem Interesse feindliche Stellung einnahmen. Es zeigte sich, dass der verwerfliche Schleichhandel und das Kriegsgeld ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Es zeigte sich, dass viele in unserem Lande durch den furchtbaren Weltkrieg rein gar nichts gelernt, im Gegenteil dahin zu streben scheinen, mit hineingezogen zu werden. Oder man sage mir, ist es nicht so?

Wenn man Männer wie unseren Landtagspräsidenten, Herrn Dr. Schädler, der bei unseren Nachbarstaaten Österreich und der Schweiz gleich hoch in Achtung steht und geschätzt wird, den Rücken kehrt, dafür mehr einseitig veranlagte an dessen Stelle haben möchte, was gerade gegenüber unserem grossen Nachbarstaat Österreich zu Bedenken Anlass geben könnte; wie ist denn dies zu bewerten? Mögen die Verhältnisse in Österreich auch nicht die rosigsten sein; Liechtenstein konnte sich an seiner Seite günstig entwickeln und es darf, wenn es seine Selbständigkeit nicht ganz verlieren will, keine anderen Wege einschlagen als die klar gezeichneten und für sein Wohl erspriesslichsten. Österreich hat sich für uns auch in der Not bewährt, durch seine Nahrungszuschübe konnte dieser Kriegszeit ein Grossteil der Bevölkerung ohne ernste Sorgen und ein Teil allerdings mit Not ihr Leben fristen. Es zeigte sich, dass es viele unserer Bürger nicht der Mühe wert fanden, die Wahlzettel mit eigener Hand auszufüllen, und des den Werbern überliessen; dass Hass und Neid auch bei uns eine grosse Rolle spielen und im Stande sind über Vernunft und Gerechtigkeit zu siegen.

Es zeigte sich, dass die Gemeinde Schaan und in einer gewissen Beziehung zum Teil auch Vaduz noch nicht ganz auf den Kopf gefallen und namentlich Schaan gebührt die Hochachtung für ihr energisches Eintreten für ihre Abgeordneten trotz Gegenwehr und aller möglicher Kniffe. [4]

Es zeigte sich aber auch, dass in Liechtenstein eine wirkliche Unzufriedenheit herrscht, die denn auch in vollem Masse ausgenützt wurde und zur Geltung kam. Manche Verordnungen, die hauptsächlich bei der landwirtschaftlichen Bevölkerung nicht immer den besten Eindruck machten, brachten eine Stimmung hervor, die den leitenden Persönlichkeiten nicht günstig war, und manche unwahren Gerüchte mussten mithelfen, ihr Ansehen herabzusetzen. Es zeigte sich auch, dass Gesetze wie Jagd, Steuern etc. lange gehandhabt wurden, ohne dass sie den Wünschen der Bevölkerung gerecht wurden.

In den letzten Kriegsjahren wo sich alles um den Landwirt dreht, ist es einmal jedem Menschen mit Vernunft klar, dass man alles von dem Bauer billig haben möchte, anderseits aber wird nicht gesorgt, dass auch er seine Gebrauchsartikel auf eine billige Weise bekommt, was naturgemäss Unwillen hervorruft. Wie man hört, sollen jetzt auch verkaufte Erbsen, Bohnen etc. angegeben und versteuert werden, Händler aber, die einen 3-400 prozentigen Gewinn einstecken, können, ohne dass ihnen ein Finger weh tut, gehen mit vergnügten Gesichtern herum. Der Bauer soll nachträglich den Schnaps versteuern, den er verkauft oder getrunken hat. Ich glaube, so würde man ungewollt die Leute zwingen, die Unwahrheit zu sagen, um gewissen empfindlichen Strafen zu entgehen. Was zum Lande hinausgeht, auf das lege man die Steuern, die Arbeit wird dann eine weit einfachere sein und man hat nicht mit jedem Bäuerlein zu kämpfen, das seine paar Heller mit Recht nicht mehr herausgeben will. Solche einzelnen Einrichtungen im Verein mit massloser Agitation  haben den Bauer Liechtensteins, der nur fürstentreu sein kann und will, der einer strengen und gerechten Regierung immer die Hand bieten wird, selbst Mangel duldet, um andern etwas abgeben zu können, dazu gebracht, dass selbst hochgeschätzte und um des Landes Ansehen hochverdiente Persönlichkeiten bei ihnen kein Gehör mehr fanden mit ihren wahren und gerechten Absichten. Ja Liechtensteiner, auch wir haben Grund zum klagen, jedoch ist der Grund noch lange nicht so stichhaltig, dass angesichts der Weltlage um des Landes wohlverdiente Persönlichkeiten einfach über Bord geworfen werden sollen, nur um den Ehrgeiz anderer in Erfüllung gehen zu sehen. Die Bevölkerung hat die Folgen zu tragen. [5]

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[1] L.Vo., Nr. 12, 22.3.1918, S. 2. Vgl. auch die Kommentierung der Landtagswahlen in: O.N., Nr. 13, 23.3.1918, S. 1 („Wahlbetrachtungen“). Die Ergebnisse der Landtagswahlen finden sich in: L.Vo., Nr. 11, 15.3.1918, S. 1 („Kundmachung über das bisherige Ergebnis der Landtagswahlen“) und L.Vo., Nr. 12, 22.3.1918, S. 1-2 („Das Ergebnis der Stichwahlen für den kommenden Landtag“). 
[2] Die Hauptwahlen für den Landtag fanden am 11.3.1918 statt, die Stichwahlen am 18.3.1918. Erstmals traten dabei Parteien mit eigenen Wahlvorschlägen an, zum einen die politischen Kreise um das „Liechtensteiner Volksblatt“, die dann am 22.12.1918 die Fortschrittliche Bürgerpartei gründeten, zum anderen die Christlich-soziale Volkspartei.
[3] Albert Schädler wurde jedoch im April 1918 von Fürst Johann II. zu einem der drei fürstlichen Abgeordneten im 15 Mitglieder zählenden Landtag ernannt. Vgl. in diesem Zusammenhang das diesbezügliche Schreiben von Schädler an Landesverweser Leopold von Imhof vom 25.3.1918 (LI LA RE 1918/ad 0046).  
[4] Gewählt wurden der Schaaner Ortsvortsteher Friedrich Walser sowie der Schaaner Landwirt Johann Wanger.
[5] Eine kurze Entgegnung zu diesem „Eingesandt“ findet sich in: O.N., Nr. 13, 23.3.1918, S. 3 („Verschiedenes“).