Die liechtensteinische Regierung weist die Drohung des österreichischen Staatsamtes für Verkehrswesen mit einer Eisenbahnsperre für das Fürstentum nachdrücklich zurück


Maschinenschriftliche Note der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien, gez. Gesandter Prinz Eduard von Liechtenstein, an das österreichische Staatsamt für Verkehrswesen [1]

18.2.1920, Wien

An das österreichische Staatsamt für Verkehrswesen in Wien

In Erwiderung der von Seiten des Staatsamtes für Verkehrswesen durch Herrn Sektionsrat Hardt-Strehmayer [Hardt-Stremayer] am 30. Jänner l.J. bei der fürstlichen Gesandtschaft mündlich vorgebrachten Beschwerde [2] bezüglich der durch die Forderung der Frankenzahlung im Fürstentum hervorgerufenen Notlage der daselbst diensttuenden Eisenbahnangestellten beehre ich mich im Auftrage meiner Regierung [3] dem Staatsamte für Verkehrswesen Nachstehendes mitzuteilen:

Zunächst muss hervorgehoben werden, dass das Staatsamt für Verkehrswesen offenbar nicht ganz richtig informiert ist und die Klagen der in Liechtenstein diensttuenden Eisenbahnangestellten zweifellos übertrieben sind: Mehl und Fett werden vom Lande an die Bahnbediensteten und zwar in hinreichender Menge genau so wie an andere Nichtselbstversorger gegen Bezahlung in Kronen abgegeben. Der Preis stellt sich allerdings ziemlich hoch, da diese Lebensmittel mangels einer anderen Bezugsmöglichkeit aus der Schweiz bezogen werden müssen. Hiebei muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die liechtensteinischen Staatsangestellten mit den gleichen Preisen rechnen müssen, obwohl sie bedeutend geringere Dienstbezüge haben als die Bahnangestellten.

Apotheke ist nur eine im Lande, [4] die aber von den Bahnbediensteten schon deshalb wenig in Anspruch genommen werden dürfte, weil diese Bediensteten in der Regel den in Vorarlberg wohnenden Bahnarzt zu konsultieren haben; die Apotheke in Vaduz ist überdies verpflichtet, die über ärztliche Anweisung gelieferten Arzneien gegen Kronen abzugeben, widrigenfalls eine Anzeige erstattet werden kann.

Die Geschäftsleute können ihre Waren, die sie in der Regel vom Auslande beziehen müssen, auch in Österreich derzeit vielfach – wenn überhaupt – nur gegen Bezahlung in Franken erhalten, wie denn überhaupt die Tatsache, dass Österreich von Liechtenstein für Warenbezüge Frankenbezahlung verlangt, für das Fürstentum die schwersten wirtschaftlichen Folgen gezeitigt hat und der Hauptgrund für das Überhandnehmen der Forderung nach Frankenzahlung im Lande bildet. Beim Handelsvertrag, welcher mit Österreich abgeschlossen werden soll, [5] ist allerdings vorgesehen, dass für Waren, die im Lande verwendet und aus Österreich bezogen werden, Kronenzahlung angenommen wird und hat das Staatsamt für Finanzen in dieser Hinsicht schon wiederholt ein dankenswertes Entgegenkommen bewiesen. Wie ich aber im Lande anlässlich meiner jüngsten Anwesenheit erfuhr, wird seitens der Vorarlberger Behörden an der Frankenzahlung im Allgemeinen festgehalten, durch den ausserordentlich wünschenswerten ehesten Abschluss des Handelsvertrages würde sich gewiss auch in dieser Beziehung eine Besserung der bezüglichen Verhältnisse ergeben. Jedenfalls aber muss Liechtenstein jede Verantwortung dafür ablehnen, dass die österreichische Krone an Kaufkraft immer mehr verliert und selbst unter den Wert der ungestempelten österreich-ungarischen Kronen gesunken ist, so dass sie vielfach im Inlande nicht mehr angenommen wird;  – dass solche Erscheinungen im Grenzgebiete der Frankenwährung in höherem Masse auftreten, ist begreiflich und muss nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass das Verlangen nach Bezahlung in fremder Valuta nicht nur in Liechtenstein, sondern auch in Österreich selbst vielfach gestellt wird, so zum Beispiel werden in Vorarlberg sehr häufig für Lebensmittel, speziell Fleisch, Franken, in Tirol Lire, verlangt und selbst in Wien sind solche Fälle wiederholt vorgekommen.

Die fürstliche Regierung gibt sich daher der Hoffnung hin, dass das Staatsamt für Verkehrswesen nach erfolgter Aufklärung der Sachlage einer wohlwollenden Würdigung der gegebenen Verhältnisse sich nicht verschliessen und nicht durch übereilte Massnahmen die Lage beider Staaten noch mehr erschweren wird.

Liechtenstein hat all die schweren Massnahmen, die der Krieg und Warenverkehr zur Folge hatte (Nichtanhalten der Schnellzüge, Zugseinschränkungen, schlechtestes Wagenmaterial, Verkehrssperren, sehr starke Tariferhöhungen u.s.w.) hingenommen, ohne der Bahnverwaltung irgend welche Schwierigkeiten zu machen, und glaubt schon deshalb, eine gerechtere Beurteilung der Sachlage, als sie im o.a. Berichte dargelegt ist, erwarten zu dürfen.

Auch darf erwähnt werden, dass die Bahnbediensteten in Liechtenstein während des Krieges längere Zeit sich dort besser versorgen konnten als ihre Kollegen in Vorarlberg.

Nachdem tatsächlich Fleisch und Milch von der bäuerlichen Bevölkerung, die für ihr Vieh und die Molkereiprodukte in der Schweiz Franken erhält, fast nur gegen Franken abgegeben wird, trägt sich die fürstliche Regierung gegenwärtig mit der Absicht, den Landesangestellten zu ihren Gehältern die neuerlich erbetene Teuerungszulage in Form eines bescheidenen Zuschusses in Franken zu ihren Gehältern zu gewähren, [6] um sie dadurch in die Lage zu versetzen, auch diese beiden Lebensmittel sich anzuschaffen. Für das Kilogramm Fleisch wird etwa 1 frs. 80 verlangt und für den Liter Milch 30 bis 40 Rappen. Es würde sich eventuell empfehlen, wenn die österreichische Eisenbahnverwaltung in ähnlicher Weise auch den Bediensteten der Eisenbahnen gegenüber vorgehen wollte, wobei ja mindestens ein Teil dieser Summe durch Verringerung der Kronenbeträge hereingebracht werden könnte, zumal die Gehalte der Bahnbediensteten beträchtlich höher sind als jene der Staatsangestellten. Auch eine Reduzierung des sehr zahlreichen Personales dürfte nach allgemeiner Meinung im Lande in den Kreis der Erwägungen gezogen werden können. Übrigens muss beigefügt werden, dass das Fürstentum beabsichtigt, überhaupt zur Frankenwährung überzugehen und dass Verhandlungen im Zuge sind, welche die gesetzliche Einführung derselben bis 1. Juli erhoffen lassen. [7]

Was schliesslich die Drohung mit einer Verkehrssperre betrifft, so muss dieselbe selbstverständlich von der fürstlichen Regierung nachdrücklich zurückgewiesen werden, wobei darauf hingewiesen wird, dass nach den Konzessionsbestimmungen vom 14. Jänner 1870 [8] rücksichtlich der auf liechtensteinischem Territorium gelegenen Bahnstrecke die Bestimmungen des kaiserlich österreichischen Eisenbahnkonzessionsgesetzes vom 14. September 1854 [9] und der österreichischen Eisenbahnbetriebsordnung vom 16. November 1851 [10] massgebend zu sein haben und dass es nach diesen kaum zulässig sein dürfte, dass ein derartiges Transportunternehmen unvermittelt den Betrieb einstellt. Wenn die österreichische Regierung durch die gegenwärtigen Verhältnisse im Fürstentum, durch die Weiterführung des Eisenbahndienstes in Liechtenstein eine vorübergehende Mehrbelastung erfährt, so beehre ich mich, sie  wiederum daran zu erinnern, dass entsprechend der Konzession  für das für die Zwecke der Eisenbahn notwendige Terrain aus Landemitteln bestritten wurde und die Eisenbahnunternehmung für jeden zu obigem Zwecke eingelösten Quadratklafter einen Beitrag von lediglich 45 Neukreuzern in Silber zur Landeskassa zu leisten hatte und überdies der Eisenbahnunternehmung die Befreiung von jeder Steuer, mit Ausnahme der auf von Grund und Boden zu entrichtenden Gemeindebeiträge, desgleichen die Befreiung von der Entrichtung der Übertragungsgebühren  zugestanden wurde, ein Entgegenkommen von Seiten des Fürstentumes, dass gewiss die Hoffnung berechtigt erscheinen lässt, dass von Seiten der österreichischen Regierung in den jetzigen schwierigen Zeiten Entgegenkommen gezeigt werde; Österreich kann wohl nicht die Absicht haben, ein wenn auch kleines Volk durch Einstellung des Bahnbetriebes der grössten wirtschaftlichen Schwierigkeit und den verhängnisvollsten Erschwerungen in der Lebensmittelversorgung auszusetzen. Ein derartiges Vorgehen müsste die fürstliche Regierung zwingen die Intervention der Reparationskommission für sich in Anspruch zu nehmen.

Was endlich das an die Bahnämter gerichtete Ersuchen betrifft, über die Ein- und Ausfuhr statistische Ausweise zu liefern, so beehre ich mich im Auftrage der fürstlichen Regierung darauf hinzuweisen, dass ähnliche Ersuchen sowohl früher von den Bahnämtern als auch jetzt noch von den Postämtern und bis zur Kündigung des Zollvertrages von den Zollämtern entsprochen worden ist. [11]

Die durch den Krieg geschaffenen Verhältnisse haben öfter rasche Entschliessungen und Weisungen erfordert, so dass ein vorgängiges weitläufiges Einvernehmen mit im Auslande befindlichen Behörden meistens nicht tunlich war, und nach der Praxis des bisher stets beiderseitig betätigten weitestgehenden Entgegenkommens nicht nötig erschien. Dem Wunsche des Staatsamtes für Verkehrswesen entsprechend beehre ich mich, nunmehr im Auftrage der fürstlichen Regierung dasselbe höflichst um seine Zustimmung zur Ausarbeitung der in Betracht kommenden Ausweise durch die österreichischen Bahnämter im Lande zu ersuchen und gleichzeitig der Hoffnung Ausdruck zu geben, dass es die Bahnämter anweisen werde, die in Rede stehenden Ausweise baldigst der fürstlichen Regierung zu liefern. [12]

Der fürstliche Gesandte:

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[1] LI LA V 003/0873 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien: 99/3 – 20). Ebd. auch ein diesbezügliches Konzeptschreiben mit handschriftlichen Korrekturen und Ergänzungen. Eine Abschrift der Note ging ausserdem an das österreichische Staatsamt für Äusseres. – Zur Problematik der Lebensmittelversorgung der Eisenbahnbediensteten in Liechtenstein vgl. das Schreiben der österreichischen Staatsbahndirektion Innsbruck an die liechtensteinische Regierung vom 7.11.1919 (LI LA RE 1919/5560 (Aktenzeichen der Staatsbahndirektion: Z. 365/1/W)).
[2] Vgl. das Schreiben des liechtensteinischen Legationssekretärs Alfred von Baldass an die liechtensteinische Regierung vom 30.1.1920, demzufolge das österreichische Staatsamt für Verkehrswesen mit dem Abzug des Eisenbahnpersonales aus dem Fürstentum gedroht hatte, falls nicht umgehend die Lebensmittelversorgung der Eisenbahnbediensteten durch Frankenzuschüsse oder durch Warenabgabe in Kronenwährung zu marktüblichen Preisen sichergestellt werde (LI LA V 003/0873 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft: 99/1 20)).
[3] Vgl. das Schreiben des Landesverwesers Prinz Karl von Liechtenstein an die Gesandtschaft in Wien vom 4.2.1920 (LI LA V 003/0873 (Aktenzeichen der Regierung: Zl. 539/Reg. Aktenzeichen der Gesandtschaft: 99/3)). Die Bemerkung des Landesverwesers, dass Liechtenstein bei Einstellung des Eisenbahnverkehrs Gegenmassnahmen ergreifen müsse, fand dabei nicht die Zustimmung des Gesandten und wurde nach Rücksprache mit Fürst Johann II. nicht in die Note an das Staatsamt für Verkehrswesen aufgenommen (Schreiben der Gesandtschaft in Wien an die liechtensteinische Regierung vom 18.2.1920 (ebd.)): „Es ist mir nicht ganz klar, worin dieselben [Gegenmassnahmen] bestehen könnten. Das Aufreissen von Schienen, um den Verkehr überhaupt zu behindern, würde seitens der Entente keinesfalls geduldet werden und ein anderes Mittel steht – soweit ich die Sachlage überblicke – kaum zur Verfügung.“
[4] Es handelte sich um die Apotheke von Anton Münzberg in Vaduz (vgl. etwa LI LA RE 1920/3734).  
[5] Zur Genehmigung des Handelsvertrages mit der Republik Österreich durch den liechtensteinischen Landtag unter Vorbehalt einer neuerlichen Prüfung seitens der Finanzkommission vgl. das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 30.1.1920 (LI LA LTA 1920/S04).  Vgl. ferner die Verordnung vom 1.5.1920 betreffend die Abmachungen zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Republik Österreich, LGBl. 1920 Nr. 2.
[6] Vgl. das Handschreiben vom 10.2.1920 betreffend Gewährung eines unverzinslichen Darlehens an das Fürstentum Liechtenstein für die Lebensmittelschuld und für Beamtengehalte, LGBl. 1920 Nr. 4, sowie das Gesetz vom 8.4.1920 betreffend die Rückzahlungsbedingungen des zur Zahlung der Lebensmittelschuld des Landes bei der Schweizerischen Kreditanstalt in Zürich, für die Gewährung einer Teuerungszulage in Franken an Landesbeamte und –Angestellten und für die Kosten der fürstlich liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern bestimmten Darlehens von 550'000 Franken schweizerischer Währung, LGBl. 1920 Nr. 5. Zur Teuerungszulage an Beamte und Lehrer in Franken vgl. auch das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 20.3.1920 (LI LA LTA 1920/S04); ferner das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 22.5.1920 (ebd.).
[7] Vorerst wurde vom Landtag jedoch lediglich das Gesetz vom 27.8.1920 betreffend Umwandlung der Kronenbeträge in Schweizerfranken in den Gesetzen und Verordnungen über Steuern, Stempel, Taxen und sonstigen Gebühren sowie in den Strafbestimmungen, LGBl. 1920 Nr. 8, verabschiedet. Vgl. dagegen das Gesetz vom 26.5.1924 betreffend die Einführung der Frankenwährung, LGBl. 1924 Nr. 8.
[8] Vgl. das Gesetz vom 14.1.1870, LGBl. 1870 Nr. 1, insbesondere Art. 9.
[9] Vgl. die Verordnung des Ministeriums für Handel, Gewerbe und öffentliche Bauten vom 14.9.1854, giltig für alle Kronländer mit Ausnahme der Militärgrenze, betreffend die Ertheilung von Concessionen für Privat-Eisenbahnbauten, öst. RGBl. 1854 Nr. 238.   
[10] Vgl. die Kaiserliche Verordnung 16.11.1851, mit welcher eine Eisenbahn-Betriebs-Ordnung für alle Kronländer erlassen wird, öst. RGBl. 1852 Nr. 1.
[11] Vgl. § 4 der Verordnung vom 16.10.1919 betreffend die Neuregelung der Ein- und Ausfuhr von Waren jeder Art, LGBl. 1919 Nr. 11, sowie L.Vo., Nr. 87, 1.11.1919, S. 4 („Verordnung“).  
[12] Zur Frage des Frankenzuschusses für die Eisenbahnbediensteten in Liechtenstein vgl. in weiterer Folge den Bericht der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien an die liechtensteinische Regierung vom 29.4.1920 über die Verhandlungen mit den österreichischen Staatsämtern für Verkehrswesen, Äusseres und Finanzen (LI LA V 003/0914 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 302/5 1920)).