Handschriftliches Protokoll der ausserordentlichen Landtagssitzung, gez. Landtagspräsident Albert Schädler und die Landtagssekretäre Alfons Feger und Emil Wolfinger [1]
20.7.1914
Protokoll
über die am 20. Juli 1914 im Landtagssaale zu Vaduz abgehaltene Landtagssitzung
Anwesend sind der Herr Regierungschef [Leopold von Imhof] als fürstlicher Regierungskommissär und sämtliche Abgeordnete; das Protokoll der Sitzung vom 18. Juli d. Js. [2] wird verlesen u. genehmiget.
Der Herr Präsident begrüsst den Herrn Landesverweser Freiherrn v. Imhof namens des Landtages als fürstl. Regierungskommissär u. versichert, dass der Landtag dem Regierungschef volles Vertrauen entgegenbringe u. bittet, es wolle der Herr Landesverweser auch dem Landtage sein Vertrauen schenken; durch die Unterstützung der fstl. Regierung und durch allseitige gründliche Erörterung möge die vorliegende wichtige Frage einer glücklichen Lösung zugeführt werden. Leider sei der in Aussicht gestandene Besuch unsers geliebten Landesfürsten [Johann II.] umständehalber verschoben worden; doch hege man die Hoffnung, den Landesherrn zur Freude des Volkes bald im Lande begrüssen zu dürfen.
In das auf Seine Durchlaucht ausgebrachte Hoch wird freudig eingestimmt.
Der Herr Reg. Kommissär gibt die landesherrliche Bestätigung der Wahl des Präsidenten u. Vizepräsidenten [Friedrich Walser] bekannt, dankt für das ausgesprochene Vertrauensvotum, versichert, dass er sich dem Wohle des Landes widmen werde u. dass er der vorliegenden Materie das grösste Interesse entgegenbringe; das Lawenawerk bekunde den Geist des Fortschrittes und er wünsche den Verhandlungen den besten Erfolg.
Als einziger Verhandlungsgegenstand steht auf der Tagesordnung: das Lawenawerk.
Der Präsident verliest den folgenden Antrag, den die durch den Landtag bestellte Kommission [3] zur Beschlussfassung empfiehlt:
„Der Landtag beschliesst aus volkswirtschaftlichen Gründen, welche die Notwendigkeit einer elektrischen Kraftversorgung dartun, u. in Würdigung der einwandfreien fachmännische Nachweise, es sei das neue Kürsteinersche Lawenawerk-Projekt [4] durchzuführen, u. bewilliget den zur Erstellung des Projektes nötigen Kredit in der Höhe von K [Kronen] 776'000.
Die finanziellen Mittel sollen, soweit nicht schon disponible Landesmittel zur Verfügung stehen, von der Landeskassa bei der landschäftlichen Sparkassa durch ein verzinsliches Darlehen beschafft werden, wozu hiemit die fstl. Regierung ermächtiget wird. Die Höhe der Verzinsung u. der Amortisation wird einer spätern Vereinbarung vorbehalten. Zugleich beschliesst der Landtag, es sei – zunächst mit der Funktionsdauer bis zur Konstituierung des neuen Landtages – eine Baukommission von 5 Mitgliedern zu bestellen, von denen ein Mitglied von der Regierung als deren Vertreter ernannt wird u. die andern 4 Mitglieder vom Landtage gewählt werden; dieser Kommission obliegt, im Einvernehmen mit der fstl. Regierung die Bauleitung zu bestimmen, die Arbeiten, soweit nicht eine Regieausführung nötig wird, im Akkordwege zu vergeben u. alles weitere zur Förderung einer zweckmässigen Durchführung zu veranlassen. Bei der Vergebung der Arbeiten u. Materialbeschaffungen ist, soweit dies tunlich ist, in erster Linie die inländische Bevölkerung zu berücksichtigen.“
Der Präsident fordert auf, von der Debatte ausgiebig Gebrauch zu machen; durch den Einfluss der Presse u. durch Einfluss von aussen, sei in der vorliegenden Angelegenheit auch bei dem einen oder andern Abgeordneten etwelche Verunsicherung hervorgerufen worden; zu einer gründlichen Erörterung der Sache sei hier der rechte Platz.
Der Berichterstatter [Albert Schädler] ergreift das Wort, indem er auf das Referat verweist u. dann folgendes ausführt:
Freund u. Feind sind über den Punkt einig, dass es eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist, das Land mit elektrischer Kraft zu versorgen; es handelt sich nicht nur um eine gute Beleuchtung; wichtiger ist der Strombetrieb für das Kleingewerbe; wir befinden uns in einer Übergangsperiode; unsere Nachbarn sind im Gewerbe konkurrenzfähig, weil sie Strombetrieb haben; die Brandbeschädigten in Triesen [5] mussten zu ihren Neubauten viele Schreinerarbeiten aus dem Auslande kaufen; der Balzner Stein könnte mittelst elektrisch betriebener maschineller Einrichtungen besser ausgenützt werden u. der Absatz wäre ein grösserer; für die gewerblichen und landwirtschaftlichen Betriebe wird der beim Lawenawerk in Aussicht genommene Drehstrom billiger als der Gleichstrom; soll das Kleingewerbe nicht verarmen, muss das Land mit elektrischer Kraft versehen werden; von aussen machten sich markante Beeinflussungen fühlbar, bei Abgeordneten wurde zu viel antichambriert, die Kommission hat von den einschlägigen Pressfehden keine Notiz genommen, sie hat gründliche Beratungen gepflogen und ist den geraden Weg gegangen; der vorliegende K. [Kommissions] Antrag stützt sich auf Beratungen, an denen sich auch der jetzige Landesverweser beteiligte.
Es sind mehrere Streitfragen aufgeworfen worden, die erörtert werden sollen. Die wichtigste ist die Wasserfrage; hierüber darf man vollständig beruhigt sein; vor 30 Jahren hat Herr Landestechniker [Peter] Rheinberger genaue Messungen vorgenommen, deren Richtigkeit durch spätere Messungen von Fabriksdirektor Arbenz u. Ingenieur Gugl [Gubler] bekräftiget wurde; [6] es haben also 3 zuverlässige Männer das Vorhandensein einer genügenden Wassermenge konstatiert; die Messungen bewegen sich zwischen 50 u. 73 Liter im Minimum; Kürsteiner nimmt vorsichtshalber nur 40 Sekundenliter, rechnet aber mit einem Gefälle von 860 m, während [Arnold] Fussenegger [7] mit 60 l u. einem Gefälle von 604 m rechnet. Das Projekt [Louis] Kürsteiner stellt sich zwar etwas höher als das Projekt Fussenegger; es ist aber vorzuziehen, indem es eine grössere Kraftausnutzung vorsieht u. der projektierte Stollen mehr Sicherheit bietet als das offene Becken auf der Münz. Ins Feld geführt wird auch der zu geringe Stromverbrauch u. die dadurch bedingte schlechte Rentabilität; um einen Überblick über den Verbrauch zu gewinnen, soll das Land das Verteilungsnetz erstellen, den Strom von auswärts beziehen und dann allenfalls später bauen. Hiezu ist zu sagen, dass die Erstellung des Leitungsnetzes der Hauptkostenpunkt bildet in Anbetracht der sehr zerstreut liegenden Gemeinden Triesenberg u. Schellenberg. In den ersten Jahren würde man allenfalls vom Auslande mit billigem Strome versorgt werden, doch wohl nur solange, als eine bessere Verwendung hiefür nicht vorhanden wäre. Kürsteiner erklärt, dass das Lawenawerk ein so günstiges Gefällsverhältnis biete, wie man es selten treffe u. die Pferdekraft nicht höher zu stehen komme, als sie ein grosses Werk liefern könnte. Baut das Land jetzt nicht, sondern versorgt sich mit Elektrizität aus dem Ausland, so bleibt das Lawenawerk für immer begraben; was man selbst hat, soll man nicht kaufen. Die Befürchtung, durch den hohen Kostenpreis des Lawenawerkes werde auch Licht und Kraft teuer, ist hinfällig; Vaduz, Eschen u. Mauren haben jetzt billiges Licht u. das Land wird nie höhere Preise stellen, als die jetzigen Tarife sind. Vaduz hat bei dem kulanten Ablösungsvertrag die Bedingung gemacht, dass keine Erhöhung der Lichtpreise eintrete. Bezüglich der Rentabilität ist sicher damit zu rechnen, dass gleich anfangs die Betriebskosten u. eine 3-4 % tige Verzinsung gedeckt werden. In Vaduz u. Schaan kann mit einer Einnahme von je 13'000 K, in Balzers, Triesen und Triesenberg zusammen mit einer Einnahme von ca. 26'000 K gerechnet werden. Der Stromverbrauch ist überall ein steigender. Buchs verzeichnete anfänglich eine Jahreseinnahme von 24'000 frs., heute eine solche (ohne Bahnhof) mit 53'000 frs. Wenn auch eine Steigerung wie in Buchs naturgemäss nicht erwartet werden kann, so ist doch eine Steigerung vorauszusehen, besonders durch Errichtung von Grenzgeschäften wie in Schaan, wo schon wiederholt Anfragen wegen Abgabe elektrischer Kraft stattfanden. In wenigen Jahren werden sich Überschüsse ergeben u. dann kann man, da das Land keine Geschäfte machen will, zu Gunsten der Konsumenten auch unter der dermaligen Tarif heruntergehen.
Abg. [Emil] Batliner frägt an, ob nicht eine Erwiderung seitens Fusseneggers auf das Gutachten u. die Kritik Kürsteiners vorliege. Die Replik Fusseneggers [8] wird zum grössten Teil verlesen u. der Präsident hebt folgende Punkte hervor:
1. Fussenegger will zuerst die Quellen fassen u. dann den Stollenbau beginnen, was sich eigentlich von selbst verstehe;
2. Fussenegger empfiehlt Stahlröhren, weil leichter, Kürsteiner empfiehlt zum Teil Gussröhren, weil dauerhafter, für einen Teil der Druckleitung aber Stahlröhren;
3. Fussenegger findet den Stollenausgang an einem wegen Lawinen gefährlichen Punkte; Kürsteiner legt aber dort die Leitung 1.5 m tief in den Felsen;
4. Fussenegger wünscht das Maschinenhaus weiter von der Berglehne weg; dies liegt schon im Interesse der Gemeinde wegen Abholzung, dann auch mit Hinsicht auf Steinschläge.
Das Projekt Fussenegger bot eine vorzügliche Unterlage, doch biete Kürsteiners Projekt mehr Gewähr u. Fussenegger anerkenne dasselbe auch.
Abg. [Lorenz] Kind ist für den vollständigen Ausbau des Werkes; er legt eine Zusammenstellung der Feldkircher Stadtwerke vor, welche dartun sollen, dass sie bei den Gemeinden keine Rendite herausschlagen.
Abg. [Friedrich] Walser betont das Bestreben von aussen, den Bau des Werkes zu verhindern nach dem Spruche: Zeit gewonnen, alles gewonnen; durch die Finanzierung des Baues komme die Sparkasse zu einem gewissen Vorteile; bei der Rentenanlage habe man in letzten Jahren bedeutende Kursverluste zu verzeichnen gehabt; diese Verluste seien allerdings nur buchmässige; die Kasse sei jetzt aber in die Lage versetzt, einen Teil des Rentenbesitzes abzustossen, was umso ratsamer sei, als man nicht wissen könne, welchen Wert selbe später repräsentieren.
Abg. Batliner stimmt Walser bezüglich Abstossung der Rententitel bei; er ist aber nicht für vollständigen Ausbau des Werkes; für 15'000 K könne der Strom für 2-3 Jahre aus dem Auslande bezogen werden gegenüber einem Kostenpunkte von jährlichen 20'000 K im Falle des Ausbaues; es sei heute im Lande wenig Industrie, vielleicht werde dies später besser; es soll mit dem Ausbau zugewartet werden, bis man über den Verbrauch von Strom einen Überblick gewonnen habe.
Der Präsident: Ich nehme an, dass Batliner die angeführten Zahlen von auswärts, von einem uns ungünstigen Konkurrenten bekommen hat u. zu dessen Sprachrohr geworden ist; wenn mit Zahlen manipuliert wird, kann man jedes Werk unrentabel machen.
Abg. Batliner: verwahrt sich dagegen, das Sprachrohr der Stadtwerke Feldkirch zu sein; an Hand einer Aufstellung nennt er die voraussichtlichen Einnahmen einzelner Gemeinden.
Der Präsident will den Abg. Batliner nicht in dem Sinne als Sprachrohr bezeichnen, dass er eine von den Feldk. Stadtwerken bestellte Person sei, sondern nur in dem Sinne, als er nicht Fachmann sei.
Kürsteiner habe so kräftige Ziffern eingesetzt, dass eine Überschreitung nicht wohl möglich sei; Feldkirch habe die Absicht, alle liechtenst. Gemeinden mit Strom zu versehen; wir wollen aber nicht mit uns Geschäfte machen lassen, sondern wollen uns selbst helfen; wir wollen unsere Selbständigkeit wahren, wo wir können; wir können ein eigenes Werk bauen u. wollen es auch tun; dies schliesst aber nicht eine Animosität gegen Feldkirch in sich; wir wollen für den Fall der Notwendigkeit an Feldkirch anschliessen. Bezüglich des elektr. Teiles liegen Offerten vor von Innsbruck u. den Schuckertwerken in Wien; diese werden sich an die Ziffern halten müssen u. man hört verschiedenerseits, dass die Preise koulant seien.
Abg. [Franz Josef] Hoop weist auf die Gefahr hin, in welche das Dorf Ruggell geraten würde, wenn der unversicherte Damm unterhalb Bendern brechen würde.
Der Präsident erwidert, dass beschlossen sei, in erster Linie die gefährlichen Wuhrstellen in Triesen zu verbauen.
Des weiteren erklärt der Präsident, dass über den Gegenstand der Tagesordnung keine Abstimmung vorgenommen, sondern eine zweite Sitzung auf Mittwoch den 22. d. M. anberaumt werde, einmal um zur Abfassung des Protokolls die nötige Zeit zu gewinnen u. um dem Vorwurfe zu begegnen, als hätte man diese so wichtige Angelegenheit übers Knie gebrochen. Seitens der Kommission wäre die Angelegenheit aufgrund der Gutachten von Fussenegger und Kürsteiner spruchreif; die Kommission habe in 8 Sitzungen die Sache gründlich erwogen u. in Lawena einen Augenschein genommen; nach allem stehe ein günstiges Ergebnis in Aussicht. Zum Kommissionsantrag wird folgender Nachtrag zur Annahme empfohlen:
„Dieser Landtagsbeschluss wird an die ausdrückliche Bedingung geknüpft, dass die Tarife u. Stromlieferungsbedingungen möglichst günstiger werden u. keinesfalls höher u. ungünstiger festgesetzt werden sollen, als solche bereits in den drei mit elektrischem Strome versorgten Gemeinden [9] derzeit bestehen.“
Abg. [Jakob] Kaiser bringt folgenden Antrag ein:
„Mauren u. Eschen sind mit Vertrag auf mehrere Jahre an das Elektrizitätswerk Feldkirch gebunden. Wenn vom Lande ein Gesetz gemacht würde, dass vom Auslande kein Strom mehr bezogen werden darf, so soll genannten Gemeinden Licht u. Kraft nicht höher taxiert, als sie selbe von Feldkirch haben u. bei Einlösung der Hochleitung nicht weiter belastet werden.
Der Abg. Kind misst dem Baue des Lawenawerkes eine grosse Bedeutung bei für die Zukunft bezgl. des Bahnanschlusses.
Dazu bemerkt der Präsident, das der seinerzeit beabsichtigte Anschluss Liechtensteins an die rätische Bahn vorläufig nicht zustande gekommen sei, [10] dass aber immerhin die begründete Hoffnung bestehe, bei günstigeren Zeitverhältnissen die Frage wieder in Fluss zu bringen u. einem positiven Resultate zuzuführen. Das von dem Initiativkomitee Ragaz-Maienfeld i. J. 1907 beim Bundesrate in Bern eingereichte Konzessionsgesuch zur Erstellung der Bahn von Schaan bis Landquart wurde sowohl von der Regierung von Graubünden als auch von der Regierung von St. Gallen kräftig befürwortet u. die Gewährung der Konzession sogar durch eine besondere Botschaft des Bundesrates empfohlen. In letzter Stunde habe dann der Vorstand des Eisenbahndepartements infolge Einschreitens der Generaldirektion der schweiz. Bundesbahnen die Vorlage wieder zurückgezogen. Diese unerwartete Wendung sei hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass man – weit übertrieben – einen grossen jährlichen Entgang für die Bundesbahnen herausrechnete u. die Sachlage mit Splügenbahnprojekten verquickte. Es halte übrigens das genannte Initiativkomitee das Konzessionsgesuch noch immer aufrecht u, wenn einmal bessere Zeitverhältnisse, als die gegenwärtigen infolge der allgemeinen wirtschaftlichen Depression sind, eintreten, sei auch die Frage wieder aufzunehmen u. hoffentlich dann zu einem glücklichen, freundnachbarlichen Ziele zu führen. Komme dieser Bahnanschluss zustande, so könne die Bahn nach der Annahme Kürsteiners mit ca. 400 Pferdestärken elektrisiert werden. Die Erstellung des Lawenawerkes empfehle sich daher auch nach dieser Richtung im Blicke auf die Zukunft. –
Schluss der Sitzung um 12 Uhr. [11]