Maschinenschriftliche Abschrift eines Schreibens des Landtags an Fürst Johann II., nicht gez. [1]
o.D. (12.11.1923)
Euer Durchlaucht!
Zum 65. male jährt sich heute, dass Euere Durchlaucht als Nachfolger des hochseligen Fürsten Alois [II.] die Regierung des Fürstentums angetreten haben. Durch mehr als zwei Generationen steuern Euer Durchlaucht unser kleines Staatsschifflein kraftvoll und mit weiser Hand durch die Wogen des Weltgeschehens. Treusorgende Liebe eines edlen Fürstenherzens liess die brandenden Wogen sengenden und mordenden Weltenbrandes an den Grenzen unseres friedlichen Eilandes zerschellen, bewahrete uns vor furchtbarer Blutsteuer. Wer die Geschichte Liechtensteins seit dem 12. November 1858 überblickt, den muss die steigende, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung unseres Landes und Volkes fesseln. Euerer Durchlaucht nimmermüde Fürsorge war es stets, Liechtensteins Geschicke in Bahnen zu lenken, die das Land zur Blüte führen mussten. Nicht genug damit, die Schicksalsmächte uns günstig gestimmt zu haben, haben Euere Durchlaucht keinen Anlass vorübergehen lassen, gemeinnützige Werke im Lande in munifizentester Weise zu fördern, haben hilfreich überall da eingegriffen, wo bittere Armut hauste. Wer zählt die Tränen, die Euerer Durchlaucht Mildherzigkeit getrocknet hat, die Wohltaten, die Euer Durchlaucht der bedrängten, leidenden Menschheit zuteil werden liessen. In den Annalen unseres lieben Vaterlandes ist mit goldenen Lettern der Ruhm Euerer Durchlaucht verewigt, ist der staatsmännischen Klugheit und dem sozialen Wirken Euerer Durchlaucht ein unvergängliches Denkmal gesetzt worden. Die unerschöpfliche Munifizenz und das weit über Europas Grenzen bekannte Mäzenatentum eines edelsten Fürsten werden als Vorbild trefflichsten Herrschertugenden der Nachwelt ein leuchtendes Vorbild sein. Wir, die gewählten Vertreter und die Regierung des Liechtensteiner Volkes, sind aus Anlass des heutigen Jubeltages zu einer Festsitzung versammelt. Bewegten Herzens feiern wir mit unserem Volke den heutigen Jubeltag, erneuernd die Versicherung unentwegter Treue an Euere Durchlaucht und das hochfürstliche Haus. Die Gefühle tiefstempfundenen Dankes für alle Wohltaten, die Euere Durchlaucht in einer langen und glücklichen Regierungszeit unserem Vaterlande angedeihen liessen, durchglühen unsere Herzen. Ein einziges mächtiges Dankgebet strömte gestern und heute [2] aus allen Kirchen des Landes, dankend dem Herrn, dass er Euerer Durchlaucht eine so lange Regierungszeit bescherte, bittend, dass Hochdenselben noch viele Jahre beschieden sein mögen, das Szepter Liechtensteins zu führen.
Mit den Gefühlen unseres innigsten Dankes legen wir an die Stufen des fürstlichen Thrones die herzliche Bitte, Euere Durchlaucht wollen fortfahren, unser Land und Volk einer glücklichen Zukunft entgegenzuführen.
Geruhen Euere Durchlaucht, diese Dankes- und Huldigungsadresse gnädigst anzunehmen. [3]
Euerer Durchlaucht
in tiefster Ehrerbietung
dankschuldiger Landtag:
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[1] LI LA RE 1923/2327. Weiteres Exemplar ebd. sowie unter LI LA LTA 1923/L47. Die Huldigungsadresse wurde in der Festsitzung des Landtags vom 12.11.1923 verabschiedet (LI LA LTP 1923/047). In die nach Wien abgehende Huldigungsdelegation wurden Landtagspräsident Wilhelm Beck, Landtagsvizepräsident Johann Büchel, Regierungschef Gustav Schädler und Regierungsrat Felix Gubelmann gewählt. Unmittelbar davor hatte Fürst Johann II. das dem Land Liechtenstein 1920 gewährte Darlehen für die aus dem Ersten Weltkrieg herrührende Lebensmittelschuld in Höhe von 550'000 Franken erlassen (vgl. das Fürstliche Handschreiben vom 12.11.1918 unter LI LA RE 1923/3623 ad 2327; publiziert im LGBl. 1923 Nr. 21). Die Huldigungsadresse des Landtags wurde im Übrigen in den Landeszeitungen publiziert: O.N., Nr. 90, 14.11.1923, S. 1 („Landtagsbericht vom 12. November 1923“); L.Vo., Nr. 91, 17.11.1923, S. 1 („Fürstliches Handschreiben Seiner Durchlaucht unseres hochherzigen Jubelmonarchen“).
[2] Zu den Feierlichkeiten vom 11. und 12.11.1923 vgl. das Schreiben der Regierung an alle Ortsvorstehungen vom 24.10.1923 (LI LA RE 1923/3421) bzw. an alle Schulen des Landes (ebd.).
[3] Der fürstliche Kabinettsdirektor Josef Martin teilte dem Landtagspräsidium mit Schreiben vom 15.11.1923 mit, dass „die so gelungene Textierung der Adresse den vollen Beifall des Landesfürsten gefunden“ hatte (LI LA RE 1923/3718 ad 3421 (Aktenzeichen der fürstlichen Kabinettskanzlei: No. 302/1)). Die Adresse war vom liechtensteinischen Künstler Egon Rheinberger gestaltet worden. Vgl. auch das Fürstliche Handschreiben an Regierungschef Schädler vom 15.11.1923, in welchem der Fürst dem Volk für alle Kundgebungen seinen wärmsten Dank aussprach (LI LA RE 1923/3421).