Die „Oberrheinischen Nachrichten“ üben Kritik am Programm des „Liechtensteiner Volksblattes“ für die Landtagswahl vom März 1918


Artikel in den „Oberrheinischen Nachrichten“ [1] 

2.3.1918

Zum Programm der neuen Partei

Im feind. Blatte [2] wird folgendes Programm den von der „Löwen“-Partei [3] aufgestellten Kandidaten empfohlen: Selbstständigkeit und monarchische Verfassung Liechtensteins. Keine Parteiungen, sondern Freiheit des einzelnen Abgeordneten. Entwicklungen unseres Verkehrs- und Wirtschaftslebens; Zustandekommen des Lawenawerkes; Reform des Steuerwesens; Abänderungen der Jagdverhältnisse (?) im Sinne der letzten Landtagsbesprechungen; Schaffungen eines modernen Pressgesetzes; Errichtung eines Krankenhauses, Beibehaltung des Zollvertrages mit Österreich. Dies Programm sei aber nicht vollständig und dass diese Punkte unter jeder Bedingung erledigt werden müssen, meint der Schriftführer [4] der Gegenpartei, sei nicht nötig. Das sind wirklich recht nette Versprechen! Und nun unsere Stellung dazu: An der Selbständigkeit unseres Landes hat wohl noch niemand gerüttelt; ebensowenig wie an der monarchischen Verfassung. Gerade für uns gilt der Grundsatz: Liechtenstein den Liechtensteinern! Die bei den Gegnern führenden Personen mögen sich einmal fragen, ob sie ihre heute wohlfeile Behauptung bei Anstellungen stets nachdrücklich betont haben. Wer hätte hier schon längst eingreifen können? Wann ist es unsern Patrioten endlich eingefallen, die Postverhältnisse zu regeln und wie sind sie geregelt worden? Warum sind die Herren Gegner nicht schon längst dagegen vorstellig geworden, dass gewisse Jagdgebiete an Ausländer verpachtet wurden? Warum haben dann unsere auf einmal währschaften Parlamentarier in ihrem Selbständigkeitsgefühl nicht dafür gesorgt, dass die Beschuldigten in Gefällssachen nicht ausser Landes geführt werden dürfen? [5] Warum haben diese Herren beim Bahnbau nach Buchs nicht die Interessen des Landes zu wahren verstanden, so dass Österreich ganz frei den Fahrplan einrichtet? [6] Warum wurden die Sparkassengelder so einseitig angelegt und damit das Land und die Kasse in wirtschaftliche Abhängigkeit versetzt? Man gebe uns, bitte, auf diese Fragen Antwort.

Beibehaltung der monarchischen Verfassung: [7] Wer will denn diese nicht beibehalten und eine andere einführen? Gerade diese Stelle zeigt uns wieder, in welchem Sinne die uns bekannte Anschwärzung nach obenhin erfolgte. Besteht etwa die monarchische Gesinnung im Ausdrucke eines veralteten und lächerlichen Untertanenstils? Das Volk denke einmal über die Ursachen des Patriotismus bei manchen Herren nach. Einer dieser gegnerischen Patrioten hat vor einiger Zeit noch ausdrücklich erklärt, wo es ihm gut gehe, da sei sein Vaterland. Das ist Sand in die Augen des Volkes!

Keine Parteiungen, sondern Freiheit des einzelnen Abg. O, du heilige Einfalt! Sind nicht schon unter Dr. [Karl Wilhelm] Schlegel sel., später unter Ing. Karl Schädler sel. Parteien gewesen und wie hat man sich damals dazu gestellt? Haben nicht schon parteiliche Besprechungen unter den gegnerischen Abg. stattgefunden und sind nicht selbst gewiegte Parlamentarier nachgegangen? Welchen Zweck hat denn eine hauptstädtische Stammtischgesellschaft schon längst verfolgt?

Entwicklung unseres Verkehrs- und Wirtschaftslebens. Warum ist eine das Gewerbewesen hemmende Gewerbeordnung, die bald wieder abgeändert werden musste, geschaffen worden? [8] Warum hat man nicht für andere Postverhältnisse im Lande gesorgt? [9] Warum musste erst 1917 von unserer Seite der Antrag auf Schaffung einer Verkehrskommission gestellt werden [10] und ist es früher niemand eingefallen, obwohl manche schon viele Jahre im Landtag sitzen? Warum zieht man keine neuen Industrien heran od. macht wenigstens den Versuch und legt das Geld nur im Auslande an? Wer hat die Bauhandwerkerkurie angeregt? Oder die hauswirtschaftliche Fortbildung der Mädchen? Wer den Krankenwagen? [11] Doch die Abg. unserer Richtung. Und wer hat uns stets Prügel in die Füsse geworfen? Das waren gegnerische Abgeordnete. Ebenso ist von uns die Rietentwässerung angeregt worden. [12]

Lawenawerk. [13] Das wollen doch nicht nur die Gegner allein errichten, sondern das ganze Land. Aber von welcher Seite kamen die Widerstände? Warum haben wir bei den jetzigen Zeiten noch kein Elektrisches, obwohl es sehr notwendig wäre? Weil sich die früheren Abgeordneten zu wenig dafür ins Zeug legten. Schiebe man die Schuld doch nicht immer auf einen Beamten und bekenne man seine Schuld.

Reform des Steuerwesens. [14] Nie ist ernstlich eine Reform des Steuerwesens angestrebt worden. Wohl haben Abgeordnete einmal den Wahlmännern ein Reform versprochen. Dabei ist es im allgemeinen geblieben, denn die kleinen Flicke kommen nicht in Betracht. Erst Dr. [Wilhelm] Beck und Mitunterzeichner haben die Totalrevision beantragt. Damals sagte man zum Antrag nur so ja. Und heute erhebt man ihn zu einem Programmpunkt. Wir müssen zwar sehr bezweifeln, ob die Gegenpartei die zur Reform richtigen Männer vorschlägt.

Jagdwesen. Ein gegnerischer Abgeordneter hat einmal gesagt, die Kritik des Jagdwesens sei ein populäres Mittel zur Stimmungsmache. Was tun denn heute diese Vaterlandsretter? Wer hat lange Zeit nie etwas von einer Erhöhung der Jagdpachtschillinge, von einer andern Verpachtung geredet? Schon Jahrzehnte lang ist es ein unerfüllbarer Wunsch des Volkes. Hätte man nicht schon längst mehr aus dem Jagdvergnügen herausschlagen können? Unsere Seite hat je und je gegen diese Ungerechtigkeit Stellung genommen, hat verlangt, dass die Jagdschäden entsprechend vergütet und die Gebiet gut verpachtet werden. Wer hat dann endlich den Antrag auf Übergang des Jagdregals auf die Gemeinden im Landtag gestellt? [15] Es war der heute so verpönte Herr Abgeordnete [Josef] Sprenger. Und heute verlangen diese Herren, die zum Teil Jagdpächter sind, selbst eine Änderung. Ob aber gerade Jagdpächter die hiezu geeigneten Personen sind, bleibe dahingestellt.

Schaffung eines modernen Pressgesetzes. Dieser Programmpunkt zwingt ein mitleidiges Lächeln ab. Wir fragen nur: Wo ist denn der schon vor 8 Jahren verfasste Entwurf begraben? [16] Im Grossen und Ganzen ist in dieser Sache seit dem Tode des Abgeordneten Karl Schädler selig [17] nichts mehr getan worden. Wenn ein Punkt, so ist es gerade dieser, der uns zeigt, dass andere Personen in den Landtag einziehen müssen, die den Willen und Mut haben, die Sache zum Abschluss zu bringen.

Errichtung eines Krankenhauses. [18] Von informierter Seite ist uns mitgeteilt worden, dass früher schon Abgeordnete gegen die Errichtung eines Krankenhauses waren. Erst unsere Abgeordneten [Wendelin] Kindle, Sprenger, Dr. Beck etc. haben einen bezüglichen Antrag gestellt. Was will da die Partei Neues damit? Der Landtag hat sich ja für die Errichtung ausgesprochen. Von welcher Seite kamen die Widerstände gegen, man höre und staune, einen Krankenwagen?

Beibehaltung des Zollvertrages. Wir wissen nicht, wer sich grundsätzlich gegen die Beibehaltung ausgesprochen hat. Aber aus der Fassung im Programm könnte man unsere Seite für die Sünder halten. Darüber zu debattieren, hat vorläufig keinen Sinn. Wohl wäre 1912 der richtige Zeitpunkt gewesen, im Landtag hat man es aber anscheinend vergessen. Es wird aber wohl jedermann einleuchten, dass nach den in der Kriegszeit gemachten Erfahrungen der Vertrag revisionsbedürftig ist. Das müssen selbst unsere grimmigsten Gegner zugeben.

Die vorstehenden Programmpunkte unserer Gegner bieten nur schon bereits Beantragtes oder Angeregtes. Zum mindestens hätte man nach dem vielen Lärm der Gegner etwas Ordentliches erwarten dürfen. Allein, vielfach ist man über dieses Programm, das ja nur von uns abgeschrieben wurde, sehr enttäuscht. Es zeigt sich ja recht wieder, dass alles, was von uns kommt, einfach kritisiert wird und nicht genehm ist. Sobald aber die Gegner die gleiche Sache aufstellen, soll das Volk sprachlos zu ihnen emporschauen.

Wir müssen die Herren schon bitten, mit anderen Sachen aufzumarschieren, wenn wir sie als Volksmänner bewerten sollen. Was fürs Volk schon von anderer Seite verfochten wird, brauchen sie nicht nochmals aufzuwärmen. Grosse Dinge konnte man nach dem geheimnisvollen Tun erwarten und kleine Dinge kamen an den Tag.

Niemand hat den politischen Betätigung der Beck'schen Partei je ein so ehrendes Zeugnis ausgestellt als die Herren Gegner, die nun auf einmal alles annehmen. Das Volk hat daher allen Grund, bei den Wahlen unsere Kandidaten ehrenvoll zu wählen.

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[1] O.N., Nr. 9, 2.3.1918, S. 1.
[2] Vgl. L.Vo., Nr. 8, 22.2.1918, S. 1 („Unsere Oberländer Abgeordneten für den kommenden Landtag“). Vgl. ausserdem: L.Vo., Nr. 10, 8.3.1918, S. 1 („Unsere Unterländer Abgeordneten für den kommenden Landtag“).
[3] Die formelle Gründung der Fortschrittlichen Bürgerpartei erfolgte erst am 22.12.1918. Für die Christlich-soziale Volkspartei lässt sich kein Gründungsdatum mehr eruieren.
[4] Von 1918 bis 1921 war Eugen Nipp Redakteur des „Liechtensteiner Volksblattes“. 
[5] Hinsichtlich der Verfolgung bzw. Ahndung von Gefällsübertretungen vgl. Art. 16 des Vertrages zwischen Seiner Majestät dem Kaiser von Österreich und apostolischen König von Ungarn und Seiner Durchlaucht dem souveränen Fürsten von Liechtenstein vom 2.12.1876 über die Fortsetzung des durch den Vertrag vom 5.6.1852 gegründeten Österreichisch-Liechtensteinischen Zoll- und Steuervereines, LGBl. 1876 Nr. 3 bzw. öst. RGBl. 1876 Nr. 143. 
[6] Vgl. das Gesetz vom 14.1870, LGBl. 1870 Nr. 1, sowie den Staatsvertrag vom 27.8.1870 zwischen Österreich-Ungarn, zugleich für das Fürstentum Liechtenstein, Bayern und der Schweiz betreffend die Herstellung einer Eisenbahn von Lindau über Bregenz nach St. Margrethen sowie von Feldkirch nach Buchs (LI LA SgSTV 1870.08.27 bzw. öst. RGBl. 1871 Nr. 13).  
[7] Vgl. die Verfassung vom 26.9.1862 (LI LA SgRV 1862/5).
[8] Vgl. das Gesetz vom 30.4.1910 betreffend Erlassung einer neuen Gewerbeordnung, LGBl. 1910 Nr. 3, sowie das Gesetz vom 13.12.1915 betreffend die teilweise Abänderung der Gewerbeordnung, LGBl. 1915 Nr. 145.
[9] Vgl. das Übereinkommen zwischen der k.k. österreichischen und der fürstlich liechtensteinischen Regierung vom 4.10.1911 betreffend die Verwaltung des Post-, Telegraphen und Telephondienstes im Fürstentum Liechtenstein, LGBl. 1911 Nr. 4.
[10] Vgl. das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 31.12.1917 (LI LA LTA 1917/S04/2).
[11] Vgl. das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 11.1.1917 (LI LA LTA 1917/S04/2).
[12] Dieser Absatz wurde im besagten Artikel in den "Oberrheinischen Nachrichten" irrtümlich zweimal abgedruckt.  
[13] Der Landtag beschloss 1914 den Bau des Wasserkraftwerkes Lawena („Lawenawerk“; vgl. die Protokolle der ausserordentlichen Landtagssitzungen vom 20.7. und 22.7.1914 unter LI LA LTA 1914/S04/2). Nach einem Baustopp während des Ersten Weltkrieges wurde das Projekt 1919 fortgesetzt und nach einer weiteren Unterbrechung bis 1927 abgeschlossen. Vgl. in diesem Zusammenhang das Gesetz vom 11.1.1923 betreffend das Landesunternehmen „Landeswerk Lawena“, LGBl. 1923 Nr.1.   
[14] Vgl. die Protokolle der öffentlichen Landtagssitzungen vom 6.11. und 29.11.1917 (LI LA LTA 1917/S04/2). Vgl. ferner LI LA RE 1917/4681.
[15] Vgl. das Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung vom 7.1.1918 (LI LA LTA 1918/S04/2). 
[16] Vgl. u.a. die Protokolle der öffentlichen Landtagssitzungen vom 16.12.1909 (LI LA LTA 1909/S04/2) und vom 10.12.1910 (LI LA LTA 1910/S04/2). In der öffentlichen Landtagssitzung vom 25.11.1916 wurde die Regierung vom Landtag eingeladen, in Ausführung von § 8 der Verfassung ein „modernes Pressgesetz“ auszuarbeiten (LI LA LTA 1916/S04/2).
[17] Karl Schädler verstarb am 21.12.1907.
[18] Zur Verschiebung der Krankenhauserrichtung auf Friedenszeit vgl. LI LA RE 1917/4682 und zur Stiftung durch Fürst Johann II. vgl. LI LA SF 01/1918/048. Vgl. weiters die Protokolle der öffentlichen Landtagssitzungen vom 28.1. und 6.3.1919 (LI LA LTA 1919/S04).