Liechtenstein betont gegenüber der Pariser Friedenskonferenz seine Souveränität und Neutralität


Memorandum der Regierung, verfasst von Prinz Eduard, Gesandter in Wien, gez. von diesem mit Namen von Landesverweser Prinz Karl, an die Pariser Friedenskonferenz zu Handen ihres Präsidenten, des französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau (maschinenschriftlicher Entwurf, mit handschriftlichen Korrekturen) [1]

o.D. (Anfang September 1919)

Die fürstliche Regierung hat sich erlaubt unterm 20. Mai l.J. der Pariser Friedenskonferenz ein Aide Mémoire zu unterbreiten, [2] in welchem sie auf die vom Fürstentume während des Krieges beobachtete und von den alliierten Grossmächten mehrfach anerkannte strikte Neutralität hinwies. Hiebei sprach die fürstliche Regierung die Hoffnung aus, die hohe Konferenz werde dem Fürstentume, welches durch die Auflösung der österr.-ungar. Monarchie in seinen vitalsten wirtschaftlichen und rechtlichen Lebensbedingungen berührt ist, durch Zulassung eines Vertreters zur hohen Pariser Friedenskonferenz und Zulassung zum Völkerbund die Möglichkeit geben, seine wirtschaftliche und staatliche Zukunft zu sichern. Eine Antwort auf dieses Memorandum, das auch den Regierungen der alliierten Grossstaaten durch ihre Wiener Vertretungen übermittelt wurde, ist bisher nicht erfolgt.

Die fürstliche Regierung verkennt nicht, dass die hohe Friedenskonferenz bisher durch die Verhandlungen mit Deutschland und Österreich vollkommen in Anspruch genommen war und glaubt darin die Ursache für das Ausbleiben der Antwort erkennen zu dürfen. Trotzdem glaubt sie, jetzt, wo der Abschluss des Friedens auch mit Österreich erfolgt ist, doch wieder die Aufmerksamkeit der Friedenskonferenz auf sich und ihre Angelegenheiten lenken zu dürfen.

Die Auflösung der österreichischen-ungarischen Monarchie hat den zwischen ihr und dem Fürstentume bestandenen Zollvertrag [3] in sich zusammenfallen lassen. Die Gleichheit der Währung in Österreich und Liechtenstein hat die völlige Entwertung der Zahlungsmittel des Fürstentumes trotz seiner Neutralität und trotzdem seine finanzielle Lage es in keiner Weise rechtfertigt, zur Folge gehabt; dies wird von der Bevölkerung umso härter empfunden, als das Fürstentum für seinen Lebensmittelbezug vielfach auf die Schweiz und die Länder der lateinischen Münzkonvention sowie die associierten Staaten der Entente, wie die čechoslovakische Republik und das Königreich der Serben, Kroaten und Slovenen angewiesen ist. Mit diesen letzteren besitzt das Fürstentum auch insoferne Beziehungen, als es durch den ehemals mit Österreich-Ungarn bestandenen Zollvertrag, dessen Weiterführung mit Deutschösterreich allein das Fürstentum nicht anstrebt, [4] eine Reihe von finanziellen Forderungen an die Gesamtheit der Nationalstaaten zu stellen hat. [5] Die für die finanzielle Lage des Landes hochbedeutsame glückliche Durchsetzung dieser Forderungen hängt jedoch zum grossen Teile von der offiziellen Anerkennung der Neutralität des Fürstentumes durch die hohe Friedenskonferenz, sowie späterhin von der Gewährung des durch den Völkerbund garantierten Schutzes der kleinen Staaten ab, da in verschiedenen Kreisen die Tendenz zu bestehen scheint, Liechtenstein als einen der Entente und daher auch den Associierten feindlichen Staat hinzustellen und auf diese Weise in seinen berechtigten Interessen zu schädigen. Ein Beweis für diese Auffassung ist, dass die wiederholten Bemühungen der fürstlichen Regierung, bei der čechoslovakischen Regierung in Prag eine fürstliche Gesandtschaft zu errichten, die wegen der wirtschaftlichen Interessen des Fürstentumes für dieses von der grössten Bedeutung ist, bisher zu keinem Resultate geführt haben. Das Ministerium des Äussern in Prag widersetzte sich bis jetzt, indem es die Unmöglichkeit der Zulassung einer Gesandtschaft, insolange die formelle Anerkennung der Neutralität des Fürstentumes durch die Friedenskonferenz in Paris nicht erfolgt sei, betonte, weil die čechoslovakische Republik sich als mit dem Fürstentume im Kriegszustande befindlich betrachte. Das Ministerium in Prag stützt sich hiebei auf eine Reihe von Gründen, welche die fürstliche Regierung nicht unwidersprochen lassen kann, namentlich da der Gedanke nicht abzuweisen ist, dass die Vertreter der čechoslovakischen Regierung auch gegenüber der Pariser Friedenskonferenz sich auf die selben Argumente stützen, ohne dass das Fürstentum in der Lage wäre, seinen Standpunkt durch eigene Vertreter geltend zu machen; das wiederholte Erscheinen von offenbar inspirierten Artikeln in der čechoslovakischen nationalistischen und sozialistischen Presse, in welchen immer wieder auf Grund der erwähnten Argumente die entschädigungslose Konfiskation des fürstlichen Besitzes in der Čechoslovakei, als des Besitzes eines feindlichen Souveräns, propagiert wird, lassen die Befürchtungen der fürstlichen Regierung umso begründeter erscheinen. Die Bevölkerung Liechtensteins erblickt jedoch in der Souveränität und Unabhängigkeit des Fürstentumes sein höchstes Gut, für dessen Sicherung wieder die Erhaltung der in der čechoslovakischen Republik gelegenen fürstlichen Besitzungen unentbehrlich ist, da der regierende Fürst [Johann II.], welcher verfassungsgemäss eine Zivilliste aus seinem Lande nicht bezieht, in weitestgehender Weise auf Grund seines nach den geltenden familienrechtlichen Bestimmungen dem jeweiligen Regierer des Fürstentumes zugehörigen Familienbesitzes für die Bedürfnisse seines Landes aufkommt.

Wie die Zeitungen gemeldet haben, hat der Vorsitzende der Pariser Friedenskonferenz, Seine Exzellenz der Herr Ministerpräsident Clemenceau einer Abordnung Luxemburgs gegenüber den festen Willen der Friedenskonferenz betont, die Selbstbestimmung und das Recht auf Selbständigkeit auch der kleinsten Völker wahren zu wollen. Das Fürstentum Liechtenstein glaubt, dass daher auch seine diesbezüglichen berechtigten Ansprüche bei der verehrlichen Friedenskonferenz Achtung und Unterstützung finden dürften und hat der Landtag des Fürstentumes die fürstliche Regierung aufgefordert, mit einer neuerlichen Note an die hohe Friedenskonferenz heranzutreten. [6]

Die in den oberwähnten Artikeln der čechoslovakischen Presse enthaltene und von einzelnen der höchsten Funktionäre der Prager Regierung vertretene Auffassung gipfelt in folgenden Sätzen:

  1. Das Fürstentum Liechtenstein ist kein souveräner Staat, sondern ein blosser Annex Österreichs.
  2. Das Fürstentum Liechtenstein war im Weltkriege nicht neutral, sondern ist im Jahre 1914 gleichzeitig mit dem österreichischen Staatsgebiet Kriegsschauplatz geworden.
  3. Der regierende Fürst von Liechtenstein stand dem österreichischen Staate gegenüber nicht in dem Verhältnisse eines fremden Staatsoberhauptes, sondern in dem eines einfachen Untertanen.

Aus diesen drei Erwägungen ergäbe sich für die čechoslovakische Republik die Berechtigung, die auf ihrem Boden gelegenen fürstlichen Güter als feindliches Vermögen zu betrachten und vom Staate entschädigungslos zu konfiszieren.

Diese Behauptungen sind umso erstaunlicher, als sie den wohlüberlegten Ansichten der bedeutendsten Staatsmänner der Entente, deren genaue Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse nicht bezweifelt werden kann, schroff widersprechen.

ad 1.) Die Souveränität des Fürstentumes Liechtenstein wurde von der Friedenskonferenz bereits ausdrücklich anerkannt, indem sie im Artikel 1 des II. Teiles der Friedensbedingungen für Österreich [7] als Grenze Österreichs "mit der Schweiz und Liechtenstein die gegenwärtige Grenze" festsetzt.

Die fürstliche Regierung glaubt daher nicht erst bemüssigt zu sein, die von allen hervorragenden Völkerrechtslehrern anerkannte Souveränität des Fürstentumes weitausholend beweisen zu müssen, sie erlaubt sich jedoch kurz auf die Rheinbundakten vom Jahre 1806, [8] auf die Deutsche Bundesakte vom Jahre 1814 [9] und die Wiener Schlussakte vom Jahre 1815 [10] hinzuweisen, durch welche die volle Souveränität des Fürstentumes begründet wurde, sowie auf die Tatsache, dass seitdem keine Verhältnisse eingetreten sind, welche diese in Frage gestellt oder aufgehoben hätten.

Das Fürstentum hat seine inneren Verhältnisse unabhängig von dem Willen eines anderen Staates stets vollkommen souverän geregelt. Liechtenstein ist eine konstitutionelle Monarchie, deren Verfassung und Verwaltung auf den Staatsgrundgesetzen vom 26. September 1862 beruht. [11] Ohne Einfluss eines zweiten Staates, insbesondere ohne rechtliche und faktische Beeinflussung durch Österreich regelt es aus eigener Machtvollkommenheit seine Landesfinanzen, seine Polizei, sein Gemeindewesen, sein Armenwesen, seine Landeskultur, seinen Verkehr und Handel, seine Schule und seine Justizverwaltung; seine erste gerichtliche Instanz befindet sich im Lande, die zweite Instanz [12] besteht aus vom Fürsten ernannten Mitgliedern und steht in keinerlei Verbindung mit irgend einem österreichischen Gerichte. Lediglich die dritte Instanz ist auf Grund eines mit Österreich abgeschlossenen Justizvertrages [13] einem beim Oberlandesgericht Innsbruck gebildeten eigenen Senat anvertraut. Alle diese Instanzen fällen ihr Urteil auf Grund der Gesetze des Fürstentumes und im Namen Seiner Durchlaucht des regierenden Fürsten. Das Fürstentum war und ist auch nach aussen vollkommen souverän und vertritt verfassungsgemäss der Landesfürst den Staat in seinem Verhältnis gegen auswärtige Staaten. Der Schutz und die Vertretung seiner Staatsbürger im Auslande war auf Grund besonderen Vertrages zwar den k.u.k. österr.-ungarischen Missionen anvertraut, [14] doch gegen dem, dass die fürstliche Regierung für die hiebei etwa erwachsenden Auslagen und subsidiär auch für die von den liechtensteinischen Staatenangehörigen zu leistenden Gebühren aufzukommen habe; dass durch diese vertragsmässige Übung der Souveränität des Fürstentums Abbruch geschehen sei, kann vernünftigerweise nicht behauptet werden, namentlich, da ja auch andere viel grössere Staaten als Liechtenstein, deren Souveränität niemand in Zweifel zieht, unter Umständen in einzelnen Staaten die Vertretung der Interessen ihrer Bürger einer anderen Macht anvertrauen.

Die Emanation der freien und selbständigen Staatspersönlichkeit, für den kleinen Staat das sprechendste Zeichen staatlicher Freiheit und Selbstbestimmung, kommt für Liechtenstein in einer Reihe völkerrechtlicher Verträge zum Ausdruck, so beispielsweise in dem Traktat mit Russland, unterzeichnet von Kaiser Alexander I. de dato Frankfurt am Main 27.XI. / 7.XII.1813 bezüglich Abschlusses der grossen Allianz [15] und Traktat mit Preussen, unterzeichnet von König Friedrich [Wilhelm] III. de dato Hauptquartier, Freiburg 10.I.1814, samt Nebenverträgen wegen Abschluss der grossen Allianz, [16] im Akzeptationsvertrag des Königs Georg IV. von Grossbritannien und Irland bezüglich der vom souveränen Fürsten von Liechtenstein vollzogenen Akzession zu den Beschlüssen des Wiener Kongresses de dato Carlton House, 26. Oktober 1816, [17] verschiedene Verträge mit der Schweiz u.s.w., u.s.w.

Das Fürstentum Liechtenstein hat vollkommen souverän die Voraussetzungen für die Vollstreckbarkeit ausländischer Erkenntnisse geregelt, und die Vollstreckung eines ausländischen Urteiles von dem Nachweis der formellen Reziprozität abhängig gemacht.

Auch die mit Österreich-Ungarn abgeschlossenen Verträge bezeugen die vollständige staats- und völkerrechtliche Unabhängigkeit des Fürstentumes, so der Zollvertrag vom 3. Dezember 1876, samt Additionalkonvention vom 27. November 1888, [18] der Justizvertrag vom 3. August 1884, das Postübereinkommen vom 4. Oktober 1911. [19] Dass diese mit der österreichischen Monarchie geschlossenen Verträge keine "Eingliederung" des liechtensteinischen Regierungs-Apparates in den österreichischen Staat zur Folge hatten, sondern die Souveränität desselben voll gewahrt blieb, wird am Besten durch die Tatsache bewiesen, dass Verträge, die von Österreich-Ungarn geschlossen werden sollten, und durch die das Fürstentum Liechtenstein auf Grund des bestehenden Zollvereines in seinen Interessen berührt wurde, erst dann ratifiziert werden konnten, wenn dasselbe seine Zustimmung hierzu gegeben hatte, so der Handelsvertrag mit der Schweiz vom 6. März 1906 samt Erklärung vom 28. Juni 1906, Nr. 156 und 158 R.G.B., und das Viehseuchenübereinkommen vom 9. März 1906, Nr. 157 R.G.B., [21] als völkerrechtliche Accessionsverträge.

In sämtlichen Punkten seines staats- und völkerrechtlichen Lebens beweist das Fürstentum Liechtenstein seine vollkommene unbestreitbare Souveränität. Die fürstliche Regierung hat sich hier begnügt, einzelne der wichtigsten Beweise cursorisch zu streifen; falls der Wunsch geäussert werden sollte, diesbezüglich eingehender orientiert zu werden, wird es ihr eine Ehre sein, ein umfassendes Memorandum zur Verfügung zu stellen, in welchem die diesbezüglichen Verhältnisse sowie sämtliche anderen in dieser Note behandelten Fragen lichtvoll und mit genauesten wissenschaftlichen Belegen auseinandergesetzt werden.

ad 2.) Auch bezüglich der Neutralität des Fürstentumes Liechtenstein steht die von der fürstlichen Regierung bekämpfte Auffassung in Widerspruch mit dem Standpunkte, den die führenden Staatsmänner der Entente selbst eingenommen haben. Sir Edward Grey hat im britischen Parlamente die Neutralität des Fürstentumes ausdrücklich anerkannt (The Times Nr. 40'700 vom 18.XI.1914 Seite 12, Spalte 2) [21] und wurde demgemäss dem Fürstentume der Import ägyptischer Baumwolle bis zum Mai 1915, in welchem Zeitpunkte derselbe auch für Italien und die Schweiz eingestellt wurde, gestattet. Die russische Regierung unter Minister des Äussern [Sergei Dmitrijewitsch] Sasanow, liess laut einer Verbalnote der amerikanischen Botschaft in Wien vom 27. November 1915 dem in Ekaterinodar [22] wohnhaften liechtensteinischen Staatsangehörigen Johann Beck eine Bestätigung zukommen, in welcher die Anerkennung der Neutralität des Fürstentumes ausgesprochen wurde. [23] Die französische Regierung entliess im Jahre 1915 die anfänglich in Frankreich internierten Liechtensteiner in ihre Heimat und unterliess gegenüber den Staatsangehörigen des Fürstentumes die für die Besitzungen der mit Frankreich im Kriegszustande befindlichen Staaten verhängte Sequestrierung; die spätere Einschränkung der Anerkennung der Neutralität durch Frankreich bezog sich lediglich auf das kommerzielle Gebiet, ohne die Neutralität in politischer Beziehung in Zweifel zu ziehen. [24]

Die fürstliche Regierung hat sich beehrt, in ihrem Memorandum an die Friedenskonferenz vom 20. Mai den ausführlichen Nachweis der vom Geiste striktester Neutralität diktierten Haltung des Fürstentumes zu erbringen und glaubt daher hier mit einem Hinweis auf dasselbe sich begnügen zu dürfen. Es hat während der ganzen Dauer des Krieges alles vermieden, was als eine Begünstigung oder als ein feindlicher Akt irgend einer der kriegführenden Mächte gegenüber gedeutet werden könnte und es ebenso verstanden, jede fremde Einmischung in seine inneren Verhältnisse oder wie immer geartete Beschränkung seiner Souveränität von sich ferne zu halten. Die Behauptung, dass das Fürstentum Kriegsschauplatz gewesen und als im Kriegszustande mit der čechoslovakischen Republik zu betrachten sei, ist demnach vollkommen unhaltbar. Weder wurde der Krieg zwischen den beiden Staaten erklärt, noch wurde von einem derselben ein Akt begangen, welcher ohne formelle Erklärung den Kriegszustand begründet hätte. In wirtschaftlicher Beziehung hat das Fürstentum keinen wie immer gearteten Schritt vollzogen, der in diesem Sinne gedeutet werden könnte; in militärischer Beziehung schliesst sich dies aber von Vorneherein aus, da dasselbe seit dem Jahre 1866 keine bewaffnete Macht mehr besitzt, Truppen der kriegsführenden Staaten jedoch niemals seinen Boden betreten haben. In dieser Hinsicht hat das Fürstentum selbst im Frieden jedweden Schritt österreichischer oder schweizerischer militärischer oder polizeilicher Organe auf seinem Gebiete strengstens zurückgewiesen, im Gegensatz beispielsweise zum Fürstentume Monaco, in dessen Hauptstadt Frankreich vertragsgemäss Besatzungsrecht ausübt und den Platzkommandanten ernennt, ohne dass jedoch die Souveränität Monacos dadurch berührt würde, welches sogar während des nunmehr beendeten Weltkrieges mit eigener Kriegserklärung in die Reihe der kriegsführenden Staaten trat.

ad 3.) Ebenso hinfällig wie die beiden ersten Behauptungen ist die letzte, dass der regierende Fürst von Liechtenstein im Verhältnis eines Untertanen gegenüber der österreichischen Monarchie sich befunden habe, wofür folgende Argumente ins Treffen geführt werden:

  1. Der regierende Fürst von Liechtenstein sei in Österreich kein fremder Souverän, sondern ein Mitglied der österreichischen Aristokratie mit allen Rechten und Pflichten derselben gewesen.
  2. Er sei als Mitglied des österreichischen Herrenhauses unstreitbar in einem Subjektionsverhältnisse zum österreichischen Staate gestanden.
  3. Dies beweist, dass er nicht berechtigt war, daselbst die Exterritorialität zu verlangen, welche ihm nur durch spezielle Verwaltungsakte der österreichischen Regierung und auf Grund ihres freien Ermessens zuerkannt worden sei, [25] diese sei daher nur staatsrechtlich, nicht aber völkerrechtlich begründet gewesen.
  4. Überdies sei dieselbe in Österreich nicht vollständig gewesen, da auf dem Gebiete des fürstlichen Familienrechtes sich nach Umständen die souveräne österreichische Regierungsgewalt betätige.

Diese Anschauungen beruhen zum Teile auf Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse, zum Teile auf Missverständnissen und Trugschlüssen.

ad a) Die persönliche Stellung des regierenden Fürsten von Liechtenstein als fremder Souverän wurde nicht nur im Kaisertume Österreich-Ungarn, sondern in allen Staaten in persönlicher Beziehung, wie auch rücksichtlich der Hofrangordnung voll anerkannt, wenn der Fürst in seiner bekannten persönlichen Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit auch faktisch von den ihm zustehenden Ehrenrechten eines Souveräns nur äusserst seltenen Gebrauch gemacht haben mag. Aber auch die Stellung der gesamten Agnaten des fürstlichen Hauses und ihrer Ehegattinnen war von jener des Adels am österreichischen Hofe eine grundverschiedene, in dem sie als Mitglieder eines souveränen Hauses vor den höchsten Hofchargen und sogar vor den Familienchefs der mediatisierten Fürstenhäuser rangierten.

ad b) Auch der Umstand, dass der regierende Fürst Mitglied des Herrenhauses war, bedingt kein wie immer geartetes Subjektionsverhältnis unter den österreichischen Staat, da die Regierung, wie aus diesbezüglichen Akten des österreichischen Ministeriums des Innern klar hervorgeht, Persönlichkeiten, welche nicht österreichische Staatsbürger waren, wie bespielweise Se. kgl. Hoheit den Prinzen Philipp von Koburg [Sachsen-Coburg und Gotha] [27] und verschiedentliche Mitglieder des fürstlichen Hauses Porcia – teils italienische, teils ungarische Staatsbürger – mit vollem Bewusstsein und unter ausschliesslicher aktenmässiger Betonung ihrer nicht österreichischen Staatsbürgerschaft auf Grund ihres ausgedehnten in Österreich befindlichen Grundbesitzes in das Herrenhaus berief, ja in einem konkreten Falle sogar anlässlich der Verzichtleistung eines erblichen Herrenhausmitgliedes auf die österreichische Staatsbürgerschaft ausdrücklich erklärte, dass die Beibehaltung der erblichen Herrenhauswürde in Österreich durch den Verzicht auf die Staatsbürgerschaft in keiner Weise alteriert werde. Die Souveränität des regierenden Fürsten von Liechtenstein wird daher durch seine Mitgliedschaft zum österreichischen Herrenhause, in welchem ihm bei dessen Schaffung zugleich mit den Erzherzogen ein Sitz angeboten wurde, ebenso wenig berührt, wie durch die Tatsache, dass Mitglieder seines Hauses in österreichischen Diensten standen. Ähnliche Fälle haben sich nicht nur beim Hause Liechtenstein, sondern auch bei zahlreichen anderen regierenden Familien ereignet; es soll hiebei aus früherer Zeit nur an den bekannten kaiserlichen Feldmarschall, den Prinzen Eugen von Savoyen, der durch Jahrzehnte seine Dienste einem ausländischen Monarchen leistete, ohne dass dadurch die Souveränität des Hauses Savoyen tangiert worden wäre, in neuerer Zeit an den österreichischen Feldzeugmeister, Herzog [Wilhelm] von Württemberg erinnert werden, durch dessen Dienste im Auslande die Souveränität des königlichen Hauses Württemberg wohl auch von Niemand in Zweifel gezogen wurde.

ad c) Nach der übereinstimmenden Ansicht aller Völkerrechtslehrer ist die völkerrechtliche Exterritorialität eines Staatsoberhauptes im Auslande die Emanation der Souveränität des von ihm repräsentierten monarchischen oder republikanischen Staates und da die Souveränität des Fürstentumes Liechtenstein de facto wie de jure unzweifelhaft besteht, ist auch die Exterritorialität seines Herrschers im Auslande, also auch in Österreich und in der Čechoslovakei völkerrechtlich begründet. Ebenso wenig besteht eine Meinungsverschiedenheit unter den verschiedenen Völkerrechtsgelehrten in der Anerkennung der Tatsache, dass dem Monarchen im Auslande der Charakter der Exterritorialität insolange innewohnt, als er tatsächlich Inhaber der Obersten Regierungsgewalt ist und dass er derselben auch dann teilhaftig ist, wenn er im Auslande nicht ausdrücklich zum Zwecke der Vornahme von Regierungshandlungen weilt, denn sein dauernder amtlicher Charakter kann jederzeit wirksam werden, und jeder traditionellen zum Schutze des internationalen Verkehres dienenden Rechtseinrichtung bedürfen. Er ist daher im Auslande weilend niemals Privatmann und eine Scheidung zwischen seiner staatsrechtlichen und privaten Persönlichkeit ist völkerrechtlich unannehmbar.

ad d) Auch die Behauptung, die Durchführung des Exterritorialität des Fürsten in Österreich sei nicht vollständig gewesen, beruht ebenfalls auf einem Missverständnisse und Trugschluss. Sie stützt sich darauf, dass das Hausgesetz des Fürsten von Liechtenstein in das Recht des vormaligen österreichischen Kaiserstaates inartikuliert wurde. Die Ursache davon ist, dass der Grossteil der Besitzungen des Fürsten von Liechtenstein auf dem Gebiete der ehemaligen österreichischen Monarchie liegt und dass daher die Gefahr bestand, dass die Nachfolge in die in Österreich gelegenen Besitzungen nicht nach den Normen des fürstlichen Hausrechtes, sondern nach dem gemeinen Rechte des österreichischen Kaiserstaates geregelt würden; der regierende Fürst hat daher erwirkt, dass mit österreichischen Gesetze vom 12.I.1893 [28] für die Succession in diese Güter das österreichische Gesetz ausser Kraft gesetzt werde und an seine Stelle die Hausgesetze seines souveränen Fürstenhauses in Geltung treten, ein signifikanter Ausdruck des Rechtsbewusstseins, dass sein souveränes Haus betreffs der Succession in diese Güter – in allen übrigen, Realvermögen betreffenden Rechtsfragen kann nach unverrückbaren Völkerrechtsgrundsätzen das österreichische Recht nicht ausgeschaltet werden – nicht an fremdes Recht gebunden sein dürfe. Diese Inartikulierung ist daher kein Beweis gegen die Souveränität und Exterritorialität des Fürstenhauses, sondern im Gegenteile eine vollgiltige und ausdrückliche Anerkennung seiner völkerrechtlichen Stellung und zwar selbst dann, wenn man in ihr nur den Akt einer im Verkehr zweier Staaten zutage tretenden völkerrechtlichen Courtoisie erblicken wollte. Besonders hervorgehoben zu werden verdient, dass trotz mehrfacher diesbezüglicher Bemühungen keinem der mediatisierten Fürstengeschlechter, geschweige denn einem der einheimischen Adelsgeschlechter eine ähnliche Inartikulierung ihrer Hausgesetze zugestanden wurde.

Aus all diesem geht klar hervor, dass der von der Friedenskonferenz im Friedensvertragsentwurf eingenommene Standpunkt bezüglich der Souveränität des Fürstentumes Liechtenstein, ebenso wie die von England, Russland, den Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich bis 1916 durch wiederholte Akte der Anerkennung ausgedrückte Anschauung von seiner Neutralität durchaus den Tatsachen entspricht und alle entgegengesetzten Anschauungen jeder Grundlage entbehren. Trotzdem legt das Fürstentum Liechtenstein Wert auf eine formelle Anerkennung seiner Neutralität durch die Friedenskonferenz, da die Gefahr besteht, dass man ein Schweigen der Konferenz als eine Entscheidung zu Ungunsten des Fürstentumes auffassen könnte, wodurch Schädigungen desselben im angedeuteten Sinne eintreten könnten und ausserdem die Regierung der čechoslovakischen Republik der Errichtung einer fürstlichen Gesandtschaft in Prag ihre Zustimmung verweigert, solange die diesbezüglichen Verhältnisse durch eine Entscheidung von Paris nicht geklärt worden sind. Vor allem aber hegt das Fürstentum Liechtenstein auf Grund seiner Souveränität und Neutralität den Wunsch, gleich den anderen neutralen Staaten wegen seines Eintrittes in den Völkerbund in Verhandlung zu treten, da es – soferne die Bestimmungen desselben ihm nicht allzugrosse Lasten auferlegen – seine künftige staatliche und nationale Entwicklung unter dessen Schutz zu stellen beabsichtigt. Über einstimmigen Beschluss des Landtages beehrt sich die fürstliche Regierung daher, diese neuerliche Note der hohen Friedenskonferenz mit der Bitte zu unterbreiten, dieselbe einer geneigten Antwort zu würdigen.

Genehmigen Herr Präsident die Versicherung meiner hohen Achtung.

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[1] LI LA RE 1919/4654 ad 589. Weitere Entwürfe unter LI LA V 003/0058. Die französische Fassung vom 9.9.1919 unter LI LA V 003/0058; LI LA V 002/0169. Prinz Eduard übermittelte das Memorandum mit Schreiben vom 6.9.1919 an Prinz Karl (LI LA RE 1919/4654 ad 589). In Vaduz traf das Dokument erst am 20.9.1919 ein. Prinz Karl reagierte mit einem Telegramm vom 22.9.1919 (LI LA RE 1919/4654 ad 589), in dem er mittteilte, er sei mit dem Memorandum einverstanden und einen kleinen Änderungsvorschlag machte (siehe Anm. 4). Prinz Eduard unterbreitete das Memorandum am 7.9.1919 dem Fürsten (LI LA RE 1919/4654 ad 589, Prinz Eduard an Prinz Karl, 6.9.1919), der jedoch zögerte, das Memorandum abschicken zu lassen (LI LA RE 1919/4654 ad 589, Prinz Eduard an Prinz Karl, 19.9.1919; LI LA RE 1919/4980 ad 589, Prinz Eduard an Prinz Karl, 2.10.1919). Schliesslich wurde entschieden, das Memorandum nicht abzusenden, "um die Susceptibilität der Čechoslovakei nicht zu wecken". Stattdessen wurde es lediglich "in vertraulicher Weise der französischen Regierung inoffiziell übermittelt" (LI LA V 002/0170/14, Entwurf einer Note Emil Becks an den Schweizerischen Bundesrat, 15.2.1920).
[2] LI LA V 003/0045, Memorandum der Regierung an die Pariser Friedenskonferenz, 20.5.1919.
[3] Zollvertrag vom 2.12.1876, LGBl. 1876 Nr. 3.
[4] Zur Passage "dessen Weiterführung [...] nicht anstrebt" bemerkte Prinz Karl im Telegramm vom 22.9.1919 (LI LA RE 1919/4654 ad 589), diese könnte "besser wegbleiben".
[5] Zu den liechtensteinischen Bemühungen, die dem Fürstentum zustehenden Zolleinnahmen von den Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns zu erhalten, vgl. LI LA V 003/0047.
[6] LI LA LTA 1919/S04, Protokoll der Landtagssitzung vom 28.8.1919.
[7] Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye vom 10.9.1919, öst. StGBl. 1920 Nr. 303.
[8] Rheinbund-Akte vom 12.7.1806, LI LA U 107.
[9] Deutsche Bundesakte vom 8.6.1815, LI LA SgRV 1815/1.
[10] Wiener Kongress-Akte vom 9.6.1815, in: Acten des Wiener Congresses in den Jahren 1814 und 1815, hrsg. von Johann Ludwig Klüber. Osnabrück 1966 (Nachdruck der Ausgabe von 1815-1835), Bd. 6, S. 12-96.
[11] Verfassung vom 26.9.1862, LI LA SgRV.
[12] Das fürstliche Appellationsgericht.
[13] Justizvertrag vom 19.1.1884, LGBl. 1884 Nr. 8
[14] Vgl. LLA RE 1919/6087 ad 589.
[15] Nicht aufgefunden. Liechtenstein schloss im Dezember 1813 Verträge mit Österreich, Preussen und Russland, in denen der Fürst dem Rheinbund entsagte und versprach, Truppen zu stellen.
[16] Nicht aufgefunden. Zum Abschluss des Vertrags vgl. LI LA SgK 313.
[17] Nicht aufgefunden. Liechtenstein trat der Wiener Kongressakte am 18.10.1815 bei. Vgl. dazu LI LA SgK 315.
[18] LGBl. 1889 Nr. 2.
[19] Postübereinkommen vom 22.10.1911, LGBl. 1911 Nr. 4.
[20] LGBl. 1906 Nr. 8; öst. RGBl. 1906 Nr. 156-158.
[21] The Times, Nr. 40’700, 18.11.1914, S.12 ("The prince of Liechtenstein").
[22] Heute: Krasnodar.
[23] LI LA RE 1915/4461 ad 2720.
[24] LI LA SF 13/1916/0961 ad 31, Paul Beau, französischer Gesandter in Bern, an Bundesrat Arthur Hoffmann, 16.2.1916.
[25] 1851 bewilligte Österreich dem souveränen Fürsten von Liechtenstein für sich und seine Familie sowie den Gliedern des Hauses Bourbon älterer Linie den Gerichtsstand des Obersthofmarschall-Amtes, der Personen, denen das Recht der Exterritorialität zusteht, vorbehalten war (Erlass des Justizministeriums vom 10.8.1851, mit dem die Allerhöchste Entschliessung vom 30.7.1851 kundgemacht wird, öst. RGBl. 1851 Nr. 183). 1880 gestand Österreich der Schwester des Fürsten, Prinzessin Therese, und seinem Bruder, Prinz Franz, das Recht der Exterritorialität zu (Kundmachung des Justizministeriums vom 5.11.1880, öst. RGBl. 1880 Nr. 134).
[27] Philipp von Sachsen-Coburg und Gotha war im Gegensatz zu seinem Vater August nicht Mitglied des österreichischen Herrenhauses.
[28] Gesetz vom 12.1.1893 betreffend die Genehmigung des fürstlich Liechtenstein'schen Familienvertrages vom 1.8.1842, öst. RGBl. 1893 Nr. 15.