Landesverweser Leopold von Imhof berichtet Fürst Johann II. über die Lage in Liechtenstein nach Beginn des Ersten Weltkriegs


Maschinenschriftliches Konzept mit handschriftlichen Korrekturen und Ergänzungen für einen Bericht von Landesverweser Leopold von Imhof, gez. ders., an Fürst Johann II. [1]

7.8.1914

Bericht des etz. [fürstlichen Landesverwesers] über die allgemeine Lage im Fürstentum

Euere Durchlaucht!

Die eingetretenen ausserordentlichen Ereignisse äussern auch auf das Fürstentum ihre Wirkung.

Die Sommergäste und Touristen haben das Land zum grössten Teile verlassen, die Alpenkurhäuser sind geschlossen und nur Gaflei beherbergt noch einige wenige Gäste. Die Verdienstgelegenheit, welche die Liechtensteiner sonst in der Schweiz gefunden haben, ist ins Stocken geraten. Die hiesigen Fabriken führen ihren Betrieb zwar noch in eingeschränktem Masse fort, dürften aber, wenn die allgemeine Spannung anhält, bald zur gänzlichen Einstellung desselben gezwungen werden.

Die Schweiz hat auch ihre Grenzen gegen Liechtenstein militärisch bewacht und an der Vorarlberger Grenze sind österreichischerseits entsprechende Absperrungsmassnahmen getroffen.

Die Befürchtung, dass verschiedene Individuen, welche von den Nachbarstaaten ausgewiesen werden oder sich aus irgendwelchen Gründen der behördlichen Kontrolle zu entziehen trachten, jetzt den Versuch unternehmen werden, in das Fürstentum einzudringen, hat mich zu verstärkten grenzpolizeilichen Massnahmen veranlasst. [2] Hienach habe ich den Betrieb der Rheinfähre bei Ruggell, zu deren Überwachung ich bei der geringen Zahl der mir zur Verfügung stehenden Kräfte Niemand abordnen konnte, in Anbetracht ihrer untergeordneten Bedeutung für den Verkehr eingestellt und dafür in verstärktem Masse für die Bewachung der 4 Rheinbrücken und der Eisenbahnbrücke bei Schaan Vorsorge getroffen. Um ein Eindringen verdächtiger Elemente von der Schweiz her über das Gebirge möglichst hintanzuhalten, habe ich den in der Churerhütte (ausserhalb Balzers gegen den Luziensteig), im Lawenatal und bei Steg im Saminatal dislozierten Finanzwachorganen eine entsprechende Zahl (2–4) verlässlicher Männer aus den dortigen Gemeinden zur Unterstützung beigegeben, welche nach den Weisungen der Finanzwachorgane vorzugehen und die dort in das Fürstentum führenden Wege und Pässe abzupatrouillieren haben.

Diese Heranziehung von Männern aus der Bevölkerung zum sicherheitspolizeilichen Dienste erwies sich schon insofern als nötig, als 16 Mann der hier stationierten Finanzwache zum Militärdienste einrücken mussten, welcher Abgang unter den gegenwärtigen Verhältnissen unbedingt in anderer Weise gedeckt werden musste.

Ich kann bei diesem Anlasse nicht unterlassen, die ausserordentlich einsichtige und eifrige Mitwirkung des hiesigen Finanzwachkommissärs Edelbert Fritz bei der Durchführung der erforderlichen Sicherheitsmassnahmen auf das lobendste hervorzuheben.

An der Grenze gegen Vorarlberg erschienen mir besondere Massregeln vorläufig nicht geboten, da es sich dort mit Rücksicht auf die von Österreich geübte strenge Kontrolle mehr um die Abhaltung solcher Elemente handelt, welche, wie herumziehende Truppen oder Schausteller, dem Lande zur Last fallen könnten. Zu diesem Zwecke reichen die Ortspolizisten und Landweibel, an welche ich die entsprechenden Weisungen ergehen liess, voraussichtlich aus.

Dagegen glaubte ich unter den jetzigen Verhältnissen für die Kunstsammlungen des Schlosses Vaduz erhöhte Vorsichtsmassnahmen treffen zu sollen, weshalb ich vorbehaltlich der Genehmigung Eurerer Durchlaucht für dasselbe schon jetzt provisorisch einen Nachtwächter bestellte.

Den verschiedenen im Lande auftretenden beunruhigenden Gerüchten bin ich in einem an alle Gemeinden gerichteten Erlasse, von welchem ich mir ein Exemplar ehrerbietigst beizuschliessen gestatte, entgegengetreten. [3]

Bei dem geringen Stande der vorhandenen Barmittel (bei der Landeskasse und fürstlichen Rentkasse [4] zusammen rund 27'000 K., wovon der grösste Teil von der fstl. Rentkasse) und der zu besorgenden Schwierigkeit, in nächster Zeit Bargeld heranzuziehen, scheint es mir geboten, alle nicht unbedingt nötigen Auslagen zu vermeiden. Ich habe daher auch die Arbeiten beim Schlosse Vaduz, soferne denselben keinerlei Dringlichkeit zukommt, einstellen lassen und den Baumeister [Alois] Gstrein angewiesen, bis auf Weiteres keine Ankäufe für das Schloss zu besorgen.

2 liechtensteinische Staatsangehörige haben sich freiwillig zum österreichischen Kriegsdienste gemeldet, wogegen von hier aus nichts zu erinnern ist. [5]

Der fstl. Landesphysikus Dr. Felix Batliner strebt seine Zuteilung zur Hilfskolonne des roten Kreuzes an. [6] Gegen die Willfahrung seiner Bitte obwaltet von meinem Standpunkte kein Bedenken, da der fstl. Sanitätsrat Dr. Albert Schädler diese Funktionen, wie schon wiederholt in anderen Fällen, interimistisch versehen könnte. Ich glaube daher Euerer Durchlaucht die untertänigste Bitte unterbreiten zu dürfen, Dr. Batliner zu dem angegebenen Zwecke bis auf weiteres zu beurlauben.

Endlich gestatte ich mir untertänigst zu melden, dass ich, einer mir aus Kreisen der Bevölkerung zugegangenen Anregung gerne Rechnung tragend, beiliegenden inoffiziellen Aufruf zu Spenden für das rote Kreuz erlassen habe. [7] Über den Erfolg der eingeleiteten Sammlung werde ich Euerer Durchlaucht seinerzeit Bericht erstatten. [8]

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[1] LI LA RE 1914/2156 ad 2131. Die Reinschrift des Texts wurde am 8.8.1914 durch Regierungskanzlist David Strub verfertigt.
[2] Vgl. LI LA RE 1914/2132 ad 2131, Regierung an Gemeindevorstehungen Balzers, Triesen und Triesenberg, 5.8.1914.
[3] LI LA RE 1914/2131, Aufruf an alle Ortsvorstehungen, 5.8.1914.
[4] D.h. die Kasse der fürstlichen Domänenverwaltung Vaduz.
[5] Zu den Kriegsfreiwilligen vgl. LI LA RE 1914/2286 ad 2131/2156, Hofkanzlei an Regierung, 18.8.1914.
[6] Tatsächlich wurde Batliner beurlaubt und war bis Ende 1914 als Arzt beim österreichischen Roten Kreuz tätig. Vgl. LI LA SF 01/1915/006, Hofkanzlei an Domänenverwaltung Vaduz, 19.1.1915.
[7] LI LA RE 1914/2286 an 2131/2156, Aufruf an die "Mitbürger", 4.8.1914. Der Aufruf erschien auch in L.Vo., Nr. 32, 8.8.1914, S. 1.
[8] LI LA RE 1914/2271 ad 2131, Bericht Imhof an Johann II., 22.8.1914; LI LA RE 1914/2286 ad 2131, Bericht Imhof an Johann II., 26.8.1914. Die Sammlung brachte insgesamt 8081 Kronen und 41 Heller ein.