Die "Liechtensteiner Nachrichten" wenden sich gegen die antisemitische Agitation des "Liechtensteiner Heimatdienstes"


Artikel in den "Liechtensteiner Nachrichten" [1]

19.12.1934

Rassenpolitik (Korr.)

Man mag gegen die heutige regierende Partei [2] und die Vertreter in der Regierung und in den Behörden eingestellt sein, wie man will, so muss man bei allen Aktionen überlegen, ob nicht der Staat Schaden erleidet und ob nicht unabsehbare Folgen aus gewissen Vorstössen der Opposition entstehen können, die schwer mehr aufzuhalten sind. Wir sind gegen das heutige Regime in der jetzigen Form und halten dafür, dass in der heutigen schweren Zeit alle Volksteile befriedigt seien und im Staate etwas mitzureden haben sollten. Niemals könnten wir uns aber von unserer Richtung zu Angriffen versteigen, die nicht gegen das Regime, sondern vielmehr gegen den Staat gerichtet sind. Es betrifft dies unter anderm auch die Einbürgerungs- oder Niederlassungspolitik. Es ist wahr, dass in der letzten Zeit manche Einbürgerungen, darunter auch solche von Juden, stattfanden, dennoch wollen wir dessentwegen kein Geschrei machen, da wir nicht gegen das Judentum eingestellt sind und jeden Menschen bewerten nach seinen Taten und seinem Charakter. Wenn nun aber der "Liechtensteiner Heimatdienst" in den letzten Folgen besonders gegen das Judentum herzog [3] und dabei auch sehr anständige Leute traf, und, um der Regierung einen Schlag zu geben, das Land und seine finanziellen Interessen traf, so können wir das nicht billigen. Im Programm des Heimatdienstes [4] liest man nichts gegen das Judentum, die letzten Zeitungsartikel sprechen aber eine bedeutende und klare Sprache.

Schwer ist es für jeden Menschen, keine Heimat mehr zu haben und aus seinem Vaterlande verwiesen zu sein, da sollte schon auch unser Herz etwas mitsprechen. Diese Empfindung dürfte gewiss auch der Herr Redaktor des „Heimatdienstes" haben. Wenn nun heute sich einzelne eine neue Heimat suchen und dafür, weil sie in der glücklichen Lage sind, dem Staat und der Gemeinde grössere Beträge als Gegenleistung zur Verfügung zu stellen, so soll man auf der Gegenseite diese Gründe auch würdigen und wenn sich die Würdigung nur auf die finanzielle Seite der Gemeinden und des Landes erstrecken würde.

Einen grossen Budgettropfen in der Landesrechnung bilden die Einnahmen aus den Gesellschaftssteuern. Dem Grossteil der Liechtensteiner wird nicht bekannt sein, dass auch hinter diesen Gesellschaften vielfach Juden stehen und so auch auf unsern Staatshaushalt indirekt befruchtend einwirken. Wenn man dem entgegenhält, mit solchem Geld wollen wir nicht regieren, so möchte ich behaupten, dass man ohne Geld bestimmt auch nicht regieren kann!

In allen Staaten, in denen die Kämpfe gegen das Judentum losgingen, wie Deutschland, Ungarn, neuerdings Polen und Tschechoslowakei, hat man bekanntlich keine guten Erfahrungen gemacht. Unser kleines Land kann sich wegen übertrieben arischem Empfinden einiger weniger vorläufig einen derartig weitragenden Kampf nicht gestatten, und ich möchte an dieser Stelle als Volksparteiler an die Leitung des L.H.D. den Wunsch richten, abzulassen von derartigen Bestrebungen und wirkliche, fruchtbringende Politik zu betreiben. Für Rassenpolitik ist unser Land kein geeigneter Boden.

Auch ein arischer Liechtensteiner

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[1] L.Na., Nr. 101, 19.12.1934, S. 1.
[2] Die Bürgerpartei.
[3] Siehe etwa die Zusendung mit dem Titel "Einbürgerungsfragen" in der Ausgabe des "Liechtensteiner Heimatdienstes" vom 24. November 1934 (L.Heimatd., 1934.11.24).
[4] Zum Programm des Liechtensteiner Heimatdienstes siehe den Leitartikel von Alois Vogt in der gleichnamigen Zeitung vom 14. Oktober 1933 (L.Heimatd., 1933.10.14).