Das Programm des Heimatdienstes


Leitartikel von Alois Vogt in der Erstnummer des "Liechtensteiner Heimatdienstes" [1]

14.10.1933

Unser Programm!

von Dr. Vogt

Wenn wir unseren politischen Weg der letzten 20 Jahre zurückblicken, so müssen wir bei aller Anerkennung schon geleisteter Arbeit doch bekennen, wir sind fehlgegangen. In einen Irrgarten politischer Kämpfe hat man uns geführt. Der Eine tat dies aus kluger, kalter Berechnung, weil er sich Vorteile für seine eigene Person aus diesem Weg versprach, der Andere aus falsch verstandenem Idealismus, der Dritte endlich aus ewiger Nörglersucht am Bestehenden. Wir aber sind vertrauensvoll, blind unseren Parteiführern gefolgt, haben auf ihre Versprechen gebaut, bis uns auf einmal das Unwürdige und Unheilvolle unserer politischen Lage mit Schrecken zum Bewusstsein kam. Wir sahen plötzlich, dass der Weg, den wir gingen, kein Weg war, sondern trügerisches, tückisches Moor. Wir erkannten, dass wir Liechtensteiner doch eigentlich Brüder seien, Söhne ein und derselben Heimaterde, die ja eigentlich keine Ursache hätten, sich gegenseitig mit Schmutz und Unrat zu bewerfen, sich gegenseitig an jeder Aufbauarbeit zu hindern.

Da wir unseren Irrweg also erkannt haben, müssen wir einen Weg zu einem besseren politischen Leben suchen. Jeder von Euch, liebe Leser, mag schon einmal darüber nachgedacht haben und hat schliesslich gefunden, es gibt nur zwei Möglichkeiten aus diesem Chaos herauszukommen: Entweder Diktatur oder Ausbau unserer demokratischen Verfassung in einer Richtung, die die Partei, diese unheilvolle Institution, aus unserem Staatsleben verbannt. Auch wir Leute vom Heimatdienst standen vor dieser Alternative und entschieden uns für die Demokratie, allerdings für eine Demokratie auf völlig neuer Grundlage, in welcher kein Platz mehr ist für demagogische Hetzer, in welcher die Bevormundung des Volkes durch die Parteien verschwindet. Wir entschieden uns für den Weg der Demokratie, weil wir in der Diktatur und ähnlichen Staatsformen nur vorübergehende Formen des Staatslebens sahen, die nach der Befriedung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse doch wieder zu demokratieähnlichen Gebilde führen müssen. Diesen Umweg wollen wir uns ersparen. In unserem kleinen Land ist der direkte Weg möglich, also gehen wir ihn.

Ich komme nun zu der Darlegung unseres Programms, soweit dies zu einer knappen Orientierung nötig ist. Enge des Raumes zwingt mich zur Kürze.

Wir wünschen schon in der ersten Nummer unserer Zeitung alles zu sagen, was wir wollen. Eine genaue Ausarbeitung des Programmes jedoch müssen wir späteren Folgen vorbehalten. [2]

In dem Bewusstsein, die Verhältnisse sind unhaltbar geworden, wir müssen Abhilfe schaffen, wenn wir nicht zu Grunde gehen wollen, frägt man sich, wie konnte es überhaupt so weit kommen, wie konnte es den Parteien gelingen, unser ganzes wirtschaftliches und politisches Leben in so unheilvoller Weise zu beeinflussen, alle Kräfte des öffentlichen und privaten Lebens in ihren Dienst zwingen, so dass die meisten von uns in völliger Verblendung in dem Wohl der Partei auch das Wohl des Landes sahen? Die Antwort ist klar. Der Wahlvorgang war ganz auf das Parteisystem zugeschnitten. Die Aufklärung des Volkes über das politische Geschehen war ausschliesslich Sache der Parteipresse und der Parteiversammlung. Dass diese Aufklärung einseitig genug erfolgte, dafür haben die, die den Nutzen aus dem Parteiwesen zogen, schon reichlich gesorgt. Ein anderer Grund für die Überspitzung des Parteiwesens liegt darin, dass die Bestellung der Regierung vollständig dem Landtag und damit dem Parteirat des jeweils herrschenden Systems oblag. Darin liegt ein grosser Anreiz für die Parteien, zur Macht zu drängen. Denn wer die Regierung stellt, der hat die staatlichen Mittel in der Hand. Daher immer das eckelhafte Schachern um die Regierungsstellen. – Es liegt mir völlig fern, damit irgendwie Persönlichkeiten der gegenwärtigen Regierung anzugreifen, wir kämpfen gegen das System und nicht gegen die Personen. –

Diese oben berührten Missstände gilt es auszurotten. Den Parteien muss jeder Einfluss auf die Wahl genommen werden. Die Aufklärung darf nicht mehr einseitig im Interesse einzelner Gruppen durch Parteipresse und Parteiversammlung erfolgen. Bei der Regierungsbestellung ist die Gefahr des Parteieinflusses so weit herunterzudrücken, dass jeder Anreiz zur Parteibildung im Landtag wegfällt.

Nun zu den einzelnen Punkten

Man spricht oft vom "wahlfähigen Alter" und meint damit, dass jemand geistig so weit gereift ist, dass er für fähig gehalten wird, sich am politischen Leben zu beteiligen. Da wird nun mancher den Kopf schütteln, wenn ich ihm sage, dass die wenigsten Liechtensteiner das wahlfähige Alter je erreicht haben. Und doch habe ich recht. Oder hast Du Bäuerlein, Du Arbeiter, Angestellter oder was immer Du seiest, je Gelegenheit gehabt zu wählen, wirklich zu wählen, den Mann, der nach Deiner ehrlichen Überzeugung der Fähigste gewesen wäre, in den Landtag zu entsenden? Nein! Da hat sich Wochen vor der Wahl der Parteirat zusammengesetzt und hat im vorhinein die Mandate verteilt, nicht nach Fähigkeit und Charakter, sondern nach der Stärke der Parteiüberzeugung. An Dich ist man dann mit den vollendeten Tatsachen herangetreten, hat in wochenlanger Wahlpropaganda auf Dich eingehämmert, hat durch Zeitung, Flugzettel und Wahlversammlung Deinen gesunden Sinn verwirrt, bis Du zum Stimmvieh gesunken am Wahlmorgen widerstrebend deinen gedruckten Wahlzettel abgeben hast, froh, dem Wahlkampf wieder einmal für 4 Jahre entronnen zu sein. Du musstest deine politischen Rechte im Dienste der Partei ausüben oder aber auf sie verzichten. Das hat man dann Wahl genannt.

Dieser Wahlvorgang hat zu verschwinden. Das Vorschlagsrecht der Parteien muss ausgemerzt werden. Das Volk muss Gelegenheit haben, frei und unbeeinflusst die Männer seines Vertrauens zu wählen.

Ich komme damit zu unserem neuen

Wahlverfahren,

das ich allerdings nur kurz behandeln kann.

Die Wahl des Landtages wird in die Hände der Gemeinden gelegt. Die Mandate werden auf die einzelnen Gemeinden nach ihrer Einwohnerzahl verteilt sozwar, dass das Unterland über 6, das Oberland über 9 Mandate verfügt. Hiebei kann mit der Zuteilung von 2 Mandaten in einer Gemeinde von Periode zu Periode abgewechselt werden, so dass sich keine Gemeinde verkürzt sieht. Am Samstag Abend vor der entgiltigen Wahl kommen alle Wahlfähigen der Gemeinde zusammen zur sogenannten Vorschlagwahl. Jeder schreibt, ohne dass von irgend einer Seite Vorschläge gemacht werden dürfen, den Mann seines Vertrauens. Aus den Gewählten werden dann, ohne dass deren Stimmenzahl bekannt gegeben werden darf, die 4, oder wenn in der betreffenden Gemeinde 2 Mandate zu vergeben sind, die 8 Höchsten ausgezogen. Zwischen diesen findet dann die engere Wahl statt, so dass einer beziehungsweise 2 ausfallen, nach einem dritten Wahlgang am selben Abend bleiben dann nur mehr 2 bzw. 4 übrig, zwischen denen am anderen Tag die entgültige Wahl erfolgt. Mit diesem Wahlsystem wird erstens verhindert, dass jemand von Leuten gewählt wird, die ihn gar nicht kennen. Zweitens wird die Zersplitterung der Stimmen vermieden, dank welcher bisher mancher missliebige Kandidat in den Landtag gekommen ist, denn die einem aussichtslosen Kandidaten gegebene Stimme kann immer wieder aufs Neue verwertet werden. Drittens fällt die Bevormundung durch die Parteien fort, da jede Wahlpropaganda durch Zeitung, Flugblätter und Wahlversammlungen strengstens untersagt und mit Strafe belegt wird. Damit ist den Parteien die Möglichkeit genommen, die Köpfe der Wähler zu verwirren.

Bei der Regierungsbestellung hat man zuerst daran gedacht, dieselbe ganz dem Landesfürsten zu überlassen. Doch tauchten hiebei bald die Bedenken auf, es könnte sich dann eine Kammerclike bilden, die versuchen wird, den Fürsten einseitig zu beeinflussen. Dieser Gefahr muss ebenso wie der Parteigefahr vorgebeugt werden. Dem Landtag soll deshalb ein Vorschlagsrecht eingeräumt werden, so dass der Fürst aus der Zahl der Vorgeschlagenen (etwa 2 - 7 für jedes Mandat) die Regierung bestellt. Das Vorschlagsrecht ist ähnlich dem Vorschlagsrecht zum Landtag auszubauen, um ja jede Parteibildung im Landtag zu erschweren. Um die richtigen Leute aussuchen zu können, ist der Fürst verpflichtete, jeden Kandidaten zu sich zu rufen, um mit ihm zu verhandeln. Auch soll er die Landtagsabgeordneten, die Führer der Wirtschafts- und Berufsverbände, wie z. B. die Präsidenten des Bauern- und des Arbeiterverbandes, der Handels- und Gewerbekammer zu sich bescheiden, um die Wünsche und Ansichten zu hören. Der Fürst kann die Regierung jeder Zeit, der Landtag die Regierung mit nur 2/3 Mehrheit abberufen. Damit erhält die Regierung eine wesentliche Stärkung ihrer Autorität, die Sie zur Durchführung ihrer Aufgaben in so schwerer Zeit bedarf. Dieser Vorgang bei der Regierungsbestellung gewährleistet ein Herabsetzen der Partei- und Clikengefahr auf ein Mindestmass.

Das Aufklärungswesen

Was das Aufklärungswesen anbelangt, liegt es uns fern eine objektive Kritik am politischen Geschehen zu verhindern. Eine solche ist notwendig und nützlich, aber nur eine wirklich sachliche Kritik kann dem Lande Vorteile bringen, nicht die masslosen Schimpfereien, die wir bisher gewohnt sind und die man bis heute, grosszügig genug, "sachliche Kritik" nennt.

Wir wollen einen Schlussstrich machen unter die Vergangenheit

Weder eine Lebensmittelzentrale [3] noch ein Sparkassaskandal kann uns mehr interessieren. Und wenn die Presse sich nicht abgewöhnen kann, immer wieder die alten Ladenhüter hervor zu holen und Woche für Woche mit ihnen das Volk neu "aufzuklären", so wird ein Gesetz diese Art von fauler und geistloser Hetze zu verhindern wissen. Auch wird es notwendig sein, die Redakteure der liechtensteinischen Zeitungen zu verpflichten, jede Woche einmal bei der Regierung vorzusprechen, um sich über die laufenden Angelegenheiten unseres Landes zu erkundigen, damit sie nicht auf blosse Gerüchte hin das Volk beunruhigen und sich dann mit der fadenscheinigen Entschuldigung reinwaschen wollen: Ich habe es nicht besser gewusst oder ich habe es halt so gehört.

Weiter wird die Regierung verpflichtet, jedes Jahr in jeder Gemeinde 2, wenn notwendig mehr Versammlungen abzuhalten, bei denen dann jeder wahlfähige Liechtensteiner seine Fragen und Bedenken bei der zum Erscheinen verpflichteten Regierung anbringen kann. Wir verfolgen damit einen dreifachen Zweck: Erstens wird dabei das Volk von kompetenter Stelle aufgeklärt, ohne dass sich der Parteirat als Zensurstelle zwischen Volk und Regierung drängt. Zweitens behält damit die Regierung die Verbindung mit der ganzen Bevölkerung und nicht wie bisher nur mit einigen Freunden von der Partei. Drittens soll das Volk durch aktive Teilnahme zu staatspolitischem Denken erzogen werden. Dass jede Parteihandlung zukünftig verfassungsmässig direkt verboten werden soll, brauche ich nach all dem Vorangegangenen wohl nicht mehr besonders zu betonen. Bezüglich weiterer Punkte unserer Verfassungsvorschläge verweise ich auf eine spätere etwas ausführlichere Abhandlung. Nur einen Punkt möchte ich noch hervorheben. Wir verlangen einen stärkeren Schutz unserer religiösen und kulturellen Güter. In die Verfassung muss eine Bestimmung aufgenommen werden, wonach jede atheistische und bolschewistische Organisation und Propaganda in unserem Land strengstens verboten ist. Wir sind ein christlich-katholisches Volk und wenn wir unsere Eigenart bewahren wollen, müssen wir jeden Einbruch marxistischer Ideen in unserer Kultur rechtzeitig verhindern. Unsere Eigenart, unser liechtensteinisch-deutsches Volkstum zu pflegen und unsere Religion zu schützen, ist eine der vornehmsten Aufgaben des "Liechtensteiner Heimatdienstes".

Wir sind der vollen Überzeugung, das bei strikter Durchführung unserer Reformvorschläge, die Grundlagen geschaffen werden zu einer gedeihlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Weiterentwicklung unseres Landes. Mit der Schaffung dieser Grundlagen kann aber das Programm des Heimatdienstes nicht beendet sein, seine Hauptarbeit wird vielmehr erst dann einsetzen können. Unser letztes grosses Ziel ist ein völliger Umbau der Gesellschaft auf ständischer Grundlage. Berufsständische Ordnung, schon längst kein Schlagwort mehr sondern ein geschlossenes Programm, wird uns erst den entgültigen, wirtschaftlichen und politischen Frieden bringen. Den Berufs- und Wirtschaftsorganisationen muss jener Einfluss auf die wirtschaftliche Gesetzgebung und deren Anwendung gegeben werden, den sie verdienen, und dem Parlament müssen jene Aufgaben entzogen werden, zu deren Erfüllung es gemäss seiner Zusammensetzung nicht fähig ist. Die Wirtschaft darf nicht mit der Politik und die Politik nicht mit der Wirtschaft zu sehr verquickt werden. Das ist die grosse Lehre, die wir aus den Erfahrungen der letzten Jahre gewonnen haben.

Ein gesundes Volk und eine harmonische Wirtschaft ist unser Ziel. Wer will gegen uns sein?

Noch eins! Gegenvorschläge werden von uns gerne diskutiert und wenn sie besser sind als die unsrigen auch gerne unterstützt. Doch werden wir jede Verwässerung unseres Programmes entschieden ablehnen. Wir haben nicht den Ehrgeiz, als Retter unseres Landes aus Parteinot zu erscheinen, sondern nur das Verlangen, unsere Heimat dem politischen und wirtschaftlichen Frieden zugeführt zu sehen, von wem immer dieser Friede gebracht werden mag.

 

 

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[1] L.Heimatd., Nr. 1, 14.10.1933, S. 1-2.
[2] Eine ausführlichere Fassung des Programms des Heimatdienstes publizierte Eugen Schafhauser in L.Heimatd., Nr. 1, 14.10.1933, S. 3; Nr. 2, 21.10.1933, S. 3-4; Nr. 3, 28.10.1933, S. 5-7 ("Programm des LHD").
[3] Während des Ersten Weltkrieges wurden infolge der Lebensmittelknappheit verschiedene Einkaufs- und Verkaufszentralen geschaffen für Lebensmittel und Schlachtvieh. Gegen die Tätigkeit dieser Zentralen wurde wiederholt Kritik laut, vgl. z.B. LI LA LTP 1918/001, 047, 051.