Der jüdische Emigrant Sally Isenberg erklärt sich bereit, Liechtenstein freiwillig zu verlassen


Einschreiben von Sally Isenberg an die Regierung [1]

25.5.1938, Vaduz

Zurückkommend auf Ihr Geehrtes vom 16. ds. und die inzwischen stattgefundene Unterredung mit Herrn Regierungschef Dr. [Josef] Hoop [2] erlaube ich mir, was folgt zu berichten:

  1. Ich nahm von der mündlichen Information Kenntnis, dass Herr Dr. [Alois] Vogt, nachdem er in die Regierung als Vize-Regierungschef eingetreten ist [3], namens seiner Partei [Vaterländische Union] den Antrag stellte, dass ich Liechtenstein verlassen müsse, trotzdem ich dauernde Niederlassg. [Niederlassung] hier habe.
  2. Es ist mir bekannt, dass man aus einem Land, wo man dauernde Niederlassung hat, wie ich hier schon fast 7 Jahre, nicht weggewiesen werden kann, sofern keine zwingende Gründe das belegen. Eine Tatsache, die auch Herr Regierungschef Dr. Hoop bejahte, und darüber hinaus danke ich Herrn Regierungschef Dr. Hoop für seine ritterliche Stellungnahme. Ich danke der fürstl. Regierung ganz besonders dafür, dass sie sich bereit erklärt hat, mir entsprechende Führungs- und Leumundszeugnisse auszustellen.
  3. Um nun keine Handhabe zu irgendwelchen Streitigkeiten oder anderen Differenzen unter den liechtenst. Parteien zu bieten, erkläre ich hiermit freiwillig meinen Wegzug im Laufe dieses Sommers. Ich bedauere meinen Entschluss selbst auf’s tiefste, denn ich habe mich in dem kleinen Land und unter seiner Bevölkerung, zu der ich, wie auch der Regierung bekannt, die allerbesten Beziehungen habe, sehr wohl und geborgen gefühlt.
  4. Ich habe mich nie politisch betätigt, habe nie mir etwas zu Schulden kommen lassen, ausser dass ich im Land selbst, wie das nun einmal in unserer Familie Usus ist, vielen Armen und Bedrängten zu Hilfe kam, die sich in ihrer Not an mich wandten. Mehr als 160 Briefe aus dem kleinen Land bieten meine Legitimation. Auch bin ich völlig unbestraft.
  5. Trotz meines unumstösslichen Entschlusses habe ich es für notwendig gehalten, zu Herrn Dr. Vogt, dem Antragsteller, zu gehen und ihn nach den wirklichen Gründen zu fragen, die seine Partei als Anlass dienten, mich ausgewiesen zu wünschen. Herr Dr. Vogt erklärte mir, dass gegen mich gar nichts vorliege, aber dass ich vor 1 ½ Jahren in meinem Abwehrkampf [4], den ich seinerzeit gegen die antisemitischen Elemente führte, auch Herrn Dr. [Otto] Schädler und ihn (Herrn Dr. Vogt) beleidigt hätte. Er selbst, so erklärte er mir, habe auch nichts dagegen, wenn ich bliebe und er wollte in diesem Sinne mit seinen Parteifreunden sprechen. Ich nahm die Erklärung des Herrn Dr. Vogt zur Kenntnis, erklärte ihm aber, dass ich nunmehr doch nicht bleiben wollte. Weiter bat ich ihn um eine Bescheinigung, aus der hervorgeht, dass ich auf Antrag seiner Partei mit meiner Familie das Land verlassen soll. Herr Dr. Vogt hat mir diese Bescheinigung zugesagt.

Mit vorzüglicher Hochachtung

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[1] LI LA RF 180/309/002/002. Gemäss handschriftlichem Vermerk auf der Rückseite des Dokuments wurde das Schreiben Isenbergs ad acta gelegt. - Am 27. Mai 1938 wurde von der Regierung eine Amtsbestätigung für Sally Isenberg ausgestellt, wonach er auf Antrag der Vaterländischen Union wegen Einmischung in innenpolitische Angelegenheiten ersucht worden sei, das Land zu verlassen. Andere Gründe für den genannten Antrag lägen nicht vor (LI LA RF 180/309/002/004).
[2] Siehe den Amtsvermerk der Regierung vom 18. Mai 1938 (LI LA RF 180/309/002/001).
[3] Die Regierungsumbildung erfolgte am 30. März 1938. Siehe etwa den diesbezüglichen Amtsvermerk von Regierungschef Josef Hoop (LI LA RF 180/443/002/001).
[4] Vgl. die Pressefehde zwischen Carl von Vogelsang im "Liechtensteiner Vaterland" und Sally Isenberg im "Liechtensteiner Volkslblatt". Siehe hiezu etwa das Schreiben Vogelsangs vom 20. Juni 1936 (LI LA RF 169/170/005/035). Isenberg reichte zwei Klagen gegen Vogelsang ein (LI LA J 007/S069/169, 172). Zu einem Prozess kam es nicht, da Vogelsang 1937 im Zuge der "Spitzelaffäre" nach Deutschland floh.