Schreiben von Carl von Vogelsang an einen nicht näher bezeichneten "Doktor" [1]
20.6.1936
Sehr geehrter Herr Doktor!
Ich bedarf dringend gleicherweise im eigenen wie im Reichsinteresse Ihrer raschen und intensiven Hilfe. Ich bin in einen Prozess verwickelt gegen einen jüdischen Emigranten [Sally Isenberg], der mit Hilfe der "Liga gegen den Antisemitismus" in der Schweiz alle Hebel in Bewegung setzt, mich und die Union zu vernichten.
Der Sachverhalt ist folgender:
Im "Stürmer", Nr. 23 v. Juni 1936, wurde in einem grösseren Artikel darauf hingewiesen, dass sich der Jude Sally Isenberg (geb. am 2.III.1889 in Gilsenberg, Preussen) in Liechtenstein befinde, er habe im Saargebiet einen Schaden von Fr. 40'000'000 hinterlassen. Sally Isenberg, zuletzt wohnhaft in Saarbrücken, Lessingstrasse 18, war Direktor der "Bank für Saar und Rheinland".
Diese Meldung druckte ich mit Kommentar im "L. Vaterland" (Anlage 1), Nr. 48/10.VI.1936 ab. [2]
Darauf gab Isenberg im "L. Volksblatt", Nr. 68/13. Juni 1936, eine "Erklärung" gegen mich ab, worin er Mitteilung macht, dass er Strafanzeige gegen mich erstattet hätte; gegen den "Stürmer" sei er machtlos. Das "L. Volksblatt" gab ein entsprechendes Kommentar im Inneren des Blattes heraus, worin es sofort für Isenberg Stellung nahm (Anlage 2).
Das "L. Vaterland" nahm in Nr. 49/13.VI.1936 nochmals kurz zur Sache Stellung (Anlage 3).
Nun erscheint im darauffolgenden "L. Volksblatt", Nr. 69/16.VI.1936 [3], eine lange Rechtfertigung des Isenberg mit kurzer Einleitung des "L. Volksblattes" (Anlage 4). Darin weist Isenberg alle Anwürfe des "Stürmers" als unwahr zurück und gibt sich als "nationalen Juden" aus; er beruft sich auf das deutsche Ehrenkreuz und seine Mitgliedschaft im Kyffhäuserbund [4].
Am 16.VI. fand die Verhandlung vor dem Friedensrichter [Vermittler] statt. Dabei bestritt Isenberg neuerlich die Stümerangaben. Er erklärte jedoch, dass er in Deutschland kein Recht bekomme. Aber in Liechtenstein hätte er die Macht, es sich zu beschaffen. Er verlangte für seine Ehre Fr. 40 Entschädigung und Bekanntmachung des Widerrufs im "L. Vaterland" und "L. Volksblatt". Ich wies dieses Ansinnen ab. Nun geht die Sache an das Gericht weiter.
Bei der Verhandlung drohte Isenberg mit der "Liga gegen den Antisemitismus" in der Schweiz.
Am nächsten Tag erschien im "L. Vaterland", Nr. 50/17.VI.1936 [5], wieder eine Erklärung von mir (Anlage 5).
Augenblicklich sucht Isenberg das Gewerbe gegen uns aufzuhetzen und auch die Juden zu einer Eingabe an den schweizerischen Bundesrat zu veranlassen.
Isenberg ist auch in der Schweiz ausgewiesen (Schweizer Polizeianzeiger Sammlung "Zeller", S. 300).
Der deutsche Generalkonsul in Zürich [Hermann Voigt] teilt mit, dass er Material habe und ihm die Sache bekannt sei, er müsse jedoch zur Herausgabe erst die Erlaubnis des Auswärtigen Amtes in Berlin haben.
Bitte tun Sie doch Ihr Möglichstes, dass ich auf irgendeinem Wege raschest die Unterlagen, beglaubigt von einer deutschen Behörde, bekomme! Die Sache eilt riesig!
Noch eine andere Sache: Es bestünde, wenn die zuständigen Behörden die Erlaubnis geben, die Möglichkeit, hiesige Arbeiter bei einem staatlichen Bau in Berlin unterzubringen. Ich kenne den Architekten des Reichsluftfahrtministeriums, Wilhelm Geissen, Berlin-Britz, Onkel-Bräsig-Strasse 48, mehrere Jahre und will derselbe die Leute anfordern, nur weiss er nicht, ob er die Erlaubnis bekommt, sie anzustellen. Tun Sie bitte auch hier Ihr Möglichstes, es wäre eine sehr grosse Hilfe für uns. Es sind meist Facharbeiter: Gipser, Stuckateure, Zimmerleute, Bodenleger, die in Frage kommen. Am brennendsten eilt aber die Sache mit Isenberg.
Mit herzlichem Gruss
Ihr
gez. von Vogelsang [6]