Artikel im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]
18.6.1936
Hände weg von solcher Politik
Das neueste Vorkommnis schwerer journalistischer Entgleisung liess uns in Liechtenstein doch ein wenig aufhorchen. Wir sind in Liechtenstein von sprichwörtlicher Langmütigkeit im Dulden und Beurteilen der Seelenverfassung und des Wollens anderer, sind immer sehr geneigt, Deplaziertes einem Unverständnis zuzuschreiben und nicht zuletzt den Delinquenten von Schuld und Sühne freizusprechen. Gewiss eine schöne Seite des Liechtensteinertums. Es gibt aber Fälle, wo wir diese Weitzügigkeit doch fallen lassen müssen, wenn es um die Sauberkeit in politischen und staatlichen Fragen oder an den finanziellen Nerv unseres Staates geht. Das umsomehr in einer Zeit, in der wir wie in noch keiner anderen auf uns selbst angewiesen sind, wie gerade in der heutigen. Man ist zwar in gewissen Kreisen der Opposition und auch heute in der Union nie müde geworden, auch Unsauberes in Verwaltungssachen mit einem Schleier zu decken oder zumindest auf den für Sauberkeit kämpfenden Gegner mit Fingern zu zeigen und ihn womöglich der Verachtung preiszugeben, man hat wiederholt schwere Hiebe gegen die Staatseinnahmen geführt in der angenehmen Hoffnung, es könnte dadurch die Mehrheit verdrängt werden. Neuestens glaubte man sich darüber doch ein wenig erhaben.
Dass man aber alles vergessen und nichts gelernt hat und nichts als ein unnatürlicher Betätigungsdrang geblieben ist, zeigt der neueste Angriff auf Direktor [Sally] Isenberg. Der Angriff mahnt umsomehr zum Aufsehen, weil Direktor Isenberg sich nunmehr schon 5 Jahre im Lande aufhält und in aller Stille in Vaduz lebte. Die Entschuldigung, dass dieser Angriff im "Stürmer" gestanden habe, ist belanglos. Es steht nicht in der Macht des Landes, einer irrigen Ansicht oder einer von Unwahrscheinlichkeit oder von Hass triefenden Berichterstattung über Bewohner des Landes oder das Land selbst hintanzuhalten. Es steht aber in der Macht des Liechtensteiners und seiner Presse, solchen Berichterstattungen korrekt, aber bestimmt entgegenzutreten. Das wäre im Fall Isenberg Pflicht gewesen und wird auch weiter Pflicht bleiben, wenn wir dem Lande nicht eminenten Schaden zufügen wollen. Wer einigermassen Einblick in die Finanzgebahrung des Landes hat, wird uns beipflichten und fordern, dass Derartiges in Zukunft entschieden unterlassen wird. Es muss das im Interesse unserer Bevölkerung, der Bauern- und der Arbeiterschaft und des Gewerbes, entschieden gefordert werden.
Die unberechtigten antisemitischen Ausfälle mit der fadenscheinigen Begründung, dass der Fremdenverkehr aus falschen Darstellungen im Auslande leiden könnte, wie sie schon im Prozess gegen die Entführer Rudolf Schädler und Konsorten von denselben verschiedentlich aufgebracht wurde, wiederholten sich auch im Angriff auf Direktor Isenberg. Das wirkt umso interessanter, wenn man weiss, dass die Redaktionsstube des "Vaterland" im Hause Rudolf Schädler untergebracht ist. Es geht nicht an, unter dem Deckmantel des Patriotismus selbstsüchtige Interessen zu verfolgen. Wir wissen ja auch zu genau, wie das "Vaterland" und dessen Hintermänner versucht haben, die Interessen des liechtensteinischen Gastgewerbes zum Vorteil ihrer eigenen Gaststätten hintanzustellen.
Es muss nun einmal wieder mit aller Deutlichkeit gesagt werden, dass die liechtensteinische Wirtschaft, sowohl die Arbeiterschaft wie das liechtensteinische Gewerbe und die Bauernschaft, um leben zu können, die ausserordentlich grossen Einnahmen des Staates notwendig haben. Was dann, wenn von Arbeitsbeschaffung im grossen Zuge keine Rede mehr sein könnte! Unsere Haupteinnahmsquelle war seit Jahren, ist heute und wird es auch bleiben, wenn sie nicht mit Gewalt ruiniert wird, die Einnahmen aus den Holdinggesellschaften. Nun ist es nicht ausschlaggebend, ob das oder jenes im "Stürmer" steht, und ist weiter für den Freund des Vaterlandes nicht massgebend, ob der Drang nach einem Luftmachen im Antisemitismus bei der Redaktionsleitung des Unionblattes besteht od. nicht, massgebend aber ist, dass die bedeutenden Einnahmen des Landes durch eine solche für unsere Verhältnisse nicht passende Schreibweise ruiniert werden können. Dass aber dadurch dem Ruf des Landes und direkt den Einnahmen des Landes nicht wieder gutzumachender Schaden erwächst und der Bauer, der Gewerbetreibende und der Arbeiter in nicht wieder gut zu machender Weise geschädigt wird, ist eine unwiderlegliche Tatsache. Wer Einsicht hat für die wirtschaftlichen Nöte des Landes, wird von einer solchen Politik ablassen. Wir wollen uns heute mit dieser Feststellung begnügen, aber mit aller Bestimmtheit darauf hinweisen, dass das Volk sich diese Politik weiter nicht mehr gefallen lassen wird. Es wird sich gegen die Untergrabung der Einnahmen des Landes durch eine abwegige Effekthascherei zu wehren wissen.
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[1] L.Vo., Nr. 70, 18.6.1936, S. 1.