Ausführungen von Regierungschef Josef Hoop im Landtag vom 12.2.1937, ungez. [1]
o.D. (12.2.1937)
Ausführungen des Regierungschefs über die Spitzelaffaire
Gegen Ende d. Monats November 1936 liess mir Herr Hermann Birkel von Bludenz die bekannten Briefe und Berichte ausfolgen, die der Redakteur und Landesführer [Carl von Vogelsang] des Liechtensteiner Heimatdienstes im Herbste 1934 an die bekannten deutschen Amtsstellen durch die Vermittlung Birkels abgesandt hatte.
Birkel hatte diese Briefe indessen nicht, wie es Vogelsang wünschte, an die Adressaten weitergeleitet, sondern 2 Jahre nachher mir zur Verfügung gestellt.
Aus diesen Briefen ging mit aller Klarheit hervor, dass Vogelsang eine ausgesprochene Spitzeltätigkeit ausübte. Es lag auch der Verdacht auf der Hand, der sich leider nur zu berechtigt erweisen sollte, dass er angesichts seiner bekannten persönlichen Einstellung, seiner bekannt zahlreichen Auslandsreisen u.s.w. diese Spionagetätigkeit auch zu diesem Zeitpunkte, d.i. Winter 1936 noch fortsetzte. Es ergab sich deshalb die Frage, was zu tun sei.
Die Antwort auf diese Frage lese ich im "Liechtensteiner Vaterland" vom 10.2.1937, d.i. von vorgestern. [2] Dort heisst es wörtlich: "Die Aufdeckung der Spionage war lebenswichtiges Interesse des Landes, darüber ist sich jeder wirkliche Liechtensteiner im Klaren.
Die Verhinderung jeglicher Spionage gegen Liechtenstein und seine Bewohner ist Pflicht nicht nur der Behörden, sondern auch des Landtages, der in der Übernahme des schweizerischen Spitzelgesetzes die nötigen Grundlagen der Abwehr gegen jede Spionage zu Gunsten welchen Landes immer schaffen kann und muss. Auch darüber muss sich jeder Liechtensteiner im Klaren sein: die Einnahmen des liechtensteinischen Staates, die nun einmal besonderer Art sind, können nur dann erhalten werden, wenn jeder Liechtensteiner sich der Verantwortung voll bewusst ist, die er in seiner politischen und unpolitischen Tätigkeit dem Lande gegenüber trägt."
Und weiter: "Jede Spionage gegen Liechtenstein rührt an den Lebensnerv des Staates." Soweit das Liechtensteiner Vaterland von vorgestern.
Die gleiche Auffassung habe ich von allem Anfang an gehabt. Es musste dem landesschädigenden und verwerflichen Treiben ein Ende gesetzt werden. Es war erste und oberste Pflicht, lebenswichtige Interessen des Landes zu schützen, wie das "Liechtensteiner Vaterland" selber zugibt.
Wie sollte ich vorgehen?
Vorerst musste ich Gewissheit bekommen, dass die Briefe echt waren. Ein Vergleich der Schrift der Briefe mit anderen aus der Schreibmaschine des "Liechtensteiner Heimatdienstes" stammenden Papieren, ein Vergleich des Briefpapieres und des Stempels der Landesleitung des Liechtensteiner Heimatdienstes und der Unterschrift Vogelsangs ergaben zweifellos die Echtheit der Briefe. Die Person des Überbringers bürgte ebenfalls für die traurige Wirklichkeit des Geschehenen. Ich musste weiter prüfen, welches Delikt hier vorlag. Das Nächstliegende war der Hochverrat. Indessen ergab die Prüfung, dass das damals vorliegende Material diesen Tatbestand wohl nicht erfüllte. Andererseits aber ergab die Prüfung das Vorliegen eines Tatbestandes, der in allen umliegenden Staaten, vor allem auch in der benachbarten Schweiz durch neugeschaffene Gesetze unter schwere Strafen gestellt ist.
Alle Überlegungen zwangen mich, obwohl nach unserer Gesetzgebung ein strafbarer Tatbestand nicht vorlag, den Fall weiter zu verfolgen und genauestens abzuklären. In engster Anlehnung an die in der Schweiz bestehende Praxis liess ich durch die Polizei alle Beobachtungen sammeln, die mir dienlich sein konnten und nahm eine Hausdurchsuchung und Beschlagnahme des verdächtigen Materials in Aussicht. Wenn nicht die Eigenschaft als oberste Polizeibehörde schon die Berechtigung zu dieser Massnahme geboten hätte, so wäre es in jedem Falle Art. 1 des Gesetzes vom 30. Mai 1933 betreffend die Erteilung besonderer Vollmachten an die Regierung [3] gewesen.
Als diese Vorfragen geprüft waren, beauftragte ich die Polizei, im Büro der Landesleitung des "Liechtensteiner Heimatdienstes" und in der Wohnung Vogelsangs die Hausdurchsuchung und Beschlagnahme der dort liegenden Papiere vorzunehmen. [4]
Ich durfte mir jedoch nicht verhehlen, dass eine Hausdurchsuchung in der Redaktion des "Liechtensteiner Vaterlandes", die Beschlagnahme der dort liegenden Zeitungsmanuskripte und Parteiakten von politischen Hitzköpfen der Union nicht ruhig hingenommen werden könnte. Die Hausdurchsuchung und Beschlagnahme wäre als eine "ungeheuerliche und nie dagewesene Vergewaltigung der Opposition" hingestellt worden, die man nicht ruhig hinnehmen dürfe. Ich musste allen Ernstes fürchten, dass ein Eindringen der Polizei in die Redaktion zu einer Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung führen könnte. Letzterem vorzubeugen war die zweite Pflicht. Ich sagte mir, dass kein Liechtensteiner an der Hausdurchsuchung und Beschlagnahme des verdächtigen Materials etwas auszusetzen hätte, wenn die Öffentlichkeit im Zeitpunkte ihrer Vornahme bereits untrügliche Dokumente vor Augen habe, aus denen die "Schändlichkeit der Tätigkeit" des Redakteurs des "Vaterlandes" gegen seine Heimat, gegen Mitbürger und hier Niedergelassene hervorgehe. Deshalb ersuchte ich das "Liechtensteiner Volksblatt" der Bevölkerung ein Dokument aus Vogelsangs Tätigkeit vor Augen zu führen, [5] während ich im gleichen Zeitpunkte zur Hausdurchsuchung schreiten liess, d.h. ich verschob sogar entgegen den Untersuchungsprinzipien diese Hausdurchsuchung auf den späten Vormittag, auf einen Zeitpunkt also, da man bereits im ganzen Land durch das "Liechtensteiner Volksblatt" Kenntnis von den empörenden Umtrieben Vogelsangs hatte. – Dem "Liechtensteiner Vaterland" oder seinen nächsten Freunden konnte ich allerdings keine Briefe zum Abdrucke überlassen, wenn die Hausdurchsuchung überhaupt noch einen Zweck haben sollte, das werden Sie mir zugeben.
Es ist Kritik erhoben worden, dass ich die Briefe und Berichte Vogelsangs dem "Liechtensteiner Volksblatte" übergeben hätte, ohne dem Regierungsrat der Opposition, Herrn Alois Schädler, vorher Kenntnis hievon zu geben.
Ich bemerke dazu, dass ich auch dem bürgerparteilichen Regierungsrat Peter Büchel keine Kenntnis von den Briefen und deren Veröffentlichung gegeben habe. Wenn ich in jeder meiner Amtshandlungen die Herren Regierungsräte stets auf dem Laufenden halten wollte, so müssten wir alle Drei von morgens früh bis abends spät an Sonn- und Werktagen beieinander sitzen. Es ist nicht empörend, sondern es ist eine Selbstverständlichkeit, dass der Regierungschef alle jene Vorarbeiten trifft, die zur endgiltigen Behandlung eines Falles notwendig sind, Art. 94 der Verfassung sieht dies ausdrücklich vor. So ist es auch immer gehandhabt worden und wird immer gehandhabt werden. Es zeugt geradezu von einer Unkenntnis des Geschäftsbetriebes bei der Regierung und der bezüglichen Gesetzesbestimmungen, wenn das "Liechtensteiner Vaterland" etwas anderes behauptet. Art. 155/3 LVG, Art. 130/5 [6]. Es ist auch eine Lüge, dass ich etwa [Sally] Isenberg Kenntnis von den Akten gegeben habe, wie es die genannte Zeitung vorgestern durchblicken lassen will. Ich kann auch nie der naiven Auffassung beipflichten, dass der richtige Weg, die Sache ab zuklären, der gewesen wäre, die Herren Dr. [Otto] Schädler, Dr. [Alois] Vogt und Vogelsang und vielleicht Herrn Reg.Rat Schädler zu einer Unterhaltung einzuladen über das Stattfinden oder Nichtstattfinden der Verrätereien. Derartige kindliche Untersuchungsmethoden anzuwenden, überlasse ich anderen. Den Vorzug hätte dieses vom "Liechtensteiner Vaterland" gewünschte Vorgehen allerdings gehabt, dass der Skandal prompt vertuscht, die Briefe als irgend ein unschuldiges Versuchsstück hingestellt worden wären und der geflüchtete Verräter weiter harmlose Menschen ins Unglück hätte setzen können.
Damit habe ich auch klipp und klar Antwort gegeben auf die Fragen, die das "Liechtensteiner Vaterland" in seiner vorgestrigen Nummer zu stellen beliebte.
Da Baron Vogelsang bei der Hausdurchsuchung in seinem Büro log, er sei unschuldig und erklärte, John Büchel könne einen Missbrauch des Stempels getrieben haben, da dieser viel in seinem Büro gewesen sei, ordnete ich auch bei letzterem eine Hausdurchsuchung an. Im Laufe des Samstag Vormittag richteten die Herren Dr. Schädler, Dr. Vogt und Baron Vogelsang einen schriftlichen Protest gegen die Veröffentlichung des Materials an die Regierung, indem sie erklärten, dass sie den veröffentlichten Brief weder selbst geschrieben, noch zu schreiben veranlasst, noch irgendwie Kenntnis davon gehabt hätten. Wörtlich schliessen sie das Schreiben: "Gleichzeitig stellen die Gefertigten an die fürstliche Regierung das dringende Verlangen auf sofortige Abklärung der Angelegenheit und stellen sich derselben zur Vernehmung zur Verfügung." [7]
In einer mündlichen Vorsprache billigten sie die Hausdurchsuchung, wie sie auch neuerdings erklärten, dass sie den grössten Wert auf eine Abklärung der Angelegenheit legen. Der Gefertigte zeigte ihnen Photokopien der Originalschreiben, auf welche die Unterschrift Vogelsangs spontan von Dr. Vogt als die ihres Redakteurs bezeichnet wurde. Ich erklärte ihnen auch, dass wenn sie an der Echtheit noch zweifeln sollten, wir in der Lage seien, lückenlos den Gang des Briefes vom Zeitpunkte an, da er von Vogelsang abgesandt wurde, bis zum Zeitpunkte, wo er wieder in Vaduz war, nachzuweisen und durch Zeugen bekräftigen zu lassen.
Sonntag, den 24. Jänner liess ich durch Polizisten [August] Eberle Baron Vogelsang auf 11 Uhr zum Gefertigten vorladen. Ich hielt die Einvernahme Vogelsangs im Interesse einer raschen und vollen Abklärung gelegen, die ja auch die Herren Dr. Schädler, Dr. Vogt und Vogelsang selber dringend am Vortage verlangt hatten. Vogelsang hatte jedoch nicht in seiner Wohnung genächtigt und der Polizist vermutete ihn im Hause Dr. Schädlers. Er begab sich dorthin, um Vogelsang vorzuladen, jedoch erklärte Dr. Schädler, er solle es ihm sagen, er liess ihn nicht zu Vogelsang bezw. Vogelsang nicht zu Eberle und sagte, Vogelsang komme nicht allein auf die Regierung, sondern in Begleitung von ihm oder von Dr. Vogt. Zu meinem grössten Erstaunen kam jedoch weder Vogelsang noch jemand anders. Entgegen dem am Vortage gestellten Antrage wurde Vogelsang nicht auf die Regierung gelassen, sondern Dr. Vogt rief mich um 12 Uhr an, der Baron sei nicht in der Lage, bei der Regierung zu erscheinen, aber er sei für ihn beauftragt, Erklärungen abzugeben, ich solle mich künftig nur noch an ihn, Dr. Vogt, wenden. [8]
Dadurch, dass man systematisch und bewusst Vogelsang mit der Aussenwelt und mit der Polizeibehörde und der Regierung nicht mehr in Berührung liess, musste der Eindruck entstehen, dass Vogelsang nicht allein schuldig sei, umso mehr als die selbstverständliche Erwartung nicht eingetroffen ist, dass die Herren Dr. Schädler und Dr. Vogt, als sie sich von Vogelsang distanziert hatten, mir gesagt hätten: "So wir haben nichts mehr mit Vogelsang zu tun, wenn du von ihm etwas wissen willst, er steht hier zu Verfügung."
Warum wollte man Vogelsang nicht zum Verhör auf die Regierung bringen lassen? Nachdem sie am Vortage geradezu die Einvernahme verlangten.