Der deutsche Refraktär Heinrich Wittel wird wegen Verwendung eines verfälschten liechtensteinischen Reisepasses in Basel polizeilich einvernommen


Protokoll der Beschuldigteneinvernahme von Karl Wittel vor der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, gez. a.o. Kriminalkommissär (...) (Unterschrift unleserlich) und Karl Wittel

3.9.1940, Basel

Abschrift

Rapport von Polizeimann Kubli, stat. z.Z. Journal

betr. Wittel Karl, alias Beck Franz

Sonntag, den 1. September 1940, um 19.10 Uhr wurde durch Polm. Hartmann, Korpl. Thommen und Det. Jaggy am Spalenberg 44 bei Sannitz angehalten:

Beck Franz, des Gottlieb und der Luise Erhardt, geb. 27. Jan. 1907, von Triesenberg (Liechtenstein), Kaufmann, wohnhaft in Triesenberg. Derselbe besitzt einen Pass auf den Namen Beck Franz, ausgestellt am 17. November 1939 in Vaduz und unterschrieben von einem "Seger".

Beck wurde angehalten wegen Verdachts der Spionage, Missbrauchs von Ausweispapieren sowie zur Identitätsfeststellung.

Beck wurde am 2. September ds. daktyloskopiert und konnte anhand der Fingerabdrucksammlung festgestellt werden, dass der angebl. Beck am 4. Sept. 1939 hier in Basel unter dem Namen Wittel erkennungsdienstlich behandelt wurde.

Der angebl. Beck ist identisch mit:

Wittel Karl Friedrich Ernst, des Gottlieb und der Luise Erhardt, geb. 21. Januar 1908 zu Karlsruhe, deutscher Reichsangehöriger, ledig, Kaufmann, flottant.

Wittel wurde am 5. Sept. 1939 durch das Polizei/Inspektorat Basel dauernd aus der Schweiz ausgewiesen wegen schwerer Missachtung der Ordnungsvorschriften und wegen Ausübung einer Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung.

Wittel erklärte über die Herkunft des Passes auf den Namen Beck folgendes:

"Ein Regierungsbeamter in Vaduz, welchen ich persönlich sehr gut kenne, stellte mir den Pass aus, weil er meine Notlage kannte und auch wusste, dass ich aus der Schweiz ausgewiesen bin; ich habe auf den Herrn absolut keinen Druck ausgeübt, der Herr wollte mir eine grosse Gefälligkeit machen, legte mir aber nahe, mit dem Pass keinen Missbrauch zu treiben. Wenn ich diesen Pass bis Frühjahr 1941 hätte benützen können, wäre ich gerettet gewesen, denn dann gibt's in Europa sowieso eine neue Ordnung."

Herr Bickel der Fremdenpolizei erhielt aus Vaduz auf telef. Anfrage den Bescheid, dass ein Beamter namens [Anton] Seger existiere, dagegen seien die Namen Beck Franz und Wittel Karl völlig unbekannt, in den Passregistern kämen diese Namen nicht vor. Es könne sein, dass der Pass echt, vom Beamten Seger aber zu unrecht ausgestellt wurde.

sign. Kubli, Polm.

3. September 1940

Aus der Sicherheitshaft wird vorgeführt und gibt als Angeschuldigter vernommen auf Befragen an:

z.P.

Karl Wittel

(üb. siehe Pbg.)

z.S.

Frage: Wer hat Ihnen den auf Franz Beck lautenden Reisepasse ausgestellt und zu welchen Bedingungen?

Antwort: Der Kanzleibeamte Seger in Vaduz und zwar an dem Tage: 14. November 1939, als er mir den Reisepass überlassen hat. Es war so: Ich hielt mich 2 bis 3 Wochen in Vaduz auf, nachdem ich schwarz eingereist war und logierte im Hotel zur Sonne. Ich habe meinen eigenen Reisepass im Sommer 1939 an die Polizeibehörden in Karlsruhe gesandt, um dessen Gültigkeit verlängern zu lassen. Ich bin aber nicht zum Militärdienst eingerückt und deshalb wurde mein Reisepass von den Karlsruher Polizeibehörden einfach eingezogen und mir nicht mehr zugestellt. Ich versuchte nun vorerst in Vaduz eine Aufenthaltsbewilligung zu erwirken, indem ich mich direkt an den Regierungschef [Josef Hoop] wandte, dessen Namen ich allerdings nicht angeben kann. Ich wurde angewiesen, ein schriftliches Gesuch an die Regierung zu machen und wurde vorerst in Vaduz stillschweigend geduldet, weil ich eben Refraktär bin. Ich sprach sodann auch mit dem Kanzleibeamten Seger über die ganze Sache und er sagte, ein Gesuch um Aufenthalt in Liechtenstein erscheine vollkommen aussichtslos und zwar weil ich keine Mittel hätte. Ich war tatsächlich mittellos. Ohne dass ich ihm nun aber einen Vorschlag unterbreitet habe, mir einen falschen Reisepass auszustellen, hat er sich anerboten, mir einen solchen auszustellen, weil er Bedauern mit mir hatte. Ich habe ihm vorher allerdings vorgetragen, ich sollte geschäftlich nach Basel, um mit der Firma Köhler Bosshard & Co wegen meinen Patentgeschichten zu verhandeln. Diese Firma verwertet eines meiner Patente, von dem ich zu einem dritten Teil am Gewinn partizipere. Ich beabsichtigte nun, mit der Firma Köhler Bosshardt & Co zu verhandeln, um für hin und weg eine Abfindungssumme zu erhalten, und ohne Reisepass wäre es mir nicht möglich gewesen, in die Schweiz einzureisen. Ich war der Meinung, Seger könne mir einen Pass auf meinen Namen ausstellen. Er lehnte das aber ab mit der Begründung, mein Name sei für einen Liechtensteiner nicht geläufig und wählte von sich aus dann den Namen Franz Beck. Seger hat mir daraufhin den auf Franz Beck ausgestellten Reisepass eingehändigt. Ich habe ihm aber dafür aber nichts bezahlt, es war lediglich ein Gefälligkeitsdienst. Seger hat mir im Gegenteil noch 10.- Fr. gegeben, aus Bedauern, weil ich mittellos war.

Frage: War es nicht so: Sie haben ihm versprochen, sobald Sie die Abfindungssumme besitzen würden, glänzend zu entschädigen?

Antwort: Nein, von so etwas war nie die Rede. Seger hat das aus purer Humanität gemacht, denn er hat sich dabei nicht bereichert. Der Kanzleibeamte arbeitet auf dem Passbüro und deshalb war es ein leichtes für ihn, mir einen verfälschten Reisepass zuzuhalten, weil er die unbeschriebenen Passformulare besitzt. Er hat also ein echtes Passformular vom Fürstentum Liechtenstein verwendet. Die Unterschrift: Franz Beck, auf der Seite für die Fotografie, habe ich selber hingeschrieben und zwar schon in Vaduz, als mir Seger den Reisepass einhändigte. Der übrige Text wurde von Seger eingesetzt.

Frage: Wo und wann sind Sie sodann in die Schweiz eingereist?

Antwort: Ich bin schon im Herbst beziehungsweise Winter 1939 erstmals mit diesem Reisepass in die Schweiz eingereist, indem ich mich einem Schweiz. Militärposten, der die Strassenkontrolle bei Buchs macht, mit dem Pass ausgewiesen habe. Ich kam zu Frau Koch und habe dieser Vollmacht gegeben, in meinem Namen mit Dr. Leupold zu verhandeln, der die Sache der Firma Köhler Bosshardt & Co vertritt. Ich reiste aber bald wieder aus und kam am Samstag, 31. August 1940, wiederum von Vaduz her in die Schweiz. Mein Name und die Passnummer sind vom dortigen Militärposten notiert worden, ein Eintrag in den Reisepass wurde aber nie gemacht.

Frage: Wem gegenüber haben Sie sich hier in Basel mit dem verfälschten Reisepass ausgewiesen?

Antwort: Zunächst muss ich natürlich zugeben, dass ich genau wusste, dass der Reisepass verfälscht war und habe mich in Basel zunächst dem Detektiv Jaggi damit legitimiert. Auf dem Polizeiposten wurde ich sodann auch noch von beiden Beamten gefragt, die den Detektiv begleitet hatten, als ich angehalten wurde. Ich habe natürlich auch diesen gegenüber daran festgehalten, dass ich Franz Beck heisse und der Reisepass echt sei. Als ich in Lohnhof eingeliefert worden bin, wurde ich von einem weitern Beamten befragt, zu dem man mich vorgeführt hat, und ich habe natürlich konsequenzenhalber weiter darauf beharrt, Franz Beck zu heissen.

Frage: War Ihnen bekannt, dass Sie aus dem Gebiet der Schweiz ausgewiesen waren?

Antwort: Das ist mir seiner Zeit hier im Lohnhof bekannt gegeben worden. Alles ging aber sehr rasch und ich habe unterschrieben, war mir aber nicht ganz im klaren, ob sich die Ausweisung nur auf den Kanton Basel/Stadt oder das ganze Gebiet der Schweiz erstrecke.

Frage: Ergänzungen oder Berichtigungen?

Antwort: Ich möchte erwähnen, dass ich die Abfindungssumme bis heute nicht erhalten habe. Zudem wäre noch zu sagen, dass ich mich nie auf diese Passgeschichte eingelassen hätte, wenn man mir früher, als ich ausgewiesen worden bin, etwa 2 Wochen Zeit gegeben hätte, um meine Geschäfte zu erledigen. Im übrigen ist nach Angaben von Seger ein österreichischer Deserteur einfach kurzerhand wieder über die Grenze geschoben worden und wird sehr wahrscheinlich seine Strafe erhalten haben. Das hat mich stark beeinflusst und deshalb wollte ich mir einen Reisepass verschaffen. Zu berichtigen habe ich nichts.

______________

[1] LI LA J007/S073/226 (b). Vgl. das gerichtliche Einvernahmeprotokoll des Regierungskanzlisten Anton Seger vom 6.9.1940 (LI LA J 007/S 073/226 (a)).