Polizeiliches Einvernahmeprotokoll betreffend Michael Rogatschewsky, nicht gez. [1]
27.6./11.7.1946
aufgenommen am Polizeiposten Vaduz durch Schtzm. Meier am 27. Juni 1946 vormittags mit
Rogatschewsky Michael, geboren am 15. Sept. 1924 in Kirow, Uralgebiet, dahin zuständig, ledig, ohne Beruf, Oberleutnant, orthodox, ein Sohn des Afanasi und der Antonie, geborene Solwjwa, Internierter im Lager in Schaan.
Dieses Protokoll ist eine Fortsetzung der bereits durchgeführten Einvernahme des Rogatschewsky am hiesigen Posten vom 6. Juni 1946. [2] Rogatschewsky erklärte damals zum Schluss, dass er noch mehr wisse und er werde vielleicht einmal darüber sprechen. Bei einer neuerlichen Vorstellung bei der Polizei erklärte R., dass er heute zwar nicht gekommen sei, um viel zu sagen, denn er überlege es sehr. Wenn er Aussagen mache, könnte es für ihn bei Bekanntwerden im Lager unhaltbare Zustände geben und er müsste anderswo untergebracht werden.
Schtzm. Meier erklärte dem „R" bei dieser Gelegenheit, dass eine Unterbringung anderswo zufolge Aussagen seinerseits nicht in Frage kommen könne, es bestehe jedoch keine Gefahr, dass Aussagen seinerseits bei der Polizei im Lager bekannt würden. Es stehe ihm jedoch ganz frei, Aussagen zu machen oder nicht.
Meier bedeutete ihm aber nebenbei, dass, wie bei der letzten Vernehmung es schon zu Sprache gekommen sei, er als dunkle Figur im Lager von Seite Mitinternierter angesehen werde und wenn er sich nun rechtfertigen wolle und könne, sei ihm Gelegenheit geboten, sich bei der Polizei auszusprechen.
Seither sind nun 14 Tage ca. vergangen und Rogatschewsky meldete sich bei Hilfspolizist Adalbert Konrad am 26. Juni 1946 zur Aussprache bei der Polizei freiwillig an.
Nun erscheint er zur festgesetzten Zeit am 27. Juni 1946 um 9 Uhr.
Rogatschewsky Michael gibt an: „Ich komme heute nun hierher in der Absicht, eine umfassende Erklärung abzugeben, so wie ich beim letzten Besuch in Aussicht gestellt habe. Ich werde erschöpfende Auskunft geben und überlasse es der Polizei, den Schluss über die Richtigkeit meiner Aussage zu ziehen. Denn eine Abklärung durch die Polizei kann nicht in allen Details erfolgen, d.h. eine Überprüfung meiner Aussagen; daher will ich ausführlich ausholen, damit sich ein Bild zur richtigen Schlussziehung über die Richtigkeit meiner Aussagen ergibt.
Ich beginne mit meinen Aussagen vom Zeitpunkt unserer Zusammenstellung in Nürnberg, also im April 1945. Bis dahin kannte ich den General (Holmston), der hier ist, nicht. Ich wusste, dass er ein Stabsmitglied war, nicht mehr. Nach der Zusammenstellung unseres Regiments in der Nähe der Stadt Waiden nördlich von Nürnberg war unseres Regimentskommandant Oberst-Leutnant Bobrikoff, der im vergangenen Jahre von Balzers nach Frankreich abgereist ist. In Waiden wurden wir von den Deutschen mit Waffen, zur Hauptsache waren es russische, ausgerüstet. Unser Regiment blieb eine Zeit lang in Waiden und ich unterhielt mit Oberstleutnant Bobrikoff gute Beziehungen; ich war Adjutant von Bobrikoff. Eines Tages wurde Oberstleutnant Bobrikoff zum Stab „R", dessen Chef „Oberst von Regenau" der heutige General Holmston war, telefonisch angerufen. General Holmston hiess damals Oberst von Regenau. Oberstleutnant Bobrikoff kam von der Besprechung abends 9 Uhr zurück und sich mich gleich zu ihm rufen. Ich hatte mit ihm eine Unterredung von zirka 3 Stunden, bei welcher er mir mitteilte, bzw. mich erst meine Meinung fragte, welche Stimmung es unter den Soldaten auslöse, wenn man die Offiziere von den alten Emigranten ausschliesslich einsetze und die Offiziere der neuen Emigranten, also Offiziere unserer Zeit, entlasse. Ich sagte ihm, nach meiner Meinung würde das nicht gut tun, denn die Soldaten stehen gut zu den jungen Offizieren, worauf er sagte, man werde sehen. Er bemerkte weiter, dass von oberer Stelle (Stab Regenau, heutiger General Holmston) die vollständige Entlassung aller jungen Offiziere angestrebt worden sei und dass er (Bobrikoff) sich für die Beibehaltung von uns dreien – Konopatow,, Nikolajewsky, der im Krankenhaus in Vaduz letzten Winter starb, und mir – sich eingesetzt habe. Bobrikoff liess mich verstehen, dass uns eine schwere Zeit bevorstehe, man müsse ganz vorsichtig sein, die Aussicht für einen deutschen Sieg sei gering und wir müssten wahrscheinlich bald von hier flüchten. Im Hinblick auf die schwierige Zeit wären eben Offiziere, denen man ganz vertrauen könne, Notwendigkeit und von den Jungen, die ja eigentlich wenige Monate zuvor noch in der roten Armee gedient hatten, habe man die Überzeugung des Vertrauens nicht, daher die Ausschaltung der jungen Offiziere.
Nach einigen Tagen waren 8 Offiziere und eine Frau eines Offiziers ganz heimlich verhaftet worden. Es handelt sich bei diesem um eben junge Offiziere. Wir wussten erst nichts genaues; man vernahm nur gerüchteweise, dass die Verhaftung durch die Gestapo erfolgt sein soll, weil es schon in der Nacht war. Wieder einige Tage später fuhr am hellen Tage ein Lastwagen mit deutschen Soldaten vor, die ziemlich genau 20 unserer Soldaten, mit der Begründung undisziplinierten Verhaltens von Seite dieser Soldaten, verhafteten. Ich füge hinzu, dass uns klar war, dass hier etwas nicht stimmen musste, denn es waren keine „undisziplinierten" Leute. Es interessierte mich dann sehr, was da vor sich ging und ich wandte mich an die Posten unseres Regimentsdorfes, um dort zu erfahren, wer die Verhaftungen in dieser Nacht durchgeführt hat. Einen der Posten kannte ich persönlich, weil wir früher zusammen im Gefangenlager waren. Er wollte mir erst nichts sagen und als ich ihn aber drängte, er könne es mir ruhig sagen, ich wüsste bereits schon etwas, sagte er: „Es sei ein Auto in der Nacht angefahren gekommen, dem zwei mit Maschinenpistolen bewaffnete Männer entstiegen seien." Der eine war ein Hauptmann (der aber nicht im Lager in Schaan ist, der auch nicht mit über die Grenze gekommen war) und der andere war jener mit einem Auge, der heute noch im Lager ist; es ist Baranowsky. Von diesem Zeitpunkt an zweifelte ich an der Version, dass die Gestapo die Verhaftungen durchgeführt hat, wusste jedoch noch nichts zuverlässiges, man wusste nicht, welche Politik hier gespielt wurde. Am folgenden Tage kam ich wieder zu Bobrikoff, welcher mich, während er in einer Zeitung las, nach der Stimmung und den Gerüchten unter dem Regiment fragte. Ich sagte ihm, dass Gerüchte gingen, die Verhaftungen seien nicht durch die Gestapo, sondern von Offizieren des Stabes „R" (Regenau). Ich sagte ihm auch, dass dies auch meine Meinung sei. Über diese Mitteilung legte Bobrikoff die Zeitung beiseite und ich sah dass er ein wenig erstaunt war und mir sagte, er wisse nichts bestimmtes, glaube jedoch seinerseits, dass doch die Gestapo die Verhaftungen durchgeführt habe. Eine halbe Stunde später wurde ich neuerlich zu Bobrikoff gerufen, der mir den Auftrag gab, Sorge zu tragen, dass die Gerüchte abgeblasen würden und dass zur Marschbereitschaft organisiert werde, den Soldaten jedoch nichts vom Vorhaben mitteilen. Am Nachmittag das gleichen Tages erhielt ich Bescheid in ein Haus zu kommen, wo alle Offiziere versammelt waren. Da kam dann auch „Oberst Regenau" (der heutige General Holmston) hin. Er sah müde aus. Bei ihm war seine heutige Frau, die bei ihm damals Sekretärin war. Seine vorherige Frau lebt noch und hält sich irgendwo in Bayern auf. Bei dieser Besprechung der Offiziere in diesem Haus sagte „Oberst Regenau" folgendes:
„Deutschland geht zum Ende. Wir sind russische Nationalisten, und sind ohne Hilfe geblieben. Wir müssen durchbrechen nach Süddeutschland und dort müssen wir mit andern russischen Truppen zusammentun und dann werden wir besprechen, was weiter zu geschehen hat. – Er fügte hinzu, dass er glaube es werde gut gehen und wir würden alles gut führen, auch die neuen Offiziere ..."
Oberst Regenau ging mit den Worten, näherer Anweisungen gebe Oberstleutnant Bobrikoff, weg.
Am Abend besprachen die versammelten Offiziere anhand der Karte die Marschroute nach Süddeutschland. Zu diesem Zeitpunkt hörte man schon die Kanonensalven der Amerikaner; es wurde eilig. Am folgenden Tage war der Abmarsch, man nahm alle Bewaffnung mit, Fahrzeuge und Pferde und vieles anderes, was Balast bedeutete, liess man zurück. Ich kam nach der Besprechung aller Offiziere wieder zu Bobrikoff und half ihm und seiner Frau noch beim Packen. Er zeigte mir die Karte und die Route, die gegen den Bodensee führte, mit dem Bemerken, dass wir da ganz nahe an der Schweiz seien und wenn es notwendig wird, können wir jederzeit nach der Schweiz. Bobrikoff war schon, wie ich weiss, zur Zeit der russischen Revolution einmal in der Schweiz. Er sagte auch, dass nur die Offiziere vom Ziel wüssten und die Soldaten nichts wissen dürften.
Als unsere Truppe sich bereits im Marsch befand, kam Oberst Sobolev zu den Offizieren und erklärte, dass er vom Stab „R" (Oberst Regenau) beauftragt sei, diese Truppe zu führen. Er habe bereits Eisenbahnwagen beim Bahnhof in Waiden in Aussicht und in einer halben Stunde müsste alle verladen und zur Abfahrt bereit sein. - Bis dahin kannte ich den Oberst Sobolef nicht, ich hatte ihn nie gesehen in unserem Regiment. Es ging also zum Bahnhof und wir bekamen zirka 7 Waggons. Die Flugzeuge kreisten schon immer ober uns in dieser Gegend und Soboleff hatte erklärt, dass die Panzerspitzen der Amerikaner nur noch 20 km entfernt seien. Die Fahrt ging erst bis München und dann noch eine Strecke weiter. Nicht weit von Regensburg luden wir aus und marschierten zu Fuss. Zu dieser Zeit wussten wir nicht, wo der Stab war, wo der General war. Hin und wieder kamen nur die Kuriere des Generals und wir stellten auf Grund der Meldungen fest, dass die Marschroute direkter Richtung Schweiz ging. In Oberstaufen wurde eine Nacht kampiert und wir erfuhren, dass der Stab "R" sich hier befände. Am folgenden Tage wurden wir Offiziere zum Stab gerufen, der sich in einem Gasthaus in Oberstaufen befand. Es waren alle Offiziere, zirka 40 Mann anwesend.
Oberst Regenau verlas erst den Wehrmachtsbericht, weiter verlas er die Aufstellung von Auszeichnungen deutscher Soldaten und anschliessend brachte er vor, dass nicht alle Befehle von ihm richtig durchgeführt worden seien und fragte auch, warum sie nicht durchgeführt würden. Er habe befohlen, nicht alles mitzunehmen, z. B. Frauen der Offiziere, kranke Leute usw. er befehle nun neuerlich und erwarte bestimmt die strikte Durchführung der Befehle. Es seien Frauen und kranke Leute hier in Oberstaufen zurückzulassen, er habe bereits mit dem Kommandanten der hiesigen Festung gesprochen und dieser habe die Einwilligung zur Unterbringung dieser übrigen Leute und belastenden Sachen gegeben. Einige sind in der Folge dort geblieben, ich weiss jedoch nicht wieviel. Er gab weiter in Auftrag, den Soldaten mitzuteilen, dass noch eine ganz schwierige Strecke Marsch vor uns liege, wenn jedoch diese überwunden sei, dann werde es für alle gut sein. Damit wurden die Offiziere entlassen, das weitere werde er (Oberst Regenau) mit Oberstleutnant Bobrikoff und Oberst Sobolef besprechen. - Oberst Sobolev war später mit Bobrikow in Balzers, welche beiden von dort aus nach Frankreich ausreisten."
NB. Rogatschewsky berichtet vom Weitermarsch bis zum Übergang über die Grenze und erwähnt mit keinem Wort, dass sich noch andere bestimmt erwähnenswerte Begebenheiten auf diesem eigentlichen Fluchtmarsch ereignet haben wie z.B. Hinrichtungen. R. wurde darauf aufmerksam gemacht, dass unterwegs, soviel eben bekannt sei, Erschiessungen stattgefunden hätten!? – Darauf antwortete dann Rogatschewsky gleich mit ja und gibt an:
„Hinrichtung von zwei Mann unseres Regiments hat in Oberstaufen stattgefunden. Es wurden 3 Todesurteile, offenbar vom Stab, gefällt. Zwei der Urteile wurden vollstreckt und für den 3. Mann namens Lobanow, der heute noch im Lager ist, setzten wir, d.h. Konopatow, ich, Nikolajewsky (der im Spital in Vaduz gestorben ist), Mironikoff, für die Nichtvollstreckung des Urteils ein und wir bürgten auch für ihn. Wir waren überzeugt, dass es sich bei diesem um keinen russischen Spion gehandelt hat wie bei den andern. Er wurde nur unglücklich mit den andern in Zusammenhang gebracht und dies brachten wir auch bei Bobrikoff vor, der Regimentskommandant bei uns war. Er (Bobrikoff) kannte uns gut und hatte zu uns Vertrauen. Er versprach uns, den Lobanov vorläufig frei zu geben und mit dem Generalstab in Oberstaufen zu telefonieren. Die andern beiden wurden dann durch ein Kommando von 7 Mann auf freiem Felde abends um zirka 18 Uhr, ungefähr 5 Tage vor dem Grenzübertritt, erschossen. Ich führte bei dieser Hinrichtung das Kommando. Ich war mit Pistole bewaffnet; die andern mit Karabinern. Den Auftrag zu dieser Hinrichtung bzw. die Verlesung des Urteils erfolgte durch den Bataillonskommandanten Miroschnikow, der sich im Lager befindet. Unser Regiment war in zwei Batallione aufgeteilt, wovon Miroschnikow eines befehligte. Die Hingerichteten waren nur eine Nacht in einer Hütte eingesperrt, vorher waren sie frei, jedoch ging die Untersuchung weiter zurück, d.h. man wusste schon vielleicht ein Monat vorher, dass diese russische Spionage trieben; sie waren schon ganz offen tätig. Ich war Wachtkompagnieführer und bekam den Auftrag die Exekution durchzuführen. Ich fragte nach Freiwilligen und es meldeten sich zirka 12 Mann.
Der Hinrichtungsort war zirka 10 m ausserhalb des Dorfes und es ereignete sich dabei noch folgendes: Als die beiden zur Erschiessung hergeführt wurden, flogen plötzlich zwei Flugzeuge daher und wir glaubten, es handle sich um französische. Tatsächlich waren es dann aber deutsche und es ist weiter nichts geschehen, jedoch war die Folge, dass alles auseinander rannte und auch die Zwei zur Hinrichtung bestimmten. Zirka 100 Mann unseres Bataillons waren bei der Hinrichtung anwesend. Die Flugzeuge flogen über uns hinweg und es begann auch gleich die Verfolgung der Zwei. Es wurde ihnen nachgeschossen und in der Nähe der Eisenbahnlinie, wo sich deutsche Posten befanden und unsere Verfolgung sahen, wurden die beiden nach Abriegelung durch die deutschen Posten wieder festgenommen und dann die Hinrichtung vollzogen. Gebunden waren die beiden nicht und waren bei der Hinrichtung gefasst und ruhig. Weitere Urteile waren nicht gefällt und somit auch war die vorgenannte die einzige Exekution auf unserem Marsch von Waiden (Nähe Nürnberg) bis nach Liechtenstein.
Einige Luftangriffe hatten wir zu bestehen und bei Kempten war einer ziemlich schwer durch franz. Flugzeuge. Zwei von uns wurden getötet und zirka 14 verletzt. Einige Schwerverwundete wurden in Kempten im Spital belassen.
Bis zur Grenze nach Liechtenstein war der heutige General immer noch Oberst von Regenau und eigentlich erst auf Schellenberg hörte ich von der Beförderung zum General. Es sagten dies Offiziere des Stabes auf Schellenberg, dass Oberst von Regenau bereits in Feldkirch vom Oberkommando der Wehrmacht zum „General-Major" befördert worden sei. Seine heutige Benennung ist also von militärischem Gesichtspunkt aus gesehen noch lange nicht richtig, denn nach Generalmajor kommen erst die Grade Generalleutnant, Generaloberst und dann General der Armee. – Es wird heute im Lager nicht mehr geglaubt, dass die Beförderung wirklich durch das Oberkommando der Wehrmacht erfolgte, sondern, dass der Oberst von Regenau in dieser Minute sich selber zum General-Major befördert habe. Es wurde in Schellenberg auch kein schriftlicher Befehl vorgelesen und keiner gezeigt; es wurde durch Offiziere des Stabes nur so gesagt.
Nun erfolgte der Grenzübertritt nach Liechtenstein. In Nofels wurde an alle Soldaten Munition ausgegeben. Bis dahin hatten die Soldaten wohl die Gewehre, sämtliche Munition jedoch befand sich auf den Fahrzeugen. Diese Massnahme in Nofels erfolgte zur Sicherung des Grenzübertrittes; denn man rechnete mit evtl. Widerstand an der Grenze deutscherseits. Man wusste, dass in Vorarlberg ziemlich [viel] SS war. Von schweiz. Seite wurde kein Widerstand erwartet.
Nach dem Grenzübertritt; ich war in vorderer Linie, stand bei diesem ersten Gasthaus Oberst Soboljew und sagte, dass hier alle Waffen und Munition abgelegt werden müssen. Ein paar Tage waren wir in Schellenberg und dann kamen wir ins Lager Ruggell; der Stab ins Gasthaus Waldeck.
Ich habe noch nachzuholen, dass die Fahrräder samt und sonders, die wir über die Grenze mitbrachten, gestohlene sind. Sie wurden in Oberstaufen schon, dann in Dornbirn und es mag sein weiter heroben auch noch welche, gestohlen wurden. Die andern Fahrzeuge, Autos und die Pferde wurden zur Ausrüstung gegeben. Ob der eine oder andere Wagen unrechtmässig dazu kam, weiss ich nicht, jedenfalls bei den Fahrrädern trifft es restlos zu. Der Stab und die alten Offiziere waren mit den Auto und den andern Fahrzeugen unterwegs und die Fahrräder wurden schliesslich durch die Soldaten, die eben zu Fuss gehen mussten, mitgenommen. Ich glaube, dass der Stab davon nichts wusste.
Nach dem Grenzübertritt war man vorerst froh, dass man hier war, aber nach einigen Tagen begannen schon die ersten Zusammenstösse zwischen den alten Offizieren, d.h. den alten Emigranten, und den gewöhnlichen Soldaten. Schon den ganzen Marsch daher hatten diese Offiziere die Vergünstigung des Fahrens und jene der Mitnahme von viel Gepäck, Lebensmittel usw., wogegen wir Soldaten und Offiziere eine andere Behandlung erfuhren. Nach wenigen Tagen des Hierseins kam die Veröffentlichung durch die fürstl. Regierung im Lager, dass der Krieg nun zu Ende sei, dass hier alle Internierte und kein militärischer Charakter mehr bestehe. Von diesem Zeitpunkt an war es noch schlimmer mit der Disziplin; es weigerten sich die Soldaten, den Offizieren die Schuhe zu putzen und allen andern im Militär gegebenen Verpflichtungen nachzukommen. Es gab vor allem Streit und Opposition gegen die Besserstellung der alten Emigranten. Noch zirka drei Wochen wurden täglich trotzdem noch exerziert und marschiert und die Soldaten sahen dies auch nicht mehr ein. Man hörte dann, dass der General Fühlung mit andern Ländern nehmen werde, um uns dort irgendwo unterzubringen. Daraus wurde jedoch bis heute nichts. Diese Kluft zwischen den Soldaten und den jungen Offizieren und den alten Offizieren und alten Emigranten ist bis heute geblieben. Das Exerzieren wurde durch den Stab damit begründet, dass nach baldigem Weiterkommen in ein anderes Land die Mannschaft in Übung sei.
Es kam nun dann die Rückführung von Mannschaften nach Deutschland durch die fürstliche Regierung, d.h. Frommelt hat daraufhingewirkt. Von Seite des Stabes aus erging die Aufforderung, dass jenen, die sich zur Rückreise nach Deutschland bereit erklärten, die guten Schuhe und guten Kleider weggenommen bzw. mit schlechteren eingetauscht werden müssten. Präsident Frommelt liess dies jedoch nicht zu. Für meinen Teil war ich mit der Leitung des Lagers durch Pfarrer Frommelt zufrieden; er hat in Bezug auf die Rückkehr von Internierten nach Deutschland keinen Zwang ausgeübt, er hat lediglich nach Freiwilligen geworben. Ich sprach einige Male mit ihm, als ich in der Küche im Lager Schellenberg noch tätig war. Frommelt hat auch erklärt, dass wenn sich jemand etwas zu Schulden kommen lasse, die Rückführung zwangsmässig erfolge, das haben wir verstanden und waren damit einverstanden.
Nach einiger Zeit der Unterbringung im Lager Ruggell kam dann, ich glaube es war Ende Mai [1945] schon, die Verstellung zu den Bauern. Ich kam zu Familie Wtw. Goop nach Schellenberg, wo ich bis 20. August 45 war. Zirka einmal in der Woche kam ich von dieser Stelle ins Lager Ruggell. An einem Sonntagabend, ungefähr Mitte Juni 1945, war im Lager Ruggell durch Internierte Konzert, bei welchem der General und seine Frau auch teilnahmen. Nach Beendigung des Konzerts kamen alle Offiziere im Kreis zum General und während der Unterhaltung fragte der General, ob jemand da wäre, der ihm einen Brief nach der Schweiz aufgeben könnte. Er könne das vom Waldeck aus nicht, es wäre streng bewacht usw. Ich meldete mich und er übergab mir einen Brief, so viel ich weiss mit englischer Adresse; es hiess darauf „Sir" und der Bestimmungsort war Genf. Die nähere Adresse weiss ich nicht mehr. Bis zur Übernahme dieses Briefes hatte ich mit dem General nie gesprochen und hatte mit ihm und für ihn persönlich nie etwas zu tun gehabt. Am Tage nach der Übernahme des Briefes ging ich aus eigener Initiative zu General, um ihm zu melden, dass ich den Brief aufgegeben habe. Der Brief war bei der Übergabe verschlossen und es ging Istomin Oberstleutnant (Chef der Operativabteilung im Stab) ein paar Schritte mit mir auf die Seite und bemerkte, dass es nicht bekannt werden dürfe, dass der Brief von Russen geschrieben worden sei. Ich sagte ihm, dass ich den Absender „Familie Goop Schellenberg" draufgeben werde. Dies tat ich auch. Als ich dem General die Meldung von der Aufgabe des Briefes machte, war er sehr freundlich und dankte mir. Er bot mir Platz an und wir tranken eine Flasche Bier. Er fragte mich, (die Unterredung dauerte eine halbe Stunde) was es neues gäbe, wie es im Lager stehe, was man in der liecht. Bevölkerung sage udgl. Beim Weggehen sagte er mir, ich solle wieder einmal kommen, wenn es mir grad die Zeit erlaube und solle offene Ohren halten für alles, denn er sei streng bewacht und könne nur wenig erfahren. - Ich habe dann tatsächlich alles, was zu erfahren gewesen war, dem General berichtet. Ich kam wöchentlich zwei, dreimal (abends nach Arbeitschluss) zum General und meldete ihm. Bisweilen gab er mir spezielle Aufträge zur Auskundschaftung, z.B. wollte er wissen, wie die Grenze bewacht sei, was die Franzosen und die Marokkaner machten, wie die Regierungseinsstellung war, welche Personen bei der Regierung waren und ob es sonst interessante Personen in Liechtenstein, insbesondere auch Russen, gäbe. Was möglich war, habe ich festgestellt, ich fragte meine Dienstgeber und kam ja auch sonst mit dem Auto Goop im Lande herum. In dieser Zeit, es war im Juni 45, kamen etwa 6 bis 7 mal Franzosen aus Vorarlberg mit Auto, es waren wahrscheinlich Offiziere, ins Waldeck zum General. Der General erzählte mir über die Besuche der Franzosen und über das Vorhaben oder die Versprechungen derselben. Die Franzosen wollten den General samt den Offizieren bei ihnen haben und es sei gute Stellung für die Leute versprochen worden. Niemand jedoch wollte gehen und daher sei gewaltsame Mitnahme in Aussicht gestellt worden. Es herrschte dann unter den Offizieren samt dem General und auch den Lagerinsassen in Ruggell Angst, die Franzosen würden eines Tages die Leute mit Gewalt mitnehmen, einfach holen. Inzwischen hatte der General einiges Vertrauen zu mir und hatte das Gefühl, dass er mit mir zufrieden war. Er fragte mich bei den Besuchen jedoch auch über alles mögliche, über Russland, über mein Vorleben in dort usw.
Zur Zeit als die Angst wegen evtl. gewaltsamer Wegführung des Generals durch Franzosen bestand, waren die Soldaten bereit, mit allen Mitteln den General zu verteidigen und dies zu verhindern. Es kam noch dazu, dass Präsident Frommelt zum General kam und ihm mitteilte, dass er dem General behilflich sei, wenn er zu den Franzosen wolle. Daraus folgerte der General und seine näheren Offiziere, dass gar noch Frommelt mit den Franzosen zusammenarbeite. Am gleichen Tage, als Frommelt dort war, kam auch noch (es war im August) Tamara Falz-Fein (Tamara Baylözoff, geborene Falz-Fein) und schlug dem General vor, zu helfen, wenn er ihr 10'000.- Franken bezahle, durch Frankreich zu kommen, denn es stehe so, dass die Franzosen ihn mit Gewalt holen würden. Von dieser Unterredung mit Tamara und Frommelt erzählte mir der General abends. Den Antrag von Frau Tamara lehnte der General ab, man wusste, dass Tamara mit den Franzosen Verbindung hatte und traute der Geschichte nicht. Ich erhielt den Auftrag von General, über Tamara Näheres zu erfahren. Tamara war aber im Ganzen nur zweimal im Waldeck.
Vom Zeitpunkte an, wo die Gerüchte über evtl. Gewalttätigkeiten durch Franzosen im Lager umgingen und gleichzeitig Frommelts Angebot an den General bekannt wurde, war die Stimmung gegen Frommelt und das Vertrauen zu ihm schlecht. Es wurde von Seite des Generals auf die Internierten eingewirkt gegen Frommelt, die Gerüchte mehrten sich. Es ging so weit, dass gegen Frommelt Misstrauen hatte, er verkaufe die von den Internierten gemachten Vögel und Körbe teurer und bringe nur wenig versprochenes oder erwartetes Brot und behalte eine Gewinn für sich, und noch andere Gerüchte mehr.
Bevor ich weiter rede, was sich gegen Frommelt in der Folge dann tat, muss ich sagen, dass jeden Sonntag und zwei, dreimal in der Woche Kurierdienste für den General zwischen ihm und Bobrikoff sowie Soboljew in Balzers durchführte. Der General wollte, dass die Tochter von Bobrikoff, welche mit einem Minister der polnischen Exilregierung in Frankreich verheiratet war, herkomme, um für ihn zu intervenieren, sowie auch die Verbindung zwischen Freunden des Generals in England und Frankreich aufzunehmen. Zuerst hat Bobrikoff zugesagt und dann wollte er aber nichts mehr davon wissen, es sei zu riskant für seine Tochter.
Ende Juli oder anfangs August hörte ich erstmals von General, dass gegen Präsident Frommelt etwas unternommen werden sollte. Eine solche Stimmung herrschte jedoch schon unter den Internierten im Lager Ruggell einige Zeit vorher, sie ballte sich von jenem Zeitpunkt, von [dem] ich bereits sagte, an. Der General sagte mir, dass Frommelt es mit uns schlecht meine, er arbeite mit den Franzosen, er wolle alle zur Grenze stellen. Weiter sagte er den ersten und den zweiten Abend nichts. Eines Abends jedoch, ich war immer allein bei ihm bei den Unterredungen fragte er mich - ob ich bereit wäre einen Befehl zu erfüllen! - Die Durchführung dieses Befehls wäre im Interesse aller von uns. - Ich habe ihm geantwortet, dass ich für alles bereit sei, was in meinen Kräften stehe. - Wieder ein paar Tage später sagte er mir in Anwesenheit seiner Frau, die noch mehr schimpfte und drauf drängte als er, man müsse diesen Präsidenten Frommelt zum Teufel schicken. Bei dieser Gelegenheit sagte er mir, er lasse mir Zeit, ich solle eine Nacht darüber schlafen und ihm dann über meinen gefassten Entschluss berichten. Über das Wie wurde an diesem Abend auch noch nicht gesprochen."
Fortsetzung 11.07.46
"Am folgenden Abend ging ich wieder zu ihm. Wir waren ganz allein im Zimmer und er sagte mir, Präsident Frommelt müsse ausgeschaltet werden und im Interesse aller, also auch jener im Lager. Istomin bereite auch im Lager vor, was zu diesem Vorhaben der Wegschaffung Frommelts nötig sei. Zur Durchführung eines Attentats auf Frommelt werde er mir noch Rogoschnikow (Adjudant beim Stab, jetzt im Lager in Schaan) beigeben. Rogoschnikow habe in solchen Dingen Erfahrung, er habe bereits in Deutschland schon einen Oberleutnant auf die Seite geschafft. Der General nannte diese Tat und die Folgen derselben als Beispiel für mich für die Durchführung des Anschlages auf Frommelt. Er sagte, Rogoschnikow wurde damals von der Gestapo eingesperrt und nach 10 Tagen, auf Intervention von ihm (General) wieder freigelassen. Es handle sich im Vorhaben gegen Frommelt und der Durchführung um eine politische Tat und er werde mir durch einen Rechtsanwalt in der Schweiz nachher beistehen und damit die Garantie geben, dass ich wieder frei würde. Es war klar, dass nach Durchführung des Attentats auf Frommelt ich verhaftet würde. Ich müsste dann, so sagte der General die ganze Schuld auf mich nehmen und nichts von andern sagen, ich müsste dann angeben, dass aus politischen Gründen ich aus eigener Initiative für mich und für alle andern zu diesem Entschluss und zur Durchführung desselben gekommen sei.
Der General machte mir keine Vorschläge über die Art und Weise der Durchführung, sondern sagte mir, ich solle mir einen Plan ausarbeiten. Es biete sich für mich die Gelegenheit, denn ich sei in Freiheit, ich könne feststellen, wo Frommelt sei, wo und wann er im Auto fahre usw. - Ich ging dann weg, direkt in das Lager Ruggell in die Lagerhütte der 6 jungen Offiziere. Ich wollte die Stimmung im Lager erfahren und habe vorerst von meinem Besuch beim General im Waldeck nichts erzählt. Ich erfuhr an diesem Abend von den Offizieren, dass Istomin daran sei, eine terroristische Gruppe zu bilden und dass bisweilen bei ihnen in der Hütte erscheine und bisweilen auch den im Krankenhaus in Vaduz verstorbenen Oberleutnant Nikolajewsky zu sich rufe. Nikolajewsky wäre zur Leitung der terr. Gruppe ausersehen gewesen. Nikolajewsky habe aber abgelehnt, er habe zu Istomin gesagt, für was soll ich das machen. Istomin habe ihm noch eine Art gedroht, wenn er das nicht machen wolle, werde es für ihn bös herauskommen. Nikolajewsky war an diesem Abend ganz nervös. Die jungen Offiziere waren auch alle dagegen und alle sagten, für was sollen wir das tun, wenn Istomin etwas machen will, soll er dies mit den alten Offizieren tun. Es wurde beschlossen, die Angelegenheiten, die sich im Lager taten, dem Oberstleutnant Bobrikoff in Balzers zu unterbreiten und diesen um seine Meinung zu fragen. Die Offiziere wussten, dass ich zur Zeit Kurier zwischen General und Bobrikoff war und ich würde bestimmt, zu Bobrikoff gehen. Wie gesagt, ich habe zuerst von der Unterredung mit dem General nichts erzählt und als ich nun die Lage und die Stimmung der jungen Offiziere und deren Haltung den Plänen Istomins gegenüber sah, erzählte ich auch, was sich im Waldeck tue. Ich erzählte ihnen, dass ich beim General war, das gegen Frommelt etwas unternommen werden würde und dass ich das allein ausführen werde. Die Offiziere waren erstaunt und wollten mich nicht verstehen. Sei begannen auf mich einzureden, dies soll ich nicht tun und ich soll mir einmal denken, für wen und für was ich dies tue. Das Resultat meiner Tat wäre nur die Verhaftung und Ausweisung von mir und aller junger Offiziere und die alten Offiziere und den alten Emigranten, die eigentlichen Anzettler, blieben ungeschoren. Man sehe es ja, keiner von diesen würde aktiv mittun. Ich soll jetzt nach Balzers zu Bobrikoff gehen und ihm alles erzählen.
Ich ging fort. Am folgenden Tage ersuchte ich meinen Dienstgeber um dienstfrei und fuhr nach Balzers. Am Mittag war ich schon in der Wohnung Bobrikoff’s und erzählte ihm alles aus dem Lager und dem Waldeck. Bobrikoff war allein. Ich sagte ihm alles, obwohl mir der General verboten hatte, davon zu reden. Nachdem ich alles bis auf das letzte Wort erzählt hatte, antwortete Oberstleutnant Bobrikoff:
„Um Gotteswillen, was habt ihr da vor, macht um Gotteswillen nicht so etwas." Er wiederholte oft, er könne nicht verstehen, was der General wolle und warum er zu so etwas komme. Er begründete mir seine absolute negative Einstellung zu unserm Vorhaben folgend:
- Seien wir Internierte und kein Militär mehr und daher dürften wir auch heute nichts derartiges machen. Wir dürften keine politische Intrigen betreiben.
- Wenn wir das machen sollten, würden wir nach ein paar Stunden schon über der Grenze sein, alle samt und sonders.
- Er verstehe nicht, warum General so bös und unzufrieden mit Frommelt sei. Er (Bobrikoff) habe nur gute Erfahrungen mit Frommelt gemacht. Dass Frommelt ein guter Mann sei, sei auch die Meinung Soboljews. Er glaube nicht, dass Frommelt etwas gegen uns habe und tue.
- Habe Frommelt grosse Autorität beim hiesigen Volk. Er sei hier eine grosse Person und er habe allein im Jahre 1939 die Wirren in Liechtenstein geschlichtet und Böses abgehalten.
Bobrikoff sagte weiter, wenn der General mit Frommelt nicht zufrieden sei, dürften wir trotzdem nichts machen. Wenn der General gegen Frommelt etwas habe, genüge dies nicht, dass wir etwas gegen Frommelt unternehmen, etwas was sich auf alle andern auswirke. Bobrikoff verlangte von mir noch zu warten, bis Soboljew nach Hause komme. Soboljew war in Balzers irgendwo bei der Arbeit. (Ich muss noch zur Person Soboljew bemerken, dass dieser ein Oberst war und zwar ein wirklicher, nicht nur etwa ein erschwindelter. Er war auch immer beliebt bei den Soldaten und war auch immer mit den Soldaten. Soboljew hatte im Grunde mehr Autorität als der General selber). Als dann Soboljew nach Hause kam, sagte Bobrikoff zu Soboljew: „ Schau her, was der General vorhat, ich weiss nicht, ist dieser ein Kind oder ein Narr geworden". Bobrikoff war bös gegen den General geworden. Ich musste nun nochmals in Anwesenheit Soboljews alles erzählen. Ich habe von meiner Bereitschaft, das geplante Attentat auf Frommelt durchzuführen, nichts erzählt. Zum Zeitpunkt der Unterredung mit Bobrikoff und Soboljew war meine Bereitschaft auch nicht mehr vorhanden, es war für mich durch die Unterredung mit den Offizieren im Lager abgeblasen. Ich verstand die Offiziere am Abend zuvor, es leuchtete mir alles ein.
Bobrikoff und Soboljew sagten mir vor meinem Weggehen (Soboljew war wie Bobrikoff erstaunt und entrüstet über die Dinge), wenn Istomin, der General oder irgendwelche andere ein derartiges Vorhaben weiterschüren und auf uns drücken sollten, dann soll ich zu Frommelt gehen und diesem alles erzählen. Ich habe den beiden mein Wort gegeben, dass ich dies tun werde. Weiter, ich soll jetzt sofort ins Lager gehen und unter meinen Freunden und Offizieren fast in Befehlsform sagen, dass hier nichts gemacht werden dürfe und dass dieser Befehl im Namen Soboljew und Bobrikoffs sei. - Um 22 Uhr war ich im Lager. Man schaute, ob die Luft rein sei, denn Istomin schickte immer Horcher. Ich erzählte von meiner Unterredung in Balzers und wir trafen sozusagen das endgültige Abkommen, getreu unserm bereits vorherigen Entschluss nichts zu unternehmen und bei weiterem Druck und Tätigkeit Istomins diesen wissen zu lassen, dass der Regierung Meldung erstattet werde. - Diese jungen Offiziere waren: Konopatow, Nikolajewsky, (gestorben) Schweljagin (im Sept. 45. mit dem letzten Trupp repatriiert) und ich. Nach dieser Unterredung ging ich nach Hause, es war schon spät. Damit ist die Angelegenheit Frommelt erledigt.
Nun habe ich noch mein Schuldbewusstsein zu erklären. Ich betone vorerst, dass ich den Attentatsplan noch nicht ausgearbeitet hatte, da die Sache nur wenige Tage eigentlich akut war. Es waren somit auch noch keine Einzelheiten, ob mit Gift, ob mit Schusswaffe oder Anschlag auf das Auto Frommelts, gedacht.
Dass ich mich anfänglich ehrlich bereit erklärte, die Sache durchzuführen, ist wahr. Für mich gab es als Soldat nie etwas anders, als Befehle durchzuführen und ich war gewissermassen Fanatiker. Wenn nun ein General etwas vorhatte und mir erklärte, es gehe um das Wohl so und so vieler, war ich bereit, selbst mein Leben einzusetzen. So war es auch in diesem Falle im Glauben an das Wohl für uns alle und im Glauben, dass ein General das weitere wissen und übernehmen werde. Meine Parole war, das Wohl von 500 ist mehr wert als dasjenige eines Einzelnen. Der General im Waldeck war damals für mich ein hoher Vorgesetzter und erst durch die Unterredung am genannten Abend mit den Offizieren in der Hütte des Lagers gingen mir sozusagen die Augen auf.
Nachdem der endgültige Entschluss zur Nichtdurchführung vorhanden war, ging ich am folgenden Tage zum General ins Waldeck. Ich meldete ihm: „Herr General, ich habe es mir überlegt, ich habe im Lager und überall herumgehorcht und die Durchführung des besprochenen Vorhabens ist zu schwer. Frommelt ist eine hohe Persönlichkeit und Vertreter der kath. Kirche, wir würden alle zur Grenze gestellt." Der General war im Garten und gab zur Antwort, er habe heute keine Zeit mehr, ich soll ein andermal kommen, ich ging fort. - Nach zwei Tagen kam ich mit meinem Dienstgeber Goop mit Auto nach Ruggell. Goop ging zur Post und während ich auf ihn wartete, kam Nikolajewsky her und sagte, dass Istomin bereits am folgenden Abend nach unserer Unterredung wieder gekommen sei und auf sie eingeredet habe. Sei hätten ihm dann den Beschluss der Meldung an die Regierung mitgeteilt. Von da ab war Schluss.
Am Sonntag darauf spazierte ich auf der Strasse Schellenberg Gamprin. Unterwegs begegneten mir der General mit seinem ganzen Stab und den Frauen. Ich grüsste den General und er war sehr freundlich zu mir. Er fragte, mich wie es gehe und schickte die andern weiter. Er fragte mich wie gewöhnlich, was gibt’s Neues. Darauf sagte er, ob ich schon wisse, dass eine russische Repatriierungskommission nach der Schweiz komme. Dies sei für uns eine schwere Sache, denn diese könne auch jederzeit nach Liechtenstein kommen. Er schaute mich an und sagte, dass er in mich Vertrauen habe und sehe, das ich alles mache und er deshalb ein grosses Geheimnis mir mitteile. Er sagte folgendes: Ich soll heute zu Professor Zotow gehen (Ich kannte Zotow bereits schon) und diesen im Namen von ihm (dem General) ersuchen, er möge so schnell wie möglich nach Bern reisen und durch seine Freunde evtl. Verbindung mit einem ehrlichen Offizier der Repatriierungskommission aufnehmen. Es müsse jedoch ein ganz ehrlicher Offizier aus der Kommission sein. Dieser Offizier müsste heimlich, in Zivil, nach Liechtenstein ins Waldeck kommen, der General dort möchte mit ihm eine wichtige Unterredung mit ihm haben. Er sagte mir, ich wüsste ja auch, dass jetzt im Ausland zirka 3 Millionen Russen sich befänden und Russland sich an der Spitze der Welt befinde. Er erklärte mir die Sache so, dass er irgendeine Hilfe zur Einigung dieser 3 Millionen Russen erhoffe und dies dann eine grosse Macht darstelle.
Ich sagte, jawohl und ging fort. Unterwegs jedoch dachte schon darüber nach, wieso, warum will der General mit der Repatriierungskommission zusammentreten, und ich entschloss mich, diese Sache wieder in Balzers Bobrikoff und Soboljew zu unterbreiten. Ich ging jedoch zuerst zu Professor Zotow und teilte ihm dies, was der General mir gesagt hatte, mit. Zotow war einverstanden und sagte, er werde helfen und das Gesuch für das Visum einreichen. Von Zotow fuhr ich direkt nach Balzers. Ich erzählte davon und Bobrikoff wie Soboljew waren noch mehr entrüstet gegen den General und sagten, nun will er seine Seele noch den Roten verkaufen, sie wollten nun schon gar nichts mehr wissen von ihm und Bobrikoff sei nur froh, dass er seine Tochter nicht habe von Frankreich herkommen lassen.
Bobrikoff und Soboljew teilten mir mit, dass sie bald von hier nach Frankreich abreisen würden. Sie gaben mir einige Ratschläge und ersuchten mich, allein zu bleiben und in keine Intrigen einzumischen. Dies sollen auch alle meine Freunde befolgen. Sie sagten auch, dass ich von ihrer Abreise dem General keine Mitteilung machen solle. Sie bemerkten auch, dass ich nun das wahre Gesicht des Generals kennen gelernt hätte. Soboljew sagte zusätzlich: Und solche Herren (gemeint der General) wollten Russland erobern und an die Spitze kommen und ein neues Russland ohne Kommunisten bauen. So etwas wird es nie und nimmer geben, das russische Volk wird nie solchen Herren folgen, die die Seele heute jenen und morgen andern verkaufen. - Sie gaben mir auch den weitern Rat, mich zurückzuziehen und nicht mehr für den General herumzufahren, denn es müsste bald der Polizei, Präsident Frommelt und der Regierung auffallen, dass da etwas nicht stimmen müsse.
Ich fuhr ins Waldeck zurück und sagte dem Adjutant des Generals, Ragoschnikow, er wolle dem General ausrichten, dass sein Auftrag durchgeführt sei.
Als dann einige Tage später Bobrikoff und Soboljew abgereist waren, rief der General mich zu ihm und machte mir Vorwürfe, warum ich ihm nichts von der Abreise dieser Leute gesagt hätte. Er war bös auf mich und auf die Abgereisten.
Nun traf ich den General nicht mehr bis nach der Rede, die ich im Lager Ruggell, in Anwesenheit der russ. Kommission, hatte. Ein Adjutant sagte mir nachher, ich solle dann noch zum General ins Waldeck kommen. Er empfing mich und sagte, dass ich gut gesprochen hätte und er sehe, es gäbe noch gute russische Patrioten. Dies war alles. Er war ganz kurz und seine Bemerkungen waren kühl, im Gegensatz zu früher, wo er immer Bier kommen liess und viel wärmer sprach. Dies war ungefähr mitte August. Seither habe ich mit dem General nie mehr gesprochen, kurzum nichts mehr mit ihm zu tun.
Professor Zotow ist Mitglied der schweizerischen kommunistischen Gesellschaft für kulturelle Beziehungen mit Sowjetrussland. Jedes dieser Mitglieder bezahlt 5 Fr. Beitrag pro Jahr. Zotow sagte mir einmal selber, dass er Mitglied dieser Gesellschaft sei, jedoch nicht, dass diese kommunistisch sei; dies habe ich dann anderweitig erfahren. Zotow hat Beziehungen zu Personen in der Schweiz, er bekommt auch viel Post von dort. Er sagte mir einmal selbst, dass er viele Freunde in Bern habe. Man sprach so von diesem und jenem und er sagte Zeitungen sagen nichts, Freunde nützen mehr. Einmal frugen wir ihn um Rat bzw. Hilfe im Falle einer Ausschaffung. Er gab mir eine Adresse von einem Herrn in Schaffhausen. Dieser stehe mit Russland gut und habe Einfluss. Ich habe die Adresse bei meinen Effekten im Lager. Holmston steht gut zu Professor Zotow. - Hingegen sind die Beziehungen zwischen Präsident Frommelt und Zotow sehr schlecht. Zotow sagte mir dies selber. Grund hiefür sei, dass Frommelt Professor Zotow keine Aufträge mehr erteile. Frommelt wolle gescheiter sein, so sagte Zotow als wie er und wenn er gemerkt habe, dass er (Zotow) doch mehr im Kopf habe, sei er zornig. Ich weiss, dass Zotow gegen jede Religion steht, er ist ungläubig.
Mit Briefschreiben im Lager, gegen die Lagerordnung, gegen die Regierung, Briefe nach der Schweiz, an das Rote Kreuz, an die Delegation usw. hatte ich nichts zu tun. Auch nicht Konopatov.
Wie ich schon früher einmal sagte, schrieb der Mann im Lager mit einem Auge solche Briefe.
Die Soldaten und jungen Offiziere sind heute bereit, zu arbeiten und waren es immer. Wir haben die Not und das Elend in andern Lagern, in Deutschland und überall gesehen und daher arbeiten wir auch. Im Gegensatz zu den alten Emigranten, die an den Kleidern auszusetzen haben, die bald ein Fahrrad wollen und sich immer an das Rote Kreuz wenden. Die haben noch nie gearbeitet und wollen auch nie arbeiten. Daher bekämpfen sie auch immer die Jungen.
Ich habe noch etwas zu bemerken: Die Aussagen, die General einem Journalisten gegenüber machte und die dann in der Zeitung „Freies Volk" erschienen, haben Widerwillen unter den Internierten gegen den General hervorgerufen.
Nun habe ich soweit alles erzählt und will nach wie vor nicht, dass meine Aussagen im Lager bekannt werden. Sollte es aber notwendig werden, stehe ich überall zur Sache und wenn es im Zusammenhang mit dem General notwendig ist, bin ich bereit, bei einer Gegenüberstellung meine heutigen Angaben jederzeit zu bestätigen.