Der internierte Russe Michael Rogatschewsky wird vom F.L. Sicherheitskorps über Werdegang und politische Gesinnung einvernommen


Einvernahmeprotokoll des F.L. Sicherheitskorps betreffend Michael Rogatschewsky, nicht gez. [1]

6.6.1946

Rogatschewsky Michael, Einvernahme

Es erscheint am hiesigen Posten auf Vorladung:

Michael Rogatschewsky, geboren am 15. Sept. 1924 in Kirow, Uralgebiet, dahin zuständig, ledig, ohne Beruf, im Militär Oberleutnant, orthx., ein Sohn des Afanasi Bawlowitsch + und der Antonine, geborene Solwjwa, 10 Jahre Mittelschulbildung und 1 Jahr Militärschule, ist kriminell angeblich nie vorbestraft und wohnhaft im Interniertenlager in Schaan.

Er gibt an: "Ich bin in Kirow, Uralgebiet, geboren. Ich bin der einzige Sohn unserer Familie. Mein Vater wurde im Jahre 1938 von Stalin mit noch 16 andern aus politischen Gründen erschossen. Ob meine Mutter noch lebt, weiss ich nicht; letzte Nachricht hatte ich von ihr hatte ich im Jahre 1942.

In der Zeit meiner Mittelschulausbildung warf ich aus Versehen während der Schulpause den Handball gegen das Portrait Stalins, wodurch dieses kaputt ging. Dafür wurde ich zu 16 Monaten Konzentrationslager verurteilt. Man glaubte mir nicht, dass es nicht absichtlich geschah, da mein Vater schon als Landesverräter galt und als solcher erschossen worden war. Meine Militärschulbildung genoss ich in der Nähe Moskaus. Während des Krieges wurde ich vom Militärgericht an der Front zum Tode, umgewandelt in zehn Jahre Strafkompagnie verurteilt, weil ich einen Befehl, es handelte sich um die Übersetzung des Flusses Dnjepr ohne hinlängliche Ausrüstung, nicht ausführte. Es wurde ausser mir die ganze Kompagnie strafweise an gefährlicher Stelle neu eingesetzt. Es hiess, bei Tod oder Verwundung sei die Strafe erlassen, ebenso bei guter Durchführung der Aufträge. Der erste gefährliche Auftrag, eine kleine Anhöhe zu erringen, endete damit, dass von 125 eingesetzten Mann nur 25 übrig blieben und diese zu den Deutschen übergingen, darunter auch ich. Von Okt. 1943 war ich in Tschinstochau in Polen in deutscher Gefangenschaft bis anfangs 1944. Da aus diesem Lager mit Hilfe von Partisanen verschiedene Offiziere flüchteten, wurden andere, darunter auch ich, erst von der Gestapo 14 Tage eingesperrt und dann in Doren im poln. Korridor bis Sept. 1944 in ein Straflager eingewiesen.

Im Herbst 1944 wurde von verschiedenen russischen Generälen (Teile der Wlassow-Armee) eine Armee gegen Russland aufgestellt und wir haben uns dahin angeworben, denn es ging uns im Lager schlecht. Ich kam zu diesem General [Holmston-Smyslowsky], der heute auch hier ist; dieser war damals Oberst auf deutscher Seite. Wann und wo er General wurde, weiss ich nicht, jedenfalls erst in der Zeit von Herbst 1944 bis zum Übertritt nach Liechtenstein. Zum Kampf kam es nach unserer Zusammenstellung, die nördlich Nürnbergs erfolgte, nicht, es bestand auch nicht die Absicht, es war ja auch zu spät. Man marschierte gegen die Schweizergrenze und die führenden Personen dieser Truppe wussten schon draussen vom Ziel; es gehe nach der Schweiz und wir würden dort interniert. Ich war Oberleutnant und wusste auch davon, dies war bei der Sammlung in Nürnberg schon bekannt. Die Bewaffnung organisierte der Stab; ich war nicht bei diesem. Meist waren es Waffen aus Beute von Russen. So ging es von Nürnberg direkt nach der Schweiz bzw. Liechtenstein.

Seit dem Aufenthalt in Liechtenstein habe ich wohl einige Liechtensteiner kennen gelernt, jedoch nicht viel. Während des letzten Sommers war ich eine Zeit lang bei der Familie Goop in Schellenberg in der Landwirtschaft tätig. Seither war ich nur zirka 2 mal dort auf Besuch.

Ausser diesen kenne ich in Vaduz noch einige Leute und verkehre hin und wieder in der Buchhandlung Haas. Die Beziehungen zu diesem Haas haben keinen andern Zweck als mein Interesse für Briefmarken, ich kaufe aus all meinem Geld Briefmarken, denn ich rauche nicht und Briefmarken sind meine Freude. Ich habe alle meine Marken im Lager und man kann sie dort besichtigen.

Bei Briefträger Gassner in Vaduz bin ich auch hin und wieder. Meistens bin ich allein, hin und wieder geht auch Konopatow mit. Ich wurde durch den Sohn des Gassner mit der Familie Gassner bekannt. Später, als wir noch im Lager in Ruggell waren, kam eines Tages Franz Eberle und Frau Gassner zum Lager, brachten Zigaretten, unterhielten sich mit uns und bei dieser Gelegenheit wurde ich von Eberle und Frau Gassner eingeladen, wenn wir einmal frei seien, soll ich zu ihnen kommen und mit ihnen essen. Meine Besuche bei Gassner gelten nur der Unterhaltung und dem Zeitvertreib, man spricht vom Weltgeschehen, von Zeitungen, von meinem Erleben in Russland und dergl.- Eberle ist auch hin und wieder anwesend. Vorigen Sommer war ich einmal mit Eberle, der auch ein Fräulein bei sich hatte, in Gaflei, wir machten einen Ausflug. Ich habe weiter gar keine Beziehungen zu Eberle und die Unterhaltung mit ihm ist allgemein. Die jeweiligen Besuche gelten der Familie Gassner. Ob Eberle noch andere vom Lager kennt, weiss ich nicht. Mit Fürst Major Kanonicin, der in Schaan privat wohnt, habe ich ihn einmal gesehen.

Den Professor Zotow in Vaduz kenne ich auch. Ich war bis nun insgesamt 4 mal bei ihm. Die ersten zweimal im Jahre 1945 war ich eigentlich im Auftrag des Generals dort, es gingen noch drei andere mit. Zwei davon sind abgereist, der eine war Winokurow und der andere Kdorow, den vierten weiss ich nicht mehr. Es war kurz nach unserem Hiersein unter den Internierten bekannt geworden, dass hier in Liechtenstein ein ehemaliger Russe in Emigration wohne und so wollte der General näheres über diesen Professor wissen, ob hier auch Kommunisten wären und so hatten wir die Aufgabe, bei Zotow sozusagen vorzufühlen. Weiter gingen auch Gerüchte, dass Zotow hier im Dunkeln für den Kommunismus arbeite. Das zweitemal war ich allein bei Zotow wieder in der gleichen Mission. Die Aufträge erhielt ich jeweils vom Stab des Generals, und ich melde meine Erfahrungen bei Zotow auch prompt.

- Die folgenden Besuche bei Zotow im Jahre 1946 galten nicht mehr diesem Zweck, einmal holte man von ihm Farben ins Lager, ein andermal war es wegen der Inschrift auf das Kreuz des verstorbenen Kameraden. Der Besuch dauerte jeweils nur ein paar Minuten.

Zotow war in seinen Äusserungen sehr zurückhaltend, mir schien er ziemlich schlau. Man sprach über die Verhältnisse in Russland, über das Regime, das sich auf Dauer nicht halten werden könne, und Zotow pflichtete bei. Er sagte, dass er seinerzeit auch der Kommunisten wegen aus Russland habe flüchten müssen, er habe anschliessend in Berlin und dann in Liechtenstein Wohnung genommen. Über die politische Einstellung Zotows wurde ich aber nicht ganz klar, mir scheint, dass er Anarchist sein dürfte. Ob Zotow Kinder hat, weiss ich nicht, ob er früher im Militär gedient hat, weiss ich auch nicht, darüber ist nicht geredet worden.

- Gerüchte um Zotow und dessen pol. (kommun.) Tätigkeit kursierten im Jahre 1945 eine Zeit lang viel unter den Internierten, hauptsächlich im Stabe des Generals. Im Jahre 1946 hörten diese Gerüchte beinahe ganz auf. In letzter Zeit hörte man einmal, dass Zotow in die Schweiz gereist sei.

Mit der Familie Weil in Vaduz habe ich keine Beziehungen, ich war noch nie in diesem Hause. Die Tochter Lotte Weil kenne ich zwar, weiss jedoch schon längst von ihr nichts mehr.

Andere Bekannte oder Beziehungen in Liechtenstein habe ich nicht."

Befragt über seine wirkliche politische Einstellung gab Rogatscheswky an: "Ich bin gegen den Kommunismus, gegen das Regime in Russland."

Auf den Hinweis, es werde bei ihm in Gemeinschaft mit andern dringend vermutet, dass unter der Decke jedoch eine andere Gesinnung (kommunistische Tätigkeit) bestehe und dass dahin gearbeitet werde und seine offen vertretene Gesinnung nur Tarnung bedeute ...

Rogatschewsky antwortete: "Ich verstehe jetzt, um was es hier geht, ich und andere sollen im Dunkeln für den Kommunismus arbeiten und uns derweil als Gegner ausgeben." Rogatschewsky wurde energisch und gab weiter an. "Ich betone nach wie vor, dass ich gegen den Kommunismus bin, dafür kann ich Gott zum Zeugen anrufen und ich werde es bleiben, solange ich lebe. Dieses Regime ist ein Gewaltregime und es wurde mein Vater ein Opfer desselben. Ich sage, was ich in dieser Beziehung weiss, wahrheitsgetreu und ich betone besonders, dass weder ich noch andere im Lager, die meiner Gesinnung sind, keine kommunistische Tätigkeit betreiben, oder gar mit Russland, dh. evtl. mit der seinerzeit hier gewesenen Kommission in Verbindung stehen.

Tatsache ist, dass im Lager in Schaan zwei Gruppen bestehen: Die alten Emigranten, die vor dem Kommunismus aus Russland flüchteten, und die jungen, die erst während dieses Krieges kamen, zu denen eben wir Soldaten gehören. Die alten Emigranten rekrutieren [sich] aus Leuten, die früher in Russland reich waren und die das zaristische Russland wieder wollen. Wir Jüngern wollen weder dies noch das heutige, wir wollen ein neues Russland mit einem Regime, das kein Gewaltregime ist wie das kommunistische.

Ausserdem hat es unter den alten Emigranten, die schon seit dem Jahre 1940 in deutschen Diensten standen, solche, die uns gegenüber ein sehr schlechtes Gewissen haben, denn es sind von uns 16 Mann erschossen worden auf die Denunziation solcher Herren hin, die angegeben hatten, dieser und jener seien Kommissare oder Spione oder dergl. Von denen, die übrig blieben, sind nur drei, das sind Konopatow und der, der im Bürgerheim bereits gestorben ist, und ich. Das drückt diese alten Emigranten sehr und sie werfen uns vor, wir seien in Russland gewesen, seien unter dem Regime aufgewachsen und seien daher kommunistisch; sie nehmen dies einfach an.

Einer im Lager, es ist jener mit einem Auge, hat einmal an das Rote Kreuz, zu Handen der russischen Delegation einen Brief geschrieben, dass im Lager schlechte Behandlung, dass die Regierung solche Behandlung unterstütze usw. Dieser Mann war einmal eingesperrt in Vaduz und nachher schrieb er den Brief.

Die alten Emigranten haben Beziehungen und Briefwechsel nach aller Welt und betteln um Liebesgaben und bekommen auch immer solche. Wir andern haben gar keine Beziehungen und bei diesen Betteleien der andern führen sie an, dass es ihnen nicht gut gehe usw.

Ihr Bestreben gegen uns verfolgt den Zweck, uns auszuschiffen, damit sie, die feinen Herren, hier bleiben und schalten und walten können. Der General steht auf Seite dieser Gruppe. Er hat heute nur mit dieser Gruppe Beziehungen.

Ich erkläre nochmals, dass wir keine politische Tätigkeit betreiben."

 

 

______________

[1] LI LA RF 230/043s/080. E.Nr. 771. Vgl. auch das Einvernahmeprotokoll von Michael Rogatschewsky vom 27. Juni 1946 (LI LA RF 230/043s/081).