Ein schweizerischer Gewerkschafter kritisiert das Auftreten katholischer Geistlicher an Arbeiterversammlungen in Liechtenstein


Abdruck eines Artikels aus dem schweizerischen „Bauarbeiter“ im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]

17.11.1920

Arbeiterorganisation in Liechtenstein

Unter obigem Titel erschien im schweizerischen „Bauarbeiter" ein Artikel, der manchem Arbeiter die Augen öffnen dürfte. Er sieht daraus, wie es gemeint ist. Falls er's uns nicht glauben wollte, so sieht er aus diesem Geisteserzeugnisse, was man mit ihm vorhat und was für einen Apostel er in die Hände geraten. Der Artikel enthebt uns einer Antwort auf Angriffe, die in einem andern Blatt gegen uns gemacht wurden. Wir kämpfen offen und gerade gegen die Sozialdemokratie und dass wir dies mit Recht tun, das bezeugt folgender Artikel, in dem nebst einigen richtigen Gedanken geradezu Ungeheuerlichkeiten enthalten sind.

Er lautet:

Gegenwärtig begegnet man im Fürstentum Liechtenstein einer Volksströmung, welche eine Reorganisation der politischen Landesverhältnisse bezweckt. Wir finden zweierlei Strömungen vor, die eine will das Fürstentum weiterleben lassen, während die andere Richtung für die Gründung einer Republik einsteht. Dass die Arbeiterschaft sich der letzteren Richtung anschliesst, ist gut begreiflich, denn ihr Vaterland kann ihnen keine Gewähr mehr bieten für genügende Einkommen, um den Lebensbedarf zu decken. Der grösste Teil der Arbeiterschaft ist ausserhalb des Landes beschäftigt und speziell auf den Erwerb in der Schweiz angewiesen. Im Inland selbst haben einzig noch wenige Textilarbeiter Beschäftigung und Verdienst. Die bisherigen Besprechungen der Parteien mit dem Fürsten erzielten die Anerkennung einer neu zu schaffenden Verfassung. Die Regierungsgeschäfte, die vordem nur durch den Fürsten [Johann II.] geleitet wurden, liegen heute in Händen von Herrn Dr. [Josef] Peer, einem beliebten Volksmann.

Die neue Verfassung soll die Staatsgewalt in die Hände des Fürsten und des Volkes legen, die eigentlichen Regierungsgeschäfte aber werden dem Fürste gänzlich entzogen und von einem Landammann ausgeführt. Der Landtag soll aus 15 Mitgliedern bestehen, die vom Volke gewählt werden. Die Wahl wird durch Proporzionalwahlrecht erfolgen. Im ganzen Land sind 1600 stimmberechtigte Bürger. Dann sollen für die Arbeiter verschiedene Versicherungsinstitutionen errichtet werden. Dies die wichtigsten vom Fürsten bewilligten Punkte, sie zeigen, dass auch hier die alte Zeit vorbei ist und endlich auch hier die neue Zeit mit ihrem Drang nach Gerechtigkeit sind ihrer Forderung nach Verstehen der Volksseele siegen muss.

Während wir aber einerseits konstatieren, dass der Neuzeit entgegen gearbeitet wird, gibt sich die Geistlichkeit die grösste Mühe, um den Zug nach Freiheit zu verhindern, dabei schrecken sie vor nicht gerade christlichen Massnahmen nicht zurück. Wenn man bedenkt, dass in Liechtenstein die ganze Bevölkerung sehr religiös erzogen ist, dass hier die katholische Kirche noch eine ungeheure Macht in Händen hat, dann wird man sofort die Folgen dieser Krebsarbeiten der kirchlichen Vorsteher begreifen. Die Schulung des Volkes liegt noch sehr darnieder und erst die durch den Krieg hervorgerufenen Verhältnisse haben einen Teil der Bevölkerung gezwungen, auszuwandern und sich Kenntnisse über die Lebensweise anderer Völker anzueignen

Mit der politischen Vorwärtsentwicklung ist auch die Arbeiterschaft gedrängt worden, sich zu organisieren, [2] und als dann noch die Frankenwährung eingeführt wurde, die auswärts Arbeitenden aber höhere Löhne bezogen als die im Inland Beschäftigten, die Preise für den Lebensunterhalt sich denjenigen der Schweiz anpassten, da war die gewerkschaftliche Organisation nicht mehr zu umgehen. Wohl haben sich sofort einige Duckmäuser die Mühe gegeben, christliche Gewerkschaften zu bilden, aber, so streng religiös einmal auch die Arbeiter dort sind, so sahen sie doch ein, dass bei jenen ihre Interessen nicht vertreten werden. Sie wollten sich nicht nur vertrösten lassen auf die Früchte im Jenseits, sondern auch auf Erden ein menschenwürdiges Dasein fristen, wie dies vielen Nichtstuern gestattet ist. Als dann aber die guten Leute einsahen, dass sie mit den wenigen Hundert Mann keinen starken, allen Stürmen gewappneten Verband schaffen konnten, suchten sie den Anschluss an den schweizerischen Bauarbeiterverband [3] und an denjenigen der Textilarbeiter.

Das war nun den Dienern der Kirche zuviel, jetzt setzten sie mit der Hetze gegen die schweizerischen Verbände ein. Doch sie waren zu spät ausgestanden, die Arbeiter waren sich bewusst, dass sie als Lohndrücker verwendet werden, bewusst, dass ihnen in dieser Beziehung die Christlichen nicht helfen.

Nun haben wir am 10. Oktober alle die für uns in Frage kommenden Orte besucht und wollen es nicht unterlassen, hierüber unsere Wahrnehmungen festzulegen.

In Trübbach habe ich dem vereinsamten Militärposten mit 20 Cts. die Erlaubnis für Einreise ins Liechtenstein abgekauft. Der Zivilposten in Mäls erklärte mir allerdings dass es „grad nicht gestattet sei, länger wie einen Tag im Lande zu bleiben". Er wusste noch nicht, dass unsere Vorstandsmitglieder bei der Regierung die Erlaubnis hiezu bereits erhalten hatten, allerdings auch erst nach gründlicher Aussprache.

In Mäls waren etwa 35 Mann in der Versammlung. Nachdem ich den Leuten die Grundbedingungen unserer Organisation, die allgemeine Situation im Baugewerbe und unsere Stellungnahme zu den liechtensteinischen Arbeitern erklärt hatte, setzte eine gute Diskussion ein, woraus zu ersehen war, dass die Arbeiter in der Schweiz faktisch als Lohndrücker verwendet werden. Ihre Löhne sind allgemein Fr. 1 bis 1.30, mit welchen sie in den Grenzorten der Schweiz bezahlt werden. Der Schweizer Unternehmer rechnet damit, dass bereits jeder noch zu Hause sein Kueli hat, dass seine Frau in der Weberei studiert und glauben deshalb, ihnen nicht den vollen Lohn zahlen zu müssen, wie dies anderwärts der Fall ist. Die Arbeiter erklären sich bereit, mitzuhelfen, dass auch die Schweizer, welche mit ihnen zusammen arbeiten, sich unserem Verband anschliessen und konnten hier die Vorarbeiten getroffen werden.

Am andern Morgen tragen mich meine Volksschuhe nach Triesen, auch so ein Bergdörflein. Ich marschiere am Schloss in Balzers vorbei, ebenfalls der neuen, sehr schön gebauten Kirche, die sich soeben füllt, meine Bewunderung zuwerfend, rechts oben ist Lawena, da soll bald ein Elektrizitätswerk für das Land erstellt werden, denn die Leute trauen dem Österreicher zu, er werde nunmehr, nachdem sich das Land von seinem Joch ganz abgeschüttelt hat, die wenige bis jetzt gelieferte Kraft eines Tages auch einstellen. Interessant kommt mir vor, dass zu diesem Lawenawerk nun österreichische Arbeiter als Lohndrücker verwendet werden sollen – der Italiener ist hier ganz verschwunden. In Triesen ist die zweite Versammlung: hierher kommen auch die Kollegen vom Triesnerberg. Schon lange bevor es Zeit des Versammlungsbeginnes ist, schlichen sich einige Schwarzröcke in den Saal. Da kann es lustig werden, dachte ich mir. Sofort bei Beginn der Versammlung erklärte aber der Sektionspräsident, dass hier keine öffentliche Versammlung abgehalten werde, und wer nicht Mitglied sei, das Lokal zu verlassen habe. Aber selbst wiederholtes energisches Verweisen aus dem Saale hatte keinen Erfolg. Der katholische Pfarrer von Triesenberg [Franz von Reding], der Kaplan von Triesen [Walter Odermatt], der christliche Arbeiterverräter [Georg] Eisele von St. Gallen und ein Malermeister [Friedrich] Kaufmann [4] behaupteten ihren Posten. Nun beginne ich mit meiner Rede, dabei schone ich diese Brüder nicht, beweise unseren Mitgliedern, dass wir mit der Religion nichts zu schaffen haben und dass wir es einzig seien, welche bestrebt sind, dem Arbeiter sein Los zu erleichtern, während die andern das Gegenteil wollen. Dass meine Rede genau stenographiert wurde, konnte mich nur freuen.

Aber in der Diskussion, die ohne Rücksicht dieser „Nichtmitglieder" geführt wurde, konnten sie eben das Maul nicht halten. Der Malermeister faselte von grossen Löhnen mit Fr. 1.20, von Emportreiben der Teuerung durch die Lohnbewegungen und anderem dummen Zeug. Ich ersuchte ihn höflich, er solle einmal eine Zeitlang mit Fr. 1.20 auskommen und das Übrige seines Gewinnstes abtreten. Der Streikbrecheragent Eisele aus St. Gallen lallte vom ganz extremen Bauarbeiterverband und den bischöflichen Weisungen in der Schweiz und als diese blödsinnigen Redensarten nicht aufhören wollten, da standen die Mitglieder auf und verliessen den Saal. Beim Verlassen aber erhob sich der Pfarrer von Triesenberg und erklärte mit zitternder Stimme, dass ab heute alle Mitglieder von den heiligen Sakramenten ausgeschlossen seien. Das war aber unsern Leuten, so katholisch sie sind, doch zuviel, sie blieben dem würdigen Kapitalistendiener die Antwort nicht schuldig und beinahe hätten sie ihn handgreiflich an die Luft befördert. Als dieser unchristliche Religionsvertreter dann noch vom Verbot des Kirchenbesuches anfangen wollte, stürzte alles auf ihn los und die Worte, die er zu hören bekam, waren nicht so gelinde, aber doch christlicher als seine Aussagen.

Nun bin ich mir sicher, dass diese Gesellschaft alle, möglichen Mittel anwenden wird, um die Organisation zu zertrümmern. Es wird ihnen aber nicht gelingen, denn die Arbeiter sagen sich, dass sie eben nicht den Geistlichen anbeten, sondern ihren Herrgott, und dass letzterer an ihnen jedenfalls mehr Gefallen haben wird als an den Beschützern der Wucherer und Kriegsgewinnler. Die Hunde bellen … doch die Karawanne zieht vorüber.

Die dritte Versammlung in Schaan, wo ebenfalls zwei Orte vertreten waren, hat mich dann schon wieder besser erfreut. Hier aber kam so recht die Lohndrückern österreichischer Arbeiter zur Sprache. Auf eine bezügliche Beschwerde bei der Regierung sprach sich diese dahingehend aus, dass Tagesverdienste von 5 und 6 Fr. bei Beköstigung ausreichende Löhne darstellen. Die Kollegen hier waren sehr erbost über die Einmischung kirchlicher Diener in weltliche Sachen und beklagten sich auch über die Ausbeutung der Arbeiter in Buchs, Grabs und Salez, Orte, wo sie in Arbeit stehen.

Damit war für mich der denkwürdige Tag abgeschlossen und unter Begleitung einiger Kollegen passierte ich bei Buchs wieder unsere Grenzpfähle.

Es ist zu hoffen, dass die Kirche in Liechtenstein nicht nach den Worten dieses Pfarrers handeln wird, dass sie sich nicht zu Schergen des Kapitalismus und gar noch für ausländischen Kapitalismus herabsetzt, sondern die Arbeiter ungehindert für Verbesserung ihrer Existenzen vorgehen lässt. Denn ein solches Vorgehen entspricht in allen Teilen den Lehren Christi. Richtige Nächstenliebe können diese Theologen nur in unsern Kreisen finden und wenn sie sich nun mehr aber gegen uns stellen würden, müsste eine solche Handlungsweise als direkt unchristlich bezeichnet werden. Sollten sie trotzdem glauben, menschliche Begehren bekämpfen zu müssen, dann werden sie aber den Kürzeren ziehen und den Arbeitern Zweifel über eine solche Religion einpflanzen. Dem Streikbrecheragent und Schützer des Kapitals in St. Gallen aber raten wir, uns ein zweites Mal nicht mehr zu begegnen. Einmal haben wir seinen abgeklopften Quatsch angehört, das zweite Mal müssten wir ihn an die Luft setzen, wenn er sich wieder in unsere Sachen mischen wollte. Er bleibe bei seinen Schafen. [5]

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[1] L.Vo., Nr. 92, 17.11.1920, S. 1.
[2] Vgl. die Statuten des „Liechtensteinischen Arbeiterverbandes“ vom 2.2.1920 (LI LA RE 1920/1044); vgl. ferner O.N., Nr. 10, 4.2.1920, S. 2 („Arbeiterverein“).
[3] Vgl. L.Vo., Nr. 83, 16.10.1920, S. 1 („Der liechtensteinische Arbeiterbund“) sowie O.N., Nr. 84, 20.10.1920, S. 1-2 („Zur Arbeiterbewegung“).
[4] Friedrich Kaufmann war der erste Präsident des Arbeiterverbandes. Er trat jedoch schon am 12.5.1920 zurück (L.Vo., Nr. 39, 15.5.1920, S. 2 („Mitteilung“)).
[5] Vgl. die Kommentierung dieses Artikels in: L.Vo., Nr. 94, 24.11.1920, S. 1-2 („Arbeiterorganisation in Liechtenstein“).