Das „Liechtensteiner Volksblatt“ weist die Kritik am politischen Engagement der katholischen Geistlichkeit in der Arbeiterschaft als religionsfeindliche Agitation zurück


Veröffentlichung einer Zusendung im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]

24.11.1920 

Arbeiterorganisation in Liechtenstein

(Eingesandt.)

Zu dem im schweizerischen „Bauarbeiter" erschienenen und im „Liechtensteiner Volksblatt" Nr. 92 abgedruckte Elaborat [2] eines ungenannten, wohlbekannten, roten Apostels dürften wohl einige Glossen nicht unangebracht sein:

Was die beide Strömungen Monarchie oder Republik – angeht, dürfte der Herr Republikaner kaum genügend orientiert sein. Denn jeder Liechtensteiner, auch der Liechtensteiner Arbeiter, ist durch und durch fürstentreu. Wir kennen eben zu gut all die Wohltaten, die das Fürstenhaus durch 200 Jahre hindurch dem Lande zukommen liess, und wir wissen wohl, dass ein künftiger Präsident von unserem sauer verdienten Gelde seinen Unterhalt beziehen müsste. Wir wissen auch wohl, dass ein Herr Präsident aus seiner Tasche nie eine Strasse bauen, eine Wohltätigkeitsanstalt unterstützen, Armen, Witwen und Waisen helfend unter die Arme greifen könnte. Der Herr Artikler konstatiert dann in äusserst mangelhaftem Deutsch, dass man hier mit der Neuzeit gehen will, dass aber – wie wäre es anders möglich! – „die Geistlichkeit sich die grösste Mühe gibt, dem Zug nach Freiheit zu verhindern, dabei schrecken sie vor nicht gerade christlichen Massnahmen nicht zurück". Roter Genosse! Sie gestatten, dass Sie hier einer alten sozialistischen Taktik folgen: „Willst Du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich Dir den Schädel ein." Da die Geistlichkeit nicht mitschreit und nicht mittun kann, fällt man mit bellendem Wutgeheul über sie her und sucht mit dem bekannten Grundsatz: Religion ist Volksverdummung, ihr den Boden zu entziehen. Denn „Die Schulung des Volkes liegt noch sehr darnieder. . ." Wie wäre das auch anders möglich, solange noch ein Geistlicher in der Schule etwas mitzureden hat! Armes Liechtensteiner Volk! Warum bist Du auch nicht schon vor dem Kriege ausgewandert, um Dir Kenntnisse über die Lebensweise anderer Völker anzueignen? Du könntest schon längst die Zivilehe und die freie Liebe haben, wo Mann und Frau zusammenleben wie ein Affenpärchen und ihre Freiheit gebrauchen, „um tierischer als ein Tier zu sein." Deine Kinder könnten in der freien Schule schon längst aufgeklärt sein, dass Begriffe wie Gott, Recht, Gerechtigkeit, Gehorsam gegen die Eltern usw. nur Ammenmärchen sind, veraltetes Zeug, mit dem man abfahren muss, um auf Erden ein menschenwürdiges Dasein zu fristen. Wärest Du doch schon vor 20 Jahren in die Schule der roten Brüder gegangen, längst schon wären Dir die Augen aufgegangen – vielleicht aber auch übergegangen, wie so vielen Tausenden, denen man auch ihre heiligsten Begriffe geraubt, ihnen den Himmel auf Erden versprochen, aber die Hölle gegeben hat, die heute einsehen – schau nur nach Deutschland und Österreich – dass nicht in den phantastischen Lehren der Sozialisten, sondern im praktisch gelebten und durchgeführten Christentum das Heil zu finden ist.

Nun also am 10. Oktober sollte uns das lang entbehrte rote Licht aufgehen. Doch schon beim ersten Aufleuchten an der Grenze musste der Herr Agitator (was Volksverhetzer heisst) unsere Rückständigkeit feststellen, denn „der Zivilposten in Mäls … wusste noch nicht …“ Warum hat auch die Regierung es unterlassen, in alle Welt hinauszuposaunen, dass wir endlich aufgeklärt werden sollten – bodenlose Rückständigkeit! Und nun die Aufklärung: „Der Schweizer Unternehmer rechnet damit, dass bereits jeder zu Hause noch sein Kueli hat …" Ja, lieber Eidgenosse, das wissen und empfinden wir schon lange. Da hätten Sie schon besser getan, die Schweizer Unternehmer aufzuklären über ihr himmelschreiendes Unrecht, das sie uns antun. Ihre rote Mission kann uns da auch nicht helfen; was das angeht, wäre es vielleicht angebrachter, einer unserer Schwarzröcke, eventuell vom Triesnerberg oder dem „Bergdörflein!" Triesen käme hinüber und würde diesen Herren Unternehmern einen Vortrag halten über Gerechtigkeit und gerechten Arbeitslohn und eine Verantwortung im Jenseits. Vielleicht würde auch Ihnen ein solches Wort nicht schaden und Ihren roten Genossen auch nicht, und vielleicht hätten Sie etwas derartiges gehört, wenn Ihre Volksschuhe sie nicht an „der schön gebauten Kirche" in Balzers vorbei, sondern in die Kirche hinein getragen hätten! Vielleicht hätten Sie dann auch erfahren, dass „diese Gesellschaft" (gemeint sind die Geistlichen) mehr Verständnis und mehr Herz haben für die Bedürfnisse des arbeitenden Volkes als alle Agitatoren der Roten zusammen, die die Not des Arbeiters benützen, um ihre Taschen zu füllen, wie das Beispiel [August] Bebels zeigt, der bei seinem Tod mehr als eine Million Mark nicht seinen nasgeführten Arbeitern, sondern seinen Angehörigen hinterliess.

Der Besuch in Triesen scheint dann nicht nach Ihrem Wunsch ausgefallen zu sein, die beiden Schwarzröcke [Franz von Reding und Walter Odermatt] scheinen doch Ihr rotes Licht etwas verdunkelt zu haben? Um so weniger sei Ihnen die Freude in Schaan missgönnt, aber wegen der Ausbeutung der Arbeiter in Buchs, Grabs und Salez brauchten Sie sich doch nicht gar zu sehr zu freuen, wenn Sie wirklich auf das Wohl der Arbeiter bedacht sind.

Trotz Ihrer rotgefärbten Reden werden wir Arbeiter in Liechtenstein nach den Worten unserer Pfarrer Handeln und uns nicht zu Schergen des Judentums und gar noch für ausländische Agitatoren herabwürdigen lassen, sondern wir werden ungehindert auf gesetzlichem Wege für die Verbesserung unserer Existenz vorgehen. Denn ein solches Vorgehen entspricht allein in allen Teilen den Lehren Christi. Richtige Nächstenliebe können Sie nur in unsern Reihen finden. Ihre Hetzarbeit ist Handlangerarbeit für Judentum und Freimaurerei, und wir raten Ihnen, uns ein zweites Mal nicht mehr zu begegnen. Einmal haben wir Ihren abgeklopften Quatsch angehört, das zweite Mal aber müssten wir Ihnen die Grenze weisen, wenn Sie es noch einmal wagen sollten, in solcher Weise unsere heiligsten Gefühle anzugreifen. Wir bleiben bei unsern Hirten, bleiben Sie bei Ihren Böcken.

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