Landesverweser Karl von In der Maur ersucht um Intervention der k.u.k. Gesandtschaft in Bern für die Konzessionierung einer Schmalspurbahn von Landquart über Ragaz zur liechtensteinischen Landesgrenze


Handschriftliches Konzeptschreiben mit handschriftlichen Korrekturen und Ergänzungen von Landesverweser Karl von In der Maur, gez. ders., an die fürstliche Hofkanzlei [1]

14.7.1907

Note an die hochl. Hofkanzlei

Wie der hochlöbl. Hofkanzlei aus der mit hochgeschätzter Zuschrift vom 27. Juni 1907, Zl. 6880, [2] anher mitgeteilten Eröffnung des k. u. k. Ministeriums des Äussern [3] bekannt geworden ist, hat der Bundesrat am Schlusse der letzten Tagung der eidgenössischen Räte die denselben bereits unterbreitete Vorlage, womit er die Konzessions-Erteilung für die schweizerische Teilstrecke der Schmalspurbahn Landquart-Schaan beantragt, [4] wider alles Vermuten mit der Motivierung zurückgezogen, dass sich die Notwendigkeit von Ergänzungen ergeben habe.

Gegen das fragliche Projekt sind in vielgelesenen schweizerischen Blättern eine Reihe von Zeitungsartikeln erschienen, [5] die nach allgemeiner Ansicht von der Direktion der schweizerischen Bundesbahnen inspiriert wurden, welche schon von vornherein dem Projekte gegenüber eine feindselige Stellung einnahm und die Meinung propagierte, dass die neue Bahn die Position der Bundesbahnen schwächen würde; um dieser Meinung den Anschein einer Berechtigung zu geben und gegen das geplante Unternehmen wirksam Stimmung zu machen, wurde insbesondere das Märchen verbreitet, dass die österreichischen Staatsbahnen hinter dem Projekte stünden, von dessen Realisierung sie sich erhoffen würden, sich in Bezug auf die österr.-schweizerischen Anschlussverbindungen von dem bisher ausschliesslich massgebenden Einflusse der schweizerischen Bundesbahnen freizumachen; speziell wurde auch darauf hingewiesen, dass im Falle der voraussichtlichen Realisierung der schweizerischen Ostalpenbahn bezw. im Falle als das dem Bundesrate unerwünschte Splügenbahnprojekt etwa zur Durchführung gelangen würde, die Bahn Landquart-Schaan eine wichtige Rolle spielen könnte u. dass der zu befürchtenden Konkurrenzierung der Bundesbahnen nur wirksam begegnet werden könnte, wenn das Bahnprojekt Landquart-Schaan von der Tagesordnung verschwinden würde.

Die vom Bundesrate unter dem Einflusse der Direktion der Bundesbahnen vorgeschützte Notwendigkeit, dass in der Frage der Konzessionserteilung für das schweizerische Teilstück der projektierten Bahnlinie Landquart-Schaan noch weitere Erhebungen gepflogen und Garantien verlangt werden müssen, ist nach der übereinstimmenden Anschauung einsichtiger Leute nur der erste Schritt für die schliessliche Ablehnung der Konzession; der Bundesrat will lediglich wohl nur den Schein einer Art Willkürlichkeit, die ihm bei sofortiger Ablehnung der Konzession vielleicht vorgeworfen werden könnte, vermeiden; er wird aber dann, wenn die Erhebungen gepflogen sein werden, vermutlich finden, dass die Bedingungen für eine Konzessionserteilung nicht gegeben sind; demgemäss betrachte ich das Projekt fast für schon begraben.

Wie sehr der Bundesrat bestrebt ist, das Projekt aus der Welt zu schaffen, ergibt sich daraus, dass er dem Vernehmen nach zwar für den 28. August d. Js. eine an Ort und Stelle unter der Leitung des Vorstandes des eidgenössischen Eisenbahndepartements [Josef Zemp] und unter Zuziehung des Direktors der Bundesbahnen [Placid Weissenbach] sowie der je 8gliedrigen Eisenbahnkomitees der eidgenössischen Räte vorzunehmende Lokalerhebung an Ort und Stelle ausgeschrieben hat, gleichzeitig aber auch den schweizerischen Projektanten der fraglichen Schmalspurbahn mit dem in Abschrift beiliegenden Schreiben vom 29. Juni 1907, No. 6375/I, [6] ans Herz gelegt hat, ihr Konzessionsgesuch auf die Strecke Landquart-Ragaz zu reduzieren, also von dem Anschluss an das Fürstentum Liechtenstein abzusehen, eine Zumutung, die die Projektanten allerdings mit Entschiedenheit zurückgewiesen haben, wie aus der abschriftlich angeschlossenen, vom 7. Juli 1907 datierten Eingabe [7] der Projektanten an den Bundesrat ersichtlich wird. In dieser Eingabe wie nicht minder in dem mitfolgenden, die fragliche Bahnverbindung betreffenden Promemoria vom 2. Mai 1907 [8] sowie in dem anruhenden (nebenbei erwähnt von dem Vorsitzenden des l. Landesausschusses, Dr. Albert Schädler, dem Obmann des Initiativ-Komitees für die liecht. Teilstrecke der Schmalspurbahn Landquart-Schaan herrührenden) Artikel des "Liechtensteiner Volksblatt" vom 31. Mai 1907 [9] ist die Haltlosigkeit der in der Hauptsache von den Bundesbahnen geltend gemachten Scheingründe gegen die Konzessionserteilung hinreichend beleuchtet, es kann daher zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Schriftstücke verwiesen und muss lediglich folgendes betont werden:

a) Es ist nicht richtig, dass hinter dem mehrerwähnten Projekte die k.k. österr. Staatsbahnen stehen und dass das Projekt irgendwie mit der Ostalpenbahnfrage zusammenhängt;

b) es ist nicht richtig, dass die projektierte Schmalspurbahnstrecke geeignet ist, den Bundesbahnen eine nennenswerte Konkurrenz zu machen;

c) es ist nicht richtig, dass das Fürstentum Liechtenstein durch die Realisierung des Projektes etwas anderes anstrebt, als eine Lokalbahn zu erhalten.

Trotzdem für Liechtenstein die Situation nach den obigen Darlegungen gegenwärtig ziemlich ungünstig ist, glaubt die f. Regierung doch bei dem vitalen Interesse des Landes an dem Zustandekommen des Projektes, dass die Flinte derzeit noch nicht ins Korn zu werfen sei und dass, so lange eine, wenn auch nur entfernte Möglichkeit eines Erfolges vorliegt, Alles aufzubieten sei, um dem Projekte einer Bahnverbindung Landquart-Schaan zur Durchführung zu verhelfen.

Von der nämlichen Ansicht ist der l. Landesausschuss durchdrungen, welcher in der am 12. d. M. in meiner Anwesenheit abgehaltenen Sitzung die aus der Beilage zu entnehmende Resolution [10] gefasst hat.

Demgemäss wird die hochlöbliche Hofkanzlei ersucht, die gegenwärtige Eingabe samt Beilagen oder nach Gutfinden einen entsprechenden Auszug dem hohen k. u. k. Ministerium des Äussern so bald als möglich mit der Bitte um Kenntnis zu bringen, dass dasselbe den Herrn k. u. k. österr.-ungar. Gesandten in Bern [Karl von Heidler] veranlasse, auf Grund des vorliegenden Sachverhaltes tunlichst bald bei dem schweizerischen Bundesrate eine dringliche Vorstellung in Absicht auf die Erteilung der Konzession zu erheben und eventuell auch eine Einladung der fürstlichen Regierung zur Teilnahme an der für 28. August 1907 geplanten vorerwähnten Lokalerhebung [11] zu bewerkstelligen.

Da die Schweiz momentan eine Bahnverbindung vom Oberengadin durchs Unterengadin bis Pfunds in Tirol anstrebt, um dort an die Vintschgaubahn anzuschliessen, welche bis Landeck ausgebaut werden soll und die Situation der Schweiz gegenüber Österreich dortselbst eine ganz ähnliche ist wie im Falle Landquart-Schaan die Situation Liechtensteins gegenüber der Schweiz, dürfte der allfällige Hinweis auf das in Bezug auf die ersterwähnte Bahnverbindung von seiten Österreichs bewährte Entgegenkommen gegenüber den schweizerischen Wünschen vielleicht nicht völlig wirkungslos bleiben. [12]

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[1] LI LA SF 02/1907/1266 ad 0327. Vermerk: "halbbrüchig, ohne Rubrum". Mundiert von Diurnist Gregor Nigg am 16.7.1907. – Vgl. in diesem Zusammenhang u.a.: L.Vo., Nr. 49, 8.12.1905, S. 1-2 ("Die Stellung der Bundesbahnen zum Schmalspurbahnprojekt Landquart-Ragaz-Vaduz-Schaan") und Nr. 4, 26.1.1906, S. 1 ("Das Fürstentum Liechtenstein und die rätischen Bahnen")
[2] Vgl. das Schreiben von Hofkanzleileiter Hermann von Hampe an die liechtensteinische Regierung vom 27.6.1907 (LI LA SF 02/1907/1137 ad 0327 (Aktenzeichen der Hofkanzlei: 6880)).
[3] Vgl. das Schreiben von Sektionschef Johann von Michalovich vom österreichisch-ungarischen Aussenministerium an die fürstliche Hofkanzlei vom 25.6.1907 (LI LA SF 02/1907/1137 ad 0327 (Aktenzeichen des Aussenministeriums: 48584/9)).
[4] Vgl. die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Konzession einer elektrischen Schmalspurbahn von Landquart über Ragaz nach der liechtensteinischen Grenze vom 16.4.1907 (BBl III 107).
[5] Vgl. etwa NZZ, Nr. 109, 20.4.1907 ("Eine Konkurrenzlinie der Bundesbahnen"); Nr. 141, 23.5.1907 ("Schaan-Landquart"); Nr. 149, 31.5.1907 ("Die Bahn Schaan-Landquart"); Nr. 153, 4.6.1907 ("Landquart-Ragaz-Schaan"); Nr. 157, 8.6.1907 ("Landquart-Schaan") und Nr. 162, 13.6.1907 ("Schaan-Ragaz-Landquart"); vgl. ferner "Basler Nachrichten", Nr. 140, 26.5.1907 ("Direkte Chur-Schaan-Bregenz und Rätische Bahnen").
[6] Vgl. das Schreiben der Eisenbahnabteilung des Eidgenössischen Post- und Eisenbahndepartements an Fridolin Simon, Ragaz, vom 29.6.1907 (LI LA SF 02/1907/1220 ad 0327 (Aktenzeichen des Departements: 6375/I)).
[7] Vgl. das Schreiben des schweizerischen Initiativkomitees für das Bahnprojekt Landquart-Schaan an Bundesrat Josef Zemp bzw. an die Eisenbahnabteilung des Eidgenössischen Post- und Eisenbahndepartements vom 7.7.1907, welches von Fridolin Simon mit Begleitschreiben vom  9.7.1907 in Kopie dem liechtensteinischen Landtagspräsidenten Albert Schädler übermittelt wurde (LI LA SF 02/1907/1235 ad 0327).
[8] Gedruckte Ausführungen des schweizerischen Initiativkomitees mit dem Titel "Schmalspurbahn Landquart-Maienfeld-Ragaz-Fläsch-Landesgrenze" an die Mitglieder der schweizerischen Bundesversammlung vom 2.5.1907 (LI LA SF 02/1907/0946 ad 0327).
[9] Vgl. L.Vo., Nr. 22, 31.5.1907, S. 1-2 ("Eisenbahnprojekt Landquart-Maienfeld-Ragaz-Schaan").
[10] Vgl. die Resolution des Landesausschusses (Albert Schädler, Lorenz Kind und Franz Schlegel) zuhanden der Regierung vom 12.7.1907 (LI LA SF 02/1907/1266 ad 0327).
[11] Zur gemeinsamen Begehung der in Frage kommenden Strecke durch schweizerische und liechtensteinische Vertreter am 29.8.1907 siehe den Bericht von Landesverweser Karl von In der Maur an Fürst Johann II. vom 15.9.1907 (LI LA SF 02/1907/1583 ad 0327).
[12] Am 19.11.1907 beantragte der Schweizer Bundesrat bei der Bundesversammlung, entgegen seiner Botschaft vom 16.4.1907, auf das Konzessionsgesuch für die projektierte Schmalspurbahn nicht einzutreten, da durch diese Bahn eine sehr empfindliche Konkurrenz für die schweizerischen Bundesbahnen entstehen könnte (Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Verweigerung der Konzession einer elektrischen Schmalspurbahn von Landquart über Ragaz nach der liechtensteinischen Grenze (BBl 1907 VI 41)). Wie das österreichisch-ungarische Aussenministerium der fürstlichen Hofkanzlei am 16.12.1907 mitteilte, sah sich die k.u.k. Gesandtschaft in Bern "mit Rücksicht auf die in der Schweiz bestehende Empfindlichkeit gegen fremde Beeinflussung" ausserstande, "eine weitere Initiative in dieser Angelegenheit zu ergreifen" (LI LA SF 02/1907/2269 ad 0327 (Aktenzeichen des Aussenministeriums: 94567/9)). Landesverweser In der Maur, der die Angelegenheit am 21.12.1907 vorläufig ad acta legte, bemerkte hiezu, dass die Initiative dem schweizerischen Komitee überlassen bleiben müsse; "setzen die Gebrüder Simon nichts durch, so würde die f. Regierung um so weniger etwas durchsetzen" (Vermerk auf dem Schreiben von Hofkanzleileiter Hampe an die Regierung vom 19.12.1907 (LI LA SF 02/1907/2269 ad 0327)).