Das „Liechtensteiner Volksblatt“ kommentiert das schweizerische Presseecho zur geplanten Schmalspurbahn von Landquart über Ragaz, Balzers und Vaduz nach Schaan


Artikel im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]

26.1.1906

Das Fürstentum Liechtenstein und die rätischen Bahnen

Die geplante Bahnverbindung von Landquart über Maienfeld-Ragaz nach der Landesgrenze und von hier über Balzers-Triesen-Vaduz nach Schaan hat in jüngster Zeit wiederholt die schweizerische Presse beschäftigt und fast durchweg eine beifällige Verurteilung gefunden.

So erschien anfangs Dezember vorigen Jahres ein grösserer Artikel in der „Neuen Zürcher Zeitung“, [2] welcher in treffender Weise die dem Projekte gegnerische Haltung der schweiz. Bundesbahnen beleuchtet und deren Einwände entkräftet. Der Artikel wurde den Lesern des „Liecht. Volksblattes“ in Nr. 49 vom 8. Dez. 1905 zur Kenntnis gebracht. [3] Kurz nachher brachte die „Schweizer. Handelszeitung“ über die gleiche Frage beachtenswerte Ausführungen, von welchen der „Freie Rhätier“ urteilte, dass darin die vorliegende Frage in ruhig erörtender, zutreffender und unanfechtbarer Weise besprochen sei. [4] Die dem Projekte gegnerische Stellungnahme der Regierung des Kantons St. Gallen fand eine eingehende Kritik in Nr. 294, 295 und 296 des „Tagblattes der Stadt St. Gallen“ vom 14., 15. und 16. Dez. 1905. [5] Die im Regierungsvotum enthaltenen Motive werden in dieser Kritik gebührend beleuchtet und als unstichhaltig nachgewiesen.

Dass auch unsere nächsten schweizerischen Nachbaren mit der Haltung des st. gallischen Kantonsregierung durchaus nicht einverstanden sind, beweist der freundnachbarliche und dem Bahnprojekte sympathisch gegenüberstehende Artikel des „Werdenberger“ vom 16. d. M., [6] welcher in der letzten Nummer des „Liecht. Volksblattes“ wiedergegeben wurde. [7] Derselbe ist umso beachtenswerter, als da und dort die irrtümliche Ansicht vertreten war, Buchs werde durch die neue Konkurrenzbahn verlieren. Tatsächlich wird das liechtensteinische Oberland mit dem Zustandekommen der angestrebten Lokalbahn sowohl den Kanton Graubünden als auch Buchs im Verkehre näher gerückt, wodurch die gegenseitigen Handelsbeziehungen ganz wesentlich gehoben würden.

Nach diesen orientierenden Bemerkungen über die Äusserungen der schweizer. Presse mögen zur Charakterisierung der Sachlage selbst noch einige aufklärende Worte folgen.

Für das Projekt hat sich die Regierung von Graubünden ausgesprochen. Hingegen hat die Generaldirektion der schweizer. Bundesbahnen in ihrer Eingabe an das Eisenbahndepartement in Bern gegen das Projekt Stellung genommen und fürchtet – offenbar weit übertrieben – eine namhafte Schädigung der schweizerischen Rheintallinie durch die Konkurrenzbahn. Allem Anscheine nach hat auch diese Haltung der Bundesbahnen das ablehnende Mehrheitsvotum der st. gallischen Regierung beeinflusst.

Die Entscheidung, ob das vom Initiativ-Komitee Ragaz-Maienfeld-Fläsch an den Bundesrat gerichtete Konzessionsbegehren [8] für die Schmalspurbahn Landquart, Maienfeld, Ragaz, Landesgrenze genehmigt wird, liegt in der Hand der Bundesversammlung und dürfte voraussichtlich im Frühjahre fallen.

Es ist zu hoffen, dass der Bundesrat und die Nationalversammlung nicht den engen geschäftlichen Standpunkt der Bundesbahnen einnehmen, sondern sich im allgemeinen Verkehrsinteresse von höheren und moderneren Gesichtspunkten leiten lassen werden.

Mit Ausnahme Liechtensteins, von dem nur der nördliche Zipfel von den österreichischen Staatsbahnen berührt wird, besitzt das ganze Rheintal Eisenbahnen. Durch die ganze Länge des Rheintales – von Chur bis zum Bodensee – bestehen zu beiden Seiten des Rheines Parallelbahnen, mit Ausnahme der Lücke: Schaan-Vaduz-Landquart in einem Ausmasse von 28 Kilometer. Wenn nun seinerzeit im engsten Teile des Rheintales, d.h. von Landquart bis Chur, die Konzession zur Erstellung einer zweiten Eisenbahn erteilt wurde, so müsste es überaus kleinlich und eigentümlich erscheinen, dort, wo das Tal vielfach breiter ist und wo noch die einzige Lücke besteht, einer natürlich gegebenen Anschlusslinie die Konzession zu verweigern.

Liechtenstein und Vorarlberg hatten von den Römerzeiten her bis zum Entstehen der Vereinigten Schweizerbahnen im Jahre 1857 einen regen Verkehr über die Luziensteig mit Chur und Graubünden. Dieser seinerzeitige fast 2000 Jahre alte Verkehr würde mit dem beabsichtigten Anschlusse Liechtensteins an die rätischen Bahnen im modernen Gewande wieder aufblühen, ohne dass dadurch den linksufrigen Bundesbahnen eine nennenswerte Konkurrenz geschaffen würde. Von einer Konkurrenz im Frachtenverkehr kann ohnehin gar nicht die Rede sein, weil weiter gehende Güter von einer Normalspurbahn sicher nicht auf eine Schmalspurbahn umgeladen werden. Im Personenverkehre könnte höchstens eine beschränkte Anzahl Billete von Buchs bis Landquart in Frage kommen.

Durch die Entwicklung der rätischen Bahnen nach Davos und nach dem Engadin erhielt übrigens die Rheintallinie der Bundesbahnen einen ganz erheblichen und vorteilhaften Zufluss.

Ist es nun billig und coulant, dass die Bundesbahnen sich gegen den relativ viel geringeren Vorteil, welcher den rätischen Bahnen durch den Anschluss an die österreichischen Staatsbahnen mit der Zeit erwachsen könnte, zu stemmen? Was würde man sagen, wenn z.B. Österreich dem Anschlusse der geplanten rätischen Engadinerbahn im Vinschgau die Konzession verweigern würde, weil die österreich. Staatsbahnen für ihre Linie Landeck bis Buchs einen Ausfall befürchteten? Gewiss würde das als eine Rückständigkeit bezeichnet, obwohl ein solches Vorgehen der österreich. Staatsbahnen noch viel eher etwas für sich hätte, weil es sich um eine viel längere Strecke handelt.

Ein Motiv, das von gegnerischer Seite noch besonders betont wird, ist die Befürchtung, die Schmalspurbahn werde früher oder später über Schaan hinaus nach Feldkirch verlängert. Diese Befürchtung ist für jeden Kenner der Verhältnisse grundlos. Wollte man nämlich diesen Anschluss bewerkstelligen durch eine Führung der Linie über Tisis und Heiligkreuz, so wäre das mit so viel Hindernissen und immensen Kosten verbunden, dass von einer Rentabilität der Bahn gar keine Rede mehr sein könnte und die Finanzierung eines solchen Projektes zum vornhinein aussichtslos wäre. An eine Schmalspurbahn hart neben der Staatsbahnlinie um den langen Ardetzenberg herum ist wohl auch nicht zu denken.

Der beabsichtigte Anschluss Liechtensteins an die rätischen Bahnen ist nach seiner ganzen Anlage auf den Lokalverkehr zugeschnitten und würde den früheren regen Verkehr mit der Schweiz wieder neu und frisch aufleben lassen. Ist das nicht auch im Vorteile der Schweiz selbst gelegen? Und wenn die rätischen Bahnen durch den projektierten Anschluss einige kleine Vorteile erringen, so werden damit ja auch in der Hauptsache schweizerische Interessen gefördert.

Endlich müsste offenbar als ein Akt der Unfreundlichkeit gegen das benachbarte kleine Liechtenstein aufgefasst werden, wenn uns durch eine ablehnende Entschliessung der Schweiz die noch einzig bestehende Möglichkeit, eine Eisenbahn zu bekommen, vereitelt würde. Voraussichtlich dürfte das jedoch nicht eintreten, denn die Bundesversammlung wird sich wohl nicht auf den kleinlichen geschäftlichen Standpunkt der Gegner des Projektes stellen, sondern sich von weitherzigeren Gesichtspunkten leiten lassen und das kleine Land, welches als friedlicher Nachbar bisher stets die besten Beziehungen zur Schweiz unterhalten hat, nicht als Luft behandeln. [9]

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[1] L.Vo., Nr. 4, 26.1.1906, S. 1.
[2] NZZ, Nr. 333, 1.12.1905, 1. Beilage („Die Stellung der Bundesbahnen zum Schmalspurbahnprojekt Landquart-Ragaz-Vaduz-Schaan“).
[3] L.Vo., Nr. 49, 8.12.1905, S. 1-2 („Die Stellung der Bundesbahnen zum Schmalspurbahnprojekt Landquart-Ragaz-Vaduz-Schaan“).
[4] L.Vo., Nr. 51, 22.12.1905, S. 1 („Schmalspurbahn Landquart-Maienfeld-Vaduz-Schaan“). Vgl. „Der freie Rätier“, Nr. 297, 17.12.1905 ("Schmalspurbahn Lanquart-Lichtenstein“).
[5] „Tagblatt der Stadt St. Gallen“, Nr. 294, 14.12.1905 („Bahnprojekt Landquart-Ragaz-Schaan und der Kanton St. Gallen I."); Nr. 295, 15.12.1905 („Bahnprojekt Landquart-Ragaz-Schaan und der Kanton St. Gallen II."); Nr. 296, 16.12.1905 ("Bahnprojekt Landquart-Ragaz-Schaan und der Kanton St. Gallen III.“).
[6] „Werdenberger und Obertoggenburger“, Nr. 6, 16.1.1906 („Verkehrsfragen“); vgl. auch Nr. 8, 20.1.1906 („Verkehrsfragen II.“) und Nr. 11, 27.1.1906 („Verkehrsfragen III.").
[7] L.Vo., Nr. 3, 19.1.1906, S. 1 („Eisenbahnprojekt Landquart-Schaan“).
[8] Eine Abschrift des Konzessionsgesuches vom 26.4.1905 findet sich unter LI LA SF 02/1905/0255 ad 0188.
[9] Vgl. in weiterer Folge: L.Vo., Nr. 22, 31.5.1907, S. 1-2 („Eisenbahnprojekt Landquart-Maienfeld-Ragaz-Schaan“).