Artikel im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]
31.5.1907
Eisenbahnprojekt Landquart-Maienfeld-Ragaz-Schaan
In nächster Zeit wird wohl, da an eine nochmalige Verzögerung nach der ganzen Sachlage kaum mehr gedacht werden kann, in dieser Frage, soweit es sich um die schweizerische Teilstrecke handelt, die Entscheidung fallen.
Bekanntlich hatten ursprünglich die Gebrüder Simon [u.a. Fridolin Simon], Eigentümer der Kuranstalten von Ragaz-Pfäfers, um die Konzession für eine linksrheinische Bahn von Ragaz nach Landquart angesucht. Dieses Gesuch wurde jedoch zurückgezogen, nachdem dass Projekt Landquart-Maienfeld-Ragaz-Schaan in Sicht kam und die Regierung von Graubünden dieses letztere Projekt als viel vorteilhafter erklärt hatte. Das war auch klar, denn die direkte Verbindung von Ragaz mit Landquart hätte nur einen beschränkten Wert gehabt, während das Projekt einer rechtsufrigen Schmalspurbahn den bündnerischen Gemeinden Jenins, Maienfeld und Fläsch Verkehrsvorteile bietet und den Anschluss der rhätischen Bahnen an die österreichischen Staatsbahnen in Aussicht stellt.
Die Regierung von Graubünden hat dann auch das vom Initiativ-Komitee Ragaz-Maienfeld-Fläsch im November 1905 an den Bundesrat gerichtete Konzessionsbegehren warm befürwortet. Hingegen gab die Regierung von St. Gallen in ihrem ersten Beschlusse vom 2. Dez. 1905 ein ablehnendes Votum ab. Offenbar war dieser Beschluss in der Hauptsache beeinflusst von der dem Projekte gegnerischen Stellungnahme der Generaldirektion der [Schweizerischen] Bundesbahnen. Im Oktober des vorigen Jahres unterzog jedoch die Regierung von St. Gallen in Berücksichtigung der von der Gemeinde Ragaz eingereichten Gesuche ihr früheres Votum einer Revision und befürwortete nun auch das Konzessionsbegehren, weil zu befürchten stand, dass eine Änderung des Projektes ohne Berührung von Ragaz, diesem bedeutenden Kurorte, grosse Nachteile bringen würde, ohne dass andererseits die befürchtete Konkurrenz gegen die Bundesbahnen weggefallen wäre.
Nach dieser befürwortenden Stellungnahme der beiden interessierten Kantonal-Regierungen befasste sich der Bundesrat mit der Sache und kam nach Anhörung der eidgenössischen Eisenbahn- und Militärdepartemente zu dem Beschlusse, die Erteilung der Konzession zu beantragen. Der Beschluss ist in der Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 16. April d. J. enthalten und den Lesern bereits durch eine frühere Zeitungsmeldung [2] mitgeteilt worden.
Seitdem die Botschaft des Bundesrates in der Presse bekannt wurde, regen sich wieder die Gegner des Projektes, welche unschwer im Lager der Bundesbahnen zu suchen sind. Sowohl in der Neuen Zürcher Zeitung [3] als auch in den Basler Nachrichten [4] und in anderen Blättern erschienen in letzter Zeit Artikel, welche für Ablehnung des Konzessionsbegehrens Stimmung machen wollen. Es sind die alten Gründe, welche vorgebracht werden und darin gipfeln, dass die projektierte Bahn eine nachteilige Konkurrenzierung der Bundesbahnen zur Folge habe, besonders dann, wenn die Schmalspurbahn in Feldkirch angeschlossen werde. Diese letztere Annahme, welche speziell in einem grösseren Artikel der Neuen Zürcher Zeitung ausgesprochen wurde, ist gänzlich haltlos. Eine solche Verbindung, welche den Anschluss der Schmalspurbahn anstatt in Schaan in Feldkirch suchen würde, ist überhaupt noch nie ernstlich in Frage gekommen.
Jeder, der die topographischen Verhältnisse dieser Gegend kennt, muss zugestehen dass ein solcher Plan nicht vorhanden sein kann. Wollte man nämlich, um hier früher Gesagtes noch einmal zu wiederholen, diesen Anschluss bewerkstelligen durch eine Führung der Schmalspurbahnlinie über Tisis und Heiligkreuz nach dem Bahnhof in Feldkirch, so wäre das mit so viel Hindernissen und immensen Kosten verbunden, dass von einer Rentabilität der Bahn gar keine Rede sein könnte und die Finanzierung eines solchen Projektes zum vorhinein aussichtslos wäre. An die andere Variante die Schmalspurbahn hart neben der Staatsbahnlinie um den langen Ardetzenberg herumzuführen, ist auch nicht zu denken, da ja eine korrekte Verkehrsverbindung zwischen Schaan und Feldkirch bereits existiert. – Was nun die in den Zeitungsstimmen befürchtete Konkurrenz betrifft, welche das Bahnprojekt Landquart-Schaan den Bundesbahnen angeblich bringen werde, so wird man zugestehen müssen, dass von einer Konkurrenz im Frachtenverkehr keine Rede sein kann, weil niemand ohne Not Güter von der Normalspurbahn in eine Schmalspurbahn umladen wird. Im Personenverkehr kann möglicherweise eine kleine Verschiebung stattfinden. Die befürchtete – jedenfalls kleine – Einbusse kann aber von den Bundesbahnen um so leichter paralisiert werden, als eine Normalbahn eine viel raschere Fahrzeit zulässt, während die Schmalspurbahn an eine Maximalgeschwindigkeit von 45 Kilometern gebunden ist. Ausserdem haben es die Bundesbahnen in der Hand, durch einen flotteren Betrieb der Rheintallinie und durch geeignete Betriebsmassregeln die befürchteten Nachteile auf ein Minimum zu reduzieren.
Die Einwürfe der Bundesbahnen sind daher zum grössten Teile abzuweisen. Übrigens sind die Bundesbahnen, wie die „Schweizerische Handelszeitung" im Dezember 1905 [5] in zutreffender Weise sich äusserte, nicht das Forum, vor welchem die Erledigung der Konzessionsfrage stattzufinden hat. Das genannte Blatt erklärt zudem, dass die Konzession, wenn Graubünden und St. Gallen zustimmen, nach Art 3 und 6 des Eisenbahnkonzessionsgesetzes, [6] da militärische Interessen nicht ernstlich in Betracht kommen, nicht verweigert werden könne. Die Konkurrenz, die den Bundesbahnen erwachse, könne ein Grund für die Konzessionsverweigerung nicht sein, da dem Bund als Unternehmer der Hauptbahnen eine ausschliessliche Bevorzugung gegenüber einer Nebenbahn nicht zukomme; überdies könne diese Konkurrenz mit einiger heilsamer Bemühung der Bundesbahnen leicht bewältigt werden. Die Absicht der rhätischen Bahnen, an eine grössere Bahn anzuschliessen, verdiene die Sympathien des Landes.
Wir Liechtensteiner begrüssen es, dass der Bundesrat und die beiden Kantonsregierungen, die sich bisher als kompetente Faktoren in dieser Angelegenheit geäussert haben, nicht den geschäftlichen Standpunkt der Bundesbahnen einnahmen, sondern im Sinne einer richtigen Verkehrsraison und Staatsraison ihre dem Projekte zustimmenden Beschlüsse fassten.
Der moderne Verkehrsgedanke trachtet auf Verbindung, nicht auf Trennung der benachbarten Länder. Erträgt denn dass breite Rheintal, das einem zunehmenden Verkehr entgegengeht, nicht mehr den kleinen Zuwachs von 28 Kilom. (Landquart-Schaan) Bahnstrecke, die zudem nur den Charakter einer Nebenbahn hat?
Mit Ausnahme des liechtenst. Oberlandes und der Strecke von der liechtenst. Landesgrenze bis Landquart besitzt das Rheintal auf beiden Seiten Eisenbahnen und zwar Parallelbahnen. Ja sogar im engsten Teile des Rheintales: Landquart-Chur ist eine solche Doppelbahn vorhanden. Wäre es da vom Standpunkte einer nur halbwegs freundnachbarlichen Verkehrsraison nicht kleinlich, dort wo das Tal breiter ist und wo noch die einzige Lücke besteht, einer natürlich gegebenen Anschlusslinie die Konzession zu verweigern? Soll denn Liechtenstein für alle Zukunft nur deswegen, weil es als ein kleines Land geringen Einfluss hat und weniger Nachdruck geben kann, vom Verkehre ausgeschlossen bleiben, ja nicht einmal den bescheidenen Wunsch erfüllt sehen, einen besseren Lokalverkehr und die Verkehrsmöglichkeit mit unseren schweizerischen Nachbarn, mit denen wir von Alters her in guten Beziehungen standen, zu bekommen? Wohin würde das führen, wenn Grenzstaaten kleineren Staatswesen gegenüber in der Weise, wie es die Bundesbahnen wünschen, vorgehen würden? Wäre da nicht das Sprichwort anzuwenden: „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem andern zu.“
Der Antrag des Bundesrates, unterstützt von den Regierungen der beiden interessierten Kantone, wird nun in nächster Zeit der Bundesversammlung zum Entscheide vorgelegt werden.
Wir geben uns der begründeten Hoffnung hin, dass nicht im Sinne der Wünsche der Bundesbahnen, sondern im Sinne des Bundesrates, dem die Bundesbahnen unterstellt sind, die Entscheidung fallen wird. Die Zustimmung der Bundesversammlung wird in der Hauptsache schweizerischen Interessen – der Kanton Graubünden, die rhätischen Bahnen und der Kurort Ragaz gehören in diese Interessen-Sphäre – nützen, daneben aber in freundnachbarlicher Weise dem kleinen Nachbarland Liechtenstein ermöglichen, aus seiner Isolierung etwas herauszutreten und seinen Verkehr zu verbessern. – [7]