Die massgebenden Politiker Liechtensteins kommen auf Einladung von Prinz Johannes zu einer Konferenz über die Peerfrage zusammen


Besprechungsprotokoll, verfasst und gez. von Regierungssekretär Josef Ospelt [1]

21.5.1920, Vaduz

Kurze Niederschrift über die im Landesverweserbüro am 21. Mai 1920, vormittags, stattgefundene Aussprache über die Frage der Berufung des Dr. [Josef] Peer in die fürstl. Regierung.

Anwesend sind: Seine Durchlaucht Prinz Karl, fürstl. Landesverweser,

Seine Durchlaucht Prinz Johannes als Beauftragter des regierenden Fürsten [Johann II.],

Landtagspräsident Friedrich Walser,

Landtagsvizepräsident Dr. [Wilhelm] Beck,

Regierungsrat Johann Wanger,

Regierungsrat Josef Marxer,

Regierungssekretär Josef Ospelt.

Namens der Bürgerpartei:

Obmann Franz Verling,

Obmann-Stellvertreter Peter Büchel.

Namens der Volkspartei:

Obmann Anton Walser,

Obmannstellvertreter Arnold Gassner.

Seine Durchlaucht Prinz Johannes verliest zunächst eine Botschaft [2] des Landesfürsten, worauf er sich zurückzieht, um den andern Anwesenden eine ungezwungene Aussprache zu erleichtern.

Die Vertreter der Volkspartei und Landtagsvizepräsident Dr. Beck wollen von dem Standpunkte, dass nur ein Liechtensteiner Chef der Regierung oder Stellvertreter des Regierungschefs sein könne, unter keiner Bedingung abgehen und halten daher die Berufung Dr. Peers in die Regierung in der geplanten Form für ausgeschlossen. [3]

Landtagspräsident Walser bringt die Frage zur Sprache, ob nicht die Berufung Peers einer Volksabstimmung [4] zu unterziehen wäre, welchem Gedanken jedoch Dr. Beck und Anton Walser ablehnend gegenüberstehen.

Von verschiedenen Seiten wird auf die Dringlichkeit der Verfassungsreform hingewiesen, worüber sich eine lebhafte Aussprache entwickelt, ohne dass die Gegensätze sich schwächten.

S.D. Prinz Karl weist den Vorwurf, dass das gegebene Versprechen wegen der Verfassungsänderung nicht gehalten worden sei, entschieden zurück und hebt hervor, dass eine aufgrund der Landtagsbeschlüsse vom Dezember 1918 [5] ausgearbeitete Novelle, [6] womit die wichtigsten Bestimmungen der Verfassung geändert werden sollten, im Verfassungsausschusse im Februar 1919 von ihm eingebracht worden sei, dass aber Dr. Beck die Novelle ablehnte und die Durchführung der ganzen Verfassungsänderung verlangte, worauf dann der Novellenentwurf sowie ein Verfassungsentwurf Dr. Becks [7] an Dr. [Emil] Beck in Bern zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung gesendet worden seien. [8] 

Unter Hinweis auf die unter den Anwesenden herrschenden starken Meinungsverschiedenheiten in der Verfassungsfrage, welche beweisen, wie notwendig wir einen Mann hätten, der über den Parteien stehe, führt Regierungssekretär Ospelt aus, dass auf der einen Seite anfänglich seitens der Bürgerpartei die Berufung Dr. Peers als Landesverweser gewünscht und auf der anderen Seite von der Volkspartei dauernd eine ablehnende Haltung eingenommen wurde, und dass somit die in der fürstlichen Botschaft vorgesehene Form der Berufung Dr. Peers einen glücklichen Kompromiss zwischen diesen beiden Standpunkten darstelle, auf welchen sich beide Parteien einigen könnten. 

Die gegenteiligen Ansichten bleiben jedoch weiter bestehen und auch gegenüber der Frage einer Volksabstimmung bleiben Dr. Beck u. Anton Walser bei ihrer ablehnenden Haltung, während Obmannstellvertreter Arnold Gassner in diesem Punkte sich dem Landtagspräsidenten Walser anschliesst.

Dr. Beck vertritt sehr nachdrücklich die Idee der Berufung eines Drei Männer-Kollegiums, [9] welchem für Lösung der schwierigsten Fragen ein tüchtiger Volkswirtschaftler als Ratgeber beizuziehen wäre. 

Seitens des Landtagspräsidenten Walser und den Vertretern der Bürgerpartei wird das Einverständnis darüber zum Ausdrucke gebracht, dass der Grundsatz der Bestellung einer ausschliesslich aus Liechtensteinern bestehenden Regierung von allen hochgehalten werde, dass es sich bei Peer nur um ein Provisorium handle, durch welches die Möglichkeit der Verwirklichung des ebengenannten Grundsatzes geschaffen werden solle.

Nach weiterer längerer Aussprache über die Regierungsform und die Verfassungsfrage und nachdem die Vertreter der Volkspartei sowie Dr. Beck zum Eingehen auf einen Mittelsvorschlag geneigt erschienen, schlug Regierungssekretär Ospelt vor, die Vertreter der Volkspartei möchten, da sie sich ohne weitere Fühlungnahme mit der Partei zu einer weitergehenden Erklärung nicht berechtigt erachten, mit den Deligierten ihrer Partei den Gegenstand neuerlich besprechen und dieser Besprechung Seine Durchl. Prinzen Johannes beiziehen, damit hochderselbe allenfalls gewünschte weitere Auskünfte erteilen könne. 

Dieser Vorschlag wurde angenommen und eine derartige Besprechung auf 22. Mai abends in Aussicht genommen. Das Ergebnis dieser Besprechung soll der Regierung mitgeteilt werden. – [10]

Im Verlaufe der heutigen Aussprache wurde die Frage der Verfassung neuer Steuervorschriften [11] gestreift, wobei Dr. Beck die Erklärung abgab, dass er sich der Ausarbeitung solcher Vorschriften unterziehen würde, wenn die Finanzkommission ihn entsprechend decke. Diese Erklärung wünscht Dr. Beck ausdrücklich zu Protokoll gebracht, nachdem der Landtagspräsident Walser sich zustimmend geäussert hatte.

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[1] LI LA SF 01/1920/090. Prinz Johannes war „in bestimmter Mission" nach Vaduz entsandt" worden: Er wurde von Fürst Johann II. ermächtigt, in der Angelegenheit der Berufung von Josef Peer und der Beilegung der damit im Zusammenhang stehenden Differenzen die ihm zweckdienlich erscheinenden Verfügungen und zwar „als im höchsten Auftrage des Fürsten ergangen" zu veranlassen (Schreiben des Fürsten an Prinz Johannes sowie Schreiben der Kabinettskanzlei an die Regierung vom 18.5.1920 (LI LA SF 01/1920/088 (Aktenzeichen 385)).
[2] Die von Prinz Johannes verlesene, undatierte Botschaft von Fürst Johann II. an die Teilnehmer der Besprechung vom 21.5.1920 findet sich unter LI LA SF 01/1920/214 (VII).
[3] Vgl. die Betrauung Josef Peers für die Dauer der Beurlaubung von Prinz Karl mit der Stellvertretung in den Funktionen eines Landesverwesers (Schreiben von Fürst Johann II. an Landesverweser Prinz Karl vom 18.5.1920, LI LA SF 01/1920/214 (III)). Diese Ernennung wurde vorerst nicht wirksam. Tatsächlich erfolgte die provisorische Berufung Peers zum „Leiter der Regierungsgeschäfte" erst am 15.9.1920 (Schreiben von Fürst Johann II. an Prinz Karl sowie an Josef Peer (LI LA SF 01/1920/125)).
[4] Eine Volksabstimmung kam auf Antrag der Fortschrittlichen Bürgerpartei erst über den Verbleib von Josef Peer als provisorischer Regierungschef zustande – und zwar am 28.3.1921.
[5] Vgl. das 9-Punkte-Programm der Landtagsabgeordneten zur Verfassungsrevision vom 10.12.1918 (LI LA SF 01/1918/044).
[6] Nicht aufgefunden. Vgl. jedoch den von Prinz Karl spätestens Mitte März 1920 ausgearbeiteten Verfassungsentwurf unter der Signatur LI LA V 003/0890.
[7] Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck wurde erst im Juni 1920 in den „Oberrheinischen Nachrichten" publiziert: O.N., Nr. 47, 12.6.1920, S. 1 („Zur Verfassungsrevision", „Verfassungsentwurf des Fürstentums Liechtenstein"); O.N., Nr. 48, 16.6.1920, S. 1; O.N., Nr. 49, 19.6.1920, S. 1; O.N., Nr. 50, 23.6.1920, S. 1-2; O.N., Nr. 51, 26.6.1920, S. 1; O.N., Nr. 52, 30.6.1920, S. 2.
[8] Infolge der Beanspruchung mit anderen Angelegenheiten kam von Seite Emil Becks, des Geschäftsträgers der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern, kein Verfassungsentwurfes zustande.
[9] Ein solches Kollegialorgan bestand formal-verfassungsrechtlich schon, denn nach § 11 Abs. 1 Satz 2 der Amtsinstruktion für die Landesbehörden des Fürstentums Liechtenstein (Anhang zur Fürstlichen Verordnung vom 30.5.1871, LGBl. 1871 Nr. 1) bestand die Regierung aus dem Landesverweser, 2 Landräten, 2 Stellvertretern und einem Sekretär.
[10] Zu den Ergebnissen der Vertrauensmännerversammlung der Volkspartei vom 22.5.1920 vgl. deren Schreiben an Prinz Johannes vom 23.5.1920 (LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 3).
[11] Das neue Steuergesetz, welches jenes von 1865 ersetzte, wurde schliesslich von Prof. Julius Landmann aus Basel erarbeitet (Steuergesetz vom 11.1.1923, LGBl. 1923 Nr. 2). Das Steuergesetz wurde in der Volksabstimmung vom 24.12.1922 mit 1078 Ja- zu 731 Nein-Stimmen angenommen.