Die Volkspartei informiert Prinz Johannes über die Ergebnisse der Vertrauensmännerversammlung vom 22.5.1920


Maschinenschriftliches Schreiben der Volkspartei, gez. Obmann Anton Walser und Schriftführer Stephan Wachter, an Prinz Johannes, derzeit in Vaduz [1]

23.5.1920, Vaduz

Durchlauchtigster Prinz!

Namens & im Auftrage der liechtenst. Volkspartei beehren sich die Unterzeichneten, Eurer Durchlaucht als Spezialgesandten des regierenden Fürsten [Johann II.] in der Landesverweserfrage folgendes zur Kenntnis zu bringen:

Am 22. Mai 1920 fand im "Kirchthaler" in Vaduz, wie Eurer Durchlaucht selbst bekannt ist, eine Versammlung der Volkspartei aus Bürgern aller Gemeinden des Landes statt. Es waren ausser den 70 Vertrauensleuten, wovon etwa 25 aus dem Unterlande & 45 aus dem Oberlande, noch 10 sonstige Parteimitglieder anwesend.

Die Vertrauensmännerversammlung hat

in Erwägung:

dass sie nicht von der dem allverehrten Landesfürsten übermittelten Entschliessung der über 1000 Mann starken Volksversammlung vom 9. Mai 1920 in der "Au" Bündt in Vaduz, [2] ferner von den in den Versammlungen in Triesen (18.4.20), [3] in Vaduz (22.4.20), Triesenberg (25.4.20) & in Balzers (25.4.20) [4] gefassten Entschliessungen abweichen kann & hiezu keine Veranlassung hat;

dass weiter nach unserer Ansicht der grössere Teil des Liechtensteiner Volkes von der Besetzung des Landesverweserpostens oder seines Stellvertreters durch einen Ausländer, sei es provisorisch oder definitiv, nichts mehr wissen will & auf einer aus Landesbürgern zusammengesetzten Regierung besteht;

dass endlich im übrigen die mehrfach kundgetanen Gründe gegen die Bestellung eines Ausländers an der Regierung, insbesonders jene gegen Herrn Hofrat Dr. [Josef] Peer in No 35 der "Oberrheinischen Nachrichten", ferner in No 38, 37, 36 & 32, [5] welche als Beilage mitfolgen, nach wie vor ihre volle Geltung haben,

beschlossen:

  1. Die Vertrauensmännerversammlung besteht nach wie vor auf den früher kundgegebenen Entschliessungen, wonach sie nur mehr eine aus Landesbürgern bestehende Regierung anerkannt.
    Sie stellt nochmals & in unzweideutiger Weise fest, dass sie nie und in keiner Weise mit einer Regierung einverstanden ist, an der ein Ausländer in irgend einer Weise als Regierungschef oder dessen Stellvertreter oder unter sonst einem Namen tätig ist, mit dem Volke verkehrt & seine Unterschrift abgibt.
  2. Die Versammlung missbilligt & verurteilt das Vorgehen anlässlich der geplanten Berufung des Herrn Hofrates Peer & sie spricht diesem Manne nochmals ihr volles Misstrauen aus.
    Die Versammlung müsste es im Interesse des Landesfriedens sehr bedauern, wenn Herr Hofrat Peer in irgend einer amtlichen Eigenschaft trotz des unzweideutig bekannt gegebenen Willens eines Grossteils des Liechtenster Volkes ins Land kommen sollte. Der Riss & Zwiespalt im Volk müsste auf diese Art nur noch grösser werden & es ist nicht einzusehen, wie Herr Peer noch segensreich sollte wirken können. Wenn, was wir zwar bedauern & und nicht wünschen würden, bedauerliche Auftritte vorkommen sollten, falls Herr Hofrat Peer ins Land kommt, so tragen jene die Verantwortung, die hartnäckig an dieser missliebigen Kandidatur festhalten & sich der Aufklärung verschliessen. Die Folgen werden keine guten sein. Für Herrn Peer ist unser Land kein Wirkungsfeld.
    Wenn anscheinend Herrn Hofrat schon feste Zusagen gemacht worden sind, so ist das bedauerlich, aber es vermag dies unseren wohlbegründeten Standpunkt in keiner Weise zu ändern. Diese Zusagen lassen sich gewiss noch lösen. Wir können nicht annehmen, dass Herr Hofrat Peer bei der Stimmung eines Grossteil des Volkes dennoch ins Land kommen will.
  3. Die Vertrauensmännerversammlung stellt weiter fest, dass sie dem Frieden zulieb bereit ist, folgenden Kompromissvorschlag zu stellen: Es wird eine aus Landesbürgern zusammengesetzte Regierung im Einvernehmen mit den Parteien & dem Landesfürsten bestellt. Dieser Regierung kann vorübergehend zur rascheren & gründlichen Erledigung der gegenwärtig obschwebenden Landesfragen ein auf volkswirtschaftlichem & administrativem Gebiete bewanderter Fachmann beigestellt werden. Bei den angestrebten & geplanten Beziehungen zur Schweiz kommt nach unserer Ansicht in erster Linie ein kath. schweiz. Mann & Praktiker in Frage, nicht aber ein Mann, dem die wertvollen Kenntnisse der dortigen Verhältnisse & Beziehungen grösstenteils abgehen.
  4. Die Vertrauensmännerversammlung bittet Eure Durchlaucht, dem Landesfürsten & andern massgebenden Stellen eindringlich zur Kenntnis zu bringen, dass die Volkspartei auf einer verhältnismässigen Vertretung in allen diesen zulässigen Behörden und Amtsstellen besteht.
    Sie bedauert lebhaft, dass gerade ihre Leute bei Stellenbesetzungen & bei Wahlen in Behörden übergangen werden. Bei diesem einseitigen Vorgehen wird das leider schon bestehende Misstrauen nur noch verschärft.

Diese Beschlüsse sind einstimmig gefasst worden.

Es hat die Vertrauensmännerversammlung herzlich gefreut, durch ein Mitglied des erlauchten Fürstenhauses aufgeklärt zu werden. Und wie Eure Durchlaucht selbst an der Versammlung in Anwesenheit von alten Männern mit Silberhaaren & von jüngeren Männern versichert wurde & heute nochmals versichert wird, richtet sich unsere Bewegung durchaus nicht gegen den regierenden Fürsten, den wir selbst hochschätzen & verehren. Wir bitten Eure Durchlaucht, diese unsere wiederholte Versicherung an höchster Stelle zur Kenntnis zu bringen. Aus den Ausführungen Eurer Durchlaucht am 22. Mai geht ausserdem hervor, dass der regierende Fürst eine aus Landesbürgern bestehende Regierung wünscht. Es ist demnach nicht einzusehen, weshalb diese Absicht nicht schon heute, allenfalls unter Berücksichtigung unseres Kompromissvorschlages soll verwirklicht werden können.

Wir bitten zum Schlusse Eure Durchlaucht dem durchlauchtigsten Landesfürsten diese unsere Stellungnahme in der Regierungsfrage  zur Kenntnis zu bringen & unserem leider im Auslande wohnenden Landesherrn unsere aufrichtigsten Wünsche & Grüsse von den Mitgliedern der Volkspartei zu überbringen. Wir sind überzeugt, dass Fürst & Volk zusammengehören und bei gegenseitig gutem Willen einen Ausweg zum Wohlergehen für das Land finden werden.

Genehmigen Eure Durchlaucht die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung!

Für die liechtenst. Volkspartei:

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[1] LI PA VU, Schlossabmachungen, Nr. 3. Ediert in: Die Schlossabmachungen vom September 1920. Studien und Quellen zur politischen Geschichte des Fürstentums Liechtenstein im frühen 20. Jahrhundert, hrsg. von der Vaterländischen Union, Vaduz 1996, S. 165–168. Das Dokument stammt aus dem Nachlass von Gustav Schädler und wurde von dessen Söhnen dem Parteiarchiv der Vaterländischen Union übergeben.
[2] Vgl. O.N., Nr. 38, 12.5.1920, S. 1f. ("Die grosse Volks-Demonstration vom 9. Mai 1920 in Vaduz, ein historischer Tag").
[3] Vgl. LI LA SF 01/1920/072, Resolution Volkspartei, 18.4.1920.
[4] Vgl. LI LA SF 01/1920/072, Entschliessung Volkspartei, 25.4.1920.
[5] Wohl O.N., Nr. 35, 1.5.1920, S. 1f. ("Protest"); Nr. 38, 12.5.1920, S. 1f. ("Die grosse Volks-Demonstration vom 9. Mai 1920 in Vaduz, ein historischer Tag"); Nr. 37, 8.5.1920, S. 1 ("Fremdes ist nicht eigen"); Nr. 36, 5.5.1920, S. 1f. ("Zur neuesten Frage"); Nr. 31, 21.4.1920, S. 1 ("Zur Landesverwesermache").