Maschinenschriftliches Protokoll von Prinz Eduard, Gesandter in Wien [1]
o.D. (vor 26.8.1919), verm. Vaduz
Information
über die Konferenz im Staatsamte für Äusseres vom 18. August 1919 über die Lösung des Zollvertrages. [2]
Anwesend:
Für das Staatsamt für Äusseres und als Vorsitzender der Konferenz: Generalkonsul [Richard] Fürth;
Als Vertreter des Staatsamtes für Finanzen: Oberfinanzrat [Richard] Blaha, Min.Rat [Otto] Bazant;
Als Vertreter des Staatsamtes für Verkehrswesen: Oberstaatsbahnrat Dr. Adolf Nowotny;
Als Vertreter des Staatsamtes für Inneres: Sektionsrat Berezina;
Als Vertreter des Staatsamtes für Handel und Gewerbe: Dr. Walter Catharin, Min.Sekretär.
Für das Fürstentum Liechtenstein:
Gesandter Prinz Eduard Liechtenstein und Legationssekretär Dr. [Alfred] v. Baldass.
Generalkonsul Fürth begrüsst die Erschienenen besonders Se. Durchlaucht den Herrn Gesandten und bemerkt, die Besprechung sei über Wunsch des Herrn Gesandten rasch einberufen worden, um die durch die neue Sachlage geschaffenen Verhältnisse zu erörtern.
Gesandter Prinz Liechtenstein setzt die Gründe der "Kündigung" auseinander und betont, dass kein unfreundlicher Akt gegen Österreich damit beabsichtigt sei. Man werde den Vertrag loyal einzuhalten versuchen, bis Österreich seinen neuen Grenzschutz organisiert habe, doch bitte er die Grenzschutzverlegung etwa mit 1. Oktober durchzuführen und neue Abmachungen wegen Grenzverkehr und Warenaustausch zu treffen, worüber Redner eingehend nach den erhaltenen Weisungen der fürstlichen Regierung spricht. Er bittet dem Lande auch weiter wohlwollend zu helfen.
Der Vertreter des Staatsamtes für Finanzen, Ministerialrat Bazant weist darauf hin, dass seine Äusserungen infolge der Kürze der Zeit einen rein informativen Charakter haben. Als Berater würden für die entgiltige Stellungnahme solche von den Finanzbehörden aus der Landesdirektion in Innsbruck und Feldkirch eingeladen werden. Die letzte Entscheidung würde vom Kabinettsrat getroffen werden. Die Informationen, welche das Staatsamt für Finanzen benötigt, würden in zirka 14 Tagen eingeholt sein können. Von einer "Kündigung" des Vertrages könne nicht die Rede sein, da der Vertrag bis 1924 läuft und eine einjährige Kündigungsfrist vorsehe. Deutschösterreich will aber der durch die Auflösung Österreichs geschaffenen Lage Rechung tragen und diese formelle Seite der Frage nicht weiter betonen. Ein Abschluss der gewünschten Abmachungen ist möglicherweise durchführbar, doch halte er die Neuordnung des Grenzschutzes bis zu diesem Zeitpunkte für unmöglich. Die Auflösung des Grenzschutzes erscheint namentlich deshalb verfrüht, weil die Sachlage über die neuen Verträge mit der Schweiz noch absolut nicht klargestellt ist.
Das Staatsamt für Finanzen verspricht das grösste Entgegenkommen, muss jedoch auf dem Standpunkte beharren, dass die Verhandlungen in Wien geführt werden. Verhandlungen der fürstlichen Regierung mit der Finanzbezirksdirektion Feldkirch könnten von derselben zwar geführt werden, würden aber einen absolut unverbindlichen Charakter haben, da die Bezirksdirektion nur einen verschwindenden Bruchteil der Exportartikel in der Hand hat, z.B. über Salz nicht verfügen kann, und die Entscheidung daher unter allen Umständen in Wien getroffen werden muss. In jedem Falle bitte er jedoch mit einem solchen Gedankenaustausch mit Vorarlberg erst zu beginnen, bis das Staatsamt für Finanzen seine Informationen von dieser Stelle eingeholt hat. Eine Voraussetzung für das Neu-Abkommen mit dem Fürstentume werde voraussichtlich die Abstempelung der Banknoten im Fürstentume sein.
Das Staatsamt für Finanzen weist darauf hin, dass der Zollvertrag für Deutschösterreich ausserordentlich ungünstig war, weshalb er selbst eine Reform desselben anstrebte. Die Vorteile des Fürstentumes gehen am deutlichsten aus der Salzfrage hervor, von welchem das Fürstentum jährlich 134'000 kg benötigt und das bisher zum Preise von K 9.02 für 100 kg geliefert wurde, gegenüber dem deutschösterreichischen Inlandpreis von K 47.–, zu dem nach Auflösung des Zollvertrages die Sackspesen im Betrage von K 10.– sowie die Transportspesen kommen würden. Die gesamten Kosten der höheren Finanzbehörden wurden von Deutschösterreich ganz allein getragen. Oberfinanzrat Blaha ist der Ansicht, dass das Fürstentum selbst im Falle es den Freihandel einführt, eines Apparates von Zollorganen nicht entraten kann, da infolge der internationalen Abmachungen, wie zum Beispiel über Thierseuchenkonvention u.s.w. eine Kontrolle der Ein- und Ausfuhr unbedingt notwendig ist und man gewisse Statistiken führen müsse. Er läge der fürstlichen Regierung die Übernahme der gegenwärtig in Liechtenstein tätigen Zollorgane nahe, da Österreich infolge der Verkürzung der Grenze, welche fast durchwegs durch unwegsames Gebirge führt, dieselben nicht braucht. Unter allen Umständen würden die Kosten für das Fürstentum ganz enorm sein.
Die Stellung des Fürstentumes würde überhaupt eine sehr schwierige werden, da sowohl die Schweiz als auch Deutschösterreich eine scharfe Grenzüberwachung einführen würden und der Export der beiden Länder nach dem Fürstentume in hohem Masse gedrosselt werden würde.
Auf Details hinsichtlich des Kompensationsverkehres könne das Staatsamt für Finanzen mangels entsprechender Informationen momentan noch nicht eingehen.
Als Grenzzollamt würde Feldkirch eingerichtet werden. Eine besondere Schwierigkeit bilde die Schaffung der Ubikationen für die neuen Zollämter und die Unterbringung der Finanzorgane.
Der Vertreter des Staatsamtes für Verkehrswesen glaubt zuerst, dass die Auflösung des Eisenbahnvertrages [3] eine Folge der Auflösung des Zollvertrages sei. Gesandter Prinz Liechtenstein macht darauf aufmerksam, dass er glaube, dass in dieser Hinsicht werde nichts geändert werden, vielmehr nur die Verlegung des Zollamtes von Buchs nach Feldkirch; der Vertreter des Verkehrsamtes nimmt dies zur Kenntnis und meint, demgemäss werde die Lösung des Zollvertrages auf den Eisenbahnverkehr nur insoweit einen Einfluss ausüben, als die Bahn Zollinteressen zu wahren hat. Als Grenze für den Lastzugsverkehr würde Feldkirch dienen. Die Frage der Abfertigung der Personen, der Eisenbahnfahrkarten u.s.w. könnte trotzdem durch ein Eigenabkommen geregelt werden.
Der Vertreter des Staatsamtes für Inneres hat gegen die Aufkündigung des Zollvertrages keine Einwendung zu erheben, da das Staatsamt für Inneres durch dieselbe nur in den Fragen des Grenzschutzes berührt wird. Die Rückverlegung dieses Grenzschutzes, die durch Finanzwache und Gendarmerie besorgt und in der letzten Zeit verstärkt wurde, ist ohne weiteres möglich und wird die nötige Veranlassung nach gepflogenen Einvernehmen mit der Landesregierung in Bregenz auf Wunsch unverzüglich getroffen werden.
Für den Grenzverkehr besteht schon gegenwärtig eine stabile Passkontrolle in Feldkirch, weshalb diesbezüglich eine Änderung nicht notwendig erscheint. Die ambulante Passkontrolle durch Patrouillen würde aus dem Fürstentume nach Vorarlberg rückverlegt werden. Das Staatsamt für Inneres hege den Wunsch, den kleinen Grenzverkehr möglichst zu erleichtern, wenn möglich nach Wiederkehr normaler Verhältnisse die Passfreiheit wieder einzuführen.
Der Vertreter des Staatsamtes für Handel und Gewerbe hat zur Auflösung des Zollvereines nichts zu bemerken.
Alle vertretenen deutschösterreichischen Staatsämter sind sich darin einig, dass das Fürstentum durch seine geographische Lage ein Verkehrszentrum von grösster Bedeutung bildet, namentlich, da dasselbe auch ein selbständiges Wirtschaftsgebiet darstelle. Dieses begründet eine Sonderstellung des Fürstentumes und dürfte die Lage desselben nach Auflösung des Zollvertrages mit Deutschösterreich ausserordentlich erschweren, da es sodann bei seiner exemptionellen, geographischen Lage zwischen zwei Zollgebieten vollkommen eingekeilt sein wird und alle Staaten ein besonderes Interesse daran haben werden, dass in diesem Verkehrszentrum geordnete Verhältnisse herrschen und so werden daraus dem Lande sicher grosse Kosten erwachsen, die bisher Deutschösterreich getragen hat.