Prinz Eduard spricht sich gegenüber Fürst Johann II. gegen die Ernennung eines Anhängers der Volkspartei zum fürstlichen Abgeordneten sowie gegen die Reduzierung der vom Fürsten zu ernennenden Landtagsabgeordneten aus (Fragment 2)


Unvollständiges maschinenschriftliches Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien, gez. Prinz Eduard, an Fürst Johann II. [1]

7.6.1919, Vaduz

[…] [2]

eine Vermehrung der Zahl der Abgeordneten über 15 abgelehnt wurde, [3] dies eine Reduktion, der von Euerer Durchlaucht zu ernennenden Abgeordneten notwendig erscheinen lasse.

[...] [4]

Ich vermöchte Euerer Durchlaucht auch durchaus nicht anzuraten, auf das wichtige Hoheitsrecht der Ernennung von 3 Abgeordneten auch nur teilweise zu verzichten, [5] bevor der Entwurf der Verfassung in ihrem ganzen Komplexe vorliegt und die Möglichkeit gibt, zu ermessen, inwieweit die Rechte des Landesfürsten in Hinkunft festgelegt sein werden. Bei der entsprechenden Sicherung dieser Rechte könnte unter Umständen, ja sogar auf die, wie meine heutige Unterredung mit Dr. [Martin] Ritter gezeigt hat, von ihm und wahrscheinlich auch von Dr. [Wilhelm] Beck gewünschte völlige Eliminierung der ernannten Abgeordneten eingegangen werden, welche ja zweifellos eine Einrichtung bedeuten, die im Allgemeinen in konstitutionellen Staaten nicht üblich ist. Solange diese sonstigen Sicherungen der Herrscherrechte in der Verfassung als Ersatz für das Recht der Ernennung von einem Fünftel des gesamten Landtages nicht vorliegen, sollte aber eine Schmälerung des gegenwärtigen verfassungsmässigen Herrscherrechtes nicht und schon gar nicht stückweise zugestanden werden.

Hiezu kommt noch folgende Erwägung:

Dr. Beck wünscht, und zwar bereits jetzt anlässlich der Ernennung eines Ersatzabgeordneten für den zurückgetretenen Dr. Albert Schädler [6] eine Ernennung, die unbedingt ehestens erfolgen muss, schon um bei den Beratungen über die Verfassungsänderung und den Zollvertrag und ähnliche wichtige Gesetze, den Landtag vollzählig zu haben, die Ernennung eines seiner Partei [7] nahestehenden Mannes zum Abgeordneten. Ich kann diesem Wunsche Dr. Becks an und für sich nicht das Wort reden, weil ich nach Rücksprache mit verschieden hiesigen Herren, deren Ergebenheit an Euer Durchlaucht ausser Zweifel steht, die Befürchtung nicht von mir weisen kann, dass die Aufnahme eines Anhängers Dr. Becks unter die drei ernannten Abgeordneten eine ungünstige Rückwirkung auf die durchaus verlässlichen Elemente der andern Partei [8] haben könnte, welche sich dadurch vor den Kopf gestossen fühlen dürften. Wir haben es ja hier nicht mit zwei Kammern zu tun, bei welchem System es allgemein üblich ist, dass Vertreter aller Parteien, also auch der oppositionellen in die erste Kammer berufen werden, sondern hier besteht nur eine Kammer und da erscheint es geradezu als Selbstmord, wenn die Regierung ihre eigene Opposition durch Ernennung eines Abgeordneten vermehrt, umsomehr, als das Oberland, welches ja der oppositionellen Richtung im höheren Grade zuneigt wie das Unterland, ohnehin die grössere Anzahl von Abgeordneten besitzt. Ich würde also unbedingt für den gegenwärtigen Fall der Ernennung des Ersatzabgeordneten für Dr. Schädler die Wahl eines Anhängers der Bürgerpartei empfehlen.

Es erscheint mir jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Wunsch Dr. Becks, dass auch seine Partei unter den ernannten Mitgliedern vertreten sei, auf die Dauer bei Aufrechterhaltung des Institutes der „Ernannten" nicht abgewiesen werden kann; dafür spricht die gleiche Erwägung wie bei der Ernennung von Mitgliedern aller Parteien in eine erste Kammer. Es würde dadurch zum Ausdruck gebracht, dass auch die Opposition eine Partei ist, die gewisse sachliche Forderungen erhebt, deren Berechtigung sich der Landesfürst nicht a priori verschliesst, dass aber die Partei als solche auf dem Standpunkte der Erhaltung der Selbständigkeit des Landes unter seiner Dynastie steht, in welcher Hinsicht die Volkspartei derzeit vielleicht noch nicht genügend Beweise ihrer Zuverlässigkeit erbracht hat. Für diesen Fall nun, dass die Ernennung eines Abgeordneten aus der Oppositionspartei zugestanden werden müsste, wird die Beibehaltung von 3 ernannten Abgeordneten erst recht notwendig sein, weil man sonst auf die Bildung der Majorität gar keinen Einfluss mehr besitzt, indem man gezwungen ist, jeder der beiden Parteien je einen Abgeordneten anzufügen. In diesem Falle erschiene es schon besser auf die ganze Ernennung zu verzichten, weil der Herrscher sich durch die Institution immer dem Vorwurfe aussetzt, einen nicht vom Volke gewählten und daher inkonstitutionellen gesetzgebenden Faktor zu haben, ohne dass ihm dabei ein effektiver Einfluss auf die Majoritätsbildung gewahrt bleibt.

Ich stelle daher Euerer Durchlaucht den tiefergebenen Antrag

1. Euere Durchlaucht wollen geruhen, die fürstliche Regierung zu beauftragen, je eher einen Vorschlag für die Ernennung eines Abgeordneten an Stelle des Dr. Schädler und zwar aus dem Kreise der Bürgerpartei zu erstatten und diese Ernennung dann ungesäumt durchführen. [9]

2. Euere Durchlaucht wollen mich ermächtigen, die Anfrage der fürstl. Regierung vom 12. Mai 1919 ZI. 2230 [10] dahin zu beantworten, dass Euere Durchlaucht sich vorbehalten, über die Frage ob in Hinkunft 2 oder 3 ernannte Abgeordnete verfassungsgemäss vorgesehen sein sollen, erst dann schlüssig zu werden, bis der Entwurf der neuen Verfassung in ihrer Gesamtheit Euerer Durchlaucht vorgelegt erscheint. [11]

Ergänzend füge ich noch bei, dass ich einer Zeitungsnotiz entnahm, dass Dr. Emil Beck mit dem Entwurfe einer Verfassung betraut sei. [12] Diese Zeitungsnotiz scheint irrig. [13] Dr. Beck erklärte mir in Bern einen Auftrag nicht zu haben. Heute sprach mir Dr. Ritter davon und teilte mir mit, man sei erstaunt, dass Euere Durchlaucht ohne Kenntnis der Regierung Dr. Beck mit der Ausarbeitung der Verfassung betraut hätten, worauf ich ihn aufklärte, dass ich von der Sache nur durch die Zeitung wisse und geglaubt habe, Dr. Emil Beck sei von der Regierung im Gegenstande beauftragt. Dr. Ritter wies aber auch weiter daraufhin, dass seinem Empfinden nach die ganze angekündigte Verfassungsänderung überhaupt einschlafe und dass nichts in der Sache geschehe, was in der Bevölkerung vielfach verstimme. Einen Hinweis Euerer Durchlaucht auf eine Verfassungsänderung, wie ich ihn in meinem Antrag sub 2 angedeutet habe, würde daher zweifellos einen guten Eindruck machen, weil er erkennen liesse, dass Euere Durchlaucht selbst die baldige Vorlage des Verfassungsentwurfes in seiner Gesamtheit erwarten.

Genehmigen Euere Durchlaucht den Ausdruck meiner tiefsten Ehrfurcht 

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[1] LI LA SF 01/1919/o.Nr. U.a. handschriftlicher Vermerk: „lag im Akt ganz hinten". Die Seite 1 und 2 dieses Dokumentes fehlen bis auf zwei kurze Fragmente. Die fehlenden Teile dieser Quelle finden sich im Dokument mit der Signatur LI LA V 003/0843. Im Gegensatz zu letzterem enthält das Dokument LI LA SF 01/1919/o.Nr. den maschinenschriftlichen Teil der Seite 6 und die Unterschrift des Prinzen Eduard.
[2] Fehlt im Dokument. Vgl. jedoch die Akte LI LA V 003/0843.
[3] Diese Textstelle bezieht sich auf die Volksabstimmung vom 2.3.1919, in welcher die Erhöhung der Zahl der vom Volk gewählten Angeordneten von 12 auf 17 abgelehnt wurde.
[4] Fehlt im Dokument. Vgl. jedoch die Akte LI LA V 003/0843.
[5] Nach § 55 der Verfassung vom 26. September 1862 idF des § 1 des Gesetzes vom 1. Januar 1918 betreffend die Abänderung der Landtagswahlordnung, LGBl. 1918 Nr. 4, wurden 3 der 15 Abgeordneten vom Fürsten ernannt.
[6] Vgl. das Schreiben von Dr. Albert Schädler an den Landtag vom 30.3.1919 (LI LA LTA 1919/L17).
[7] Angesprochen ist die Christlich-soziale Volkspartei.
[8] Es handelt sich um die Fortschrittliche Bürgerpartei.
[9] Es wurde schliesslich Dr. Eugen Nipp zum fürstlichen Abgeordneten ernannt.
[10] Landesverweser Prinz Karl ersuchte darin um die prinzipielle Zustimmung des Fürsten zum Landtagsbeschluss von 16.4.1919 betreffend die Abänderung des Landtagswahlrechts (LI LA V 003/0843; vgl. LI LA LTA 1919/S04). Vgl. ferner das Schreiben des Landtagsvizepräsidenten Friedrich Walser an die Regierung vom 30.4.1919 (LI LA RE 1919/2230 ad 71).
[11] Vgl. das Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien an die Regierung vom 10.6.1919: Fürst Johann II. behielt sich die Entscheidung über die Zahl der von ihm zu ernennenden Landtagsabgeordneten bis zur endgültigen Verfassungsrevision vor (LI LA RE 1919/2874 ad 71; LI LA V 003/0843).
[12] Die „Oberrheinischen Nachrichten" berichteten, dass die Verfassungskommission beschlossen habe, den Privatdozenten Dr. Emil Beck in Bern mit der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfes zu beauftragen (O.N., Nr. 37, 24.5.1919, S. 2 („Die Verfassungskommission").
[13] Der nachstehende maschinenschriftliche Text fehlt im obgenannten Dokument mit der Signatur LI LA V 003/0843 (siehe Fussnote 1).