Unvollständiges maschinenschriftliches Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien (Prinz Eduard) an Fürst Johann II. [1]
7.6.1919, Vaduz
Euere Durchlaucht!
Mit Bericht vom 5. Mai 1919 ZI. 5230 [2] hat die fürstl. Hofkanzlei Euerer Durchlaucht den Bericht Seiner Durchlaucht des Herrn Landesverwesers [Prinz Karl] vom 25. April 1919 Zl. 2023 [3] unterbreitet, in welchem der Herr Landesverweser über die am 16. April 1919 gefassten Landtagsbeschlüsse [4] Bericht erstattet ohne eine Stellungnahme Euerer Durchlaucht zu erbitten. In seinem weiteren Berichte vom 12. Mai l.J. ZI 2230 [5] verweist der Herr Landesverweser auf den Beschluss des Landtages, nach welchem das Oberland in Hinkunft 8, das Unterland 5 Abgeordnete haben soll, während die von Euerer Durchlaucht zu ernennenden Abgeordneten von 3 auf 2 verringert werden sollen und bittet Euer Durchlaucht wollen diesen Beschluss, für welchen eine Begründung nicht angegeben wird, die prinzipielle Zustimmung erteilen.
Nach meinen mündlich vom Herrn Landesverweser eingeholten Informationen wird die Begründung für diesen Landtagsbeschluss, welcher von den vom Landtage am 10. Dezember 1918 [6] eingenommenen Standpunkt abweicht, [7] dahin gegeben, dass das Verhältnis der Bevölkerungszahl des Ober- und Unterlandes das Verhältnis der Abgeordneten von 8 zu 5 rechtfertige und dass anderseits nachdem durch Volksabstimmung vom 2. März eine Vermehrung der Zahl der Abgeordneten über 15 abgelehnt wurde, [8] dies eine Reduktion, der von Euerer Durchlaucht zu ernennenden Abgeordneten [9] notwendig erscheinen lasse.
Gestatten Euer Durchlaucht, dass ich, ohne den Anträgen des berufenen Herrn Landesverwesers entgegentreten zu wollen, Euerer Durchlaucht meinen Gedankengang in diesem Belange pflichtgemäss nachstehend entwickle.
Die Volksabstimmung vom 2. März war durch den Wunsch einer Partei [10] im Lande hervorgerufen, die eine Vermehrung der Abgeordneten auf 20 begehrte. Dieses Begehren wurde durch die Volksabstimmung abgelehnt. [11] Es war aber hiebei gewiss nicht die Frage Gegenstand der Volksabstimmung, ob Euer Durchlaucht überhaupt keine Abgeordneten mehr zu ernennen berechtigt sein sollen, beziehungsweise ob die Zahl dieser Abgeordneten zu verringern sei. Diese Frage ist aber immerhin so wichtig, dass ich nicht dazu anraten möchte, ohne weiters aus dem Resultate dieser Volksabstimmung den Schluss auf eine Verringerung der von Euer Durchlaucht zu ernennenden Abgeordneten ziehen zu lassen. Wenn, was ich nicht bezweifeln will, das ziffernmässige Verhältnis der Wähler oder der Bevölkerung des Ober- und Unterlandes eine Vermehrung der Abgeordneten des Oberlandes um einen Vertreter geboten erscheinen lässt, so glaube ich, dass diese Vermehrung in dem neuen Verfassungsentwurf trotz des Plebiszites, welches nur eine viel weitgehendere Vermehrung der Mandate ablehnte, erfolgen könnte, ohne dass dadurch notwendigerweise die Zahl der ernannten Abgeordneten verringert werden müsste. Eine Vermehrung der Zahl aller Abgeordneten von 15 bis 16 wird sich durch die Ziffernverhältnisse zwischen Ober- und Unterland in der Öffentlichkeit immer leicht rechtfertigen lassen. [12]
Ich vermöchte Euerer Durchlaucht auch durchaus nicht anzuraten, auf das wichtige Hoheitsrecht der Ernennung von 3 Abgeordneten auch nur teilweise zu verzichten, bevor der Entwurf der Verfassung in ihrem ganzen Komplexe vorliegt und die Möglichkeit gibt, zu ermessen, inwieweit die Rechte des Landesfürsten in Hinkunft festgelegt sein werden. Bei der entsprechenden Sicherung dieser Rechte könnte unter Umständen, ja sogar auf die, wie meine heutige Unterredung mit Dr. [Martin] Ritter gezeigt hat, von ihm und wahrscheinlich auch [von] Dr. [Wilhelm] Beck gewünschte völlige Eliminierung der ernannten Abgeordneten eingegangen werden, welche ja zweifellos eine Einrichtung bedeuten, die im Allgemeinen in konstitutionellen Staaten nicht üblich ist. Solange diese sonstigen Sicherungen der Herrscherrechte in der Verfassung als Ersatz für das Recht der Ernennung von einem Fünftel des gesamten Landtages nicht vorliegen, sollte aber eine Schmälerung des gegenwärtigen verfassungsmässigen Herrscherrechtes nicht und schon gar nicht stückweise zugestanden werden.
Hiezu kommt noch folgende Erwägung:
Dr. Beck wünscht und zwar bereits jetzt anlässlich der Ernennung eines Ersatzabgeordneten für den zurückgetretenen Dr. Albert Schädler [13] eine Ernennung, die unbedingt ehestens erfolgen muss, schon um bei den Beratungen über die Verfassungsänderung und den Zollvertrag und ähnliche wichtige Gesetze, den Landtag vollzählig zu haben, die Ernennung eines seiner Partei nahestehenden Mannes zum Abgeordneten. Ich kann diesem Wunsche Dr. Becks an und für sich nicht das Wort reden, weil ich nach Rücksprache mit verschieden hiesigen Herren, deren Ergebenheit an Euer Durchlaucht ausser Zweifel steht, die Befürchtung nicht von mir weisen kann, dass die Aufnahme eines Anhängers Dr. Becks unter die drei ernannten Abgeordneten eine ungünstige Rückwirkung auf die durchaus verlässlichen Elemente der andern Partei [14] haben könnte, welche sich dadurch vor den Kopf gestossen fühlen dürften. Wir haben es ja hier nicht mit zwei Kammern zu tun, bei welchem System es allgemein üblich ist, dass Vertreter aller Parteien, also auch der oppositionellen, in die erste Kammer berufen werden, sondern hier besteht nur eine Kammer und da erscheint es geradezu als Selbstmord, wenn die Regierung ihre eigene Opposition durch Ernennung eines Abgeordneten vermehrt, umsomehr, als das Oberland, welches ja der oppositionellen Richtung im höheren Grade zuneigt wie das Unterland, ohnehin die grössere Anzahl von Abgeordneten besitzt. Ich würde also unbedingt für den gegenwärtigen Fall der Ernennung des Ersatzabgeordneten für Dr. Schädler die Wahl eines Anhängers der Bürgerpartei empfehlen.
Es erscheint mir jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Wunsch Dr. Becks, dass auch seine Partei unter den ernannten Mitgliedern vertreten sei, auf die Dauer bei Aufrechterhaltung des Institutes der „Ernannten" nicht abgewiesen werden kann, dafür spricht die gleiche Erwägung wie bei der Ernennung von Mitgliedern aller Parteien in eine erste Kammer. Es würde dadurch zum Ausdruck gebracht, dass auch die Opposition eine Partei ist, die gewisse sachliche Forderungen erhebt, deren Berechtigung sich der Landesfürst nicht apriori verschliesst, dass aber die Partei als solche auf dem Standpunkte der Erhaltung der Selbständigkeit des Landes unter seiner Dynastie steht, in welcher Hinsicht die Volkspartei derzeit vielleicht noch nicht genügend Beweise ihrer Zuverlässigkeit erbracht hat. Für diesen Fall nur, dass die Ernennung eines Abgeordneten aus der Oppositionspartei zugestanden werden müsste, wird die Beibehaltung von 3 ernannten Abgeordneten erst recht notwendig sein, weil man sonst auf die Bildung der Majorität gar keinen Einfluss mehr besitzt, indem man gezwungen ist, jeder der beiden Parteien je einen Abgeordneten anzufügen. In diesem Falle erschiene es schon besser auf die ganze Ernennung zu verzichten, weil der Herrscher sich durch die Institution immer dem Vorwurfe aussetzt, einen nicht vom Volke gewählten und daher inkonstitutionell gesetzgebenden Faktor zu haben, ohne dass ihm dabei ein effektiver Einfluss auf die Majoritätsbildung gewahrt bleibt.
Ich stelle daher Euerer Durchlaucht den tiefergebenen Antrag
1. Euerer Durchlaucht wollen geruhen, die fürstliche Regierung zu beauftragen, je eher einen Vorschlag für die Ernennung eines Abgeordneten an Stelle des Dr. Schädler und zwar aus dem Kreise der Bürgerpartei zu erstatten und diese Ernennung dann ungesäumt durchführen. [15]
2. Euere Durchlaucht wollen mich ermächtigen, die Anfrage der fürstl. Regierung vom 12. Mai 1919 ZI. 2230 dahin zu beantworten, dass Euere Durchlaucht sich vorbehalten, über die Frage ob in Hinkunft 2 oder 3 ernannte Abgeordnete verfassungsgemäss vorgesehen sein sollen, erst dann schlüssig zu werden, bis der Entwurf der neuen Verfassung in ihrer Gesamtheit Euerer Durchlaucht vorgelegt erscheint. [16]
Ergänzend füge ich noch bei, dass ich einer Zeitungsnotiz entnahm, dass Dr. Emil Beck mit dem Entwurfe einer Verfassung betraut sei. Diese Zeitungsnotiz erscheint irrig. [17]