Ein Zuschauer berichtet im Liechtensteiner Volksblatt begeistert über die Aufführung des Freilichtspiels „Herr Walther von der Vogelweide" auf Schloss Vaduz


Zeitungsbericht, gez. "Ein Zuschauer" [1]

Die Freilichtspiele auf Schloss Vaduz [2]

Herr Walter von der Vogelweide: „Wer sein vergässe, der tät uns leide." Der alte Hugo von Trimberg, dem die Erinnerung an den grössten Liederdichter des 13. Jahrhunderts diese warmherzigen Verse eingab, hätte jedenfalls seine helle Freude an den Liechtensteinern, die durch die Wiedergabe des Spieles „Walter von der Vogelweide" beweisen, dass auch sie den grössten Minnesänger, den Sänger der mittelhochdeutschen Zeit, nicht vergessen haben.

Durch dieses Spiel ehren wir nicht nur das Andenken an einen grossen „Sänger“, sondern vielfach noch dasjenige an einen überragenden Dichter, an einen edlen Menschen, der nicht nur der Liebe im engern Sinne das Loblied dichtete und sang, sondern der die erhabensten Worte, die schönsten Töne gerade dann fand, wenn es sich um Glaube und Heimat, um Wahrheit und Recht, um die sittliche Hebung, das Wohl und Wehe seines geliebten deutschen Volkes handelte. Wir ehren in ihm den Mann, der nicht nur mit Worten stritt, sondern sein Leben in die Schanze schlug, um seiner Überzeugung opfermutigen Ausdruck zu verleihen.

Der Verfasser dieses vaterländischen Burgenspieles, Lektor Rudolf Lorenz, versetzt uns ins 13. Jahrhundert, in die Zeit der Burgen, Ritter und Edelfrauen, der Knappen, Pagen und Edelfräulein, der fahrenden Sänger und wandernden Dichter, in die Zeit, wo Licht und Schatten so herb umeinander stritten.

Mit feinem Verständnis sind die Walterschen Lieder in das Stück verwoben, zu einem dramatisch wirkenden Ganzen verbunden. Auch die Übersetzung ins Neuhochdeutsche ist recht gut geglückt. Um uns ein Bild von der Sprache Walters von der Vogelweide, der deutschen Nachtigall vom Vogelweidhof im tirolischen Eisacktale zu machen, wollen wir ihn in eigener Zunge reden und dann die Übersetzung folgen lassen, wie sie sich im Textbuch findet. Wählen wir als Probestück das Loblied auf deutsche Art und Sitte und besonders auf die deutsche Frau:

„Tiusche man sint wol gezogen;
Rehte als engel sint diu wip getan;
Swer si schildet, derst betrogen:
Ich erkan sin anders niht verstan.
Tugent unt reine Minne,
Swer die suochen wil,
Der sol komen in unser lant: da ist wüne vil.
Lange müeze ich leben dar inne!"

Das klang so vor 600 Jahren! Dringt uns Alemannen dieser Klang nicht heimelig vertraut ins Ohr? Muss ich die Übersetzung noch folgen lassen? Nein! Jeder komme selbst und schaue und höre! Er kaufe sich spätestens auf Schloss Vaduz vor dem Spiele um billiges Geld das Büchlein, dann wird er um so besser den schönen Klängen folgen können, und Auge und Ohr bringen ihm dann doppelt zum Bewusstsein, wie schön das sitzt und klingt und singt.

Und damit zur Erstausführung am letzten Sonntag! Mit einem Wort: Prächtig! Allen mitwirkenden Kräften, allen, die überhaupt zum Gelingen des Spieles beitrugen, gebührt neidloses Lob. Wohl zeigten sich da und dort noch kleine Ritzchen, wohl war es erkenntlich, dass nicht alles Berufsschauspieler sind wie der Darsteller der Hauptrolle, Hofschauspieler [Richard] Hahn, aber das Spiel in der Gesamtwirkung war des brausenden Beifalles der Zuschauer würdig. Kaum hätte ichs für möglich gehalten, dass einfache Männer und Frauen, Burschen und Mädchen so Treffliches leisten können. Das war kein fades Herunterleiern, da pulste Leben, sprach Erleben!

Wie lieblich die Reigen, klingend die Lieder! Wie stolz die Ritter zu Pferde, wie hinreissend das Spiel! Wie schön die Musik von Schwier! Wie feingestimmt das starke Orchester, dirigiert vom fürstl. Musikdirektor Brender! Wie prächtig die reichen Kostüme! Wie einzig schön die Naturbühne vor dem Fürstenschloss Vaduz, diesem lebenden Zeugen aus jenen fernen Zeiten, selbst ein Stück Mittelalter! Und unten tief im lachenden Tale die rauschenden Wogen des Rheins, fernher grüssend die massigen Schweizerberge! Alles, Spiel und Szene, ein Ganzes! Ein Schönes!

Gegen 100 Mitwirkende zählt das Spiel. Möge die Zahl der Zuschauer das Hundertfache sein! Denn gar herrlich ists zu schauen, gar bequem ists einem gemacht auf den über 1300 Sitzplätzen. Nehmen wir dazu die Liegeplätzchen im weichen Grase, dann können bei 2000 Personen dem schönen Spiele folgen, wie schon bei der Erstausführung eine erfreulich hohe Zahl, darunter der amerikanische und österreichische Konsul von St. Gallen, dies taten.

Auch für reichliche und gute Atzung vor und nach dem Spiele und während der Zwischenpause ist bestens gesorgt. Für auswärtige Besucher ist Fahrgelegenheit von und nach den Zügen. —

Und dieses Spiel ists wert, dass tausende von nah und fern es besuchen. Niemand wird enttäuscht nach Hause kehren. Ich sah die prächtigen Freilichtspiele auf dem Hohentwil: das Spiel auf Schloss Vaduz hat mich in mindestens ebenso hohem Grade befriedigt. Jeder Liechtensteiner in erster Linie sollte es sich zur Pflicht machen, das Spiel zu schauen, das so herzlich erfreut, für das so Viele Arbeit und Mühe nicht scheuten, das Spiel, das durch die Munifizierung unseres gütigen Landesfürsten [Johann II. von Liechtenstein] ermöglicht wurde, das Spiel, dessen Held ein Mann, der das Hohe Lied der deutschen Heimat gesungen. Dann wird der Liechtensteiner, wird aber auch jeder freundnachbarliche Gast von Süd und West, Nord und Ost mit Walter von der Vogelweide von seinem eigenen Heimatlande doppelt freudig singen:

„Lange müeze ich leben darinne!"

Ein Zuschauer.

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[1] L.Vo. 5.7.1924, S. 1.
[2] Aufgeführt wurde das Stück "Herr Walther von der Vogelweide. Vaterländisches Burgenspiel" von Rudolf Lorenz, Musik von Heinz Schwier. Für die Freilichtspiele auf Schloss Vaduz wurde der Text des Freilichtspiels, der 1923 in Kufstein erschienen war, von der Druckerei Kaiser in Vaduz erneut herausgegeben.