Maschinenschriftliche Note des österreichischen Bundesministeriums für Verkehrswesen, gez. Sektionschef Otto Müller-Martini, an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien [1]
29.12.1920, Wien
Frankenzuschuss der Eisenbahner im Fürstentume
An die Fürstlich Liechtensteinische Gesandtschaft in Wien I., Löwelstrassse 12
Die überaus schwerwiegende Mehrbelastung des Betriebshaushaltes der österr. Staatsbahnen durch die Aufwendungen für die Beihilfen in Schweizer Franken, (die wir den in Liechtenstein verwendeten österreichischen Staatsbediensteten seit längerer Zeit und zwar in bereits wiederholt erhöhtem Masse gewähren müssen, um ihnen in der wirtschaftlichen Bedrängnis beizustehen, in die sie durch den im Fürstentum Liechtenstein vorerst via facti, in letzterer Zeit (Gesetz vom 27. August 1920, L.G.Bl. Nr.8) [2] zum Teile auch bereits gesetzlich verfügten Übergang von der Kronen- zur Frankenwährung gelangt sind) erheischt auch unserer Ansicht nach dringend die Bereitstellung einer besonderen Bedeckung für diese Mehrausgaben. Wenngleich die Liechtensteinische Regierung in dankenswerter Weise ab 1. Mai 1920 die hälftige Anteilnahme an den zum gleichen Zeitpunkte mit monatlich insgesamt 4000 Schweizer Franken bemessenen Beihilfen übernommen hat, [3] ist dennoch die der österr. Staatsbahnverwaltung aus der Gewährung dieser Beihilfen erwachsenen Belastung im Zusammenhange mir der zunehmenden Entwertung der österreichischen Währung in fortgesetzter Steigerung begriffen und überdies stehen wir vor der Notwendigkeit, in allernächster Zeit abermals mit einer Erhöhung dieser Beihilfen auf den Monatsbetrag von 6000 Schweizer Franken vorgehen zu müssen.
Ihrer neuerlich gegebenen Anregung, die Bedeckung für die Aufwendungen an Frankenzuschüssen im Wege der Einhebung der Fahr- und Frachtgebühren in Liechtenstein in Frankenwährung zu beschaffen, können wir im Hinblicke auf die einer solchen Massnahme entgegenstehenden tarifpolitischen, insbesonders aus dem Gesichtspunkte der gebotenen Gleichmässigkeit der Tarifgrundlagen abzuleitenden Bedenken nicht näher treten.
Dagegen nehmen wir die Einhebung einer etwa als „Liechtensteinischer Grenzzuschlag“ zu bezeichnenden Zuschlagsgebühr für den Personen- und Gepäcksverkehr von, nach und über Liechtenstein (also im Lokal- und Transitverkehr) in Aussicht, die wir mit
1 Schweizer Franken für jede Fahrkarte der III. Wagenklasse
2 Schweizer Franken für jede Fahrkarte der II. Wagenklasse
4 Schweizer Franken für jede Fahrkarte der I. Wagenklasse
und mit 0.5 Schweizer Franken für je 100 kg Reisegepäck zu bemessen beachsichtigen.
Das Erträgnis dieser Zuschlagsgebühr, deren Einführung mit möglichster Beschleunigung erfolgen soll, [4] dürfte nach unserer Ansicht hinreichen, um das Erfordernis für die unseren Eisenbahnbediensteten in Liechtenstein auch fernerhin allmonatlich zu gewährenden Unterstützungen in Schweizer Franken, deren monatliches Gesamtausmass wir gleichzeitig mit der Einführung dieser Zuschlagsgebühr auf 6000 Schweizer Franken zu erhöhen beabsichtigen, zu bedecken.
Bis zu diesem Zeitpunkte, den wir im Hinblicke auf die vorgeschriebenen Verlautbarungsfristen frühestens mit dem 1. Februar 1921 annehmen können, hoffen wir für die mehrerwähnten Beihilfen noch mit dem Monatsausmasse von 4000 Schweizer Franken das Auslangen zu finden.
Gleichzeitig bitten wir die fürstliche Regierung, die uns für die Monate Mai, Juni und Juli 1920 geleisteten hälftigen Beiträge zu diesen Monatsbeihilfen auch für die in Aussicht genommenen Zuschlagsgebühr, demnach mindestens für die Monate August 1920 bis einschliesslich Jänner 1921 zukommen zu lassen und sohin den Betrag von 12'000 Schweizer Franken bei unserer unter einem angewiesenen Hauptkassa baldgefälligst einzahlen zu wollen. [5]
Für den Bundesminister für Verkehrswesen:
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[1] LI LA V 003/0917 (Aktenzeichen des Ministeriums: Z. 33782/Büro a. Aktenzeichen der Gesandtschaft: 33/1). Eingangsstempel der Gesandtschaft vom 11.1921. Verweis auf das Schreiben der Gesandtschaft vom 6.10.1920 unter der Zahl 383/5: In diesem hatte der liechtensteinische Gesandte Prinz Eduard von Liechtenstein die seinerzeit gemachte Anregung, die Fracht- und Fahrgebühren auf der Eisenbahnstrecke durch Liechtenstein in Franken einzuheben, wieder aufgegriffen, „um einem neuerlichen unangenehmen Streik [der Eisenbahner] zuvorzukommen“ (LI LA V 003/0915). Weiters Verweis auf eine mündliche Besprechung mit Landesverweser Josef Peer.
[2] Vgl. das Gesetz vom 27.8.1920 betreffend die Umwandlung der Kronenbeträge in den Gesetzen und Verordnungen über Steuern, Stempel, Taxen und sonstigen Gebühren sowie in den Strafbestimmungen, LGBl. 1920 Nr. 8.
[3] Vgl. dazu das Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien an die liechtensteinische Regierung vom 29.4.1920 betreffend die Verhandlungen mit den österreichischen Staatsämtern für Verkehrswesen, Äusseres und Finanzen über Auszahlung von Frankenzuschüssen an die in Liechtenstein beschäftigten Eisenbahnbediensteten. Der Gesandte Prinz Eduard hatte sich namens des Fürsten Johann II. dazu bereit erklärt, der österreichischen Bahnverwaltung darlehensweise einen 50%igen Anteil am Frankenzuschuss für die Eisenbahner für die Monate Mai, Juni und Juli, somit insgesamt 6000 Franken, zur Verfügung zu stellen (LI LA V 003/0914 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 302/5 1920)).
[4] Bereits ab dem 1.2.1921 wurden im Verkehr der Stationen Buchs, Schaan, Nendeln und Schaanwald zueinander als auch mit anderen Stationen bei allen Zügen „Grenzzuschläge“ in Franken eingehoben (Öst. Verordnungs-Blatt für Eisenbahnen, Schiff- und Luftfahrt, Veröffentlichungen in Tarif- und Transportangelegenheiten, Nr. 4, 14.1.1921).
[5] Auf Grund des Vortrages von Prinz Eduard bei Fürst Johann II. am 19.01.1921 wurde die Auszahlung von 12'000 Franken verfügt und zwar zunächst von der Schweizerischen Kredit-Anstalt in Zürich an die Regierung in Vaduz, da eine Übersendung der Franken nach Österreich nicht möglich war (Nachtrag vom 20.1.1920 zum Bericht von Prinz Eduard an Fürst Johann II. vom 19.1.1920 (LI LA V 003/0917 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 33/2 1921)).