Regierungschef Josef Ospelt unterstützt die Eingabe des Liechtensteinischen Arbeiterverbandes an Fürst Johann II. um die Schaffung von Arbeitsgelegenheiten und schlägt die Finanzierung von Strassenbauarbeiten vor


Maschinenschriftlicher Bericht von Regierungschef Josef Ospelt, gez. ders., an Fürst Johann II. [1] 

20.5.1921 

Durchlaucht! 

Bericht des treugehorsamsten Landesverwesers 

vom 20. Mai 1921, Zl. 2078/Reg.

betreffend

die Eingabe [2] des liechtensteinischen Arbeitnehmerverbandes um Schaffung von Arbeitsgelegenheit.

Euere Durchlaucht!

Beiliegend erlaube ich mir eine Eingabe des liechtensteinischen Arbeiterverbandes, die die Bitte um Schaffung von Arbeitsgelegenheit enthält, mit folgendem ehrfurchtvollsten Berichte zu unterbreiten:

Seit mehr als Jahresfrist und insbesondere während des abgelaufenen Winters hat die Schweiz einer grösseren Anzahl Arbeiter die Aufenthaltsbewilligung entzogen beziehungsweise die Einreiseerlaubnis verweigert, mit der Begründung, dass in der Schweiz selbst grosser Mangel an Arbeitsgelegenheit herrsche.

Ich habe mich im Wege unserer Gesandtschaft während des heurigen Frühlings mehrfach bemüht, die Möglichkeit zu schaffen, dass einer Anzahl liechtensteinischer Arbeiter der Aufenthalt in der Schweiz wieder gestattet werde.

Laut einer dieser Tage eingelangten Mitteilung [3] unserer Berner Gesandtschaft sind jedoch gegenwärtig die Verhältnisse auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt denkbar ungünstig und es kann nur durch besonderes Entgegenkommen des politischen Departements etwas erreicht werden. Ich werde die Bemühungen in dieser Richtung fortsetzen. Es besteht jedoch wenig Hoffnung, dass für ungelernte Arbeiter, die gerade unter den liechtensteinischen Arbeitslosen die Mehrzahl bilden, etwas erreicht wird.

Die Vertreter des Arbeiterverbandes habe ich angewiesen, mit den liechtensteinischen Gemeinden wegen Schaffung von Arbeitsgelegenheit Fühlung zu nehmen. [4] Man stösst jedoch überall auf die grosse Schwierigkeit, die in der Beschaffung von Barmitteln gelegen ist.

Die Staatsverwaltung ist zum Beispiel darauf angewiesen, überall Einsparungen zu versuchen, anstatt sie in der Lage wäre, auch ihrerseits vermehrte Arbeitsgelegenheit zu schaffen.

Sowohl bei der Arbeitsnachweisstelle des liechtensteinischen Arbeiterverbandes als bei privaten und öffentlichen Unternehmungen erscheinen täglich Bewerber um Arbeit, ohne dass ihnen entsprochen werden kann.

Die Eingabe des Arbeitnehmerverbandes muss daher wärmstens befürwortet werden und ich erlaube mir in tiefster Ehrfurcht die Bitte zu unterbreiten, Euere Durchlaucht geruhen, diese Eingabe geneigtest in wohlwollende Erwägung zu ziehen.

In erster Linie dürfte im Falle einer gnädigsten Stattgebung die Fortführung des Strassenbaues von Stillböden durch den hochfürstlichen Privatwald bis zum Sommerhau in der Richtung gegen Triesenberg in Frage kommen. Da aber gerade diese Strecke einen der schwierigsten der ganzen geplanten Strasse ist, dürfte es sich empfehlen, zunächst den Herrn Forstmeister [Julius] Hartmann mit einer sofortigen Ausarbeitung des Kostenvoranschlages zu betrauen und im Falle, als Euer Durchlaucht weitere Mittel für diesen Strassenbau huldvollst bereitzustellen die Gnade hätten, die Vorarbeiten ehestens durchzuführen.

Inzwischen könnte vielleicht für eine kleinere Anzahl Arbeiter etwas Beschäftigung dadurch geboten werden, dass die Schwefelstrasse wieder etwas besser in Stand gesetzt wird, wofür vielleicht ein Kredit von etwa 1000-1500 Franken in Betracht käme. [5]

Vaduz, am 20. Mai 1921

Euerer Durchlaucht

treugehorsamst untertänigster

______________

[1] LI LA RE 1921/2078. Stenographische Bemerkungen. Verweis auf Beilage. Weiteres Exemplar des Berichtes ebd. mit einem Aktenvermerk der Regierung.
[2] Die undatierte, von Verbandspräsident Augustin Marogg unterzeichnete Eingabe wurde der Regierung am 13.5.1921 vorgelegt (LI LA RE 1921/2078). 
[3] Der liechtensteinische Geschäftsträger in Bern, Emil Beck, hatte der liechtensteinischen Regierung mit Schreiben vom 15.5.1921 mitgeteilt, dass die Verhältnisse auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt denkbar ungünstig seien. Die Einreise ausländischer Arbeiter sei fast ganz unterbunden, sodass Liechtenstein auf ein besonderes Entgegenkommen des Politischen Departementes angewiesen sei (LI LA RE 1921/2143 ad 1379 (Aktenzeichen der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern: Nr. 632/21)). Mit Schreiben an die Regierung vom 18.5.1921 führte Beck ergänzend aus, dass der von ihm am 16.5. kontaktierte Schweizerische Baumeisterverband nicht für die Erteilung von Einreisebewilligungen an liechtensteinische Arbeiter eintreten könne, da sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt dermassen verschlimmert habe (LI LA RE 1921/2166 ad 1379 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: Nr. 642/21)).
[4] Gemäss Aktenvermerk vom 26.4.1921 hatte Regierungschef Ospelt am 25.4. Augustin Marogg und den Leiter der Arbeitsnachweisstelle, Oswald Kindle, mündlich empfohlen, bei den Gemeinden dahingehend vorstellig zu werden, dass Aufenthaltsbewilligungen für ausländische Arbeiter nicht mehr so leicht ausgestellt werden und dass die Gemeinden Arbeitsgelegenheiten schaffen (LI LA RE 1921/1747 ad 1379/1556).
[5] Vgl. das Antwortschreiben des fürstlichen Kabinettssekretärs Josef Martin an Regierungschef Ospelt vom 4.6.1921 (LI LA RE 1921/2513 ad 2078 (Aktenzeichen der fürstlichen Kabinettskanzlei: Nro. 133)).