Josef Kindle ruft auf einer Arbeiterversammlung in Triesen zum Sturz der Regierung auf


Handschriftliche Anzeige von Hilfspolizist Josef Risch, gez. ders., an die Regierung [1]

18.4.1920, Triesen

Hohe fürstl. Regierung!

Erstatte der hohen fürstlichen Regierung die Anzeige, dass am Freitag den 16. April a. c. auf Abends 8 Uhr von der Ortsgruppe Triesen [2] eine Arbeiterversammlung einberufen wurde.

Da ich selbst Mitglied vom Arbeiterverein bin, so hatte ich Interesse an der Sache und nahm an der Versammlung anteil.

Obmann Augustin Marogg eröffnete die Versammlung und erteilte dem Wilhelm Smetana, Sternenwirt, das Wort. Dieser ergriff das Wort u. gab die Belehrung über die Vortragskunst und welche Regeln zu beobachten wären.

Erstens soll man langsam u. deutlich sprechen und niemals grob werden u. immer zur Sache sprechen.

Zirka um 9 Uhr kam noch der Zentralvorstand [Friedrich] Kaufmann. Derselbe wurde freundlich begrüsst und willkommen geheissen.

Um dem gegenwärtigen Wucher Einhalt zu thun, hauptsächlich über die nothwendigsten Lebensmittel wie Milch und Butter, wurde abgestimmt.

Dies wurde dann von ca. 50 Mitgliedern einstimmig beschlossen und gutgeheissen. [3]

Dann meldete sich Josef Kindle, No. 18 in Triesen, zum Wort.

Obmann Marogg erteilte dann dem Josef Kindle das Wort.

Dieser fing an zureden und sagt, jetzt wollen wir wieder einmal etwas anderes reden, nicht immer am alten Zeug herum machen.

Er stelle jetzt den Antrag, die Regierung zu stürzen, es sei jetzt an der Zeit, es geschehe doch nichts.  

Die ganze Versammlung war sehr bestürzt und Kindle bekam von niemanden Beifall.

Der Präsident Kaufmann trat Kindle ganz energisch entgegen. Kaufmann verlas dann verschiedene Punkte und betonte, dass die Regierung sehr viel entgegen gekommen sei, was man denn noch mehr wolle, man könne doch nicht alles auf einmal machen.

Zum Schlusse nahm ich noch mit Herrn Kaufmann Rücksprache über das Geschehen. Derselbe war sehr betrübt und glaubte, es mache dem Vereine kein Ansehen.

Ich stellte ihm den Antrag, solche Vereinsmitglieder aus dem Verein auszuschliessen. [4]

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[1] LI LA RE 1920/1836. Eingangsstempel der Regierung vom 20.4.1920.
[2] Es handelte sich dabei um eine Ortsgruppe des „Liechtensteinischen Arbeiterverbandes“.
[3] Vgl. das Schreiben des Arbeiterverbandes an die Regierung vom 27.4.1920 mit der Forderung nach Erlassung eines „strengen“ Wuchergesetzes für Lebensmittel und Bedarfsartikel (LI LA RE 1920/1969). Vgl. das Zins- und Wucher-Gesetz vom 24.11.1921, LGBl. 1921 Nr. 24, sowie den undatierten Motivenbericht der Regierung an den Landtag hiezu (LI LA RE 1921/1893).
[4] Josef Kindle, der auf den 24.4.1920 von der Regierung einbestellt wurde, bat auf eine Bestrafung wegen seiner unbedachten Äusserung zu verzichten. In seiner Entschuldigung führte er „tiefsinnig“ an, dass er nicht vom Sturz der Regierung, sondern nur vom Sturz der Regierungsräte gesprochen habe. Die Regierung verzichtete mit Rücksicht auf die Abreise Kindles zur Arbeitsannahme in die Schweiz auf eine Anzeige beim F.L. Landgericht und beliess es bei einer Verwarnung (LI LA RE 1920/1836 revers).