Der Landtag verabschiedet nach kontroverser Debatte das neue Jagdgesetz


Handschriftliches Protokoll der öffentlichen Landtagssitzung, gez. Landtagspräsident Friedrich Walser und Schriftführer Johann Wohlwend [1]

19.10.1921

Als vierter Verhandlungsgegenstand folgt nun

das Jagdgesetz.

Auf Antrag Peter Büchels liest der Präsident jeden Artikel vor. [2] Beim Art. 4 fragt Peter Büchel an, wie „umfriedet“ zu verstehen sei. Er wünsche da eine Erweiterung. Präsident und Reg.-Chef [Josef Ospelt] klären auf. – Abg. [Albert] Wolfinger bemerkt, in Balzers hätten die Füchse für einige hundert Franken Hühner gestohlen. Seine Früchte im Felde sollte der Bauer von Frühling bis Herbst selber schützen können. – Abg. [Gustav] Schädler sagt, auch ein Reh, das Rinde von jungen Bäumen abfresse, sei schädlich, worauf der Reg.-Chef erwidert, da müsse nach dem Gesetz Entschädigung gezahlt werden. – Wolfinger sagt weiter, für die Hühner bekomme man nichts und Schädler rügt, dass eine arme Frau, welcher ein Fuchs 16 Hühner gestohlen habe, um ihren Verdienst gekommen sei. – Dr. [Wilhelm] Beck liest dann das Thurgauer Gesetz hierüber. Zuletzt wird einstimmig folgender Zusatz im Art. 4, 3. Absatz, angenommen: In umfriedeten Gehöften oder in allernächster Umgebung nichtumfriedeter Gehöfte kann der Grundbesitzer etc.

Hierauf wird die Einteilungskarte herumgezeigt und betrachtet. – Abg. Schädler bringt vor, 27 mal komme das Wort Regierung vor im Gesetze; wenn man es heute annehme, mache nachher alles die Regierung, er würde den 3. Absatz im Art. 6 fallen lassen. – Der Präsident und der Reg.-Chef sind dafür, dass er stehen bleibe. Auf Anregung Dr. Becks wird im Art. 5 und im letzten Absatz des Art. 6 nach dem Worte „Gemeinden“ noch eingefügt „und Alpgenossenschaften“. Dr. Beck spricht kurz über Versicherungen gegen Jagd- und Wildschaden. – Abg. Peter Büchel verlangt im Art. 14, dass Verträge auch aufgelöst werden können, wenn die Valuta bedeutend sinke, er ist aber einverstanden damit, wenn die Sache im Versteigerungsprotokoll vorgesehen werde. Denn bei einem Valutasturz sei die Jagd ja umsonst. – Im Art. 15 wird „Eine gemäss § 4 freiwerdende Jagd“ abgeändert in „Eine gemäss § 14 freiwerdende etc.

Um 1 Uhr wird Mittagspause gemacht. Die Fortsetzung der Sitzung beginnt nach 4 Uhr. In der Nachmittagssitzung ist zuerst Fortsetzung des Jagdgesetzes beim Art. 16. Zum Art. 16, Absatz 1, wird folgender Zusatz beantragt: „Dieser Verteilungsmassstab gilt für 3 Jahre, nach deren Verlauf derselbe neu zu regeln ist.“ – Abg. Dr. Beck gibt die Erklärung ab, dass er nur dem Frieden zuliebe für den Art. 16 mit dieser Fassung stimme; er verlangt, dass diese Erklärung ins Protokoll aufgenommen werde. Abg. Dr. [Eugen] Nipp bemerkt, er hätte auch noch Bedingungen daran geknüpft, aber dem Frieden zuliebe stimme er dafür. In den Alpstatuten bestehe noch heute die Ungerechtigkeit, dass uneheliche Kinder die Alprechte der Mutter nicht erben können. Diese Sachen sollten heraus aus den Statuten, solche Kinder müssen vollberechtigt sein. Er verlange dies zu Protokoll. – Der Präsident hält es auch für einen Fehler, dass uneheliche Kinder bezüglich des Alprechtes nicht die Mutter erben können. Er sei dafür, dass die Sache für alle Gemeinden durch ein Gesetz geregelt werde. – Dr. Beck stimmt dem Prof. Dr. Nipp vollkommen bei, er würde auch dem unehelichen Vater das Erbrecht zusprechen.

Abg. [Johann] Hasler sagt, er stelle als Bedingung für die Annahme des Art. 16, dass man bessere Verhältnisse bekomme im Viehverkehr mit unsern Alpen in Vorarlberg. Er spricht auch von der Butterabgabe, die dort von unsern Alpen gefordert wurde. – Der Reg.-Chef erklärt in dieser Sache: Österreich sei von Deutschland so behandelt worden, deshalb sei es uns gegenüber auch so geschehen. Er wolle aber seinen Einfluss geltend machen und sei bereit, mit Österreich zu unterhandeln, nur möchten bald hierauf bezügliche Gesuche eingereicht werden. – Hierauf wird Art. 16 mit oben zitiertem Zusatze angenommen und zwar einstimmig.

Abg. [Franz Josef] Hoop entfernt sich wegen Unwohlseins.

Zum Art. 17 bespricht Abg. Büchel das Verhältnis des Jagdaufsehers zum Pächter. Der Jagdaufseher sollte auch seinen Pächter anzeigen müssen, wenn dieser sich verfehle, gewöhnlich sei aber der Aufseher vom Pächter abhängig und so würden die Muttertiere nicht geschont. – Der Präsident erinnert daran, dass die Oberaufsicht von der Regierung geführt werde. – Dr. Nipp macht seine Zustimmung zum Jagdgesetz auch davon abhängig, dass das Fischereigesetz in absehbarer Zeit verbessert werde. Im Art. 19 c) wird die Stelle „für einen Jagdgast für 3 Tage 3 Fr.“ abgeändert in „für einen Jagdgast bis zu 3 Tagen 5 Fr.“. Der letzte Satz im letzten Absatz wird gestrichen und dafür gesetzt: „Ausländer haben hiezu einen Zuschlag von 50 % zu bezahlen.“ – Im Art. 20 bei c), f) und g) wird der Druckfehler „Art. 59“ richtiggestellt in „Art. 44“. – Zum Art. 22 stellt der Abg. [Josef] Sprenger eine Anfrage wegen der Schonvorschriften. Dr. Nipp meint, auch Pächter können Raubbau betreiben. Dr. Nipp ist gegen die Sonntagsjägerei. Peter Büchel unterstützt ihn, er sei auch gegen die Nachtjagd. Auch Dr. Nipp unterstützt Dr. Beck und Peter Büchel und so erhält der Art. 25 einstimmig folgenden neuen Absatz:

„An Sonn- und Feiertagen sind Treibjagden und grössere Gesellschaftsjagden verboten. Ebenso ist in der Nähe von Ortschaften während des Hauptgottesdienstes an Sonn- und Feiertagen jedes Jagen untersagt.“ – Im Art. 32 anstatt „nicht aber mit Schusswaffen erlegt werden“ eingesetzt „aber nur unter Beobachtung der gegenüber Leben und Eigentum gebotenen Vorsicht erlegt werden.“ –  Der Art. 38 wird stilistisch verbessert und im 2. Absatz des Art. 41 wird das Wort „Beschwerde“ für „Berufung“ eingesetzt. Zum Art. 44 beantragt der Herr Reg.-Chef eine untere Strafgrenze für Jagdfrevel, zieht aber seinen Antrag zurück, da im Falle eines Zollvertrages mit der Schweiz sowieso Änderungen nötig würden. Im 2. Absatz dieses Artikels wird der Ausdruck „in Wäldern“ gestrichen. In Art. 52 wird die Klammer „(Art. 59)“ richtig gestellt in „Art. 44)“. – Hierauf wird über das ganze Gesetz abgestimmt und dasselbe einstimmig angenommen. [3]

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[1] LI LA LTA 1921/S04/2 (durchgestrichenes Aktenzeichen: No. 48 Landt). Die Debatte über das Jagdgesetz dauerte von morgens 9 Uhr 15 bis abends 7 Uhr 30 – abgesehen von einer dreistündigen Mittagspause. „Es herrschten teilweise bedeutende Meinungsverschiedenheiten“ im Landtag, wie die „Oberrheinischen Nachrichten“ berichteten (O.N., Nr. 82, 22.10.1921, S. 1 ((„Landtagssitzung vom 19. Okt. 1921“)). Das besagte Landtagsprotokoll wurde nicht in den Landeszeitungen publiziert. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die öffentliche Landtagssitzung vom 30.7.1921, in welcher der Regierungsantrag betreffend die von der Regierung bis zum 31.12.1921 provisorisch abgeschlossenen Jagdpachtverträge angenommen wurde (LI LA LTA 1921/S04/2).  Als Grundlage für die Beratungen im Landtag diente ein vom fürstlichen Forstrat Anton Anderka in Olmütz ausgearbeiteter und von Alt-Landesverweser Josef Peer überarbeiteter Gesetzentwurf, welcher nach der Vorsanktionierung durch Fürst Johann II. von der Regierung am 27.9.1921 der Finanzkommission des Landtages vorgelegt wurde (vgl. das Schreiben von Regierungschef Josef Ospelt an Fürst Johann II. vom 31.7.1921 mit Erledigungsvermerken von Kabinettsdirektor Josef Martin sowie des Regierungschefs (LI LA RE 1921/4245 ad 1786  (Aktenzeichen: 3384/reg.)). Vgl. auch die Stellungnahme von Forstmeister Julius Hartmann zum Gesetzentwurf vom 22.7.1921 (LI LA RE 1921/3384 ad 1786 (Aktenzeichen: Zl. 543/1921)). Vgl. das Jagdgesetz vom 30.10.1921, LGBl. 1921 Nr. 16; ferner die Verordnung vom 24.11.1921 betreffend die Feststellung der Form der Jagdkarten, LGBl. 1921 Nr. 17, und die Verordnung vom 24.11.1921 betreffend die Regelung der Schonzeiten für die jagdbaren Tiere, LGBl. 1921 Nr. 18. In Art. 54 Abs. 2 des neuen Jagdgesetzes wurde Jagdgesetz vom 3.10.1872, LGBl. 1872 Nr. 3, und das Gesetz vom 4.8.1894 betreffend die Schutzzeit des nützlichen Wildes und die Verwendung von Hunden zur Jagd, LGBl. 1894 Nr. 5, ausser Kraft gesetzt.
[2] Der Gesetzentwurf findet sich in LI LA RE 1921/1786 ; vgl. auch LI LA DM 1921/005 A+B.
[3] Regierungschef Josef Ospelt beantragte mit Schreiben an Fürst Johann II. vom 23.10.1921 die Sanktionierung des neuen Jagdgesetzes. Die Kundmachung des Gesetzes war aus der Sicht Ospelts sehr dringlich, da die Einteilung der neuen Jagdbezirke und die Versteigerung der Jagd noch vor Eintritt des Winters durchgeführt werden sollte. Künftig war mit der Vorlage von Gesetzen zur fürstlichen Genehmigung im Sinne des Art. 66 der Verfassung vom 5.10.1921, LGBl. 1921 Nr. 15, bis zum Ablauf der dreissigtägigen Referendumsfrist zuzuwarten. In diesem Falle glaubte der Regierungschef „jedoch hievon Umgang nehmen zu sollen, einerseits wegen der schon erwähnten Dringlichkeit, andererseits weil die seit 6. Oktober in der Druckerei befindliche Verfassung trotz Betreibung immer noch nicht fertig gedruckt“ war (LI LA RE 1921/4686 ad 1786). Die Verfassung wurde schliesslich im Landesgesetzblatt vom 24.10. und das Jagdgesetz in jenem vom 18.11.1921 ausgegeben.