Maschinenschriftlicher Entwurf einer Note des liechtensteinischen Geschäftsträgers in Bern, Emil Beck, an den Schweizer Bundespräsidenten Giuseppe Motta [1]
15.2.1920, Bern
Euere Exzellenz!
Anlässlich der mündlichen Besprechungen, welche der mit der Vertretung der aussenpolitischen Interessen des Fürstentumes Liechtenstein von dem verfassungsmässig hiezu berufenen Landesfürsten [Johann II.] betraute Gesandte in Wien, Prinz Eduard von und zu Liechtenstein, mit Euer Exzellenz und dem politischen Departement zu führen die Ehre hatte, hat derselbe darauf hingewiesen, dass sich die fürstliche Regierung auch vorbehalten müsse, rücksichtlich der Behandlung des ausgedehnten in Österreich und der Čechoslovakei gelegenen Besitzes ihres Landesherrn den schweizerischen Bundesrat um eventuelle Vorbringung einschlägiger Wünsche bei den Ententemächten zu ersuchen, falls es wider Erwarten nicht immer möglich sein sollte, die dem Fürsten und seinem Vermögen auf Grund seiner völkerrechtlich anerkannten Souveränität zukommende Behandlung zu sichern.
Während die vom politischen Departement mit Note vom 21. November 1919 [2] erbetene schriftliche Mitteilung über die Art der Interessenvertretung Liechtensteins durch die Schweiz sich noch in Ausarbeitung befindet [3] und ich hoffe, dieselbe Euer Exzellenz in allerkürzester Zeit in der für die Verständigung der schweizerischen diplomatischen und konsularischen Vertretungen erforderlichen Anzahl zur Verfügung stellen zu können, haben die Verhältnisse in der Čechoslovakei eine Entwicklung genommen, welche die fürstliche Regierung gezwungen hat, mich zu beauftragen, die Aufmerksamkeit der Schweizerischen Regierung auf nachstehende Tatsachen zu lenken:
Mit Gesetz vom 16. April 1919, Sg. Nr. 215, [4] wurde in der čechoslovakischen Republik theoretisch die Beschlagnahme des gesamten Grossgrundbesitzes gegen eine, durch weitere Gesetze zu regelnde Entschädigung [5] verfügt und gleichzeitig die Möglichkeit einer entschädigungslosen Übernahme einiger Grossgrundbesitze ausgesprochen, wobei insbesondere gegen diejenigen Grossgrundbesitzer vorgegangen werden sollte, welche sich gegen die čechoslovakische Nation vergangen haben.
Die čechoslovakische Regierung ist unter dem Drucke gewisser Parteien daran, Ausführungsgesetze zu diesem, den Grossgrundbesitz in seiner Gesamtheit gefährdenden Enteignungsgesetze auszuarbeiten, welche der derzeit provisorischen Nationalversammlung vorgelegt werden sollen und zwar noch vor den für den März oder April geplanten Neuwahlen zur Nationalversammlung, [6] zu welcher die Abgeordneten jener zur Čechoslovakei gehörigen deutschen und slovakischen Gebiete gehören werden, die den radikal gegen den Grossgrundbesitz gerichteten Bestrebungen abhold sind und bei der derzeitigen Nationalversammlung noch keine Vertretung besitzen.
Wie der fürstlichen Regierung auf Grund zuverlässiger Informationen bekannt geworden ist, ist zwar der ursprünglich in einzelnen Köpfen vorhanden gewesene Gedanke, in einem eigenen Gesetzesparagraphen die Konfiskation des unbeweglichen Vermögens der fürstlich liechtensteinischen Familie in Böhmen auszusprechen, anscheinend fallen gelassen worden; es liegen aber Anzeichen in der Richtung vor, dass eine generelle Bestimmung aufgenommen werden soll, welche in der Praxis gegen den fürstlichen Besitz verwendbar sein wird.
Der Historiker Professor Dr. Josef Pekař hat ein Gutachten vom 23. November 1919 ausgearbeitet, in welchem er als widerrechtlich erworbenen Grundbesitz, der in Gemässheit des vorzitierten Gesetzes ohne Entschädigung vom Staate übernommen werden kann, jenen bezeichnet, welcher bei dem grossen Umsturze nach der Schlacht am weissen Berge [7] aus dem Besitze des durch Konfiszierung seiner Güter bestraften böhmischen Adels in den Besitz von neuen Eigentümern, der Vorfahren oder Rechtsvorgänger der gegenwärtigen Eigentümer gelangt ist. – Die Frage, ob solcher Besitz ohne Entschädigung eingezogen werden könne, werde – erklärt er – ein Jurist negativ beantworten müssen, da die rechtswidrigen Akten verjährt seien und die gegenwärtigen Eigentümer ihre Güter mit vollem Rechte besitzen. Die Öffentlichkeit, "welche die Sühnung der von den Habsburgern verübten Ungesetzlichkeiten und Frevel, insbesonders der als Strafe des böhmischen Aufstandes im Jahre 1618 bis 1620 erfolgten Konfiskation von Gütern der Aufständischen und Überweisung dieser Güter an Getreue der Dynastie, erwartet", könne dieser juridische Standpunkt allerdings nicht befriedigen, weshalb der Gutachter die gestellte Frage als strittig betrachte. Die Konfiskation habe zwar dem Rechtsgefühle und der rechtlichen Praxis jener Zeit entsprochen, wenn sie auch dem Gesetze vom Jahre 1608 widersprach, nach welchem Hochverrat nicht mit Vermögenskonfiskation zu bestrafen war. Der grösste Teil der damals konfiszierten Güter sei durch Kauf oder auf Grund von Forderungen der Erwerber gegen den König in den ordentlichen und rechtmässigen Besitz der jetzigen Eigentümer gelangt; unrechtmässig erworbene Güter seien nur jene, welche gewissen Getreuen der Habsburger schenkungsweise gegeben wurden, was nur bei einer geringen Anzahl der Fall sei. Nur wenige solcher Schenkungen befänden sich noch heute im Besitze der gleichen Familie. Die Erwartungen des Volkes würden daher in der Praxis sehr enttäuscht werden und die Strafe würde den Käufer oder den Beschenkten, aber nicht mehr den schuldigen König treffen. Pekař kommt daher zu dem, seinen eigenen Ausführungen nach eine schwere Rechtsverletzung bildenden und lediglich national-chauvinistischen Masseninstinkten gefälligen Schlusse, "man solle eine gewissermassen manifestationelle Strafe verhängen, nämlich die Bestrafung der Hauptrepräsentanten, sowohl der damaligen absolutistischen Regierungswillkür, als auch des ersten Repräsentanten, vielmehr Ausführers der Korruptionsklique, welche das meiste Unheil gestiftet hat, das ist des Fürsten Karl von Liechtenstein, welcher als bevollmächtigter Vertreter des Königs mit der Bestrafung des böhmischen Adels" – vor dreihundert Jahren – "betraut war".
"Derselbe könne freilich nicht anders als in seinen Nachkommen bestraft werden, also durch Konfiskation ohne Entschädigung, zum mindesten jener Güter, welche seine Vorfahren, wenn es auch nicht Vorfahren direkter Vorfahren waren" (und dies ist bei der Familie Liechtenstein der Fall, übrigens hat Fürst Karl die Güter nicht schenkungsweise, sondern gegen bedeutende Zahlungen an den Kaiser erworben) "aus der Beute nach der Schlacht am weissen Berge für ihr Geschlecht erworben haben."
Pekař fügt dann bei, dass, wenn mit Rücksicht auf die besondere rechtliche Stellung der Familie Liechtenstein eine solche manifestationelle Bestrafung untunlich sei, so könne eine ähnliche Strafe in anderen Fällen nicht empfohlen werden; "einen anderen so repräsentativen Schuldigen gäbe es nicht und in keinem anderen Falle könnte ein so ausserordentlicher Vorgang durch eine derart überzeugende und die Ungewohnheit der Strafe rechtfertigende Begründung gestützt werden."
Der Historiker Professor Dr. Josef Šusta weiss in seiner Äusserung vom 28. November 1919 nichts anderes als seine Überzeugung mit Pekař zu erklären.
Der Jurist Professor Dr. Karl [Karel] Kadlec erachtet in seinen Bemerkungen vom 27. November 1919 für unbillig, solche Güter ohne Entschädigung wegzunehmen, deren Eigentum seinem Ursprunge nach in die Zeit des Umsturzes nach der Schlacht am weissen Berge zurückreicht.
Was jedoch das fürstlich liechtensteinische Eigentum betrifft, so empfiehlt derselbe, "der fürstlichen Familie ohne jede Entschädigung den gesamten aus den Konfiskationen nach 1620 herrührenden Besitz wegzunehmen und ausserdem auch den Jägerndorfer Besitz, welcher dem Fürsten Karl, der den Fussstapfen Ferdinands II. eifrig folgte, im Jahre 1622 als Lehenfürstentum zum Geschenke gemacht wurde." (Bezieht sich auf die Herzogtümer Jägerndorf und Troppau in Schlesien, mit denen Fürst Liechtenstein seinerzeit belehnt wurde; die Familie besitzt dort ausgedehnten privaten Waldbesitz.) "Dies wird für die grundlose, zum Nachteil des böhmischen Adels sowie des böhmischen Staates erfolgte Bereicherung eine gerechte Strafe sein und diese Strafe ist als minimal zu bezeichnen, da der Familie noch die Nutzungen für 3 Jahrhunderte verbleiben."
Professor Dr. Anton Hobza führt in seinem, vom Standpunkte des Völkerrechtes abgegebenen Gutachten hinsichtlich des liechtensteinischen unbeweglichen Vermögens im Gebiet der čechoslovakischen Republik etwa Folgendes an:
"Der regierende Fürst von Liechtenstein hatte in Österreich eine doppelte rechtliche Stellung:
a) als einheimischer Adeliger (ausgedehnte Besitzungen, ständiger Sitz in Wien, Mitglied des Herrenhauses),
b) als Souverän.
Da derselbe unstreitig im Subjektionsverhältnisse zu Österreich stand, kam ihm der Anspruch auf Exterritorialität nicht zu." [8]
Für die Beurteilung der rechtlichen Stellung der Immobilien des regierenden Fürsten von Liechtenstein führt Professor Hobza Nachstehendes an:
"1.) Die čechoslovakische Republik ist nach dem Völkerrechte nicht verpflichtet, dem Fürsten die Stellung einer exterritorialen Persönlichkeit zuzugestehen und zwar auch dann nicht, wenn ihm andere Staaten eine solche Stellung zuerkennen würden, weil derselbe nicht völlig souverän ist (Justiz, Zollgebiet, Diplomatie) und das Fürstentum ein blosses Annex oder eine Pertinenz Österreichs bildet.
2.) Das Fürstentum Liechtenstein befindet sich der čechoslovakischen Republik gegenüber im Kriegszustande, als ein Annex Österreichs, bezw. die čechoslovakische Republik kann hierüber nach freiem Ermessen entscheiden (Dagegen allerdings das Verbot der Warendurchfuhr und gegenwärtig die Anstrebung der eigenen Diplomatie). Die Entente ist teilweise für die Neutralität, allein Frankreich betrachtet 1916 in seiner Mitteilung an die Schweizer Regierung das Fürstentum Liechtenstein für ein feindliches Land. [9]
Wenn aber die Neutralität anerkannt werden wird:
1.) ist die Konfiskation des Vermögens, insoweit sich dieselbe auf eine spezielle, direkt gegen den Fürsten gerichtete gesetzliche Vorschrift gründen würde, mit Rücksicht auf das Völkerrecht prinzipiell ausgeschlossen.
2.) die Verstaatlichung des Eigentums ohne Entschädigung wäre auf Grund eines Gesetzes möglich, welches dieselbe in abstracto für alle Fälle statuiert, wo gewisse Bedingungen erfüllt sind, ohne zwischen In- und Ausländern zu unterscheiden.
3.) jedenfalls kann der Staat gegen Entschädigung den gesamten liechtensteinischen Grossgrundbesitz im Gebiete der Republik konfiszieren."
Von der Mentalität des Gutachters zeugt die weitere Bemerkung, "er empfehle zur Sicherheit des Staates unter allen Umständen die Liquidation des liechtensteinischen Vermögens, wenn auch gegen Entschädigung, weil es Eigentum des Oberhauptes eines fremden Staates, also eines internationalen Faktors sei." Ein Standpunkt, den andere Staaten – auch wenn sie Republiken sind – vom Standpunkte des Völkerrechtes wohl ebenso wenig begrüssen können, wie von dem des Schutzes des Eigentumes fremder Staatsbürger in anderen Staaten.
Es scheint nun tatsächlich die Absicht zu bestehen, eine solche allgemeine Formulierung des Gesetzes in Antrag zu bringen, welche dann das Einschreiten gegen die fürstliche Familie ermöglichen würde. Professor Dr. [Jan] Krčmář (Professor des bürgerlichen Rechtes an der Prager Hochschule), welcher mit der definitiven Redaktion der sämtlichen, die Bodenreform betreffenden Gesetze betraut ist, hat sich in seinem Gutachten hauptsächlich mit der Frage der Stilisierung der Bestimmung, welche auf die Einlösung des Grossgrundbesitzes ohne Entschädigung abzielen würde, befasst und sich gegen dieselbe ausgesprochen. Er macht hiebei auf die Schwierigkeiten aufmerksam, welche der Wahl solcher Formel entgegenstehen und darauf, dass dieselbe stets zu Streitigkeiten Anlass geben würde.
Die fürstliche Regierung beauftragt mich, Euer Exzellenz ein Exemplar jener Note zu unterbreiten, welche dieselbe seinerzeit an die Friedenskonferenz in Paris über die Frage der Neutralität des Fürstentumes gerichtet hat und welche von der Friedenskonferenz voll gewürdigt wurde, indem alle Grossmächte der Entente die Vertretung Liechtensteins durch die Schweiz zugelassen haben, ohne dass Liechtenstein an den Friedensverhandlungen teilgenommen oder einen Frieden in anderer Form geschlossen hätte. [10] In dieser Frage muss gegenüber Hobza ausdrücklich betont werden, dass Frankreich in seiner an den Schweizerischen Bundesrat gerichteten Mitteilung vom 16. Februar 1916 die Neutralität des Fürstentumes lediglich in kommerzieller Hinsicht als nicht vorhanden bezeichnete (Französischer Wortlaut: ... "Dans ces conditions je suis chargé d’informer Votre Excellence que tant que le Liechtenstein sera compris dans les frontières douanières de l’Autriche-Hongrie mon Gouvernement considéra la Principauté comme assimilée aux territoires ennemis en matière de transactions commerciales.") [11]
Die königlich englische Regierung hat in letzter Zeit diese Neutralität ausdrücklich anerkannt und die Freigabe des Vermögens zweier Mitglieder der fürstlichen Familie aus diesem Titel verfügt.
Im Übrigen beehre ich mich, den Entwurf einer Note vorzulegen, welche die fürstliche Regierung im September 1919 an die Friedenskonferenz zu richten beabsichtigte [12] und welche das bereits damals bekannte Gutachten Hobza’s widerlegt. – Diese Note wurde nicht abgesendet, um die Susceptibilität der Čechoslovakei nicht zu wecken, zumal damals eine Gefahr für den fürstlichen Besitz nicht mehr zu bestehen schien und der fürstliche Gesandte in Wien in freundschaftlichster Weise mit verschiedenen massgebenden Faktoren der Republik in amtlichem Verkehr stand. Sie wurde jedoch in vertraulicher Weise der französischen Regierung übermittelt und dürfte bei der bald darauf inoffiziellerweise dem fürstlichen Gesandten in Wien kundgemachten Stellungnahme der Entente gegenüber dem Fürstentume von ausschlaggebender Bedeutung gewesen sein.
Dass die Souveränität des Fürstentumes niemals bezweifelt wurde, beweist übrigens ja die Tatsache, dass im Friedensvertrage von St. Germain die Grenze Österreichs im Westen als "gegen die Schweiz und Liechtenstein unverändert" bezeichnet wurde. [13]
Der čechoslovakische Minister des Äussern Dr. [Edvard] Beneš hat in letzter Zeit zwar in liebenswürdigster Weise zu erkennen gegeben, dass er persönlich – wohl aus der in den Gutachten selbst dargelegten juridischen Unhaltbarkeit und wegen der schwerwiegenden wirtschaftlichen Konsequenzen derartiger Schritte – nicht die Absicht habe, bei den auf die Enteignung des fürstlichen Besitzes abzielenden Bestrebungen mitzuwirken. Immerhin hat er aber die Souveränität und Neutralität des Fürstentumes bezweifelt und nur erklärt, dass er sich in dieser Hinsicht den Entschlüssen der Grossmächte der Entente anschliessen werde.
Die fürstliche Regierung beauftragt mich daher, Euere Exzellenz zu ersuchen, durch die Gesandten der Schweiz in Paris, London und Rom die bezüglichen Regierungen über die Lage informieren zu wollen, in welcher der fürstliche Besitz in der Čechoslovakei sich derzeit befindet und dieselben zu ersuchen, in geeignet scheinender Weise, jedoch mit der grössten Beschleunigung dem čechischen Ministerium des Äussern erkennen geben zu wollen, dass sie die Souveränität des Fürstentums als ausser Zweifel stehend erachten und auch die Neutralität desselben während des Krieges anerkannt haben. [14]
Sollten Euere Exzellenz glauben, den Vertretern der Schweiz die hier angeschlossenen Beilagen behufs eventueller Übergabe an die betreffenden Regierungen zur Verfügung stellen zu sollen, so erlaube ich mir hiefür je drei weitere Exemplare der inerwähnten Operate A und B zu übermitteln.
Endlich ersuche ich Euere Exzellenz um freundliche Mitteilung, in welcher Weise und in welchem Zeitpunkte Euere Exzellenz an die Schweizerischen Gesandten heranzutreten beabsichtigen, weil der fürstliche Gesandte in Wien auch einen direkten Schritt bei dem čechischen Minister des Äussern in Prag vorhat, welchen er derart einrichten möchte, dass die erbetene Einwirkung der drei Grossmächte der Entente kurze Zeit nach seinem Schritte in Prag erfolgt.
Genehmigen Euere Exzellenz den Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung.
Der fürstliche Geschäftsträger: